Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 I 425



Urteilskopf

131 I 425

  43. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
Schweizerische Bundesanwaltschaft gegen Bank X. und Bundesstrafgericht
(Beschwerde)
  1S.11/2005 vom 25. Juli 2005

Regeste

  Art. 36 Abs. 1 und 3 BV; Art. 101 Abs. 2 und Art. 102quater BStP;
strafprozessuales Kommunikationsverbot zu Lasten einer von einer
Editionsverfügung betroffenen Bank; gesetzliche Grundlage und
Verhältnismässigkeit der Zwangsmassnahme.

  Zwar stellen befristete und im Interesse des strafprozessualen
Untersuchungsgeheimnisses liegende, sachlich gebotene Informationssperren
gegenüber Banken grundsätzlich keinen besonders empfindlichen Eingriff in
die verfassungsrechtlich geschützte Kommunikations- und Wirtschaftsfreiheit
dar. Im vorliegenden Fall gebricht es der streitigen Zwangsmassnahme jedoch
in zeitlicher Hinsicht an der Verhältnismässigkeit (E. 5 und 6).

Sachverhalt

  Seit 23. Januar 2004 führt die Schweizerische Bundesanwaltschaft
(nachfolgend: BA) ein Ermittlungsverfahren gegen Y. und weitere Beteiligte
wegen des Verdachtes der Geldwäscherei. Am 23. April 2004 erliess sie eine
Editionsverfügung (betreffend Konteninformationen) gegenüber der Genfer
Niederlassung der Bank X. Gleichzeitig ordnete sie eine Informationssperre
an. Der betroffenen Bank (sowie ihren Organen und Mitarbeitenden) wurde
untersagt, ihren Kunden und dritten Personen bzw. Gesellschaften Mitteilung
zu machen über die Editionsverfügung bzw. darüber, dass im vorliegenden
Zusammenhang ein Ermittlungsverfahren hängig ist. Die Verfügung der BA vom
23. April 2004 blieb unangefochten.

  Am 23. August 2004 ersuchte die betroffene Bank die BA um Aufhebung der
angeordneten Informationssperre. Mit Verfügung vom 30. August 2004 wies die
BA das Ersuchen ab. Die von der betroffenen Bank gegen diese Verfügung
erhobene Beschwerde hiess

das Bundesstrafgericht (Beschwerdekammer) mit Entscheid vom 24. Januar 2005
gut. Die Beschwerdekammer ordnete die Aufhebung des streitigen
Mitteilungsverbotes an.

  Mit Eingabe vom 31. Januar 2005 erhob die BA beim Bundesgericht
vorsorglich Zwangsmassnahmenbeschwerde gegen den (gleichentags eröffneten)
Entscheid des Bundesstrafgerichtes vom 24. Januar 2005. Die BA stellte und
begründete das Begehren, der Beschwerde sei die aufschiebende Wirkung zu
erteilen. Mit separater Eingabe vom 1. März 2005 begründete die BA die
Beschwerde. Sie beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheides.

  Mit Präsidialverfügung vom 4. März 2005 wurde der Beschwerde die
aufschiebende Wirkung zuerkannt. Das Bundesstrafgericht hat am 4. März 2005
auf eine Stellungnahme ausdrücklich verzichtet. Die beschwerdegegnerische
Bank beantragt mit Eingabe vom 11. April 2005 die kostenfällige Abweisung
der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Im angefochtenen Entscheid erwägt die Beschwerdekammer Folgendes:
Entgegen der Auffassung der Bundesanwaltschaft ergebe sich aus den
Bestimmungen des BStP über den grundsätzlich geheimen Charakter der
gerichtspolizeilichen Ermittlungen (Art. 102quater BStP) "keine gesetzliche
Grundlage für die Auferlegung eines Schweigegebots unter Strafandrohung". Im
BStP finde sich keine ausdrückliche Ermächtigung für Informationssperren
gegenüber nicht an das Amts- und Ermittlungsgeheimnis gebundenen Dritten.
Durch die Strafandrohung nach Art. 292 StGB werde das streitige
Mitteilungsverbot noch "nicht zur strafprozessualen Zwangsmassnahme".
Allerdings schränke die Informationssperre die Kommunikations- und
allenfalls die Wirtschaftsfreiheit der betroffenen Bank ein. Es handle sich
aber "klar" um einen nicht schwerwiegenden Grundrechtseingriff, weshalb "die
gesetzliche Grundlage für das Mitteilungsverbot (...) nicht zwingend auf
Gesetzesebene geregelt sein" müsse. Als gesetzliche Grundlage komme - bei
einem geringfügigen Eingriff wie hier - namentlich die Zeugenpflicht der
Bankangestellten bzw. die Auskunfts- und Editionspflicht der Bank in Frage,
zumal das Schweigegebot des Zeugen "eine eigenständige Nebenpflicht" der
gesetzlichen Zeugenpflicht darstelle. Laut Beschwerdekammer liegt der Zweck
der von der Bundesanwaltschaft angeordneten Informationssperre in der
"Verhinderung

