Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 I 285



131 I 285

30. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Kantonales Steueramt Zürich (Staatsrechtliche Beschwerde)

    2P.141/2004 vom 18. April 2005

Regeste

    Art. 127 Abs. 3 BV; interkantonale Doppelbesteuerung; Präzisierung
der Praxis bezüglich Ausscheidungsverluste bei Liegenschaften im
Privatvermögen.

    Behandlung von Gewinnungskosten in der interkantonalen
Steuerausscheidung. Begriff des Gewinnungskostenüberschusses und des
Ausscheidungsverlustes (E. 3.1).

    Bisherige Praxis zu den Ausscheidungsverlusten bei Liegenschaften im
Geschäftsvermögen (E. 3.2-3.5).

    Der Kanton des Nebensteuerdomizils muss den Gewinnungskostenüberschuss
einer Privatliegenschaft im Kanton des Hauptsteuerdomizils übernehmen (E.
4.1 und 4.2).

Sachverhalt

    X. besitzt im Kanton Luzern (Hauptsteuerdomizil) ein selbstbewohntes
Einfamilienhaus, im Kanton Zürich (Nebensteuerdomizil) zwei
Mehrfamilienhäuser, die er vermietet hat. Das Kantonale Steueramt Zürich
berücksichtigte im Einschätzungsentscheid für die kantonalen Steuern 2002
bzw. in der Steuerausscheidung den Verlust, der auf Unterhaltskosten für
das Einfamilienhaus im Jahr 2002 zurückging, nicht, sondern wies ihn dem
Hauptsteuerdomizil zu.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gegen den
Einschätzungsentscheid gut und hebt diesen auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Eine Doppelbesteuerung, die gegen Art. 127 Abs. 3 BV verstösst,
liegt vor, wenn eine steuerpflichtige Person von zwei oder mehreren
Kantonen für das gleiche Steuerobjekt und für die gleiche Zeit zu Steuern
herangezogen wird (aktuelle Doppelbesteuerung); sie ist auch gegeben,
wenn ein Kanton die geltenden Kollisionsnormen verletzt, dadurch seine
Steuerhoheit überschreitet und eine Steuer erhebt, die einem andern Kanton
zusteht (virtuelle Doppelbesteuerung). Ausserdem darf ein Kanton eine
steuerpflichtige Person grundsätzlich nicht deshalb stärker belasten,
weil sie nicht in vollem Umfang seiner Steuerhoheit untersteht, sondern
wegen ihrer territorialen Beziehungen auch noch in einem andern Kanton
steuerpflichtig ist (Schlechterstellungsverbot; vgl. zum Ganzen BGE 131
I 249 E. 3.1 S. 253; ASA 73 S. 247 E. 2.1, je mit Hinweisen).

    2.2  Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des
Schlechterstellungsverbots, weil der Kanton Zürich als Liegenschaftskanton
den so genannten Gewinnungskostenüberschuss bzw. den Ausscheidungsverlust
aus dem Grundeigentum am Hauptsteuerdomizil im Kanton Luzern nicht
übernommen habe. Unternehmen könnten mittels Verlustvortrag eine
Doppelbesteuerung vermeiden, während er als Privatperson insofern
überbesteuert werde, als der Kanton Zürich den Verlust, der bei der
interkantonalen Steuerausscheidung entstehe, nicht berücksichtige.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Gewinnungskosten von Liegenschaften im Privatvermögen
sind namentlich Unterhaltskosten, Versicherungsprämien und
Verwaltungskosten. Diese Kosten beziehen sich auf einzelne
Liegenschaften. Als Belastung des Ertrags dieser Liegenschaften sind sie
daher in der interkantonalen Steuerausscheidung grundsätzlich objektmässig
auszuscheiden, das heisst vom Liegenschaftskanton zu tragen (vgl. BGE
111 Ia 220 E. 2c S. 225 f.; 104 Ia 256 E. 4a S. 261; ASA 55 S. 652 E. 3b
mit Hinweisen).

