Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 I 18



131 I 18

3. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.A.
gegen Gemeinde Oberrohrdorf-Staretschwil (Staatsrechtliche Beschwerde)

    1P.468/2004 vom 4. Januar 2005

Regeste

    Anspruch auf Begründung des negativen Einbürgerungsentscheids einer
Gemeindeversammlung (Art. 29 Abs. 2 BV).

    Bestätigt die Gemeindeversammlung einen ablehnenden Antrag des
Gemeinderats, stimmt sie in der Regel auch seiner Begründung zu; die
Begründung des Gemeindeversammlungsbeschlusses ergibt sich deshalb aus
der Antragsbegründung durch den Gemeinderat (E. 3.1).

    Ehegatten, die je ein Einbürgerungsgesuch stellen, haben grundsätzlich
Anspruch auf eine selbständige Beurteilung ihres Gesuchs und, bei dessen
Ablehnung, auf eine individuelle Begründung (E. 3.3). Dies gilt jedenfalls
dann, wenn die Einbürgerungsvoraussetzungen der Eheleute unterschiedlich
zu beurteilen sind und diese nicht auf eine individuelle Beurteilung
ihrer Gesuche verzichtet haben (E. 3.4).

Sachverhalt

    X.- A., geboren in Kroatien, lebt seit 1976 in der Schweiz. Ihr Ehemann
Y.A., geboren in Kroatien, kam bereits 1970 in die Schweiz. Die Eheleute A.
wohnen seit 1998 in der Gemeinde Oberrohrdorf-Staretschwil. Ihre Kinder,
B., C. und D., besitzen die schweizerische Staatsangehörigkeit.

    Am 20. November 2002 beantragten Y.A. und X.A. die Einbürgerung in der
Schweiz, im Kanton Aargau und in der Gemeinde Oberrohrdorf-Staretschwil.

    Die Eheleute A. wurden am 17. April 2003 von einer
Gemeinderatsdelegation und am 3. November 2003 vom Gesamtgemeinderat
angehört. Dieser lehnte anschliessend das Einbürgerungsgesuch ab, und
teilte dies den Gesuchstellern am 10. November 2003 mit. Die Ablehnung
wurde damit begründet, dass insbesondere die sprachliche Integration
ungenügend sei.

    Nachdem die Eheleute A. auf ihren Wunsch an der staatspolitischen
Prüfung teilgenommen und diese bestanden hatten, nahm der Gemeinderat am
8. März 2004 eine Neubeurteilung des Einbürgerungsgesuchs vor. Er hielt
an seinem ablehnenden Beschluss vom 3. November 2003 fest und teilte dies
den Eheleuten A. mit Schreiben vom 9. März 2004 mit.

    Daraufhin verlangten die Eheleute A. die Behandlung ihres
Einbürgerungsgesuchs an der Gemeindeversammlung. Die ordentliche
Gemeindeversammlung vom 9. Juni 2004 stimmte mit grosser Mehrheit dem
Antrag des Gemeinderates auf Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs zu.

    Am 30. August 2004 erhob X.A. staatsrechtliche Beschwerde an das
Bundesgericht mit dem Antrag, der Entscheid der Gemeindeversammlung vom 9.
Juni 2004 betreffend ihre Einbürgerung sei aufzuheben und die Sache zur
Neubeurteilung an den Gemeinderat und zur anschliessenden Abstimmung an
die Gemeindeversammlung zurückzuweisen.

    Der Gemeinderat Oberrohrdorf-Staretschwil beantragt, auf die
staatsrechtliche Beschwerde sei nicht einzutreten; eventualiter sei
sie abzuweisen und festzustellen, dass die Grundrechte gewahrt und das
rechtliche Gehör nicht verwehrt worden sei. Das Departement des Innern
des Kantons Aargau äussert sich in seiner Vernehmlassung nur zur Frage
der Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Entscheids und zur Einhaltung
der Beschwerdefrist.

    In ihrer Replik hielt die Beschwerdeführerin an ihrem Antrag fest. Mit
Schreiben vom 18. Oktober 2004 reichte sie eine Stellungnahme ihrer
Deutschlehrerin ein, wonach Verständnis und Aussprache als sehr gut zu
bezeichnen seien.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Die Beschwerdeführerin rügt sodann, die Abweisung ihres
Einbürgerungsgesuchs sei nicht begründet worden. In der Diskussion an der
Gemeindeversammlung hätten sich zwei Personen (darunter ihr Sohn) für die
Gutheissung des Einbürgerungsgesuchs eingesetzt; es habe kein einziges
Votum gegeben, das Gründe gegen die Einbürgerung der Beschwerdeführerin
genannt habe. Auch in der Stellungnahme des Gemeinderates in der
Einladung zur Gemeindeversammlung vom 9. Juni 2004 sei lediglich die
mangelnde Integration von Y.A. als Ablehnungsgrund genannt worden;
zum Integrationsstand der Beschwerdeführerin habe sich der Gemeinderat
nicht geäussert.