einer Kollusion". Der Beschuldigte "soll nicht vorgewarnt werden, um nicht
durch entsprechende Dispositionen die Ermittlungen zu beeinträchtigen".
Allerdings diene der Verhinderung von Kollusion "typischerweise die
Untersuchungshaft", welche sich "ausschliesslich gegen den Beschuldigten
selbst richtet und insofern keine Handhabe für auch minder schwere Eingriffe
gegen Dritte" biete.

  Sodann könne geprüft werden, "ob sich ein Mitteilungsverbot als 'minus'
aus der Kontensperre ableiten lässt". "Immerhin" greife "die Kontensperre"
in die "Rechtsstellung der Bank ein". Diese könne "ihren vertraglichen
Verpflichtungen auf Leistung gemäss den Weisungen des am Konto Berechtigten
nicht nachkommen". Da Kontensperre und Mitteilungsverbot jedoch
"grundsätzlich verschiedener Natur" seien, biete sich "Art. 65 BStP wohl
eher nicht als gesetzliche Grundlage an". "Eine ausreichende gesetzliche
Grundlage könnte" nach Auffassung der Beschwerdekammer "grundsätzlich auch
Gewohnheitsrecht bilden". In diesem Zusammenhang sei "auf die Empfehlung der
kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren betreffend Kontosperren und
Schweigepflicht der Bank vom 25. März 1997 hinzuweisen, welche auf einem
Konsens zwischen der Schweizerischen Bankiervereinigung und der Konferenz
der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren" beruhe. In der Empfehlung
werde ausdrücklich festgehalten, dass "der Richter das Recht" habe, "der
Bank zu verbieten, den Kunden" über die Kontensperre "und alle damit
zusammenhängenden Umstände zu informieren", falls dadurch "die hängige
Strafuntersuchung beeinträchtigt werden könnte". "Der Umstand der
Vereinbarung der KKJPD als diesbezüglicher Vertreterin aller Kantone" belege
zwar "eine allgemeine Rechtsüberzeugung". Die Vereinbarung werde "von den
Strafverfolgungsbehörden der Kantone und nach Inkrafttreten der
Effizienzvorlage im Jahre 2002 von den Behörden des Bundes in der
Zusammenarbeit mit den Banken auch angewendet". "Die Übung dieser Praxis
(mehr als sieben Jahre)" sei "indessen nicht als lange zu bezeichnen",
weshalb sich die streitige Informationssperre nach Ansicht des
Bundesstrafgerichtes "nicht auf Gewohnheitsrecht abstützen" lasse.
  "Ob ein Mitteilungsverbot an eine Bank unter Androhung einer
Ungehorsamsstrafe überhaupt einer gesetzlichen Grundlage bedarf", sei "in
der Lehre umstritten". In der Bundesgesetzgebung seien Informationssperren
gegenüber Dritten namentlich in Art. 80n des

Rechtshilfegesetzes [IRSG; SR 351.1] und Art. 10 Abs. 3 des
Geldwäschereigesetzes [GwG; SR 955.0] ausdrücklich vorgesehen. Die Frage
einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage könne jedoch im vorliegenden Fall
"letztlich offen bleiben". Das "öffentliche Interesse an der Möglichkeit,
einer Bank ein Mitteilungsverbot aufzuerlegen", sei "im Übrigen
offensichtlich und im Lichte neuerer Entwicklungen auch gross". Es erscheine
laut angefochtenem Entscheid "bedenklich", wenn "erste Ermittlungen der
Strafverfolgungsbehörden, welche Bankerhebungen erforderlich machen, den
Betroffenen durch die Bank offenbart werden könnten".