    Die auf ein Steuerdomizil entfallenden Gewinnungskosten können
höher sein als das diesem Steuerdomizil zuzurechnende Einkommen,
so dass dieses im einen Kanton negativ wird, während im andern ein
Überschuss der Einkünfte über die Abzüge entsteht. Aufwandüberschüsse
aus dem Nebensteuerdomizil sind auf den Hauptsteuerdomizilkanton mit
positiven Ergebnissen zu verlegen. Ist dies nicht möglich oder ergibt
sich ein Gewinnungskostenüberschuss im Hauptsteuerdomizil, liegt ein
Ausscheidungsverlust vor (vgl. ASA 60 S. 269 E. 3b mit Hinweisen; 55
S. 652 E. 3b; PETER LOCHER, Einführung in das interkantonale Steuerrecht,
2. Aufl., Bern 2003, S. 102; ERNST HÖHN/PETER MÄUSLI, Interkantonales
Steuerrecht, 4. Aufl., Zürich 2000, Rz. 24 zu § 19).

    3.2  Im System der Reineinkommens- bzw. Reinertragsbesteuerung
folgt aus dem Schlechterstellungsverbot, dass ein Steuerpflichtiger in
mehreren Kantonen mit diesem Steuersystem zusammen nicht mehr als sein
gesamtes Reineinkommen versteuern muss. Diese Regel tritt jedoch nach
bisheriger Rechtsprechung zurück gegenüber dem Grundsatz, wonach das
Grundeigentum dem Kanton, in dem es gelegen ist, zur ausschliesslichen
Besteuerung vorbehalten bleibt. Der Liegenschaftskanton könne daher in
der Regel nicht verpflichtet werden, Verluste aus einem andern Kanton zum
Abzug zuzulassen. Der Steuerpflichtige habe solche Ausscheidungsverluste
hinzunehmen (vgl. StR 55/2000 S. 182, 2P.439/1997, E. 3a und 4; ASA 59 S.
568 E. 3c und 4a; 56 S. 569 E. 4a, je mit Hinweisen; Urteil 2P.442/1994
vom 9. Juli 1996, E. 3b/aa; KURT LOCHER/ PETER LOCHER, Die Praxis der
Bundessteuern, III. Teil, Das interkantonale Doppelbesteuerungsrecht,
§ 7 I B, Nr. 11, 13, 17, 21, 39 und 44 bzw. dort zitierte Urteile des
Bundesgerichts; vgl. zu den Schuldzinsen, dieselben, § 9 II, Nr. 5, 7,
16, 27).

    Diese Rechtsprechung bezüglich Ausscheidungsverluste
betrifft hauptsächlich juristische Personen bzw. Liegenschaften
im Geschäftsvermögen, aber auch natürliche Personen. In Bezug auf
Liegenschaften im Privatvermögen hat das Bundesgericht indessen noch nicht
entschieden, ob der Liegenschaftskanton verpflichtet werden könnte, einen
Gewinnungskostenüberschuss, der am Hauptsteuerdomizil entstanden ist,
in Abzug zu bringen, um einen Ausscheidungsverlust zu vermeiden.

