Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 710



Urteilskopf

131 II 710

  56. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S.
Steueramt des Kantons Aargau gegen Frau B. sowie Verwaltungsgericht des
Kantons Aargau (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
  2A.750/2004 vom 26. Oktober 2005

Regeste

  Art. 191 BV, Art. 11 Abs. 1 und Art. 73 Abs. 1 und 3 StHG; tarifliche
Gleichbehandlung von Eineltern- und Zweielternfamilien; Besteuerung einer
Mutter mit Kind, die mit einem Partner im Konkubinat lebt.

  Zulässige Anträge und Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts bei der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 73 StHG (E. 1).
  Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG, wonach Einelternfamilien die gleiche
tarifliche Ermässigung einzuräumen ist wie den verheirateten Personen,
verstösst gegen das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und greift in die Tarifhoheit der Kantone ein. Eine
Korrektur unter dem Gesichtswinkel der verfassungskonformen Auslegung
verbietet sich angesichts des klaren Wortlauts der Norm und dem eindeutigen
Willen des historischen Gesetzgebers. Trotz festgestellter
Verfassungswidrigkeit ist die Norm anzuwenden (s. BGE 131 II 697; E. 4).
  Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG findet auch auf Konkubinatspaare mit Kindern
Anwendung (E. 5). Die Einschränkung in § 43 Abs. 2 des aargauischen
Steuergesetzes, wonach der günstigere Tarif B auf unverheiratete Personen
mit Kindern nur dann Anwendung findet, wenn diese alleine mit Kindern
zusammenleben, widerspricht daher Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG und ist nicht
anwendbar (E. 2, 3 und 5).

Sachverhalt

  Frau B. ist geschieden und allein erziehende Mutter einer Tochter, geboren
1986. Sie lebt zusammen mit ihrer Tochter und einem neuen Lebenspartner in
D. Sie ist berufstätig und kommt für ihren eigenen und den Lebensunterhalt
ihrer Tochter voll auf.

  Am 6. September 2002 veranlagte die Steuerkommission D. Frau B. für die
Steuerperiode 2001 zu einem steuerbaren Einkommen von Fr. 71'300.-
(satzbestimmend Fr. 56'300.-), wobei sie zur Ermittlung der Steuer den Tarif
A (für allein stehende Personen) heranzog. Eine dagegen erhobene Einsprache
wurde am 26. November 2002 abgewiesen.

  Gegen den Einspracheentscheid führte die Steuerpflichtige Rekurs beim
Steuerrekursgericht des Kantons Aargau. Sie machte geltend, der kantonale
Gesetzgeber habe sich in § 43 Abs. 2 des Steuergesetzes des Kantons Aargau
vom 15. Dezember 1998 (StG/AG) bei verheirateten Personen für das
Vollsplitting entschieden (Tarif B).

Die gleiche tarifliche Ermässigung müsse nach Art. 11 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten
Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG; SR
642.14) auch den nicht verheirateten Steuerpflichtigen mit Kindern gewährt
werden. Das gelte unabhängig davon, ob eine Person mit Kindern alleine lebe
oder zusammen mit einer weiteren erwachsenen Person. § 43 Abs. 2 StG/AG, der
die Anwendung des Tarifs B auf nicht verheiratete Steuerpflichtige davon
abhängig mache, dass diese alleine mit Kindern zusammenlebe, widerspreche
dem Steuerharmonisierungsgesetz.

  Den von der Steuerpflichtigen gegen den Einspracheentscheid erhobenen
Rekurs hiess das Steuerrekursgericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 20.
November 2003 gut und wies die Sache zur Anwendung des Tarifs B an die
Steuerkommission D. zurück.