  Trotz diesen Erwägungen, die grossteils zu Gunsten der angefochtenen
Informationssperre ausfielen, hiess das Bundesstrafgericht die Beschwerde
der betroffenen Bank gut. Die Bundesanwaltschaft habe "sich im
Beschwerdeverfahren zur Begründung ihres Standpunktes auf Ausführungen
allgemeiner Natur beschränkt und aus dem Strafverfahren praktisch keine
Akten eingereicht". "Die wenigen Unterlagen" umfassten "die Korrespondenz"
mit der betroffenen Bank "sowie eine Aktennotiz über die Einsicht in die
Gerichtsakten in einem US-amerikanischen Prozess vom 16. Juni 2004". Zwar
sei die betroffene Bank "nicht Partei im Strafverfahren", weshalb ihr "nur
ein sehr eingeschränkter Zugang zu den Akten des Strafverfahrens" zustehe.
Die Bundesanwaltschaft übersehe jedoch, "dass Akteneinsicht und
Verfügungsbegründung nicht das Gleiche" seien. In der Literatur würden sogar
"erhöhte Anforderungen an die Begründung" verlangt. Wie weit die
untersuchende Behörde dabei zu "gehen" habe, sei "im Einzelfall unter
Berücksichtigung der konkreten Situation und der Untersuchungsinteressen zu
entscheiden". "Die eingereichten Unterlagen und die Erläuterungen" der
Bundesanwaltschaft "in der angefochtenen Verfügung und im
Beschwerdeverfahren" vermöchten nach Ansicht des Bundesstrafgerichtes
"selbst in groben Zügen nicht zu erklären, ob und warum das
Mitteilungsverbot im heutigen Zeitpunkt erforderlich sein soll".
Insbesondere sei nicht ersichtlich, "inwiefern eine Mitteilung die
Untersuchung beeinträchtigen könnte". Daher sei "die Beschwerde zu schützen
und das Mitteilungsverbot aufzuheben". Dies entbinde die betroffene Bank
"nicht von der Pflicht sicherzustellen, dass und wie sie bei Orientierung
ihres Kunden ihren Sorgfaltspflichten nachkommt".

Erwägung 3

  3.  Die Bundesanwaltschaft macht geltend, der angefochtene Entscheid
erlaube der Beschwerdegegnerin, ihren Kunden und dritten

Personen über das hängige Ermittlungsverfahren und die Editionsverfügung
Mitteilung zu machen. Damit werde der weitere Verlauf der Untersuchungen
empfindlich tangiert, und es sei zum Nachteil der strafprozessualen
Sachverhaltsabklärung ein "nicht wieder gut zu machender Schaden" zu
befürchten. Insbesondere sei damit zu rechnen, dass "der Beschuldigte
geeignete Dispositionen über seine Vermögenswerte treffen und das Nötigste
unternehmen" werde, "um die laufenden und kommenden Ermittlungen mit
vielfältigsten Kollusionshandlungen zu seinen Gunsten zu beeinflussen".

  In einem in den USA hängigen Gerichtsverfahren seien "deutliche
Verdachtsmomente" gegen den Hauptangeschuldigten dargelegt worden.
Angesichts der in den Fall involvierten schweizerischen Gesellschaften
bestehe ein sachlicher Bezug zwischen den mutmasslichen strafbaren
Handlungen und der Schweiz. Sie, die Bundesanwaltschaft, habe schon im
Beschwerdeverfahren vor dem Bundesstrafgericht darauf hingewiesen und
entsprechende Dokumente vorgelegt. Daher sei es "aktenwidrig", wenn im
angefochtenen Entscheid ausgeführt werde, "die Bundesanwaltschaft habe
selbst in groben Zügen nicht dargelegt, worum es gehe". Als Vortaten der
untersuchten Geldwäscherei kämen namentlich Betrug, ungetreue
Geschäftsbesorgung und Korruption in Betracht bei der Privatisierung bzw.
beim Erwerb und Betrieb von ehemaligen russischen Staatsunternehmen in den
Jahren 1997-1999.