    Der Gemeinderat macht geltend, die Begründung für die Ablehnung des
Einbürgerungsgesuchs habe der Gemeinderat mit seinem Traktandenbericht
sowie mit den mündlichen Erläuterungen des Gemeindeammanns anlässlich der
Gemeindeversammlung gegeben. Dass die Stimmberechtigten keine ausführliche
Diskussion verlangt hätten, sei als Ausdruck des Einverständnisses zu
betrachten.

    3.1  Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung unterliegen
ablehnende Einbürgerungsentscheide der Begründungspflicht (BGE
129 I 217 E. 3.3 S. 230, 232 E. 3.3 und 3.4 S. 237 ff.; 130 I 140
E. 4.2 S. 146 f.). Es gibt keine feste Praxis, wie dieser Pflicht bei
Einbürgerungsbeschlüssen der Gemeindeversammlung nachzukommen ist (vgl. BGE
130 I 140 E. 5.3.5 und 5.3.6 S. 152 ff.). Problematisch sind vor allem
diejenigen Gemeindeversammlungsbeschlüsse, die von der Empfehlung des
Gemeinderats oder einer vorberatenden Kommission abweichen. Bestätigt die
Gemeindeversammlung - wie im vorliegenden Fall - einen ablehnenden Antrag
des Gemeinderats, kann in der Regel - sofern abweichende Voten nicht etwas
anderes nahe legen - davon ausgegangen werden, dass die Gemeindeversammlung
dem Antrag und seiner Begründung zustimmt (so auch Gemeindeamt des Kantons
Zürich, Empfehlungen zum Einbürgerungsverfahren vom Dezember 2003, S. 2/3).

    Im vorliegenden Fall fand an der Gemeindeversammlung - von zwei die
Einbürgerung befürwortenden Voten abgesehen - keine Diskussion statt. Die
Mehrheit der Stimmberechtigten folgte somit nicht nur dem Antrag des
Gemeinderats, sondern machte sich auch dessen Begründung zu eigen. Die
Begründung des Gemeindeversammlungsbeschlusses ergibt sich deshalb
aus der Antragsbegründung durch den Gemeinderat in der Einladung zur
Gemeindeversammlung und den mündlichen Erläuterungen des Gemeindeammanns
an der Gemeindeversammlung.

    3.2  Darin werden zunächst allgemeine Ausführungen zu den
Voraussetzungen gemacht, die praxisgemäss von allen Gesuchstellern verlangt
werden. Eine konkrete Begründung, welche Voraussetzungen im vorliegenden
Fall fehlen bzw. nicht genügend erfüllt seien, wird nur für Y.A. gegeben.

    In der schriftlichen Begründung heisst es: "Im vorliegenden Fall ist
der Gemeinderat der Meinung, dass vor allem bei Y.A. die sprachliche
Integration in keiner Weise den Vorgaben entspricht und minimale
Grundkenntnisse zu unserem Demokratiesystem fehlen". Laut Protokoll der
Gemeindeversammlung führte der Gemeindeammann mündlich aus: "Trotz des
über 30-jährigen Aufenthaltes in der Schweiz konnte sich der Gemeinderat
an einem Gespräch davon überzeugen, dass vor allem die sprachliche
Integration von Y.A. nicht genügend vorhanden ist". Über die sprachliche
Integration und die staatsbürgerlichen Kenntnisse der Beschwerdeführerin
wurde nichts gesagt.

    Der Gemeinderat räumt in seiner Vernehmlassung ein, dass sich die
Beschwerdeführerin besser verständigen könne als ihr Ehemann. Da aber ein
gemeinsames Einbürgerungsgesuch gestellt worden sei, habe der Gemeinderat
dieses gesamthaft abgelehnt. Im Übrigen stehe es der Beschwerdeführerin
frei, ein neues, nur auf sie bezogenes Einbürgerungsgesuch zu
stellen. Damit gibt der Gemeinderat zu erkennen, dass ein solches Gesuch
nicht von vornherein chancenlos wäre.

