Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 IV 1



131 IV 1

1. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.176/2004 vom 27. Oktober 2004

Regeste

    Schwere Körperverletzung (Art. 122 Abs. 1 StGB); Verbreiten
menschlicher Krankheiten (Art. 231 Ziff. 1 StGB); Vorsatz (Art. 18
Abs. 2 StGB); Versuch (Art. 21 f. StGB). Ungeschützte Sexualkontakte
einer HIV-infizierten Person.

    Die HIV-Infektion ist schon als solche objektiv eine schwere
(lebensgefährliche) Körperverletzung (Bestätigung der Rechtsprechung;
E. 1).

    Vorsatz im konkreten Fall bejaht (E. 2).

    Eine Verurteilung der HIV-infizierten Person wegen (versuchter)
schwerer Körperverletzung fällt ausser Betracht, wenn der Partner in
Kenntnis der Infektion und des Übertragungsrisikos freiverantwortlich
mit dem ungeschützten Sexualkontakt einverstanden ist und das Geschehen
mitbeherrscht (E. 3).

    Wer durch ungeschützte Sexualkontakte das HI-Virus auf einen andern
überträgt, erfüllt auch den Tatbestand des Verbreitens menschlicher
Krankheiten (Bestätigung der Rechtsprechung). Das Einverständnis
des Partners schliesst insoweit die Tatbestandsmässigkeit und die
Rechtswidrigkeit nicht aus (E. 4).

Sachverhalt

    Das Geschworenengericht des Kantons Zürich sprach X. am 15. Juli 2003
der mehrfachen versuchten schweren Körperverletzung im Sinne von Art. 122
Abs. 1 StGB sowie des mehrfachen versuchten Verbreitens menschlicher
Krankheiten im Sinne von Art. 231 Ziff. 1 Abs. 1 StGB, jeweils in
Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB sowie teilweise in Verbindung mit
Art. 21 Abs. 1 StGB, schuldig und bestrafte ihn mit dreieinhalb Jahren
Gefängnis unter Anrechnung von 29 Tagen Untersuchungshaft.

    X. wird zur Last gelegt, zwischen August 1995 und Juni/Juli 1998 mit
fünf Männern, wissend um seine HIV-Infektion, ungeschützt sexuell verkehrt
zu haben.

    X. erhebt mit Eingabe vom 17. Mai 2004 eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Geschworenengerichts
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Der Beschwerdeführer macht geltend, die Ansteckung mit dem
HI-Virus erfülle entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung und der
Auffassung der Vorinstanz den Tatbestand der schweren Körperverletzung
nicht; es fehle nach dem heutigen Stand der Behandlungsmöglichkeiten an
einer erheblichen Wahrscheinlichkeit des tödlichen Verlaufs.

    1.1  Nach Art. 122 StGB wird wegen schwerer Körperverletzung mit
Zuchthaus bis zu zehn Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis
zu fünf Jahren bestraft, wer vorsätzlich einen Menschen lebensgefährlich
verletzt (Abs. 1); wer vorsätzlich den Körper, ein wichtiges Organ oder
Glied eines Menschen verstümmelt oder ein wichtiges Organ oder Glied
unbrauchbar macht, einen Menschen bleibend arbeitsunfähig, gebrechlich
oder geisteskrank macht, das Gesicht eines Menschen arg und bleibend
entstellt (Abs. 2); wer vorsätzlich eine andere schwere Schädigung des
Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit eines Menschen
verursacht (Abs. 3).

    Die Infektion mit dem HI-Virus führt nach ungewisser, relativ langer
Zeit bei vielen Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Ausbruch
der Immunschwäche AIDS und anschliessend mit hoher Wahrscheinlichkeit
zum Tode. Die HIV-Infektion ist damit lebensgefährlich, weshalb eine
schwere Körperverletzung nach der Tatbestandsvariante des Absatzes 1 von
Art. 122 StGB vorliegt, wie das Bundesgericht entschieden hat (BGE 125 IV
242 E. 2b). Zwar darf eine lebensgefährliche Körperverletzung im Sinne
von Art. 122 Abs. 1 StGB nur angenommen werden, wenn die Verletzung zu
einem Zustand geführt hat, in dem sich die Möglichkeit des Todes dermassen
verdichtete, dass sie zur ernstlichen und dringlichen Wahrscheinlichkeit
wurde (BGE 109 IV 18 E. 2c S. 20), was aber nicht bedeutet, dass die
Lebensgefahr notwendigerweise eine zeitlich unmittelbare, akute sein muss;
massgebend ist vielmehr die erhebliche Wahrscheinlichkeit des tödlichen
Verlaufs (BGE 125 IV 242 E. 2b/dd).