  Bei dem im Mittelpunkt stehenden Ölkonzern handle es sich um ein
"international ausserordentlich breit gestreutes und sehr verschachteltes
Firmenkonglomerat". Die angehobenen Ermittlungen seien "im internationalen
Kontext schwierig". Im Vorfeld eines Bundesstrafprozesses erfolgten diese
"vorerst verdeckt". Im vorliegenden Fall erweise sich eine
Informationssperre zulasten der betroffenen Bank als sachlich geboten. Es
handle sich dabei nicht um einen schweren Eingriff in die Kommunikations-
und Wirtschaftsfreiheit der Bank. Die angeordnete Informationssperre habe
"temporären Charakter". Das Mitteilungsverbot finde seine Grundlage in der
strafprozessualen "Untersuchungsmaxime" (Art. 101 Abs. 1 und 2 BStP) sowie
in der gesetzlichen Editions- und Zeugnispflicht der Bank bzw. ihrer Organe
und Angestellten. Ausserdem beruhe es auf einer Vereinbarung der Konferenz
der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren mit der Schweizerischen
Bankiervereinigung aus dem Jahre 1997. In der kantonalen
Strafverfahrenspraxis würden

Informationssperren dieser Art denn auch ("im Einzelfall" bzw. im
Zusammenhang mit Editionsverfügungen an Banken) "seit Jahrzehnten"
gehandhabt. Im Vorentwurf zur künftigen gesamtschweizerischen
Strafprozessordnung werde eine entsprechende Geheimhaltungsverpflichtung
ausdrücklich vorgesehen. Der angefochtene Entscheid sei im Ergebnis
bundesrechtswidrig und gefährde die Strafverfolgung ernsthaft.

Erwägung 4

  4.  Die beschwerdegegnerische Bank wendet im wesentlichen Folgendes ein:
Die Vermutung der Bundesanwaltschaft, wonach sich Kunden der
Beschwerdegegnerin der Geldwäscherei in substanzieller Höhe schuldig gemacht
hätten, stehe in offensichtlichem Widerspruch zum Umstand, dass bisher
keinerlei Kontensperren verfügt worden seien. Die Verdächtigungen der
Bundesanwaltschaft stützten sich auf Auszüge aus dem Internet mit
verleumderischem Inhalt sowie auf Behauptungen, die in unzulässigen
Zivilklagen erhoben worden seien. Sie seien Teil einer Rufmordkampagne gegen
den betroffenen Kunden der Beschwerdegegnerin, welche von dessen politischen
und geschäftlichen Widersachern inszeniert worden sei.

  Bei der streitigen Informationssperre handelt es sich nach Ansicht der
Beschwerdegegnerin um eine strafprozessuale Zwangsmassnahme. Das ihr
auferlegte Verbot, ihre Kundschaft über das Vorliegen strafprozessualer
Ermittlungen und die Edition von Bankunterlagen zu informieren, stelle einen
schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Beschwerdegegnerin dar, der
einer klaren und präzisen Verankerung in einem formellen Gesetz bedürfe. Der
streitigen Zwangsmassnahme gebreche es an einer solchen gesetzlichen
Grundlage. Sie sei ausserdem unverhältnismässig und werde nicht durch ein
ausreichendes öffentliches Interesse begründet.

  Die Informationssperre verletze namentlich die von der Verfassung
geschützte Kommunikations- und Wirtschaftsfreiheit der Beschwerdegegnerin.
Sie werde faktisch sogar gezwungen, ihre privatrechtlichen Verpflichtungen
gegenüber ihrer Klientschaft zu verletzen. Es entspreche dem Wesen des
Mandats- und Vertrauensverhältnisses mit dem Bankkunden, dass die Bank
verpflichtet sei, ihrem Kunden alle Informationen weiterzugeben, die das
Mandatsverhältnis betreffen oder betreffen könnten. Zwar könne es Fälle
geben, bei denen die Interessen der Strafverfolgung während einer sehr
eingeschränkten Zeit wichtiger erscheinen als die privaten

bzw. geschäftlichen Interessen der Bank und ihrer Klientschaft. Ein
unbeschränktes Kommunikationsverbot, wie es im vorliegenden Fall verfügt
worden sei, werde jedoch durch kein öffentliches Interesse legitimiert. Die
Ermittlungen dauerten bereits mehr als ein Jahr an, weshalb keine
Kollusionsgefahr mehr erkennbar sei.