  Gegen das Urteil des Steuerrekursgerichts führte das Kantonale Steueramt
Aargau Beschwerde. Es machte geltend, Art. 11 Abs. 1 StHG gebe keine
eindeutige Antwort auf die Frage, ob auch Konkubinatspaare mit Kindern in
den Genuss der gesetzlich vorgesehenen Ermässigung gelangen sollen. Der
Gesetzgeber habe eine gerechte Verteilung der Steuerlast vorzunehmen und
dabei sehr unterschiedlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Art. 11 Abs.
1 StHG berücksichtige die allein erziehenden Personen. Die Norm sei in
verschiedener Hinsicht kritisiert worden. Es bestehe weder vom Wortlaut noch
vom Sinn der Norm her eine Notwendigkeit, sie auch auf Konkubinatspaare mit
Kindern anzuwenden.

  Mit Urteil vom 20. Oktober 2004 wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau die Beschwerde des Kantonalen Steueramtes ab. Es kam zum Schluss, der
Wortlaut von Art. 11 Abs. 1 StHG sei klar. Er fordere die gleiche
Ermässigung sowohl für Eineltern- wie auch für Zweielternfamilien. Der
zweite Satz enthalte keine Beschränkung auf Steuerpflichtige, die mit
Kindern alleine leben würden. § 43 Abs. 2 StG/AG widerspreche Art. 11 Abs. 1
StHG. Zwar sei Art. 11 StHG verfassungswidrig, weil er in die Tarifautonomie
der Kantone nach Art. 129 Abs. 2 Satz 2 BV eingreife. Dennoch verlange Art.
191 BV, dass die verfassungswidrige Bestimmung von den Kantonen angewendet
werde.

  Hiergegen führt das Kantonale Steueramt Aargau
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 20. Oktober 2004 sei aufzuheben

und der Veranlagung für die Kantons- und Gemeindesteuern 2001 der Tarif A
zugrunde zu legen.

  Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit darauf einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

  1.

  1.1  Seit dem 1. Januar 2001 ist die den Kantonen zur Anpassung ihrer
Gesetzgebung an das Steuerharmonisierungsgesetz eingeräumte Frist gemäss
Art. 72 Abs. 1 StHG abgelaufen. Auf Steuersachverhalte, die ab dem Jahre
2001 steuerbar sind, findet daher das Bundesrecht direkt Anwendung, wenn ihm
das kantonale Recht widerspricht. In diesen Fällen ist gegen
letztinstanzliche kantonale Entscheide die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
zulässig (vgl. Art. 72 Abs. 2 und Art. 73 StHG).

  Geltend gemacht wird eine Verletzung von Art. 11 StHG durch die Art der
Steuerberechnung 2001 bei der Beschwerdegegnerin als ledige und allein
erziehende Mutter. Es handelt sich um eine im zweiten Titel des
Steuerharmonisierungsgesetzes geregelte Materie, weshalb die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach Art. 73 StHG zulässig ist. Das Kantonale
Steueramt Aargau ist nach Art. 73 Abs. 2 StHG zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert. Auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist einzutreten.

  Unzulässig ist einzig der Antrag, es sei der Veranlagung der Tarif A
zugrunde zu legen: Art. 73 Abs. 3 StHG sieht lediglich vor, dass das
Bundesgericht bei Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde den
angefochtenen Entscheid aufhebt und die Sache zu neuem Entscheid an die
Vorinstanz zurückweist.

  1.2  Das Bundesgericht prüft bei der Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach
Art. 73 StHG frei, ob das kantonale Recht und dessen Anwendung durch die
kantonalen Instanzen mit den Vorgaben des Steuerharmonisierungsgesetzes
übereinstimmen. Soweit das Steuerharmonisierungsgesetz dem kantonalen
Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum einräumt, richtet sich die
Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts auch im Rahmen der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nach den für die staatsrechtliche Beschwerde
geltenden Grundsätzen (BGE 130 II 202 E 3.1 S. 205 f.; 128 II 56 E. 2b S.
60). Da jedoch die beschwerdeführende Steuerverwaltung zur staatsrechtlichen
Beschwerde nicht legitimiert ist, entfällt hier diese weitere Prüfung.