    Trotz gewisser medizinischer Fortschritte und verbesserten
medikamentösen Behandlungen, auf welche der Beschwerdeführer verweist,
hat sich nichts Grundsätzliches daran geändert, dass die Infektion
mit dem HI-Virus nach relativ langer Zeit bei vielen Betroffenen zur
Immunschwäche AIDS und anschliessend mit hoher Wahrscheinlichkeit zum
Tod führt. Das ist ausreichend für die Annahme einer lebensgefährlichen
Verletzung. Einer zeitlichen Unmittelbarkeit der Lebensgefahr bedarf es
nicht, wie das Bundesgericht erkannt hat und woran festzuhalten ist.

Erwägung 2

    2.  Der Beschwerdeführer macht unter Berufung auf die statistisch
gesehen geringe Wahrscheinlichkeit der Übertragung des HI-Virus beim
ungeschützten Sexualverkehr geltend, er habe nicht mit Eventualvorsatz,
sondern höchstens fahrlässig gehandelt.

    2.1  In tatsächlicher Hinsicht hält die Vorinstanz zunächst fest, dass
vier der fünf Männer, mit denen der Beschwerdeführer sexuell verkehrte,
heute HIV-positiv sind. Es spricht aufgrund der von der Vorinstanz
erhobenen Indizien einiges dafür, dass sie vom Beschwerdeführer infiziert
wurden, was die Vorinstanz aber letztlich offen lassen konnte, weil der
Beschwerdeführer lediglich der versuchten schweren Körperverletzung
angeklagt wurde. Der Beschwerdeführer wusste um seine Infektion, als
er mit den fünf Männern anal und oral ungeschützt verkehrte. Er wusste
auch, dass durch ungeschützten Analverkehr eine Ansteckung erfolgen kann,
ebenso durch Ejakulieren in den Mund. Dennoch verkehrte er in ungeschützter
Weise mit seinen Sexualpartnern. Dass er diese habe infizieren wollen,
stellt die Vorinstanz nicht fest, wiewohl sie für ein direktvorsätzliches
Handeln gewisse Anhaltspunkte fand. Der Beschwerdeführer habe aber eine
Übertragung des HI-Virus durch die ungeschützten Sexualkontakte in Kauf
genommen. Der Einwand der Verteidigung, dass das Infektionsrisiko beim
einzelnen Sexualkontakt, statistisch gesehen, gering sei, ändere daran
nichts. Zur Begründung führt die Vorinstanz unter Berufung auf BGE 125 IV
242 aus, dass beim ungeschützten Sexualkontakt jeder einzelne und schon
ein einziger Akt das Risiko der Übertragung des HI-Virus in sich birgt,
dass der Infizierte dieses ihm bekannte Risiko in keiner Art und Weise
kalkulieren und dosieren kann und dass der nicht informierte Partner gegen
die Gefahr einer Infizierung keinerlei Abwehrchancen hat. Unter Hinweis
auf diese Ausführungen hält die Vorinstanz in ihren rechtlichen Erwägungen
fest, dass der Beschwerdeführer mit (Eventual-)Vorsatz gehandelt hat.

