Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 I 185



131 I 185

21. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft sowie Strafgericht des Kantons Zug
(Staatsrechtliche Beschwerde)

    1P.648/2004 vom 14. März 2005

Regeste

    Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 1 und 3 lit. b
und c EMRK; ordentliche Vorladung; Verteidigungsrechte im Strafverfahren.

    Rechtzeitigkeit der Vorladung für die Berufungsverhandlung in einer
Strafsache (E. 2.3).

    Anspruch auf Beizug eines Verteidigers an Gerichtsverhandlung,
Handlungspflichten der Verfahrensleitung bei dessen Abwesenheit (Übersicht
über die Rechtsprechung; E. 3.2).

    Rechtsmissbräuchliche Berufung auf Verteidigungsrechte: Beschuldigter,
der auf die Inanspruchnahme des freigewählten Verteidigers für die
angesetzte Verhandlung verzichtet, obwohl er grundsätzlich an ihm
festhält, und gleichzeitig die Bestellung eines anderen Verteidigers
durch das Gericht bzw. die Vertagung der Verhandlung verlangt
(E. 3.2.4). Rechtsmissbrauch im konkreten Fall bejaht (E. 3.4).

Sachverhalt

    Das Einzelrichteramt des Kantons Zug bestrafte X. wegen
Verkehrsdelikten, die ihr als Autolenkerin im Zusammenhang mit einem
Auffahrunfall vom 21. September 2002 und einem Selbstunfall vom
24./25. September 2002 vorgeworfen wurden, mit Strafbefehl vom 6. Januar
2003 und auferlegte ihr dabei eine Busse von Fr. 1'500.-.

    Auf Einsprache hin befand sie der Einzelrichter des Kantons Zug
mit Urteil vom 10. August 2004 der mehrfachen Verkehrsregelverletzung
und des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall schuldig. Vom Vorwurf
der groben Verkehrsregelverletzung sprach er sie frei und in einem
Nebenpunkt betreffend Führerausweis stellte er das Verfahren zufolge
Verjährung ein. Im Rahmen dieses Urteils wurde die Busse auf Fr. 1'200.-
herabgesetzt. An der Parteiverhandlung vor dem Einzelrichter war der
erbetene Verteidiger der Beschuldigten, nicht aber sie selbst anwesend
gewesen.

    Mit Berufung vom 1. September 2004 gelangte X. an die
Berufungskammer des Strafgerichts des Kantons Zug. Wegen der drohenden
Verfolgungsverjährung setzte das Strafgericht die Berufungsverhandlung
auf den 13. September 2004 an und lud die Beschuldigte auf diesen
Termin vor. Das Vorladungsformular enthielt den Hinweis auf § 75 Abs. 3
der Zuger Strafprozessordnung in der Fassung vom 19. Dezember 2002
(StPO/ZG; BGS 321.1), wonach die Berufung als zurückgezogen gilt, wenn
der Berufungskläger ohne entschuldbaren Grund der Berufungsverhandlung
fernbleibt. Auf dem Formular wurde die Beschuldigte weiter darauf
aufmerksam gemacht, dass nur ein ärztliches Zeugnis des Zuger Kantonsarztes
berücksichtigt würde. Die Vorladung wurde ihr am 7. September 2004
ausgehändigt; eine Kopie ging an ihren Verteidiger. Dieser ersuchte um
Verschiebung der Verhandlung auf den 23. oder 24. September 2004. Der
Referent der Berufungskammer bot dem Verteidiger daraufhin eine
Verschiebung auf den 15. oder 16. September 2004 an. Da der Verteidiger
die Bedenkfrist für diese Terminangebote ungenutzt verstreichen liess,
wurde das Verschiebungsgesuch abgewiesen.

    Am 10. September 2004 untersuchte der Zuger Kantonsarzt die
Beschuldigte. In seinem Zeugnis stufte er die Angeklagte in dem Sinne als
nicht verhandlungsfähig ein, als ihr aufgrund einer schweren Depression
keine verbindlichen Aussagen möglich seien. Die Beschuldigte sei jedoch -
laut Zeugnis - grundsätzlich fähig, ohne gesundheitliche Gefährdung an
einer ca. einstündigen Verhandlung teilzunehmen, wenn sie unter anderem
durch eine ihr nahestehende Vertrauensperson begleitet werden könne.