Erwägung 2

  2.  Art. 11 Abs. 1 StHG lautet wie folgt:

    Art. 11

    1 Für verheiratete Personen, die in rechtlich und tatsächlich
    ungetrennter Ehe leben, muss die Steuer im Vergleich zu alleinstehenden
    Steuerpflichtigen angemessen ermässigt werden. Die gleiche Ermässigung
    gilt auch für verwitwete, getrennt lebende, geschiedene und ledige
    Steuerpflichtige, die mit Kindern oder unterstützungsbedürftigen
    Personen zusammenleben und deren Unterhalt zur Hauptsache bestreiten.
    Das kantonale Recht bestimmt, ob die Ermässigung in Form eines
    frankenmässig begrenzten Prozentabzuges vom Steuerbetrag oder durch
    besondere Tarife für alleinstehende und verheiratete Personen
    vorgenommen wird.

    2-3 (...)

  Der Gesetzgeber des Kantons Aargau hat im Steuergesetz vom 15. Dezember
1998, in Kraft seit 1. Januar 2001, diese Vorgaben wie folgt umgesetzt:

    § 42

    1 Vom Reineinkommen werden für die Steuerberechnung abgezogen:

    a) als Kinderabzug Fr. 6'400.- für jedes Kind unter elterlicher Sorge
       sowie für jedes volljährige Kind in Ausbildung, für dessen Unterhalt
       die Steuerpflichtigen zur Hauptsache aufkommen. Wer für das gleiche
       Kind bereits einen Abzug nach § 40 lit. c vornehmen kann, hat keinen
       Anspruch auf den Kinderabzug;

       (...)

  § 43 StG/AG enthält sodann in seinem Absatz 1 einen progressiven Tarif,
nach dem sich die Steuer vom Einkommen berechnet. Absatz 2 bestimmt das
Folgende:

    2 Für Verheiratete, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe
    leben, sowie für verwitwete, getrennt lebende, geschiedene und ledige
    Steuerpflichtige, die alleine mit Kindern, für die ein Kinderabzug nach
    § 42 Abs. 1 lit. a gewährt wird, zusammenleben, wird der Steuersatz des
    halben steuerbaren Einkommens angewendet.

Erwägung 3

  3.  Gemäss dieser kantonalen Regelung werden im Kanton Aargau
Einelternfamilien und Zweielternfamilien nur dann gleich besteuert, wenn ein
allein erziehender Elternteil mit dem Kind alleine lebt. Das
Einkommenssplitting, bei dem das Einkommen zum Satz des halben
Gesamteinkommens besteuert wird, gelangt nur bei gemeinsam steuerpflichtigen
Ehegatten (mit und ohne Kinder) sowie bei verwitweten, getrennt lebenden,
geschiedenen und ledigen Steuerpflichtigen zur Anwendung, die mit Kindern
alleine zusammen leben (§ 43 Abs. 2 StG/AG). Sobald eine allein erziehende
Person

mit Kind mit einer anderen erwachsenen Person in Gemeinschaft lebt, wird sie
zum einfachen Tarif besteuert. Es verbleibt ihr nur der Kinderabzug nach §
42 Abs. 1 lit. a StG/AG. Eine unverheiratete Person mit Kind, die mit einer
anderen erwachsenen Person zusammen lebt, wird nach dieser kantonalen
Regelung somit nicht exakt gleich besteuert wie ein gemeinsam
steuerpflichtiges Ehepaar. Fraglich ist, ob diese Regelung vor Art. 11 Abs.
1 StHG standhält.

