Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 V 256



Urteilskopf

131 V 256

  35. Auszug aus dem Urteil i.S. R. und M. gegen Amt für Sozialbeiträge
Basel-Stadt und Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
  P 10/03 vom 4. August 2005

Regeste

  Art. 8, 9 und 12 BV; Art. 3a Abs. 7 lit. h ELG; Art. 16b ELV:
Heizkostenpauschale.
  Art. 16b ELV ist gesetz- und verfassungsmässig. (Erw. 5)
  In der Pauschalierung der Heizkosten liegt keine Verletzung des Anspruchs
auf ein menschenwürdiges Dasein nach Art. 12 BV. (Erw. 6)

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.

  3.2  Gemäss Art. 2 Abs. 1 ELG (in der hier anwendbaren, bis 31. Dezember
2002 gültig gewesenen Fassung) haben Schweizer Bürger mit Wohnsitz und
gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz Anspruch auf Ergänzungsleistungen,
wenn sie eine der Voraussetzungen nach Art. 2a-d ELG erfüllen und die
gesetzlich anerkannten Ausgaben (Art. 3b ELG) die anrechenbaren Einnahmen
(Art. 3c ELG) übersteigen. Gemäss Art. 3a ELG hat die jährliche
Ergänzungsleistung dem Betrag zu entsprechen, um den die anerkannten
Ausgaben die anrechenbaren Einnahmen übersteigen (Abs. 1). Der Bundesrat
regelt die Pauschale für die Heizkosten bei Wohnungen, die selber beheizt
werden müssen (Abs. 7 lit. h). Nach Art. 16b ELV wird bei Personen, welche
ihre Mietwohnung selber beheizen müssen und dem Vermieter keine
Heizungskosten nach Art. 257b Abs. 1 OR zu zahlen haben, für die Heizkosten
zu den übrigen Nebenkosten eine Pauschale hinzugezählt (Abs. 1). Diese
Pauschale beträgt pro Jahr die Hälfte derjenigen nach Art. 16a (Abs. 2).
Gemäss Art. 16a Abs. 3 ELV beträgt die Pauschale im Jahr Fr. 1680.-.

  3.3  Wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen, hat
Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein
menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind (Art. 12 BV).

Erwägung 4

  4.  Beim zu prüfenden Anspruch auf Ergänzungsleistungen ist lediglich die
Höhe der anrechenbaren Heizkosten streitig. Die Beschwerdeführer wenden sich
in ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde dagegen, dass in der Berechnung des
Ergänzungsleistungs-anspruches lediglich eine Pauschale für die Heizkosten
in der Höhe von Fr. 840.- jährlich oder Fr. 70.- monatlich berücksichtigt
wird. Sie rügen eine Verletzung des Rechtsgleichheitsgebots im Sinne von
Art. 8 BV sowie des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Dasein im Sinne von
Art. 12 BV.

Erwägung 5

  5.

  5.1  Zum Rechtsgleichheitsgebot machen die Beschwerdeführer geltend, die
Pauschalierung falle offensichtlich viel zu tief aus und werde dem konkreten
Einzelfall einer Selbstbeheizung in keiner Weise gerecht. Das zeige sich
bereits aus der Art, wie die Pauschale fixiert worden sei. Diese betrage die
Hälfte der Nebenkostenpauschale gemäss Art. 16a ELV, welche die
Nebenkostenabdeckung bei selbstgehörenden Liegenschaften betreffe. Es werde
somit ein Quervergleich zu einer Kategorie - dem selbstgenutzten
Wohneigentum - gezogen, welcher offensichtlich sachlich unhaltbar sei. Dies
deshalb, weil es sich bei Mietwohnungen, welche noch selbst beheizt werden
müssten, augenscheinlich um Altbauten handle, die äusserst schlecht isoliert
seien und einen entsprechenden Energiebedarf aufwiesen, wie es der
vorliegende Fall im Übrigen mit fast nicht zu übertreffender Klarheit
belege. Dies im Gegensatz zum selbstgenutzten Wohneigentum, welches
notorischerweise baulich gut unterhalten sei. Die Anwendung des hälftigen
Ansatzes für selbstbeheizte Mietwohnungen sei demnach nicht nachvollziehbar.
Dies gelte umso mehr, als bei Altbauten ausser den Heiz- und Wasserkosten
keine Nebenkosten anfallen würden. Zudem sei bei Altbauten nicht zuletzt in
Ausgleichung des fehlenden Heizkomforts der Basismietzins regelmässig sehr
tief, er liege weit unter der anrechenbaren Kostenlimite von jährlich Fr.
12'000.-. Nachvollziehbar und der Tatsache des erhöhten Energiebedarfs bei
Altbauten gerecht werde die Pauschalierung nur dann, wenn als Referenz die
statistisch festgehaltenen Akonto-Zahlungen für Heizkosten von
Vergleichsobjekten herangezogen würden.