    Zu der Berufungsverhandlung am 13. September 2004 erschienen weder die
Beschuldigte noch ihr Verteidiger. Dieser hatte dem Gericht unmittelbar
vor der Verhandlung ein Telefax zugeschickt. Darin entschuldigte er die
Abwesenheit der Beschuldigten im Wesentlichen mit der Begründung, sie könne
von keiner Vertrauensperson begleitet werden. Ferner beantragte er erneut
eine Verschiebung der Verhandlung. Das Gericht gab diesem Begehren keine
Folge und stellte fest, dass die Angeklagte unentschuldigt ausgeblieben
sei. Entsprechend der Androhung in der Vorladung fasste es gleichentags
den Beschluss, das Verfahren zufolge Rückzugs der Berufung abzuschreiben.

    Das Bundesgericht weist die gegen den Beschluss des Strafgerichts
erhobene staatsrechtliche Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 4 aBV
bzw. Art. 29 Abs. 2 BV leitet die bundesgerichtliche Rechtsprechung ein
Recht auf rechtzeitige Vorladung zu einer gerichtlichen Verhandlung ab
(BGE 117 Ib 347 E. 2b/bb S. 350 f. mit Hinweisen). Als Konkretisierung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör ist das Recht auf rechtzeitige Bekanntgabe
des gerichtlichen Verhandlungstermins im Sinne einer strafprozessualen
Garantie auch in Art. 32 Abs. 2 BV enthalten.

    Der in Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK garantierte Anspruch des
Angeschuldigten auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung
seiner Verteidigung ist ein besonderer Aspekt des Rechts auf ein faires
Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Wie viel Zeit erforderlich ist,
lässt sich nicht abstrakt bestimmen. Massgebend sind die Umstände des
konkreten Falles. Dabei sind etwa Umfang und Schwierigkeit der Sach- und
Rechtslage, die jeweilige Art des Verfahrens sowie das Verfahrensstadium
und die Lage der Verteidigung zu berücksichtigen (MARK E. VILLIGER,
Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK], 2. Aufl.,
Zürich 1999, Rz. 509 f.; ARTHUR HAEFLIGER/FRANK SCHÜRMANN, Die Europäische
Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl., Bern 1999, S. 221;
JOCHEN FROWEIN/WOLFGANG PEUKERT, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl u.a. 1996,
Art. 6 Rz. 179).

    Die Ausgestaltung dieses Anspruchs wird zunächst von den kantonalen
Verfahrensbestimmungen umschrieben. Erst wo sich dieser Rechtsschutz als
ungenügend erweist, greifen die grundrechtlichen Minimalgarantien Platz. Da
die Beschwerdeführerin keine Verletzung kantonaler Verfahrensvorschriften
rügt, kann mit freier Kognition geprüft werden, ob die aus diesen Garantien
abgeleiteten Grundsätze missachtet worden sind (vgl. BGE 112 Ia 5 E. 2b S.
5).

    2.2

    2.2.1  Die Beschwerdeführerin bringt vor, die Vorladung sei
ihr nur sechs Tage und ihrem Verteidiger nur sieben Tage vor der
Berufungsverhandlung zugestellt worden. Das Gericht habe zudem bei der
Ansetzung des Termins nicht Rücksprache mit ihnen genommen, so dass
keine Gewähr bestanden habe, ob namentlich der Verteidiger den Termin
wahrnehmen könne. Die kurzen Fristen würden die feststehende Praxis
verletzen, wonach eine Vorbereitungszeit von mindestens neun Tagen zu
gewähren sei. Dabei beruft sich die Beschwerdeführerin auf die Lehrmeinung
von ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI (Schweizerisches Strafprozessrecht,
5. Aufl., Basel 2002, § 55 Rz. 4a), die seinerseits ein Urteil des Bündner
Kantonsgerichts vom 7. Oktober 1993 (Praxis des Kantonsgerichts Graubünden
[PKG] 1993 Nr. 27 E. 2a = RS 1997 Nr. 262) anführt. Bereits aus diesem
Grund hätte das Verschiebungsgesuch bewilligt werden müssen.

