Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 V 294



Urteilskopf

131 V 294

  40. Auszug aus dem Urteil i.S. O. AG gegen Allgemeine Arbeitslosenkasse in
Basel und Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
  C 110/04 vom 24. August 2005

Regeste

  Art. 35 Abs. 1 AVIG: Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung.

  Bei monatlicher Abrechnungsperiode ist für den Beginn der 2-Jahresfrist
auf den ersten Tag des Kalendermonats, für welchen erstmals
Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wurde, abzustellen. (Erw. 2 und 3)

Auszug aus den Erwägungen: ab Seite 294

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.

  2.1  Art. 35 Abs. 1 AVIG (in der seit 1. Januar 1992 gültigen Fassung, AS
1991 2125 2128) lautet in den drei amtssprachlichen Fassungen wie folgt:

   "Innerhalb von zwei Jahren wird die Kurzarbeitsentschädigung während
    höchstens zwölf Abrechnungsperioden ausgerichtet. Diese Frist gilt für
    den Betrieb und beginnt mit dem ersten Tag der ersten
    Abrechnungsperiode, für die Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wird."

   "Dans une période de deux ans, l'indemnité est versée pendant douze
    périodes de décompte au maximum. Pour chaque entreprise, ces deux ans
    commencent à courir le premier jour de la première période de décompte
    pour laquelle l'indemnité est versée."

   "L'indennità per lavoro ridotto è pagata, in un periodo di due anni,
    durante al massimo dodici periodi di conteggio. Tale termine biennale
    vale per l'azienda e decorre dal primo giorno del primo periodo di
    conteggio in cui è pagata l'indennità per lavoro ridotto."

  2.2  Der Wortlaut des Art. 35 Abs. 1 AVIG gibt keine klare, d.h.
eindeutige und unmissverständliche Antwort auf die Frage, ob - so der
Rechtsstandpunkt der Beschwerdeführerin - die in der Regel monatliche
Abrechnungsperiode (vgl. Art. 32 Abs. 5 AVIG und Art. 53 AVIV) mit dem Tag
beginnt, für den erstmals Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wird oder -
so die Arbeitslosenkasse und das kantonale Gericht - ob der Kalendermonat
massgebend ist.

  2.3  Als weiteres normunmittelbares Auslegungselement ist die Systematik
zu berücksichtigen.

  Der Begriff der Abrechnungsperiode ist nebst der hier strittigen
Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung massgebend bei der Ermittlung des
anrechenbaren Arbeitsausfalls (Art. 32 Abs. 5 AVIG), der Berechnung der
Karenzzeit (Art. 32 Abs. 2 und 3 AVIG) sowie der Geltendmachung des
Anspruchs (Art. 38 AVIG). Gemäss Art. 38 Abs. 1 AVIG macht der Arbeitgeber
den Entschädigungsanspruch seiner Arbeitnehmer innert dreier Monate nach
Ablauf jeder Abrechnungsperiode gesamthaft für den Betrieb bei der von ihm
bezeichneten Kasse geltend. In ARV 2003 S. 251 entschied das Eidgenössische
Versicherungsgericht hiezu, dass sich die monatliche Abrechnungsperiode
gemäss Art. 53 AVIV auf den Kalendermonat bezieht, in dem Kurzarbeit
geleistet wurde, und nicht auf allfällig davon abweichende
arbeitsvertraglich festgesetzte Lohnperioden. Eine einheitliche Auslegung
des Begriffs der Abrechnungsperiode spricht eindeutig dafür, dass im
Regelfall der monatlichen Abrechnungsperiode der Kalendermonat bei der
Ermittlung der Höchstdauer der Kurzarbeitsentschädigung einschlägig ist.