    2.2  Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des
Erfolgs beziehungsweise die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält,
aber dennoch handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts
in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet, mag er ihm auch unerwünscht sein
(BGE 130 IV 58 E. 8.2; 125 IV 242 E. 3c; 121 IV 249 E. 3a; 103 IV
65 E. 2). Eventualvorsatz kann unter anderem angenommen werden, wenn
sich dem Täter der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolgs infolge
seines Verhaltens als so wahrscheinlich aufdrängte, dass sein Verhalten
vernünftigerweise nur als Inkaufnahme dieses Erfolgs gewertet werden kann
(BGE 109 IV 137 E. 2b mit Hinweisen). Eventualvorsatz kann indessen auch
vorliegen, wenn der Eintritt des tatbestandsmässigen Erfolges bloss möglich
ist, ja selbst dann, wenn sich diese Möglichkeit, statistisch gesehen,
nur relativ selten verwirklicht. Doch darf nicht allein aus dem Wissen
des Beschuldigten um die Möglichkeit des Erfolgseintritts auf dessen
Inkaufnahme und damit auf Eventualvorsatz geschlossen werden. Vielmehr
müssen weitere Umstände hinzukommen. Solche Umstände hat das Bundesgericht
in BGE 125 IV 242 E. 3 darin gesehen, dass jeder einzelne ungeschützte
Sexualkontakt und schon ein einziger und der erste das Risiko einer
Übertragung des HI-Virus in sich birgt, dass der Infizierte dieses ihm
bekannte Risiko in keiner Weise kalkulieren und dosieren kann und dass
sein Partner keinerlei Abwehrchancen hat (E. 3f). Das Bundesgericht
hat zudem ausgeführt, der Beschwerdeführer in jenem Verfahren habe bei
jedem einzelnen ungeschützten Sexualkontakt in grober Verletzung der
sich aus seinem Wissen ergebenden Aufklärungspflicht aus eigennützigen
Interessen die nicht informierten Sexualpartnerinnen dem inakzeptablen,
unberechenbaren und nicht beeinflussbaren Risiko einer Übertragung des
HI-Virus und den sich daraus ergebenden, ihm bekannten Gefahren für die
Gesundheit und das Leben ausgesetzt. Damit habe er den tatbestandsmässigen
Erfolg für den Fall seines Eintritts bei jedem einzelnen Sexualkontakt
in Kauf genommen (E. 3g).

    Diese Rechtsprechung wird von einem erheblichen Teil der Lehre
im Wesentlichen unter Hinweis auf die statistisch gesehen geringe
Wahrscheinlichkeit der Übertragung des HI-Virus durch ungeschützte
Sexualkontakte mit verschiedenen Argumenten abgelehnt (siehe z.B. GUIDO
JENNY, Basler Kommentar, StGB I, 2003, Art. 18 N. 49; derselbe, ZBJV
136/2000 S. 641 ff.; HANS VEST, Vorsatz bezüglich der Übertragung
des HI-Virus durch ungeschützte heterosexuelle Sexualkontakte, AJP
2000 S. 1168 ff.; GÜNTER STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht,
Besonderer Teil II, 5. Aufl. 2000, § 31 N. 6; derselbe, [Deutsches]
Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 4. Aufl. 2000, § 8 N. 126; wohl auch
FRIDOLIN BEGLINGER, Basler Kommentar, StGB II, 2003, Art. 231 N. 45).

    An der Rechtsprechung ist trotz dieser Kritik festzuhalten. Das
Bundesgericht hat in seinen Erwägungen zum Eventualvorsatz
in BGE 125 IV 242 E. 3c-h am Rande darauf hingewiesen, dass die
Infektionswahrscheinlichkeit durch ungeschützte Sexualkontakte statistisch
gesehen allerdings gering sei und sich im Promille-Bereich bewege;
nur ein ungeschützter Geschlechtsverkehr von ca. 300 sei infektiös
(E. 3f). Das Bundesgericht hat sich mit dieser Frage der statistischen
Wahrscheinlichkeit nicht näher auseinander gesetzt und beispielsweise
auch nicht geprüft, ob sich der Beschuldigte in jenem Verfahren überhaupt
Gedanken zur Frage der statistischen Infektionswahrscheinlichkeit gemacht
habe und gegebenenfalls welche. Zu diesbezüglichen Erörterungen besteht
bei der gegebenen Begründung des Eventualvorsatzes nach wie vor keine
Veranlassung. Wer im Wissen um seine HIV-Infektion und in Kenntnis der
Übertragungsmöglichkeiten den Partner nicht über die Infektion aufklärt
und gleichwohl mit ihm ungeschützt sexuell verkehrt, obschon sowohl die
Aufklärung als auch Schutzvorkehrungen ein einfaches wären, bekundet
eine Gleichgültigkeit gegenüber der bei jedem einzelnen ungeschützten
Sexualkontakt möglichen Infizierung des Partners in einem Ausmass,
das den Schluss auf Inkaufnahme der Infizierung aufdrängt, mag ihm
diese auch unerwünscht sein. Er nimmt nicht nur das Risiko als solches,
sondern auch die bei jedem einzelnen ungeschützten Sexualkontakt mögliche
Verwirklichung dieses Risikos in Kauf. Denn er kann unmöglich wissen, ob
nicht gerade der eine ungeschützte Sexualkontakt den Partner infiziert,
und er muss daher das Risiko der Tatbestandsverwirklichung in jedem
einzelnen Fall ernst nehmen.