    2.2.2  Das Strafgericht hat die kurzfristige Ansetzung der
Berufungsverhandlung mit der drohenden Verjährung gerechtfertigt, die knapp
drei Wochen nach Eingang der Berufung bevorgestanden sei. Der Verteidiger
habe daher nicht annehmen dürfen, dass das Gericht die Verhandlung
terminlich so ansetzen werde, dass die Sache zufolge Verjährung materiell
gar nicht mehr beurteilt werden könnte. Das Gericht habe sich in dringenden
Fällen stets vorbehalten, Verhandlungstermine ohne Rückfragen festzulegen.
Im Übrigen seien dem Verteidiger nachträglich Ersatztermine angeboten
worden, die er abgelehnt habe.

    2.3

    2.3.1  Vorliegend durfte das Strafgericht die drohende Verjährung zu
Recht als Grund für eine dringliche Behandlung in Betracht ziehen. Die
Beschwerdeführerin und ihr Anwalt haben mit den wiederholten
Fristerstreckungs- und Verschiebungsgesuchen in den vorangehenden
Verfahrensstadien massgeblich zu deren Verlängerung beigetragen.

    2.3.2  Die Vorladung für die Berufungsverhandlung ging der
Beschwerdeführerin an einem Dienstag für den darauf folgenden Montag
zu. Es standen ihr damit drei Werktage zur Verfügung, um Kontakt mit
ihrem Rechtsbeistand aufzunehmen und die Verhandlung vorzubereiten.

    In BGE 117 Ib 347 E. 2b/bb S. 351 wurde im Zusammenhang mit einem
Handelsstreit vor einem ausländischen Gericht festgehalten, eine Vorladung,
bei der nur ein einziger Werktag für die Vorbereitung verbleibe, sei
in internationalen Verhältnissen zu kurzfristig angesetzt. In einem den
Kanton Zug betreffenden Straffall hat das Bundesgericht die Ansetzung einer
Berufungsverhandlung auf drei Tage später wegen der drohenden Verjährung
geschützt (Urteil 1P.47/1997 vom 8. Oktober 1997, E. 7c). Allerdings
ging es damals um die Vorladung zur zweiten Verhandlung; gemäss § 75
Abs. 3 StPO/ZG in der früheren Fassung vom 15. März 1979 (GS 21, 252)
galt die Berufung erst nach zweimaligem unentschuldigten Ausbleiben des
Berufungsklägers als zurückgezogen. Im erwähnten Urteil des Kantonsgerichts
Graubünden vom 7. Oktober 1993 wurde die Zeitspanne von sieben Werktagen
Vorbereitungszeit für eine Berufungsverhandlung im damaligen Straffall
als "mehr als ausreichend" bezeichnet (PKG 1993 Nr. 27 E. 2a S. 98). Die
von der Beschwerdeführerin zitierte Lehrmeinung von HAUSER/SCHWERI, die
gestützt auf dieses Urteil eine Vorbereitungsfrist von mindestens sieben
Werktagen in einfachen Fällen fordert (aaO, § 55 Rz. 4a), ist in ihrer
Formulierung somit zu absolut. Im Lichte von Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK
ist daran festzuhalten, dass die konkreten Umstände des Einzelfalls für
die Angemessenheit der Frist entscheidend sind.

    2.3.3  Grundsätzlich trifft es zu, dass eine Vorbereitungszeit von drei
Werktagen für die Vorbereitung einer Berufungsverhandlung auch in einfachen
Straffällen wie dem vorliegenden eher knapp bemessen ist. Hier verursachte
wohl namentlich die an dieser Verhandlung vorgesehene Gegenüberstellung
mit den beiden Belastungszeugen im Hinblick auf den Vorfall vom 24./25.
September 2002 einen gewissen Vorbereitungsaufwand. Im Übrigen weist das
Kantonsgericht aber zu Recht darauf hin, dass die Akten nicht umfangreich
sind. Die Staatsanwaltschaft hatte sowohl auf eine Anschlussberufung wie
auch auf eine Berufungsantwort in der Sache verzichtet. Folglich kann die
Beschwerdeführerin aus dem Umstand, dass der Verteidiger die entsprechende
Erklärung erst am letzten Werktag vor der Verhandlung erhielt, nichts zu
ihren Gunsten ableiten.