  Das Verwaltungsgericht kam zum Schluss, Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG
enthalte keine Beschränkung auf Einelternfamilien (d.h. Personen, die mit
Kindern alleine leben). Der klare Wortlaut gebe den wahren Sinn der Norm
wieder. Das Steuerharmonisierungsgesetz sei gleichzeitig mit dem
Bundesgesetz vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundesteuer (DBG; SR
642.11) erlassen worden. Für die direkte Bundessteuer bestehe die gefestigte
Praxis, dass bei Konkubinatspaaren derjenige Elternteil den günstigeren
Tarif u.a. für Ehepaare und nicht verheiratete Personen mit Kindern
beanspruchen könne, der für den Unterhalt des Kindes zur Hauptsache
aufkomme; Art. 36 Abs. 2 DBG enthalte keine Beschränkung auf nicht
verheiratete Personen, die mit dem Kind alleine leben würden (mit Hinweis
auf das Bundesgerichtsurteil 2A.566/1997 vom 12. Januar 1999, ASA 69 S. 198
ff.; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, Therwil/Basel 2001, N. 19 ff. zu Art.
36 DBG). Das Gleiche müsse für Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG gelten. Die
Beschränkung in § 43 Abs. 2 StG/AG auf Steuerpflichtige, die mit dem Kind
allein zusammenleben würden, widerspreche dem Art. 11 StHG. Diese Vorschrift
sei zwar verfassungswidrig. Denn sie greife in die Tarifhoheit der Kantone
gemäss Art. 129 Abs. 2 Satz 2 BV ein. Verfassungswidrige Bestimmungen des
Steuerharmonisierungsgesetzes seien wegen des Anwendungsgebots von Art. 191
BV aber gleichwohl zu beachten.

  Diese Auffassung ist im Folgenden zu prüfen. Es stellen sich die Fragen,
welcher Sinn dem Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG durch Auslegung beizumessen ist,
ob die Vorschrift verfassungsmässig ist und ob ein allenfalls als
verfassungswidrig erkanntes Auslegungsergebnis durch eine
verfassungskonforme Auslegung korrigiert werden darf.

Erwägung 4

  4.

  4.1  Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der Bestimmung. Ist
der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Interpretationen

möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter
Berücksichtigung aller Auslegungselemente. Abzustellen ist dabei namentlich
auf die Entstehungsgeschichte der Norm und ihren Zweck sowie auf die
Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt. Die
Gesetzesmaterialien sind zwar nicht unmittelbar entscheidend, dienen aber
als Hilfsmittel, um den Sinn der Norm zu erkennen (BGE 130 II 202 E. 5.1 S.
211 f.; 129 II 114 E. 3.1 S. 118; 125 II 192 E. 3a S. 196 mit Hinweisen).
Namentlich bei neueren Texten kommt den Materialien eine besondere Stellung
zu, weil veränderte Umstände oder ein gewandeltes Rechtsverständnis eine
andere Lösung weniger nahe legen (BGE 128 I 288 E. 2.4 S. 292; 124 II 372 E.
6a S. 377). Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets
von einem Methodenpluralismus leiten lassen und nur dann allein auf das
grammatische Element abgestellt, wenn sich daraus zweifelsfrei die sachlich
richtige Lösung ergab (124 II 372 E. 5 S. 376 mit Hinweisen).

  Sind mehrere Lösungen denkbar, ist jene zu wählen, die der Verfassung
entspricht (BGE 130 II 65 E. 4.2 S. 71). Allerdings findet die
verfassungskonforme Auslegung - auch bei festgestellter
Verfassungswidrigkeit - im klaren Wortlaut und Sinn einer Gesetzesbestimmung
ihre Schranke (BGE 129 II 249 E. 5.4 S. 263; 128 V 20 E. 3a S. 24; 123 II 9
E. 2 S. 11).

  4.2  Gemäss Art. 11 Abs. 1 Satz 1 StHG ist die Steuer für verheiratete
Personen im Vergleich zu den allein stehenden Steuerpflichtigen angemessen
zu ermässigen. Nach Satz 2 daselbst ist "die gleiche Ermässigung" ("cette
même réduction", "la medesima riduzione") auch den allein erziehenden
Personen zu gewähren.