    3.3  Nach dem Gesagten ist effektiv nur die Ablehnung des
Einbürgerungsgesuchs des Ehemanns der Beschwerdeführerin begründet
worden. Dieses Vorgehen wäre verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden,
wenn tatsächlich ein gemeinsames Einbürgerungsgesuch der Eheleute
A. vorgelegen hätte, das nur gesamthaft gutgeheissen oder abgelehnt werden
konnte. Die Beschwerdeführerin ist indessen der Ansicht, sie habe ein
eigenständiges Einbürgerungsgesuch gestellt und habe deswegen Anspruch
auf eine Begründung, die sich mit ihrem Gesuch auseinandersetzt.

    Wie sich aus den Akten ergibt, hat die Beschwerdeführerin ein
eigenes Einbürgerungsgesuch gestellt, in dem sie - und nur sie - als
Gesuchstellerin genannt wird.

    Weder das kantonale Gesetz über das Kantons- und Gemeindebürgerrecht
noch die dazugehörige Verordnung über Einbürgerungen und
Bürgerrechtsentlassungen vom 8. Dezember 1993 enthalten Bestimmungen über
den gemeinsamen Erwerb und Verlust des Bürgerrechts durch Eheleute. §
10 Abs. 1 KBüG bestimmt lediglich, dass sich die Einbürgerung und die
Bürgerrechtsentlassung in der Regel auf die unmündigen Kinder des
Gesuchstellers erstrecken; Abs. 2 präzisiert, dass Kinder nach dem
zurückgelegten 16. Altersjahr nur mit ihrer schriftlichen Zustimmung
selbständig eingebürgert oder aus dem Bürgerrecht entlassen werden
können. Aus dieser Regelung lässt sich schliessen, dass der Grundsatz
der selbständigen Einbürgerung jedes Gesuchstellers auch für Eheleute gilt.

    Dies bestätigen die Richtlinien des Departements des Innern vom
16. April 2003, die eine individuelle Beurteilung der sprachlichen
Fähigkeiten der Bewerber verlangen. Die Richtlinien sprechen sich gegen
die in manchen Gemeinden geübte Praxis aus, zur Wahrung der Einheit des
Bürgerrechts der Familie eine grössere Toleranz bei der Hausfrau und Mutter
walten zu lassen, die sich in sprachlicher Hinsicht oft als schwächstes
Glied der Familie erweise. In solchen Fällen sei, so die Richtlinien,
das Gesuch der sprachunkundigen Hausfrau und Mutter abzuweisen, d.h. sie
sei aus der Einbürgerung der übrigen Familienmitglieder auszuklammern. Es
bleibe ihr dann unbenommen, durch geeignete Kurse ihre Sprachkenntnisse
zu verbessern und sich nachträglich einbürgern zu lassen.

    3.4  Daraus ergibt sich, dass die sprachlichen Fähigkeiten - wie auch
die übrigen Einbürgerungsvoraussetzungen - bei verheirateten Gesuchstellern
grundsätzlich individuell zu beurteilen und, im Fall der Ablehnung des
Gesuchs, auch individuell zu begründen sind. Dies gilt jedenfalls dann,
wenn die Einbürgerungsvoraussetzungen der Eheleute unterschiedlich zu
beurteilen sind und diese nicht auf eine individuelle Beurteilung ihrer
Gesuche verzichtet haben.

    Ein derartiger Verzicht läge vor, wenn die Eheleute - nach Hinweis
auf die Möglichkeit einer getrennten Abstimmung über ihre Gesuche - auf
einer gemeinsamen Abstimmung an der Gemeindeversammlung beharren und
so zum Ausdruck bringen, dass sie nur gemeinsam oder überhaupt nicht
eingebürgert werden wollen (vgl. Kreisschreiben des Departements des
Innern vom August 2002 betreffend Einbürgerungen im Einwohnerrat und in
der Gemeindeversammlung Ziff. 3.2 S. 4).

    Nach der Aktenlage wurde eine getrennte Abstimmung über die Gesuche
der Eheleute A. nicht in Betracht gezogen. Dementsprechend wurde die
Beschwerdeführerin auch nicht auf diese Möglichkeit hingewiesen, obwohl
dies aufgrund der gegebenen Sachlage und der kantonalen Richtlinien
geboten gewesen wäre. Es kann daher nicht angenommen werden, die
Beschwerdeführerin habe auf eine individuelle Prüfung ihres Gesuchs
verzichtet. Ihr aus Art. 29 Abs. 2 BV folgender Anspruch auf eine
auf sie bezogene Begründung blieb intakt. Da nur die Abweisung des
Einbürgerungsgesuchs von Y.A. begründet wurde, fehlt - in Bezug auf das
Einbürgerungsgesuch der Beschwerdeführerin - eine Begründung. Die Rüge
der Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV erweist sich somit als begründet.