    Ins Gewicht fällt weiter, dass der Verteidiger die vom Gericht
angebotenen Ersatztermine für eine Verhandlung am 15. oder 16. September
2004 ausgeschlagen hat. Da sich das Gericht im Hinblick auf die
Ansetzung eines Termins vor Eintritt der Verjährung flexibel zeigte,
kann es einerseits keine Rolle spielen, ob die Ansetzung des Termins
vom 13. September 2004 vorgängig mit dem Anwalt der Beschwerdeführerin
abgesprochen wurde. Unter Berücksichtigung der Ersatztermine wären für
die Vorbereitung anderseits mindestens fünf Werktage bzw. eine ganze
Woche zur Verfügung gestanden. Angesichts der Vielzahl der Eingaben, die
der Verteidiger in der kurzen Zeitspanne vor der Verhandlung für die von
ihm angestrebte Verschiebung machte, stand seine anderweitige berufliche
Belastung einer eingehenden Befassung mit diesem Verfahren offensichtlich
nicht im Wege. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falls
kann eine Vorbereitungszeit von drei Werktagen als ausreichend für die
Wahrnehmung der Verteidigungsrechte betrachtet werden.

    2.4  Demzufolge hat das Strafgericht mit der kurzfristigen Ansetzung
der Berufungsverhandlung und insbesondere mit einer Zustellung der
Vorladung an die Beschwerdeführerin, die sie nur sechs Tage vor diesem
Termin erhielt, weder gegen Art. 29 Abs. 2 oder Art. 32 Abs. 2 BV noch
gegen Art. 6 Ziff. 1 bzw. Ziff. 3 lit. b EMRK verstossen.

Erwägung 3

    3.

    3.1  In Art. 32 Abs. 2 BV wird als Konkretisierung des Anspruchs
auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) unter anderem das Recht
gewährleistet, dass der Angeschuldigte einen Verteidiger beiziehen
kann. Diese Garantie entspricht dem Gehalt von Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3
lit. c EMRK (vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 20. November 1996
über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 187). Aus dem Recht des
Beschuldigten auf Beizug eines Rechtsbeistands leitet die Rechtsprechung
namentlich einen Anspruch darauf ab, dass der privat bestellte Verteidiger
an der Haupt- bzw. Berufungsverhandlung teilnehmen kann (BGE 113 Ia 218
E. 3c S. 222 f.).

    3.2

    3.2.1  Bei einer fakultativen Verteidigung ist die Durchführung
der Hauptverhandlung ohne Anwesenheit des Verteidigers nicht zwingend
verfassungswidrig. Beim Entscheid darüber, ob allenfalls eine solche
Verhandlung ohne Verteidiger durchgeführt werden darf, sind das Interesse
an einer zeitgerechten Verfahrensabwicklung und der Anspruch des
Angeklagten auf Verteidigung durch den selbst gewählten Rechtsbeistand
gegeneinander abzuwägen (Urteil 2P.50/1992 vom 21. September 1993,
E. 4a/bb, publ. in: StE 1994 B 101.8 Nr. 12).

    3.2.2  Es ist dem Grundsatz nach zulässig, ein Strafverfahren auch
dann durchzuführen, wenn der Angeschuldigte nicht alle Anforderungen an
seine Prozessfähigkeit im Sinne des Zivilprozessrechts erfüllt. Bei nur
eingeschränkter Verhandlungsfähigkeit sehen die Prozessgesetze Kautelen
vor, z.B. die notwendige Verteidigung, wenn der Angeschuldigte infolge
geistiger oder körperlicher Beeinträchtigungen seine Rechte nicht selber
zu wahren vermag (NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich
2004, Rz. 467 f.; GÉRARD Piquerez, Manuel de procédure pénale suisse,
Zürich 2001, Rz. 866).

    3.2.3  Im Falle einer notwendigen Verteidigung stellt die Durchführung
der Berufungsverhandlung ohne Anwesenheit des Rechtsbeistands einen
Verstoss gegen die Verteidigungsrechte des Angeklagten dar (BGE 113 Ia
218 E. 3c S. 223). Selbst wenn der Beschuldigte trotz ordnungsgemässer
Vorladung und ohne Entschuldigung zur Berufungsverhandlung nicht
erscheint, darf ihm das Recht, von einem Anwalt an dieser Verhandlung
wirksam verteidigt zu werden, nicht verunmöglicht werden; auch in einer
solchen Konstellation hat er Anspruch auf amtliche Verteidigung (BGE 127
I 213 E. 3a S. 216).