  Der Wortlaut der Norm in allen drei Sprachen ist klar: den verwitweten,
getrennt lebenden, geschiedenen und ledigen Steuerpflichtigen, die mit
Kindern oder unterstützungsbedürftigen Personen zusammenleben und deren
Unterhalt zur Hauptsache bestreiten, ist die gleiche Ermässigung einzuräumen
wie den gemeinsam steuerpflichtigen Ehegatten. Was den Satz 2 betrifft, wird
auch in der Lehre überwiegend die Auffassung vertreten, der Wortlaut sei
eindeutig und lasse keinen Interpretationsspielraum offen; Halbfamilien bzw.
Einelternfamilien seien klar und deutlich gleich zu belasten wie gemeinsam
steuerpflichtige Ehepaare. Auch mit Blick auf die Entstehungsgeschichte
stehe fest, dass der Gesetzgeber nicht

nur eine "gleichwertige", sondern exakt die gleiche Ermässigung wie für
Zweielternfamilien habe vorschreiben wollen (REICH, in: Kommentar zum
Schweizerischen Steuerrecht I/1, 2. Aufl. 2002, N. 26 f. zu Art. 11 StHG;
ferner HEUSCHER, in: Kommentar zum Aargauer Steuergesetz, 2. Aufl. 2004, N.
6 zu § 43 StG/AG; RICHNER/ FREI/KAUFMANN, Kommentar zum harmonisierten
Zürcher Steuergesetz, N. 3 zu § 35 StG/ZH). Angesprochen ist der Steuertarif
(vgl. Bericht der Expertengruppe Cagianut zur Steuerharmonisierung,
Schriftenreihe der Treuhand-Kammer Nr. 128, Zürich 1994, S. 20).

  4.3  In der vorherrschenden Doktrin wird die steuerliche (tarifliche)
Gleichbehandlung von verheirateten Personen und allein erziehenden Personen
gemäss Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG allerdings auch kritisiert. Begründet wird
die Kritik am Gesetz damit, dass eine allein erziehende Person a priori
leistungsfähiger sei als ein Ehepaar mit dem gleichem Einkommen und der
gleichen Anzahl Kinder, weil das Einkommen für zwei erwachsene Personen
ausreichen müsse. Es sei deshalb sachfremd und nicht zielgerichtet,
Eineltern- oder Halbfamilien exakt gleich zu besteuern wie Ehepaare (so
bereits der Bericht der Expertengruppe Cagianut, a.a.O., S. 20; ferner
BOSSHARD/BOSSHARD/LÜDIN, Sozialabzüge und Steuertarife im schweizerischen
Steuerrecht, Zürich 2000, S. 208; REICH, a.a.O., N. 28 zu Art. 11 StHG;
RICHNER/FREI/KAUFMANN, a.a.O., N. 3 zu § 35 StG/ZH; DANIELLE YERSIN, L'impôt
sur le revenu. Etendue et limites de l'harmonisation, in: ASA 61 S. 301; für
die direkte Bundessteuer, vgl. BAUMGARTNER, in: Kommentar zum
Schweizerischen Steuerrecht I/2a, N. 32 zu Art. 36 DBG, und PETER LOCHER,
Kommentar zum DBG, Therwil/Basel 2001, N. 10 zu Art. 36 DBG). Als besonders
stossend wird die Gleichstellung mit den Ehepaaren empfunden, wenn zwei
unverheiratete Personen je mit Kindern im Konkubinat zusammenleben, weil in
diesem Fall beide Partner vom Familientarif und den Kinderabzügen
profitieren, ohne dass jedoch ihre Einkommen wie bei einem Ehepaar addiert
werden (REICH, a.a.O., N. 30 zu Art. 11 StHG).

  Im Schrifttum wird zudem gerügt, dass Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG
unzulässigerweise in die Tarifautonomie der Kantone eingreife. Denn Art. 129
Abs. 2 Satz 2 BV nehme "die Steuertarife" (wie auch die Steuersätze und
Steuerfreibeträge) ausdrücklich von der Steuerharmonisierung aus (REICH,
a.a.O., N. 2 ff. zu Art. 11 StHG; RICHNER/ FREI/KAUFMANN, a.a.O., N. 3 zu §
35 StG/ZH).