  5.2  Zunächst ist zum Einwand, die Pauschale werde dem konkreten
Einzelfall nicht gerecht, festzuhalten, dass die Ergänzungsleistungsregelung
nicht für alle tatsächlich anfallenden Auslagen eine Deckung vorsieht. Den
Grundsatz im Sinne von Art. 3a Abs. 1 ELG, wonach sich die Höhe des
Ergänzungsleistungsanspruchs aus der Differenz zwischen den anrechenbaren
Einnahmen und den anerkannten Ausgaben ergibt und sich damit also am
tatsächlichen Bedarf orientiert, schränkte der Gesetzgeber in verschiedenen
Bereichen ein, so einerseits mit Höchstgrenzen wie in Art. 3a Abs. 2 und 3
ELG für den Lebensbedarf (vgl. ERWIN CARIGIET, Ergänzungsleistungen zur
AHV/IV, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale
Sicherheit, Rz 81), aber auch mit durch den Bundesrat festzusetzenden
Pauschalen wie in Art. 3a

Abs. 7 lit. g ELG für die Nebenkosten bei einer vom Eigentümer oder
Nutzniesser bewohnten Liegenschaft oder in Art. 3a Abs. 7 lit. h ELG für die
hier in Frage stehenden Heizkosten bei Wohnungen, die selber beheizt werden
müssen.

  5.3  Die Vorinstanz hat zutreffend dargelegt, dass sich eine Pauschale der
Heizkosten in Art. 16b ELV in dem vom Gesetz vorgegebenen Rahmen hält und
damit grundsätzlich zulässig ist, räumt doch die gesetzliche Delegationsnorm
von Art. 3a Abs. 7 lit. h ELG dem Bundesrat die Kompetenz ein, eine
Pauschale für die Heizkosten festzusetzen. Die gesetzliche Regelung selbst
kann gestützt auf Art. 191 BV indes nicht auf ihre Verfassungsmässigkeit hin
überprüft werden, sondern ist auch dann anzuwenden, wenn sie der Verfassung
widerspricht (vgl. zum Ganzen BGE 129 II 263 Erw. 5.4). Die Korrektur einer
allfälligen verfassungswidrigen bundesgesetzlichen Regelung ist nach dem
Willen des Verfassungsgebers allein Sache des Gesetzgebers, nicht der
Gerichte. Dies räumen nunmehr auch die Beschwerdeführer ein.

  5.4  Auf die Verfassungskonformität hin überprüfbar bleibt hingegen die
konkrete Verordnungsbestimmung. Nach der Rechtsprechung kann das
Eidgenössische Versicherungsgericht Verordnungen des Bundesrates
grundsätzlich, von hier nicht in Betracht fallenden Ausnahmen abgesehen, auf
ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei (unselbstständigen) Verordnungen,
die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es in erster Linie,
ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz eingeräumten
Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein
sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsebene
eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob die
umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus dem Rahmen der dem
Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen oder aus andern
Gründen gesetz- oder verfassungswidrig sind. Es kann jedoch sein eigenes
Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen und hat auch
nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom Bundesrat verordnete
Regelung verstösst allerdings dann gegen das in Art. 9 BV verankerte
Willkürverbot, wenn sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt resp.
sinn- oder zwecklos ist. Gegen das in Art. 8 Abs. 1 BV festgeschriebene
Gebot der rechtsgleichen Behandlung verstösst sie, wenn sie rechtliche
Unterscheidungen trifft, für die sich ein vernünftiger Grund nicht

finden lässt, oder Unterscheidungen unterlässt, die richtigerweise hätten
berücksichtigt werden sollen (BGE 129 V 330 Erw. 4.1 mit Hinweisen; zu Art.
4 Abs. 1 aBV ergangene Rechtsprechung, welche gemäss BGE 126 V 52 Erw. 3b
unter der Herrschaft der neuen Bundesverfassung weiterhin Geltung
beansprucht: BGE 128 I 312 Erw. 7b mit Hinweis, 125 V 30 Erw. 6a, 124 II 245
Erw. 3, 583 Erw. 2a, 124 V 15 Erw. 2a, 194 Erw. 5a, je mit Hinweisen).