    Wird von den Behörden untätig geduldet, dass ein privat bestellter
Verteidiger im Falle einer notwendigen Verteidigung seine anwaltlichen
Berufs- und Standespflichten zum Schaden des Angeschuldigten in
schwerwiegender Weise vernachlässigt, kann darin eine Verletzung der
grundrechtlich gewährleisteten Verteidigungsrechte liegen (BGE 124 I
185 E. 3b S. 190). Wenn der Wahlverteidiger an der Verhandlung fehlt,
genügt es nicht, dass das Gericht dem Angeklagten hierfür einen amtlichen
Verteidiger bestellt. Diesem muss seinerseits genügend Vorbereitungszeit
gewährt werden. Dazu ist die Verhandlung zu vertagen oder mindestens
für eine genügend lange Zeitspanne zu unterbrechen (Urteil des EGMR
i.S. Goddi gegen Italien vom 9. April 1984, Serie A, Band 76, Ziff. 31 =
EuGRZ 1985 S. 237). Falls bereits im Voraus absehbar ist, dass ein privat
bestellter Verteidiger nicht in der Lage oder nicht gewillt ist, innert
vernünftiger und zumutbarer Frist einen verbindlichen Verhandlungstermin
zu vereinbaren, dann ist die Verfahrensleitung nicht nur berechtigt,
sondern auch verpflichtet, die vertretene Partei vor die Wahl zu stellen,
ob sie innert angemessener Frist entweder einen anderen selbst gewählten
Parteivertreter beauftragt oder aber sich durch einen amtlich bestellten
Offizialverteidiger vertreten lässt (Urteil 1P.139/1999 vom 28. Mai 1999,
E. 2d/aa, auszugsweise publ. in: SZIER 1999 S. 555 f.)

    3.2.4  Selbst bei notwendiger Verteidigung verdient allerdings eine
missbräuchliche Berufung auf die Verteidigungsrechte keinen Schutz (Urteil
6P.113/1999 vom 24. Februar 2000, E. 2c, publ. in: Zeitschrift für Walliser
Rechtsprechung [ZWR] 2000 S. 288 ff.). Das Verbot des Rechtsmissbrauchs
erstreckt sich auf die gesamte Rechtsordnung; Missbrauch ist insbesondere
dann gegeben, wenn ein Rechtsinstitut zweckwidrig zur Verwirklichung von
Interessen verwendet wird, die dieses Rechtsinstitut nicht schützen will
(BGE 130 IV 72 E. 2.2 S. 74; 128 II 145 E. 2.2 S. 151, je mit Hinweisen).
Rechtsmissbräuchlich ist namentlich das widersprüchliche Verhalten eines
Angeschuldigten, bei einer notwendigen Verteidigung kurzfristig auf die
Inanspruchnahme seines Anwalts für eine Verhandlung zu verzichten und
dennoch an ihm als Rechtsbeistand grundsätzlich festzuhalten. Falls der
Angeschuldigte unter solchen Umständen für diese Verhandlung einen
amtlichen Verteidiger verlangt, um dadurch deren Vertagung zu erreichen,
kann das Gericht die Verhandlung trotz Fernbleiben des Anwalts und ohne
Bestellung eines amtlichen Verteidigers durchführen. Das Rechtsinstitut
der notwendigen Verteidigung dient dem Zweck, dem Angeklagten einen
fairen Prozess zu sichern. Es geht nicht an, dass ein Angeschuldigter
versucht, es diesem Zweck zu entfremden und für Verzögerungsmanöver zu
benutzen (vgl. genanntes Urteil 6P.113/1999 vom 24. Februar 2000, E. 2e;
bestätigt durch EGMR-Entscheid vom 23. Oktober 2001, Ziff. 2b, publ. in:
VPB 66/2002 Nr. 107 S. 1294 f.).

    3.3  Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Strafgericht habe
ihr rechtliches Gehör sowie ihre Verteidigungsrechte verletzt, indem es
die von ihrem Rechtsvertreter beantragte Verschiebung der Verhandlung
vom 13. September 2004 verweigert habe. Aufgrund dessen hätte sie ohne
Rechtsbeistand an dieser Verhandlung teilnehmen müssen, obwohl sie nicht
verhandlungsfähig gewesen sei und damit ein Fall notwendiger Verteidigung
vorgelegen habe. Ihr, der Beschwerdeführerin, hätte deshalb ein amtlicher
Verteidiger beigegeben werden müssen.