    2.3  Ergänzend ist festzuhalten, dass die in BGE 125 IV 242 erwähnte
statistische Infektionswahrscheinlichkeit von 0.3 % eine mittlere
Übertragungswahrscheinlichkeit je Sexualkontakt bei Vaginalverkehr
in einer länger dauernden Partnerschaft darstellt. Nach neueren
Erkenntnissen ist indessen die Wahrscheinlichkeit der Übertragung bei den
ersten Sexualkontakten höher, während sie später sinkt, möglicherweise
zurückzuführen auf eine zelluläre Immunantwort. So zeigten Studien über
sich prostituierende Frauen in Kenya und in Thailand eine Übertragungsrate
auf Freier beim ersten Sexualkontakt von 2-8 % (siehe zum Ganzen BEGLINGER,
aaO, Art. 231 StGB N. 23 mit Hinweis u.a. auf PIETRO VERNAZZA et al.,
Sexual transmission of HIV: infectiousness and prevention, in: AIDS
1999, Bd. 13, S. 157). Zudem ergab eine retrospektive Erhebung, dass bei
künstlicher Befruchtung mit Samen, die sich nachträglich als kontaminiert
erwiesen, 3.5 % der Frauen angesteckt wurden (siehe VERNAZZA, aaO, S. 156
f.). Dies also unter gleichsam klinischen Bedingungen und bei Fehlen von
Faktoren, die beim Geschlechtsverkehr hinzukommen und die Infektiosität
erhöhen können. Die Übertragungswahrscheinlichkeit scheint mithin stark
von verschiedenen Faktoren abzuhängen, so namentlich von der Infektiosität
des den Virus übertragenden Partners und der Anfälligkeit beim anderen,
aber auch von den Sexualpraktiken (VERNAZZA et al., Biological correlates
of sexual transmission of HIV, in: Reviews in medical microbiology 2001
S. 131 ff.).

    2.4  Was den vorliegenden Fall betrifft, so ist zunächst darauf
hinzuweisen, dass die Übertragungswahrscheinlichkeit bei Analverkehr
weit höher ist als bei Vaginalverkehr (VERNAZZA, Sexual transmission,
aaO, S. 157). Der Beschwerdeführer hat seine Sexualpartner (mit einer
Ausnahme) nicht darüber informiert, dass er HIV-positiv ist. Und nicht
nur dies: Bei A., der darauf bestand, nur geschützt zu verkehren,
ging der Beschwerdeführer sogar so weit, dass er einmal plötzlich das
Kondom entfernte und ohne dieses in den Anus des Partners eindrang. Von
einer Kollegin auf seine HIV-Positivität und die damit verbundene
Ansteckungsgefahr bei ungeschütztem Verkehr angesprochen, bemerkte er,
die Leute, die mit ihm Sex haben wollten, seien selber für die Verwendung
des Kondoms verantwortlich; er sage den Leuten einfach immer, dass
er kein Kondom brauche, ihm sei die Sache egal; die Leute seien selber
schuld, wenn er sie bei ungeschütztem Verkehr anstecken würde. Damit aber
bestätigte der Beschwerdeführer mit aller erdenklichen Deutlichkeit, dass
das einzige, worauf es ihm ankam, der ungeschützte Sexualverkehr war,
während ihm das Schicksal seiner Sexualpartner völlig gleichgültig war
und er ihre Ansteckung in Kauf nahm. Er hat eventualvorsätzlich gehandelt.