    3.3  In der Literatur ist kritisiert worden, dass solche
Ausscheidungsverluste zu Lasten des Steuerpflichtigen zugelassen sind:
Wenn dieser unter Umständen mehr als sein Reineinkommen versteuern müsse,
liege ein Verstoss gegen die Grundsätze der Reineinkommensbesteuerung
und des Schlechterstellungsverbots vor. Deshalb sollten - mithin
bei natürlichen Personen - auch die Nebensteuerdomizile einen Anteil
am Gewinnungskostenüberschuss übernehmen, wenn zu dessen Deckung die
Einkünfte im Wohnsitzkanton nicht ausreichten, damit eine Besteuerung nach
der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit resultiere (vgl. HÖHN/MÄUSLI,
aaO, Rz. 10 zu § 21 mit Hinweisen; FERDINAND ZUPPINGER, Probleme
der Steuerausscheidung für Liegenschaften des Privatvermögens im
interkantonalen Verhältnis bei den direkten Steuern vom Einkommen und
Vermögen, in Festschrift für Ulrich Häfelin, Zürich 1989, S. 424 f.;
JEAN-BLAISE PASCHOUD, Excédents de charges et report de pertes dans
les relations intercantonales, in Festschrift Ferdinand Zuppinger, Bern
1989, S. 619 f.; siehe auch LOCHER, aaO, S. 103; KLAUS A. VALLENDER, Zur
These von der Schlechterstellung als systembedingter Folge des Vorrangs
des Besteuerungsrechts des Liegenschaftskantons, in ASA 59 S. 217 ff.,
insbesondere S. 223 f.).

    3.4  Eine Praxisänderung für juristische Personen im Allgemeinen
hat sich wegen der Möglichkeit einer Verlustverrechnung in der Zeit im
selben Kanton bisher nicht aufgedrängt (vgl. ASA 59 S. 564 E. 3d; 60
S. 269 E. 7a; siehe auch ASA 59 S. 568 E. 4c und d; Urteil 2P.442/1994
vom 9. Juli 1996, E. 3b/bb): Unternehmen können Aufwandüberschüsse oder
Betriebsverluste, die in der betreffenden Bemessungsperiode angefallen
sind, innerhalb der Verlustverrechnungsperiode mit künftigen Erträgen
bzw. Gewinnen verrechnen, wodurch Ausscheidungsverluste oft verhindert
werden können (Verlustvortrag; vgl. Art. 25 Abs. 2 bzw. 67 und 10 Abs. 2
des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der
direkten Steuern der Kantone und Gemeinden [Steuerharmonisierungsgesetz,
StHG; SR 642.14]; siehe auch ASA 73 S. 247 E. 4.2 mit Hinweis; BGE 108 Ib
316 E. 2b S. 319). Indessen betrifft diese Möglichkeit des Verlustvortrags
vorab das innerkantonale, nicht das interkantonale Verhältnis. Zudem
können Ausscheidungsverluste nicht ausgeschlossen werden.

    3.5  Auch in Bezug auf Liegenschaftenhändler im Besonderen hat das
Bundesgericht seine Rechtsprechung bis anhin nicht geändert: Danach
werden Aufwandüberschüsse, die zufolge Gewinnungskostenüberschüssen
und Schuldzinsen über den Ertrag entstehen, weder auf den Sitzkanton
noch auf andere Liegenschaftskantone verlegt; sie sind vielmehr zu
"aktivieren" und bei einer späteren Veräusserung der Liegenschaft den
Anlagekosten zuzurechnen. Bei der Abgrenzung der Steuerhoheiten wird
der Verrechnung von Aufwandüberschüssen in der Zeit der Vorrang vor der
Verrechnung als Verluste im Sitzkanton oder in andern Liegenschaftskantonen
eingeräumt. Dadurch kann unter Umständen ein Ausscheidungsverlust nicht
vermieden werden (vgl. ASA 56 S. 569 E. 6b und c; siehe auch BGE 131 I 249
E. 4.2 S. 255; StR 53/1998 S. 83, 2P.360/1995, E. 2b, je mit Hinweisen).

    3.6  In Bezug auf Betriebsliegenschaften hat das Bundesgericht jedoch
seine Rechtsprechung neulich geändert: Danach muss der Liegenschaftskanton
einen allfälligen Geschäftsverlust, den eine Unternehmung im Sitzkanton
und in weiteren Kantonen mit Betriebsstätten erleidet, auf den
Wertzuwachsgewinn aus der Veräusserung betrieblich genutzter Liegenschaften
anrechnen; der verbleibende Grundstückgewinn ist dem Liegenschaftskanton
zur ausschliesslichen Besteuerung zuzuweisen. Dadurch soll erreicht werden,
dass sich nicht vermehrt Ausscheidungsverluste ergeben (vgl. BGE 131 I 249,
insbesondere E. 6 S. 260).