  4.4  Das Bundesgericht hat sich in BGE 131 II 697 mit der Auslegung von
Art. 11 Abs. 1 StHG befasst. Zu beurteilen war der Fall einer allein
erziehenden Mutter, die mit ihrem Kinde alleine lebt. Das Bundesgericht
teilte grundsätzlich die von der Lehre an Art. 11 Abs. 1 StHG geäusserte
Kritik. Es ging jedoch davon aus, dass der Wortlaut der Norm in allen drei
Sprachen klar sei: Verwitwete, getrennt lebende, geschiedene und ledige
Steuerpflichtige, die mit Kindern oder unterstützungsbedürftigen Personen
zusammenleben und deren Unterhalt zur Hauptsache bestreiten, hätten Anspruch
auf gleiche Ermässigung wie die gemeinsam steuerpflichtigen Ehegatten. Vom
klaren Wortlaut könne nur abgewichen werden, wenn dieser den wahren Sinn der
Norm nicht richtig wiedergebe.

  Wie das Bundesgericht weiter erwog, sei für den Sinn der Norm massgeblich
auf die Materialien abzustellen. Satz 2 von Art. 11 Abs. 1 StHG sei erst in
der parlamentarischen Debatte eingefügt worden. Er sei zudem stark durch die
Beratung zu Art. 36 Abs. 2 DBG beeinflusst worden. Im bundesrätlichen
Entwurf sei die Gleichbehandlung von Ehepaaren und Alleinerziehenden noch
nicht enthalten gewesen. Der Entwurf vom 25. Mai 1983 für das Bundesgesetz
über die direkte Bundessteuer habe einen Doppeltarif für allein stehende
Personen und für Ehepaare vorgesehen (Art. 36 Abs. 2 E-DBG, BBl 1983 III
329). Allein stehende Personen mit Kindern wären danach zum Ledigentarif
besteuert worden. Die Frage der Gleichstellung der Einelternfamilien (bzw.
von allein stehenden Personen, die mit unterstützungsbedürftigen Personen
zusammenleben) mit den Ehegatten sei erstmals im Nationalrat bei der
Beratung über die direkte Bundesteuer erörtert worden. Dort sei der Antrag
eingebracht worden, den "Ehegattentarif" gemäss Art. 36 Abs. 2 E-DBG auch
auf "verwitwete, getrennt lebende, geschiedene und ledige Steuerpflichtige,
die mit Kindern oder unterstützungsbedürftigen Personen zusammenleben",
anzuwenden (AB 1988 N 20). Dabei sei es eindeutig um eine tarifliche
Gleichstellung und nicht bloss um eine "vergleichbare Ermässigung" für
Einelternfamilien gegangen. Bei der Beratung zu Art. 12 Abs. 2 (heute Art.
11 Abs. 1) StHG sei beantragt worden, die "gleiche Ermässigung" auch den
Einelternfamilien bzw. Halbfamilien zu gewähren (AB 1989 N 41). Die
Meinungen seien geteilt gewesen, ob die gleiche Ermässigung Tarifgleichheit
oder lediglich eine vergleichbare Ermässigung (allégement analogue) bedeute.
Der Antrag sei vom Nationalrat praktisch einstimmig angenommen worden. Und
auch der Ständerat

habe sich mit einem schwachem Mehr für die Vorschrift ausgesprochen
(zitiertes Urteil, E. 5.1 ff. mit Hinweisen).

  Unter diesen Umständen müsse davon ausgegangen werden, dass eine Mehrheit
des Parlaments auch für Art. 11 Abs. 1 StHG eine exakt gleiche tarifliche
Behandlung der Eineltern- und Zweielternfamilien befürwortet habe. Sowohl im
National- wie auch im Ständerat sei den Ratsmitgliedern hinreichend bewusst
gewesen, dass die Befürworterseite eine tarifliche, nicht bloss eine
"entsprechende" oder "gleichwertige" Ermässigung für Einelternfamilien
postuliert hätten.

  In beiden Räten sei insbesondere auch klar gewesen, dass Art. 11 Abs. 1
Satz 2 StHG in die Tarifautonomie der Kantone eingreife. Dieses Resultat sei
indessen von der Parlamentsmehrheit gewollt. Es sei daher durch die
rechtsanwendenden Organe zu akzeptieren (zitiertes Urteil, E. 5.4).