  2.4  Dies wird durch das historische Auslegungselement bestätigt.
  Art. 35 Abs. 1 in fine AVIG (in der bis 31. Dezember 1991 gültig gewesenen
Fassung) sah vor, dass die Frist von höchstens zwölf Abrechnungsperioden mit
dem ersten Tag beginnt, für den Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wird
("... et dès le premier jour pour lequel l'indemnité est versée..."; "... e
decorre dal primo giorno in cui è pagata un'indennità per lavoro ridotto").
Mit der auf den 1. Januar 1992 in Kraft getretenen Gesetzesänderung vom 5.
Oktober 1990 (AS 1991 2131) trug die Legislative der in der Literatur
(GERHARDS, Kommentar zum Arbeitslosenversicherungsgesetz, Bd. I N 7 ff. zu
Art. 35) erhobenen Kritik an der bisherigen, als nicht hinreichend präzis
gerügten Regelung der Fristenproblematik Rechnung. Die auf den 1. Januar
1992 in Kraft getretene Novelle macht deutlich, dass nunmehr der erste Tag
der ersten Abrechnungsperiode fristauslösend sein soll. Der Beginn der
Kurzarbeit innerhalb einer Abrechnungsperiode spielt keine Rolle (vgl.
GERHARDS, a.a.O., N 8 zu Art. 35).

  In der Botschaft zum Bundesbeschluss über Massnahmen in der
Arbeitslosenversicherung vom 27. Januar 1993 (BBl 1993 I 677 ff. 686) hielt
der Bundesrat u.a. fest, ein Betrieb könne normalerweise innerhalb einer
Rahmenfrist von zwei Jahren während höchstens zwölf Monaten kurzarbeiten,
wobei jeder angebrochene Monat voll mitzähle. Indem für den Beginn der
2-Jahresfrist gemäss Art. 35 AVIG auf den ersten Tag der ersten
Abrechnungsperiode abgestellt wird, dabei aber laut eben zitierter Botschaft
- im Regelfall der monatlichen Zahltagsperiode gemäss Art. 53 AVIV - jeder
angebrochene Monat voll mitzuzählen ist, ist darauf zu schliessen, dass sich
die monatliche Abrechnungsperiode auf den Kalendermonat bezieht.
Andernfalls, d.h. wenn für den Beginn der Höchstdauer der
Kurzarbeitsentschädigung vom Tag auszugehen wäre, für den erstmals
Entschädigung geleistet wurde, wäre der Hinweis sinnlos, wonach angebrochene
Monate für die Festlegung der Höchstdauer voll mitzuzählen sind.

  2.5  Art. 35 AVIG bezweckt, die Anspruchsberechtigung für
Kurzarbeitsentschädigung in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen. Wird bei
monatlicher Abrechnungsperiode auf den Kalendermonat abgestellt, in welchem
erstmals Kurzarbeitsentschädigung geleistet wurde, führt dies dazu, dass die
zweijährige Rahmen- oder Referenzfrist ge-

mäss Art. 35 AVIG mit dem Beginn der ersten Abrechnungsperiode übereinstimmt
(vgl. THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches
Bundesverwaltungsrecht [SBVR],  Soziale Sicherheit, Rz 412 f.). Diese
gesetzliche Konzeption ist für die Arbeitslosenkassen verfahrensmässig und
insbesondere von der Datenverarbeitung her gesehen einfach zu handhaben
(vgl. Botschaft zu einer Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes
vom 23. August 1989, BBl 1989 III 377 ff., 394). Fällt, wie hier, der Beginn
der Kurzarbeit gegen das Ende eines Kalendermonats, resultieren für die
erste Abrechnungsperiode allenfalls weniger hohe Ansprüche, als wenn der
anrechenbare Arbeitsausfall über einen ganzen Kalendermonat hinweg zu
berücksichtigen ist. Das ist aber letztlich ebenso zufällig, wie wenn im
Verlaufe einer mehrmonatigen Kurzarbeitsphase der anrechenbare
Arbeitsausfall zwischenzeitlich dank besserer Beschäftigungslage
vorübergehend unterdurchschnittlich war.

Erwägung 3

  3.  Nach dem Gesagten ist gestützt auf die normunmittelbaren
Auslegungselemente - mit der Vorinstanz und der Kasse - bei monatlicher
Abrechnungsperiode für den Beginn der 2-Jahresfrist gemäss Art. 35 AVIG auf
den ersten Tag des Kalendermonats, für welchen erstmals
Kurzarbeitsentschädigung ausgerichtet wurde, abzustellen. Damit besteht über
Ende Juni 2003 hinaus, wie die Vorinstanzen zutreffend erkannten, zufolge
Ausschöpfens des Anspruchs keine Leistungspflicht der Kasse mehr.