Erwägung 3

    3.  Der Beschwerdeführer hat seine Sexualpartner grundsätzlich nicht
darüber informiert, dass er HIV-positiv ist, und diese wussten es auch
nicht. Bei B. verhält es sich insoweit anders, als dieser weiter mit
dem Beschwerdeführer ungeschützt verkehrte, auch nachdem er von dessen
HIV-Positivität erfahren hatte. Der Beschwerdeführer leitet hieraus eine
rechtfertigende Einwilligung in Bezug auf den Tatbestand der (versuchten)
schweren Körperverletzung ab, während die Vorinstanz eine solche verneint,
weil es an einem sittlichen oder ethischen Zweck für eine Einwilligung
in eine schwere Körperverletzung fehle.

    3.1  Es ist zunächst klarzustellen, dass sich eine Einwilligung beim
vorsätzlichen Verletzungsdelikt, hier die schwere Körperverletzung, nicht
nur auf die Tathandlung, sondern auch auf den Verletzungserfolg beziehen
müsste (PHILIPPE WEISSENBERGER, Die Einwilligung des Verletzten bei den
Delikten gegen Leib und Leben, Diss. Basel 1996, S. 60 f.; CLAUS ROXIN,
[Deutsches] Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., 1997, § 13 N. 49,
S. 479). Es lässt sich nicht annehmen und wird im angefochtenen Entscheid
auch nicht festgestellt, dass B. seine Ansteckung mit dem Virus gewollt und
damit in die Körperverletzung eingewilligt hätte, auch nicht in Form eines
analogen Eventualvorsatzes (siehe dazu WEISSENBERGER, aaO, S. 61). Dass
der Täter mit Eventualvorsatz handelt, bedingt nicht zugleich, dass das
um die Gefährdung wissende Opfer den tatbestandsmässigen Erfolg ebenfalls
in Kauf nimmt. Eher als beim Täter ist beim Opfer nämlich anzunehmen,
dass es gerade auf das Ausbleiben dieses Erfolgs vertraut. In Frage
steht mithin nur, dass B. aufgrund seines Wissens um die Infizierung
des Beschwerdeführers nicht in den Verletzungserfolg, sondern in eine
Gefährdung "eingewilligt" hat. Damit stellt sich die Frage, ob und
gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine solche "Einwilligung"
in eine Gefährdung rechtlich relevant ist.

    3.2  In der deutschen Lehre und Rechtsprechung wird in diesem
Zusammenhang unter anderem zwischen der einverständlichen Fremdgefährdung
und der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung unterschieden
(SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Aufl. 2001, N.
165 ff. zu § 15, N. 102 ff. vor § 32; TRÖNDLE/FISCHER, Strafgesetzbuch,
Kurzkommentar, 52. Aufl. 2004, N. 19 f. vor § 13, N. 28 ff. zu § 222;
ROXIN, aaO, § 11 N. 90 ff., S. 334 ff.). Diese Unterscheidung wird in
neuerer Zeit auch in der schweizerischen Lehre vorgenommen (WEISSENBERGER,
aaO, passim). Das Bundesgericht hat sie einem jüngeren Entscheid zugrunde
gelegt, in dem zu beurteilen war, ob die Führerin eines Motorfahrrades sich
der fahrlässigen schweren Körperverletzung schuldig gemacht hat, indem
sie einem Fahrradfahrer ermöglichte, sich an ihrem Oberarm festzuhalten
und sich so ziehen zu lassen, und der dabei zu Fall kam (BGE 125 IV 189).