    3.7  Im Privatvermögensbereich ist es nicht möglich, Verluste
vorzutragen bzw. Aufwandüberschüsse zu aktivieren (vgl. BGE 116
Ia 127 E. 4b S. 132 f.; ASA 60 S. 269 E. 7e; RDAF 2002 II S. 528,
2P.173/2001, E. 2c): Für private Gewinnungskostenüberschüsse,
insbesondere Aufwandüberschüsse aus Privatliegenschaften, sieht das
Steuerharmonisierungsgesetz keinen zeitlichen Verlustvortrag vor; eine
Verrechnung mit späteren Erträgen oder Kapitalgewinnen ist in diesem
Bereich ausgeschlossen (HÖHN/MÄUSLI, aaO, Rz. 27f zu § 28, Rz. 11c zu §
23). Eine ähnliche Lösung kann für natürliche Personen deshalb nicht
übernommen werden.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Im vorliegenden Fall geht es zwar nicht um die Besteuerung
eines Veräusserungsgewinns; doch ist im Sinne der mit BGE 131
I 249 eingeleiteten Rechtsprechung dafür zu sorgen, dass weitere
Ausscheidungsverluste möglichst vermieden werden (vgl. E. 6.3 S. 261 des
genannten Urteils). Insofern ist die Kritik der Literatur an der Zulassung
solcher Verluste in Bezug auf natürliche Personen berechtigt.

    Damit setzt das Schlechterstellungsverbot der unbegrenzten
Steuerhoheit der Liegenschaftskantone eine Schranke, ohne dass es den
Vorrang vor deren Steuerhoheit beanspruchen könnte oder ein Widerspruch
der beiden Grundsätze vorliegen würde; es geht vielmehr um den Umfang
der Besteuerung (vgl. HÖHN/MÄUSLI, aaO, Rz. 28 zu § 4; VALLENDER,
aaO, S. 224). Dies bedeutet, dass der Nebensteuerdomizilkanton der
Liegenschaft den Gewinnungskostenüberschuss einer Privatliegenschaft im
Hauptsteuerdomizil zu übernehmen hat. Die Doppelbesteuerungspraxis ist
demgemäss in Bezug auf Privatliegenschaften zu präzisieren bzw. bezüglich
der Besteuerung durch die Liegenschaftskantone einzuschränken. Dabei kann
hier offen bleiben, wie es sich verhält, wenn mehrere Liegenschaften in
verschiedenen Nebensteuerdomizilkantonen vorhanden sind.

    4.2  Vorliegend resultiert nach der zürcherischen
Steuerausscheidung für den Beschwerdeführer im Wohnsitzkanton Luzern
ein Gewinnungskostenüberschuss von Fr. 18'372.-, der dort durch kein
Einkommen gedeckt werden kann. Demgegenüber verbleibt im Kanton Zürich,
wo der Beschwerdeführer zwei Liegenschaften hält, ein steuerbares
Einkommen von Fr. 124'800.-. Würde der Gewinnungskostenüberschuss in
Zürich nicht berücksichtigt, ergäbe sich ein Ausscheidungsverlust
und eine unzulässige Doppelbesteuerung. Der Kanton Zürich hat
demnach den Gewinnungskostenüberschuss aus dem Kanton Luzern bzw.
den Ausscheidungsverlust von Fr. 18'372.- zu übernehmen, das kantonal
steuerbare Einkommen des Beschwerdeführers für die Steuerperiode 2002
auf Fr. 106'400.- festzusetzen und diesen neu einzuschätzen. Allenfalls
zu viel erhobene Steuern sind zurückzuerstatten.