Erwägung 5

  5.  Zunächst sind die rechtlichen Grundlagen der streitigen
Zwangsmassnahme zu klären.

  5.1  Bei hinreichendem Verdacht strafbarer Handlungen, die der
Bundesgerichtsbarkeit unterstehen, ordnet der Bundesanwalt die Eröffnung
eines Ermittlungsverfahrens an (Art. 101 Abs. 1 BStP). Der Bundesanwalt und
die gerichtliche Polizei "nehmen die zur Feststellung der Täterschaft und
des wesentlichen Sachverhalts sowie die zur Sicherung der Tatspuren und
Beweise erforderlichen Ermittlungshandlungen vor und treffen die
unaufschiebbaren weiteren Massnahmen" (Art. 101 Abs. 2 BStP).

  Nach schweizerischem Strafprozessrecht sind die Ermittlungen und
Untersuchungen grundsätzlich geheim (vgl. ROBERT HAUSER/ ERHARD SCHWERI/KARL
HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 52 Rz.
5 f.; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 156;
Art. 76 Abs. 1 des Vorentwurfes [2001] des EJPD für eine Schweizerische
Strafprozessordnung [VE/StPO]). Das Untersuchungs- und Ermittlungsgeheimnis
dient der Sicherung der Zwecke des Strafprozesses. Es richtet sich an die
Strafjustizbehörden und findet seine Schranken in den gesetzlichen Partei-
und Teilnahmerechten (vgl. SCHMID, a.a.O., S. 55 Fn. 169, Rz. 157). Auch das
gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren im Rahmen des Bundesstrafprozesses
(vor Einleitung der allfälligen Voruntersuchung) ist geheim.
Ermittlungsdaten dürfen nur an die im Gesetz ausdrücklich bezeichneten
Amtsstellen weitergeleitet werden (Art. 102quater Abs. 1 BStP). Die
Bundesanwaltschaft kann die Bekanntgabe von Informationen verweigern,
einschränken oder mit Auflagen versehen (Art. 102quater Abs. 2 BStP).
Weiteren Behörden und privaten Personen dürfen Daten aus dem
gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahren nur "zum Schutze vor unmittelbar
drohenden Gefahren" zugänglich gemacht werden (Art. 102quater Abs. 3 BStP).
Im Bundesstrafprozess konkretisiert sich das Ermittlungsgeheimnis auch an
der Befugnis der Bundesanwaltschaft, Informationen über Personendaten zu
verweigern,

wenn die Auskunft "den Zweck des Ermittlungsverfahrens in Frage stellen
würde" (Art. 102bis BStP).