    Blosse Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung liegt vor, wenn der
Rechtsgutträger sich bewusst und freiverantwortlich einer bestimmten Gefahr
für seine Rechtsgüter aussetzt und das Tatgeschehen derart beherrscht, dass
er darin jederzeit und bis zuletzt steuernd einzugreifen vermag (BGE 125 IV
189 E. 3a; WEISSENBERGER, aaO, S. 105). Einverständliche Fremdgefährdung
ist demgegenüber gegeben, wenn die Geschehensherrschaft nicht mehr
beim Rechtsgutträger liegt, sondern sich dieser einer unübersehbaren
Entwicklung ausliefert, in welche er nicht mehr eingreifen oder die er
nicht mehr abbrechen könnte, wo der sich selbst Gefährdende dies noch
könnte (WEISSENBERGER, aaO, S. 102 ff.). Im Falle beidseitiger Herrschaft
über das Gefährdungsgeschehen wird Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung
angenommen (WEISSENBERGER, aaO, S. 106; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER, aaO,
N. 107 vor § 32).

    3.3  Nach Lehre und Rechtsprechung ist die eigenverantwortliche
Selbstgefährdung straflos und die Mitwirkung daran (d.h. die Mitwirkung an
fremder Selbstgefährdung) ist es auch, solange der sich selbst Gefährdende
das Risiko im selben Masse übersieht wie der Mitwirkende (ROXIN, aaO, §
11 N. 97, S. 339; WEISSENBERGER, aaO, S. 108, 111 f.; BGE 125 IV 189 E.
3a). Die Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung ergibt
sich aus der Straflosigkeit des Suizids und - vorbehältlich Art. 115 StGB
- der Teilnahme hierzu. Wenn schon die Teilnahme an einer Selbsttötung
und auch an einer vorsätzlichen Selbstverletzung straflos bleibt, kann
um so weniger die Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung strafbar sein
(WEISSENBERGER, aaO, S. 110 f.; ROXIN, aaO, § 11 N. 91). Dahinter steht die
normative Wertentscheidung, dass kein Grund besteht, die Handlungsfreiheit
einzuschränken, solange niemand gegen seinen Willen gefährdet wird
(WEISSENBERGER, aaO, S. 111; ROXIN, aaO, § 11 N. 91, Anm. 176, S. 335). Die
Straflosigkeit der Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung findet ihre
Grenze jedoch dort, wo der Veranlasser oder Förderer erkennt, dass das
Opfer die Tragweite seines Entschlusses nicht überblickt. In diesem Fall
schafft er ein Risiko, das vom Willen des Opfers nicht mehr gedeckt und
dessen Verwirklichung daher dem Mitwirkenden zuzurechnen ist (ROXIN, aaO,
§ 11 N. 97, S. 339; WEISSENBERGER, aaO, S. 112).

    Demgegenüber ist die einverständliche Fremdgefährdung grundsätzlich
strafbar; doch kann unter gewissen Umständen Straflosigkeit in Betracht
fallen, wobei die Voraussetzungen hiefür im Einzelnen umstritten sind
(siehe WEISSENBERGER, aaO, S. 114 ff.).

    3.4  B., welcher mit dem Beschwerdeführer mehrfach sexuell verkehrte,
wusste zwar nicht von Anbeginn an, aber ab einem späteren Zeitpunkt, dass
der Beschwerdeführer Träger des HI-Virus ist. Dennoch kam es weiterhin
zu ungeschützten sexuellen Kontakten. Dem angefochtenen Urteil lässt sich
nicht entnehmen, dass B. unter Zwang gehandelt oder nicht überblickt hätte,
worauf er sich bei diesen ungeschützten Kontakten einliess. Ist demnach
davon auszugehen, dass B. freiverantwortlich gehandelt hat, bleibt die
Frage, ob Mitwirkung des Beschwerdeführers an einer Selbstgefährdung des
B. oder aber eine einvernehmliche Fremdgefährdung vorliegt.