Erwägung 5

  5.  Damit ist jedoch die Frage noch nicht beantwortet, ob Art. 11 Abs. 1
Satz 2 StHG die "gleiche" Ermässigung auch für Konkubinatspaare (mit Kind)
vorschreibt. In BGE 131 II 697 ging es um eine allein erziehende Mutter, die
mit ihrem Kind allein lebt. Im vorliegenden Fall lebt die Beschwerdegegnerin
zusammen mit ihrer Tochter und einem neuen Partner. Die Frage ist daher zu
entscheiden.

  5.1  Art. 11 Abs. 1 StHG regelt zwei Tatbestände: Erstens bestimmt er,
dass verheiratete Personen gegenüber den allein stehenden Steuerpflichtigen
angemessen zu entlasten seien. Das gilt für Ehepaare mit Kindern erst recht,
auch wenn dies nicht ausdrücklich erwähnt wird (Satz 1). Zweitens
verpflichtet er die Kantone, für die allein stehenden Personen, die mit
unterstützungsbedürftigen Personen und insbesondere Kindern zusammenleben,
die Steuer in gleicher Weise zu ermässigen (Satz 2). Das Gesetz erwähnt
somit zwei Gruppen von Steuerpflichtigen, für welche der kantonale
Gesetzgeber die Steuer angemessen zu ermässigen hat.

  Sodann enthält Art. 11 Abs. 1 Satz 2 eine Definition, indem er den Begriff
der Einelternfamilie bzw. Halbfamilie ähnlich wie im Recht der direkten
Bundessteuer (Art. 36 Abs. 2 DBG) umschreibt. Die vom Gesetzgeber gewählte
Aufzählung "verwitwete, getrennt lebende, geschiedene und ledige
Steuerpflichtige, die mit Kindern oder unterstützungsbedürftigen Personen
zusammenleben und deren Unterhalt zur Hauptsache bestreiten", sagt indessen
über die

Haushaltsverhältnisse nichts aus. Art. 11 Abs. 1 Satz 2 StHG enthält - wie
auch Art. 36 Abs. 2 DBG - dem Wortlaut nach keine Einschränkung für
Konkubinatspaare.

  5.2  Auch aus den Materialien folgt keine derartige Beschränkung. Schon
dem Parlament war bewusst, dass namentlich ledige und verwitwete Personen
auch in Haushaltsgemeinschaft mit anderen Personen zusammen leben können,
und sich die Frage stellt, ob in solchen Fällen der Verheiratetentarif
ebenfalls greifen muss. So führte Nationalrat Fischer-Sursee bei der
Beratung zu Art. 36 Abs. 2 E-DBG aus (AB 1988 N 18):

   "Möglicherweise wird der Einwand erhoben, dass man damit allenfalls auch
    die Konkubinatspaare begünstige, wenn sie Kinder haben. Dazu ist zu
    bemerken, dass bei den Konkubinatspaaren grundsätzlich die getrennte
    Besteuerung erfolgt und dass nur ein Partner - in der Regel die Mutter -
    den Ehegattentarif beanspruchen kann. Zudem ist zu beachten, dass ja
    nicht das Konkubinatsverhältnis Anrecht auf den Verheiratetentarif gibt
    und diesen Anspruch auslöst, sondern das Kind, das vorhanden ist. Wenn
    wir das beachten, ist es aus sozialen Gründen gerechtfertigt, dass wir
    für alle genannten Personen den Verheiratetentarif anwenden."

  Der Ständerat liess sich von der neuen Fassung des Art. 36 Abs. 2 DBG
nicht völlig überzeugen. Bedenken löste namentlich der Gedanke aus, dass
auch Konkubinatspaare von der günstigen Besteuerung profitieren würden, und
die Ungleichbehandlung zwischen Ehepaaren und Konkubinatspaaren mit Kindern
noch zunehmen würde (vgl. Votum Ducret, AB 1988 S 824). Der Ständerat sprach
sich in der Folge knapp (mit Stichentscheid des Präsidenten) gegen die neue
Lösung und für den Vorschlag des Bundesrates aus.