    Das Strafgericht hat die Frage, ob vorliegend ein Grund für die
Annahme von notwendiger Verteidigung gegeben war, gestützt auf §
10ter Abs. 2 StPO/ZG offen gelassen. Nach dieser Bestimmung setzt der
zuständige Richter dem Beschuldigten unverzüglich Frist zur Bestellung
eines Verteidigers an, wenn ein Fall von notwendiger Verteidigung
vorliegt und der Beschuldigte keinen Wahlverteidiger bestellt hat. Das
Strafgericht erwog, die Beschwerdeführerin werde bereits durch ihren
Wahlverteidiger vertreten. Unter Berücksichtigung der Vorgeschichte
erklärte es, sein Fernbleiben sei nicht zu entschuldigen. Folglich sehe
es sich nicht veranlasst, einen amtlichen Verteidiger zu ernennen. Da
es die Abwesenheit der Beschwerdeführerin ebenfalls als unentschuldigt
einstufte, wurde das Verfahren androhungsgemäss als durch Rückzug der
Berufung erledigt abgeschrieben.

    3.4

    3.4.1  Der Anwalt der Beschwerdeführerin hat nie genauere Angaben
gemacht, die es erlaubt hätten, die Begründetheit seiner angeblichen
Terminkollisionen konkret zu überprüfen. Er war weder an den vom Gericht
angebotenen Ersatzdaten verfügbar noch konnte er einen Ersatztermin vor
dem Ablauf der Verjährungsfrist für das Verkehrsdelikt vom 21. September
2002 angeben, das der Beschwerdeführerin vorgeworfen wurde.

    Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, aus eigener Initiative beim
Verteidiger Angaben und Belege für die behaupteten Terminkollisionen
einzuholen. Die Justizbehörden haben keine Möglichkeit, die Teilnahme des
Privatverteidigers an der Berufungsverhandlung durchzusetzen (TITUS GRAF,
Effiziente Verteidigung im Rechtsmittelverfahren, Diss. Zürich 2000,
S. 161). Nach den gesamten Umständen durfte das Strafgericht aber in
seinem Beschluss darauf hinweisen, dass sich der Privatverteidiger ohne
nachvollziehbaren Grund über die Ablehnung des Verschiebungsgesuchs
hinweggesetzt hatte.

    3.4.2  Bei dieser Sachlage hätte das Strafgericht eigentlich
abklären müssen, ob die gemäss Zeugnis des Kantonsarzts vom 10. September
2004 gesundheitlich angeschlagene Beschwerdeführerin zum Schutz ihrer
Verteidigungsrechte einen Rechtsbeistand benötigte. Es konnte indessen
darauf verzichten, wenn sich die Beschwerdeführerin im Lichte der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung missbräuchlich auf die Abwesenheit ihres
Anwalts berief. Beim genannten Urteil 6P.113/1999 vom 24. Februar 2000 (E.
3.2.4) bejahte das Bundesgericht den Missbrauch der Verteidigungsrechte,
weil der Angeklagte seinen Anwalt, mit dessen Arbeit er ausdrücklich
zufrieden war, davon abgehalten hatte, an der Verhandlung teilzunehmen,
um deren Vertagung zu erreichen. Ausschlaggebend war dabei für das
Bundesgericht weniger das aktive Handeln des Angeschuldigten als
vielmehr die Widersprüchlichkeit seines Verhaltens (aaO, E. 2e). Nicht
anders verhält es sich, wenn ein Angeschuldigter mit dem selben Ziel die
Dienste seines Wahlverteidigers bewusst nicht beansprucht, obwohl er an
ihm als Rechtsbeistand festhält. Im Folgenden ist der Frage nachzugehen,
ob sich die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Wahrnehmung ihrer
Verteidigungsrechte widersprüchlich verhalten hat.