    In der Lehre ist umstritten, ob der ungeschützte Sexualkontakt
einer HIV-infizierten Person mit einem freiverantwortlich handelnden,
informierten Partner als Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung
oder als einverständliche Fremdgefährdung zu qualifizieren ist (für
Selbstgefährdung: KARL-LUDWIG KUNZ, Aids und Strafrecht: Die Strafbarkeit
der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht, ZStrR 107/1990 S. 39
ff., 54; WEISSENBERGER, aaO, S. 113 f.; SCHÖNKE/SCHRÖDER/LENCKNER,
aaO, N. 107 vor § 32; für Fremdgefährdung: ROXIN, aaO, § 11 N. 108
S. 344, mit zahlreichen Hinweisen in den Anmerkungen 207 und 208
auf die verschiedenen Lehrmeinungen). Bei Sexualkontakten kommt die
Herrschaft über das Geschehen grundsätzlich beiden Beteiligten zu. Sie
haben es jederzeit in der Hand, noch rechtzeitig abzubrechen oder aber
ein Kondom zu benützen bzw. darauf zu beharren, dass der Partner dieses
verwendet. Die gegenteilige Auffassung, welche darauf abstellt, dass die
Gefährdung ausschliesslich vom Infizierten ausgehe und der Partner sich
dieser lediglich aussetze, verkennt den entscheidenden Gesichtspunkt, dass
nämlich die Geschehensherrschaft bei beiden Beteiligten liegt. In diesem
Fall aber ist noch immer Mitwirkung an fremder Selbstgefährdung gegeben
(oben E. 3.2). Im Übrigen mag darauf hingewiesen werden, dass auch ROXIN
Straflosigkeit annimmt, weil er die einvernehmliche Fremdgefährdung der
Mitwirkung an Selbstgefährdung gleichstellt, wenn der Schaden Folge des
eingegangenen Risikos und nicht hinzukommender anderer Fehler ist und
der Gefährdete für das gemeinsame Tun dieselbe Verantwortung trägt wie
der Gefährdende (ROXIN, aaO, § 11 N. 107 f.).

    Bezüglich des Schuldspruchs auch für die ungeschützten Sexualkontakte
mit B. in der Zeit, in welcher dieser über die Infektion des
Beschwerdeführers aufgeklärt war, erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde
demnach als begründet.

Erwägung 4

    4.  Der Beschwerdeführer beanstandet - ohne nähere Begründung
allerdings - weiter seine Verurteilung wegen mehrfachen Versuches der
Verbreitung einer menschlichen Krankheit im Sinne von Art. 231 StGB.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts "verbreitet" im Sinne
von Art. 231 StGB eine Krankheit, wer als HIV-infizierte Person
durch ungeschützten Geschlechtsverkehr das Virus auf einen anderen
Menschen überträgt, da zumindest die (ausreichende) abstrakte Gefahr
besteht, dass die angesteckte Person ihrerseits auf irgendwelchen
Wegen weitere Menschen infizieren könnte (BGE 125 IV 242 E. 2a/bb). An
dieser Rechtsprechung ist festzuhalten, womit der Beschwerdeführer
zu Recht wegen mehrfachen Versuchs der Verbreitung einer menschlichen
Krankheit verurteilt wurde. Fraglich könnte höchstens noch sein, ob etwas
anderes gilt bezüglich derjenigen Sexualkontakte, bei denen B. über die
HIV-Positivität des Beschwerdeführers informiert war. Das ist indessen
nicht der Fall, da Einwilligung des Verletzten oder eigenverantwortliche
Selbstgefährdung nur bei Straftatbeständen bedeutsam sein können, die
Individualinteressen schützen. Bei Delikten der Gemeingefährdung, die
sich ausschliesslich gegen öffentliche Interessen richten, kann es auf die
Haltung des zunächst Betroffenen aber nicht ankommen (WEISSENBERGER, aaO,
S. 176 ff.; STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II,
Straftaten gegen Gemeininteressen, 5. Aufl., Bern 2000, § 31 N. 7, S. 69).

Erwägung 5

    5.  Die Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich damit teilweise als
begründet, d.h. bezüglich der Verurteilung wegen versuchter mehrfacher
schwerer Körperverletzung zum Nachteil von B., soweit dieser über die
HIV-Positivität des Beschwerdeführers informiert war. Das hat zur Folge,
dass die Vorinstanz die Strafe neu zumessen muss, weshalb eine Prüfung
der ebenfalls beanstandeten Strafzumessung unterbleiben kann.