  Bei der Beratung vom 31. Januar 1989 fügte der Nationalrat indessen auch
im Steuerharmonisierungsgesetz den Satz 2 in Art. 12 Abs. 2 (heute Art. 11
Abs. 1) StHG ein (AB 1989 N 45). Zudem hielt er bei der zweiten Lesung des
Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer am neuen Art. 36 Abs. 2 DBG
fest (AB 1989 N 736). Der Kommissionssprecher Reichling führte dazu im
Nationalrat aus (AB 1989 N 735):

   "Bei Ledigen und Konkubinatspaaren mag der Ehepaartarif als stossend
    empfunden werden, bei verwitweten Müttern oder Vätern mag die
    Zurückstufung zum Ledigentarif als stossend empfunden werden. Von der
    Belastung her ist die Einordnung bei den Verheirateten richtiger. Diese
    Meinung hat auch im Ständerat Gehör gefunden: die Zustimmung zum
    Vorschlag des Bundesrates kam nur mit Stichentscheid des
    Ständeratspräsidenten zustande."

  Aus der Entstehungsgeschichte der Norm erhellt, dass Art. 36 Abs. 2 DBG
und Art. 11 Abs. 1 StHG von den Räten koordiniert und nicht völlig losgelöst
voneinander beraten wurden. Aufgrund der Ratsdebatte wollte das Parlament
der Norm des Steuerharmonisierungsgesetzes offensichtlich den gleichen
Gehalt beilegen wie der entsprechenden Bestimmung im Bundesgesetz über die
direkte Bundessteuer. Zudem nahm es bewusst in Kauf, dass Konkubinatspaare
gegenüber Ehepaaren weiterhin begünstigt würden.

  Auch der Bundesrat hat in der Botschaft vom 28. Februar 2001 zum
Steuerpaket 2001 bei der Darstellung der Ausgangslage bei der
Familienbesteuerung Art. 11 StHG dahingehend interpretiert, dass die
Bestimmung "auch auf Konkubinatsverhältnisse Anwendung (findet), allerdings
nur bei demjenigen Konkubinatspartner, dem die elterliche Sorge zusteht"
(BBl 2001 S. 2998).

  5.3  Im Recht der direkten Bundessteuer ist in der Doktrin unbestritten,
dass Art. 36 Abs. 2 DBG auf Konkubinatsverhältnisse anwendbar ist und dass
im Konkubinatshaushalt derjenige Elternteil Anspruch auf die Anwendung des
Verheiratetentarifs erheben kann, der den Unterhalt des Kindes zur
Hauptsache bestreitet (AGNER/ DIGERONIMO/NEUHAUS/STEINMANN, Kommentar zum
Gesetz über die direkte Bundessteuer, Ergänzungsband, Zürich 2000, N. 1a zu
Art. 36 Abs. 2 DBG; BAUMGARTNER, a.a.O., N. 36 zu Art. 36 DBG; LOCHER,
a.a.O., N. 19 ff. zu Art. 36 DBG; RICHNER/FREI/KAUFMAN, Kommentar zum DBG,
Zürich 2003, N. 32 zu Art. 214 DBG). Auch das Bundesgericht schloss sich
dieser Auffassung an (Urteil 2A.566/1997 vom 12. Januar 1999, ASA 69 S. 198,
E. 3).

  5.4  Diese Auslegung von Art. 36 Abs. 2 DBG ist bei der Interpretation von
Art. 11 Abs. 1 StHG zu beachten. Für eine verfassungskonforme Auslegung,
welche den Kantonen die Tarifhoheit für die Besteuerung von
Konkubinatspaaren beliesse, bleibt daher kein Raum. Vielmehr greift hier das
Anwendungsgebot von Art. 191 BV ein. Der angefochtene Entscheid, der diesen
Überlegungen Rechnung trägt und welcher der kantonalen Norm, die dem Art. 11
Abs. 1 Satz 2 StHG widerspricht, die Anwendung versagt, ist nicht zu
beanstanden. Die Beschwerde des kantonalen Steueramtes erweist sich daher
als unbegründet.