  5.5  Wie das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) in seiner
Vernehmlassung zutreffend ausführt, liegt es zunächst in der Natur einer
Pauschale, dass diese nicht genau den effektiven Ausgaben im Einzelfall
entspricht, werden doch bei einer Pauschale zu Gunsten der Praktikabilität
absichtlich keine Unterscheidungen nach Region, Grösse oder Zustand der
Wohnung getroffen. Die Durchbrechung des Bedarfsprinzips zu Gunsten der
Praktikabilität findet sich im Übrigen innerhalb der
Ergänzungsleistungsregelung auch an anderer Stelle, wie bereits mit Blick
auf die Höchstgrenzen beim Lebensbedarf ausgeführt (vgl. Erw. 5.2 hievor).

  Im Weiteren lässt sich die Festsetzung der Heizkostenpauschale in
sachlicher Hinsicht nicht beanstanden. Sie basiert entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführer nicht etwa auf Ansätzen für Wohneigentum, sondern auf
einem nachvollziehbaren, durchschnittlichen Nebenkostenansatz für
Mietwohnungen von Fr. 35.- pro Zimmer, ausgehend von einer 4-Zimmer-Wohnung,
was Nebenkosten von Fr. 140.- entspricht (AHI-Praxis 1998 S. 33). Mit Blick
auf die weiteren anfallenden Nebenkosten, zu denen neben den bereits im
Gesetz erwähnten Heiz- und Warmwasserkosten (Art. 257b Abs. 1 OR) als
Beispiele etwa die Kosten für allgemeine Beleuchtung, Hauswart, Gartenpflege
und allenfalls Lift gehören (Urteil 4C.82/2000 vom 24. Mai 2000) und welche
- abgesehen vielleicht von den Liftkosten - entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführer auch bei Altbauten anfallen, erscheint es durchaus
sachgerecht, für die Heizkostenpauschale von diesem Ansatz nur die Hälfte,
somit Fr. 70.- zu berücksichtigen. Abgesehen davon kann auch nicht gesagt
werden, im Gegensatz zu Mietwohnungs-Altbauten sei selbstbenutztes
Wohneigentum notorischerweise gut unterhalten, weisen doch gerade auch
Einfamilienhäuser mit Baujahr vor 1973 (Ölkrise) auf Grund der schlechten
Isolation einen höheren Energiebedarf auf. Schliesslich lässt sich die
Festsetzung der Heizkostenpauschale auf Fr. 70.- pro Monat auch mit Blick
auf die Preisstatistik 2002 nicht beanstanden, welche in der

Kategorie Rentner einen Anteil des Heizöls an der Wohnungsmiete von 9.5 %
ausweist (vgl. Preisstatistik 2002 des Bundesamtes für Statistik vom Februar
2003, S. 23, Tabelle 3), wenn, wie das BSV zutreffend ausgeführt hat, zum
Vergleich die anrechenbaren Bruttomietzinse bei den Ergänzungsleistungen
(Median des Bruttomietzinses bei Alleinstehenden Fr. 750.-, bei Ehepaaren
Fr. 920.-; vgl. Statistik der Ergänzungsleistungen zur AHV und IV 2002 des
BSV, S. 48, Tabelle A 4.4) herangezogen und daraus die entsprechenden
Heizkosten abgeleitet werden (bei Alleinstehenden 9.5 % von Fr. 750.- = Fr.
64.50, bei Ehepaaren 9.5 % von Fr. 920.- = Fr. 79.10). Eine unsachliche
Regelung, welche ein Abgehen von der durch den Bundesrat festgesetzten
Pauschale rechtfertigt, liegt deshalb nicht vor.

Erwägung 6

  6.  Zu prüfen bleibt, ob die Heizkostenpauschale in der festgesetzten Höhe
den Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein im Sinne von Art. 12 BV
verletzt. Dazu führen die Beschwerdeführer lediglich an, in der
bundesrätlichen Verordnung hätte mindestens eine Härtefallklausel fixiert
werden müssen.