  5.2  Das schweizerische Strafverfahrensrecht, namentlich der
Bundesstrafprozess, kennt keinen "numerus clausus" der zulässigen
Zwangsmassnahmen im Ermittlungsverfahren (vgl. Art. 101 Abs. 2 BStP;
HAUSER/SCHWERI/HARTMANN, a.a.O., § 59 Rz. 3-7). Strafprozessuale
Informationsverbote gegenüber Dritten, namentlich editionspflichtigen
kontenführenden Banken, dienen der ungestörten Abklärung von mutmasslichen
Delikten bei drohender Kollusionsgefahr (vgl. MARCEL BUTTLIGER,
Schweigepflicht der Bank im Strafverfahren, in: SJZ 90/1994 S. 377 ff., 378
f.; CHRISTIANE LENTJES MEILI, Zur Stellung der Banken in der Zürcher
Strafuntersuchung, insbesondere bei Bankabfragen und Beschlagnahmen,
Schweizer Schriften zum Bankenrecht, Bd. 41, Diss. Zürich 1996, S. 217 f.;
LUCA MARAZZI, Sull'ordine di perquisizione e sequestro bancario. La
legittimazione attiva della banca a interporre reclamo contro un ordine di
perquisizione e sequestro, in: Ticino e il diritto, Raccolta di studi
pubblicati in occasione delle Giornate dei giuristi svizzeri 1997, Lugano
1997, S. 501 ff., 523; s. auch Die Praxis des Kantonsgerichtes von
Graubünden [PKG] 1994 Nr. 42). In Art. 319 Abs. 1 VE/StPO (2001) werden
"schriftliche Weisungen" an Banken über die bei Überwachungsmassnahmen bzw.
Editionsverfügungen "zu beachtende Geheimhaltung" ausdrücklich vorgesehen
(vgl. auch Art. 80n Abs. 1 IRSG, Art. 10 Abs. 3 GwG). In der Literatur wird
teilweise die Meinung vertreten, dass sich Verschwiegenheitsgebote als
"Nebenverpflichtung" auch aus den gesetzlichen Editions- und
Zeugnispflichten ergeben können (vgl. BUTTLIGER, a.a.O., S. 378-380;
MARAZZI, a.a.O., S. 523). Im Gegensatz zu den Berufsgeheimnisträgern im
Sinne von Art. 321 StGB sind Organe und Mitarbeitende einer Bank
grundsätzlich editions- und zeugnispflichtig (Art. 74 Abs. 1 und Art. 77
BStP i.V.m. Art. 88ter, Art. 101 Abs. 2 und Art. 103 Abs. 1 BStP; vgl.
BUTTLIGER, a.a.O., S. 377 f.; LENTJES MEILI, a.a.O., S. 219). Die Frage,
inwieweit zur strafprozessualen Wahrheitsfindung strafbewehrte
Informationssperren zulässig erscheinen, die nicht ausdrücklich im Gesetz
vorgesehen sind, ist in der Lehre umstritten. Schwere Eingriffe in die
Freiheitsrechte der Betroffenen bedürfen einer ausreichenden
formellgesetzlichen Grundlage (BGE 130 I 65 E. 3.3 S. 68, 360 E. 14.2 S.
362, 369 E. 7.3 S. 381, je mit Hinweisen; vgl. HAUSER/SCHWERI/ HARTMANN,
a.a.O., § 59 Rz. 7). Soweit durch strafprozessuale Informationssperren

verfassungsmässige Individualrechte tangiert werden, gelten diesbezüglich
die allgemeinen Eingriffsvorbehalte von Art. 36 BV. Namentlich ist der
Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten (vgl. BUTTLIGER, a.a.O., S.
379; LENTJES MEILI, a.a.O., S. 219, 250).

Erwägung 6

  6.  Zu prüfen ist, ob die hier streitige strafprozessuale Zwangsmassnahme
bundesrechtskonform erscheint.

  6.1  Es stellt sich die Frage, ob die streitige Informationssperre auf
einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruht, im öffentlichen Interesse
liegt und verhältnismässig ist (vgl. Art. 36 BV). Das Bundesgericht
beurteilt diese Frage aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles. Ein
schwerer Eingriff in die verfassungsmässigen Individualrechte der
beschwerdegegnerischen Bank bedürfte einer klaren Grundlage im formellen
Gesetz (vgl. BGE 130 I 16 E. 3 S. 18, 65 E. 3.3 S. 68, 360 E. 14.2 S. 362,
je mit Hinweisen). Liegt kein schwerer Fall vor, kann sich der Eingriff auch
auf eine materiellgesetzliche Norm (etwa eine Verordnung oder auf
polizeiliche bzw. strafprozessuale Generalklauseln) stützen. Das öffentliche
Interesse an der streitigen Verfügung und ihre Verhältnismässigkeit prüft
das Bundesgericht frei (vgl. BGE 130 I 65 E. 3.3 S. 68, 360 E. 14.2 S. 362,
369 E. 7.3 S. 381, je mit Hinweisen). Bundesgesetze und Völkerrecht sind für
das Bundesgericht massgebend (Art. 191 BV).

  6.2  Zwar ist das Ermittlungsgeheimnis im Bundesstrafprozessrecht in Art.
102quater BStP verankert. Dieses und insbesondere die Vorschriften von Art.
102quater Abs. 2-3 BStP richten sich jedoch primär an die
Strafjustizbehörden. Das BStP kennt keine ausdrückliche formellgesetzliche
Grundlage für strafbewehrte Mitteilungsverbote gegenüber von
Editionsverfügungen betroffenen Privaten. Es bleibt zu prüfen, ob die
Generalklausel von Art. 101 Abs. 2 BStP im vorliegenden Fall als gesetzliche
Grundlage ausreicht und ob der streitige Eingriff verhältnismässig
erscheint.