    3.4.3  Aus den Akten ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin
und ihr Anwalt in den Tagen vor der Verhandlung wiederholt in
Verbindung standen. Er hatte darauf bestanden, die Terminabsprache
für die kantonsärztliche Untersuchung habe ausschliesslich über
ihn zu erfolgen. Das kantonsärztliche Zeugnis ist sogar an ihn
adressiert. In diesem Zeugnis wird die Teilnahme an der Verhandlung
für die Beschwerdeführerin als zumutbar erachtet, wenn sie unter
anderem von einer Vertrauensperson begleitet werden könne. Die
Berücksichtigung dieses gesundheitlichen Anliegens hat das Strafgericht
dem Verteidiger ausdrücklich zugesichert und ihn über die Modalitäten
informiert. Der Inhalt der Eingabe, die er daraufhin verfasste und die
das Strafgericht unmittelbar vor der Verhandlung per Telefax erhielt,
setzt seine vorgängige Rücksprache mit der Beschwerdeführerin voraus. In
dieser Eingabe wurde mitgeteilt, es finde sich keine Vertrauensperson,
die sie an die Verhandlung begleiten könne. Dabei sei klarzustellen,
dass sie ihren Anwalt unter dem Begriff der Vertrauensperson verstehe und
nicht eine Person aus ihrem privaten Kreis. Sie bedürfe nicht nur einer
persönlichen, sondern auch einer fachlichen Unterstützung.

    Daraus folgt, dass die Beschwerdeführerin im Voraus wusste, ihr Anwalt
würde nicht an der Verhandlung teilnehmen. Es wird weder behauptet noch
ist es ersichtlich, dass sie ihm dieses Fernbleiben als Pflichtverletzung
vorgeworfen hätte. Im Gegenteil brachte sie ihn mit der letzten Eingabe
vor der Verhandlung neu als zusätzlich erwünschte persönliche Begleitung
- im Hinblick auf das kantonsärztliche Zeugnis - ins Spiel. Dies lässt
keinen anderen Schluss zu, als dass sie die Abwesenheit ihres Anwalts an
der Verhandlung bewusst in Kauf nahm, obwohl sie ihn als Rechtsbeistand
beibehalten wollte. Auch im bundesgerichtlichen Verfahren lässt sie
sich wiederum durch ihn vertreten. Die Strategie diente dem Zweck,
eine Vertagung des Gerichtstermins zu erreichen, nachdem die früheren
Verschiebungsgesuche ihres Anwalts abgelehnt worden waren. Die Vertagung
wurde in der letzten Eingabe vor der Verhandlung auch gefordert.

    3.4.4  Zusammengefasst hat die Beschwerdeführerin einerseits
die Dienste ihres Anwalts, an dem sie als Rechtsbeistand und als
Vertrauensperson festhielt, für die angesetzte Verhandlung bewusst
nicht beansprucht und anderseits aus seiner Abwesenheit eine Verletzung
ihrer grundrechtlichen Verteidigungsrechte abgeleitet. Ihr Verhalten
war nicht nur in sich widersprüchlich; damit wurde auch versucht, das
Institut der Verteidigungsrechte zweckentfremdet für ein prozessuales
Verzögerungsmanöver zu benutzen. Aufgrund der missbräuchlichen
Anrufung dieses Grundrechts konnte das Strafgericht offen lassen, ob
ein Fall notwendiger Verteidigung vorlag. Es war weder gehalten, der
Beschwerdeführerin einen amtlichen Verteidiger zu bestellen noch die
Verhandlung zu vertagen.

    3.5  Im Ergebnis wurden die Verteidigungsrechte der Beschwerdeführerin
gemäss Art. 32 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 bzw. Ziff. 3 lit. c EMRK nicht
dadurch verletzt, dass sie ohne ihren Beistand an der Berufungsverhandlung
hätte teilnehmen müssen. Gegen die Feststellung des Strafgerichts, dass
sie selbst unentschuldigt ferngeblieben ist, erhebt sie im Rahmen der
staatsrechtlichen Beschwerde keine verfassungsrechtlichen Rügen. Darauf
ist demzufolge nicht weiter einzugehen.

    Im Übrigen macht die Beschwerdeführerin zu Recht nicht geltend,
dass es grundsätzlich verfassungs- bzw. konventionswidrig wäre,
das Eintreten auf eine Berufung - nebst der Einhaltung bestimmter
Formvorschriften - auch vom Erscheinen des erstinstanzlich Verurteilten
zur Berufungsverhandlung abhängig zu machen. Anders als in BGE 127 I 213
war sie an der erstinstanzlichen Verhandlung durch ihren Verteidiger
vertreten. Er nahm dort ihre Verteidigungsrechte wahr. Im Unterschied
zu jenem Fall beruht ihre Verurteilung allemal auf einem Verfahren, in
dem ihre Verteidigungsrechte zumindest vor einer gerichtlichen Instanz
in vollem Umfang gewährleistet waren.