  6.1  Nach Art. 12 BV hat, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für
sich zu sorgen, Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für
ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind. Dieses Grundrecht garantiert
nicht ein Mindesteinkommen; verfassungsrechtlich geboten ist nur, was für
ein menschenwürdiges Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen
Bettelexistenz zu bewahren vermag (BGE 121 I 373 Erw. 2c; Urteil 2P.148/2002
vom 4. März 2003 Erw. 2.3). Dabei wurde die Formulierung "wer in Not gerät
und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen" erst in der parlamentarischen
Beratung auf Vorschlag der Verfassungskommissionen der eidgenössischen Räte
eingefügt (BBl 1998 I 372 und 441). Sie soll - wie schon die Marginalie (in
der Botschaft des Bundesrates noch "Recht auf Existenzsicherung" [BBl 1997 I
149]) - klarstellen, dass für das "Recht auf Hilfe in Notlagen" der
Grundsatz der Subsidiarität gilt, wodurch der Verfassungsgeber somit den
Anspruch als solchen bereits relativiert hat (Amtl. Bull. 1998 N 690). Der
Anspruch umfasst zudem nur ein Minimum, d.h. einzig die in einer Notlage im
Sinne einer "Überlebenshilfe" unerlässlichen Mittel (in Form von Nahrung,
Kleidung, Obdach und medizinischer Grundversorgung), um überleben zu können
(Amtl. Bull. 1998 S 39 f.; N 688 f.; BGE 130 I 74 Erw. 4).

  6.2  Im Rahmen der Konkretisierung menschenwürdiger Existenzbedingungen
kann aus dem Anspruch auf Obdach unter anderem auch ein Anspruch auf
Beheizbarkeit der zu bewohnenden Räume abgeleitet werden (vgl. KATHRIN
AMSTUTZ, Das Grundrecht auf Existenzsicherung, Diss. Bern 2001 S. 217). Die
Anerkennung dieses Anspruchs im System der Ergänzungsleistungen findet darin
ihren Niederschlag, dass Heizkosten ausdrücklich als Ausgaben anerkannt
werden. Was die Höhe dieser anerkannten Heizkosten betrifft, muss aber
bedacht werden, dass der verfassungsmässige Anspruch lediglich ein Minimum
im Sinne einer Überlebenshilfe garantiert (vgl. Erw. 6.1 hievor) und dieser
weniger mit Blick auf einzelne Positionen der Ergänzungsleistungsberechnung
denn auf die Gesamtleistung zu beurteilen ist.

  Unter Berücksichtigung, dass sich die Heizkostenpauschale über Fr. 840.-,
wie bereits dargelegt, im Rahmen des üblicherweise von Rentnern für
Heizkosten aufgewendeten Betrages bewegt (vgl. dazu im Übrigen auch die
Bemerkung des Amtes für Sozialbeiträge in seiner Vernehmlassung, wonach bei
rund 8000 Ergänzungsleistungsbezügern kein anderer Fall bekannt sei, in
welchem solch hohe Heizkosten wie vorliegend geltend gemacht würden) und
zudem nicht davon auszugehen ist, dass die normalerweise anfallenden
Heizkosten nur gerade dazu ausreichen, im Sinne eines "Minimalstandards" das
an Beheizung zum Überleben Notwendige sicherzustellen, wird der von Art. 12
BV garantierte, in einer Notlage unerlässliche Minimalanspruch jedenfalls
gewährleistet. Sollte die Ergänzungsleistung unter Einschluss der
Heizkostenpauschale in einem ganz speziell gelagerten Einzelfall für ein
menschenwürdiges Dasein nicht ausreichen, wäre diesem Umstand nicht bei den
Ergänzungsleistungen, sondern im Rahmen der Sozialhilfe Rechnung zu tragen.
Dies ist indessen praktisch kaum vorstellbar, da die Ergänzungsleistungen
von Verfassungs wegen den Existenzbedarf decken (in Art. 196 enthaltene
Ziff. 10 ÜbBest BV zu Art. 112 BV). Eine Prüfung, ob die Heizkostenpauschale
im konkreten Einzelfall kostendeckend ist, entfällt damit in diesem
Verfahren. Art. 16b ELV erweist sich deshalb auch mit Bezug auf Art. 12 BV
als verfassungskonform.