  6.3  Nach der dargelegten Lehre und Praxis stellen sachlich notwendige und
zeitlich limitierte Informationssperren gegenüber Banken grundsätzlich
keinen besonders empfindlichen Eingriff in die verfassungsrechtlich
geschützte Kommunikations- und Wirtschaftsfreiheit dar (vgl. BUTTLIGER,
a.a.O., S. 379-81; LENTJES MEILI, a.a.O., S. 221 f.). Das vorläufige Verbot,
Ermittlungsgeheimnisse an Kunden und Dritte weiterzuleiten, hindert die
betroffene Bank

grundsätzlich nicht daran, im Rahmen ihrer gesetzlichen und vertraglichen
Pflichten legale Bankgeschäfte und Kundenberatungen abzuwickeln (vgl.
LENTJES MEILI, a.a.O., S. 237 f., 247 f., 250; SIEGFRIED SICHTERMANN,
Bankgeheimnis und Bankauskunft. Systematische Darstellung mit besonderer
Berücksichtigung der Rechtsprechung und unter Heranziehung ausländischen
Rechts, 3. Aufl., Frankfurt a.M. 1984, S. 347 ff.). Ein befristetes
Informationsverbot gegenüber Bankkunden wäre auch im vorliegenden Fall
grundsätzlich zulässig. Zwar macht die beschwerdegegnerische Bank sinngemäss
geltend, ihre Klientschaft könne auch an den in der Editionsverfügung vom
23. April 2004 erwähnten Informationen interessiert sein. Die Bank legt
jedoch keine besonderen Gründe dar, weshalb im vorliegenden Fall ihr
privates Interesse, ihre Kunden oder Dritte über hängige strafprozessuale
Ermittlungen zu informieren, das öffentliche Interesse an der ungestörten
Aufklärung von mutmasslichen schweren Straftaten überwiegen könnte. Noch
viel weniger macht die Beschwerdegegnerin unmittelbar drohende Gefahren im
Sinne von Art. 102quater Abs. 3 BStP geltend.

  6.4  Nach Darlegung der Bundesanwaltschaft handelt es sich hier um
schwierige Ermittlungen wegen mutmasslicher Geldwäscherei im internationalen
Kontext. Untersucht wird die Verschleierung von angeblich illegalen Erlösen
aus dem Erwerb und Betrieb von ehemaligen russischen Staatsunternehmen;
dabei gehe es namentlich um unrechtmässige Gewinne aus Geschäften mit
jährlich mehreren Millionen Tonnen Öl. Zwar wäre es einer betroffenen Bank
zuzumuten, dass sie bei schwerwiegenden strafrechtlichen Verdachtsgründen
und im Falle von drohender Kollusionsgefahr das Ermittlungsgeheimnis für
eine angemessene Zeit respektiert und keine vertraulichen Informationen über
das hängige Strafverfahren an ihre Kundschaft, insbesondere an den
Verdächtigen, oder an Dritte weitergibt. Die strafbewehrte Zwangsmassnahme
muss jedoch auch in zeitlicher Hinsicht verhältnismässig sein (vgl. Art. 36
Abs. 3 BV; Art. 50 BStP; BUTTLIGER, a.a.O., S. 379). Im vorliegenden Fall
ist diese Voraussetzung nicht erfüllt. Die streitige Informationssperre
wurde vor knapp einem Jahr (nämlich am 30. August 2004) angeordnet bzw.
bestätigt. Die ursprüngliche Verfügung datiert sogar vom 23. April 2004.
Weder wurde die Zwangsmassnahme zeitlich limitiert, noch von der
Bundesanwaltschaft seither aufgehoben. Eine Weiterdauer der Zwangsmassnahme
erscheint im heutigen Zeitpunkt nicht nur unverhältnismässig. Eine
unbefristete

strafbewehrte Informationssperre wäre auch als schwerer Eingriff in die
Wirtschafts- und Kommunikationsfreiheit der betroffenen Bank anzusehen, der
einer ausdrücklichen formellgesetzlichen Grundlage bedürfte.

Erwägung 7

  7.  Nach dem Gesagten erscheint die Weiterdauer der streitigen
Informationssperre verfassungswidrig. Der angefochtene Entscheid erweist
sich im Ergebnis als bundesrechtskonform, weshalb die dagegen erhobene
Beschwerde abzuweisen ist. (...)