Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 253



131 II 253

21. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. SRG
SSR idée suisse Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft gegen
X. und Mitb. sowie Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.528/2004 vom 14. Februar 2005

Regeste

    Art. 93 Abs. 2 BV, Art. 4 RTVG; Programmrechtskonformität
eines Filmberichts mit anschliessendem Studiogespräch zum Thema
"Rentenmissbrauch" ("Rundschau" vom 17. Dezember 2003).

    Beschwerdebefugnis der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft
gegen Entscheide der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen
(E. 1.1); Stellung des Popularbeschwerdeführers im bundesgerichtlichen
Verfahren (E. 1.2).

    Zusammenfassung der Rechtsprechung zu den programmrechtlichen
Anforderungen an eine Sendung (E. 2).

    Der umstrittene Filmbeitrag zum Thema Rentenmissbrauch durch Ausländer
war provokativ und in einzelnen Passagen qualitativ fragwürdig; bei einer
Gesamtwürdigung verletzte er indessen mit Blick auf das relativierende
Studiogespräch keine Programmbestimmungen (E. 3).

Sachverhalt

    Das Schweizer Fernsehen DRS strahlte am 17. Dezember 2003 im Rahmen des
Informationsmagazins "Rundschau" einen Beitrag zum Thema "Rentenmissbrauch"
und ein anschliessendes Studiogespräch zur Problematik mit Nationalrat
Rudolf Rechsteiner (SP/BS) aus. Der Filmbeitrag wurde mit der Bemerkung
eingeleitet, immer mehr Menschen bezögen in der Schweiz eine IV-Rente;
die "Rundschau" habe vor einiger Zeit hierüber berichtet. Das grosse Echo
habe einige Ärzte dazu bewogen, vor der Kamera über ein "heisses Eisen"
zu sprechen. Der Missbrauch der IV-Rente sei "tatsächlich grösser als
vermutet - und der Anteil der Ausländer überdurchschnittlich". Der Bericht
versuchte in der Folge, dies anhand verschiedener Beispiele zu belegen:
Gezeigt wurden (1) der 21-jährige Türke Gökham, der an Liebeskummer leide
und eine IV-Rente erhalten wolle, (2) der Marokkaner Abdeltif, der keine
IV beziehe, aber von der Sozialhilfe unterstützt werde und 27 Personen
vor allem aus dem Balkan kenne, welche eine IV-Rente bezögen, sowie (3)
dessen Schwager Mohammed, der eine IV-Rente erhalte, aber nach einem
Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Basel arbeitsfähig
sei, es jedoch ablehne, eine Stelle anzutreten oder in einer geschützten
Werkstatt zu arbeiten. Zudem kamen Beatrice Breitenmoser, damalige
Vizedirektorin des Bundesamts für Sozialversicherung, verschiedene Ärzte,
die jeweils über ihre Erfahrungen mit ausländischen Patienten berichteten,
sowie der Präsident des Ärzteverbandes FMH zu Wort. Im anschliessenden
Studio-Gespräch befragte Moderator Reto Brennwald Nationalrat Rudolf
Rechsteiner auf dem "Rundschau-Stuhl" zu den Missbräuchen bei der IV,
den Gründen für die markante Zunahme von IV-Renten und zur Rolle der
Politiker bei der Sanierung dieser Sozialversicherung.

    X. sowie 21 weitere Personen gelangten im Rahmen einer
Popularbeschwerde hiergegen an die Unabhängige Beschwerdeinstanz für
Radio und Fernsehen (im Weiteren auch: Beschwerdeinstanz oder UBI). Diese
stellte am 14. Mai 2004 fest, dass der am 17. Dezember 2003 in der
Sendung "Rundschau" von Schweizer Fernsehen DRS ausgestrahlte Beitrag
"Rentenmissbrauch" die Programmbestimmungen verletzt habe. Indem die
"Rundschau" nur in unzureichender Weise zwischen (nicht begründeten)
Rentenbegehren und (nicht gerechtfertigten) Rentenbezügen unterschieden,
dem Publikum wesentliche Fakten nicht vermittelt (Verfahren und
Zuständigkeiten bei der Zusprechung einer IV-Rente) und die subjektiven
Erfahrungsberichte nicht ausreichend hinterfragt habe, seien die
journalistischen Sorgfaltspflichten (Transparenzgebot, Sachkenntnis,
zumutbare Recherchen) verletzt worden.

    Das Bundesgericht heisst die von der Schweizerischen Radio- und
Fernsehgesellschaft (SRG SSR idée suisse) hiergegen eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut und stellt fest, dass der
Beitrag "Rentenmissbrauch" (Filmbericht mit Studiogespräch) die
Programmbestimmungen nicht verletzt hat.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.

    1.1  Der Entscheid der Unabhängigen Beschwerdeinstanz für Radio und
Fernsehen über die rundfunkrechtliche Konformität einer Sendung kann
mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Bundesgericht angefochten werden
(Art. 65 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und
Fernsehen [RTVG; SR 784.40]; BGE 130 II 514 E. 1 ["Medien-Forum"]). Die SRG
als Veranstalterin der umstrittenen Sendung wird durch die Feststellung,
Programmbestimmungen verletzt zu haben und den Sorgfaltspflichten nicht
nachgekommen zu sein, in ihrer Programmautonomie (vgl. Art. 17 und 93
Abs. 3 BV) und damit in schutzwürdigen eigenen Interessen betroffen,
weshalb sie zur Beschwerde legitimiert ist (Art. 103 lit. a OG; Urteil
2A.286/1999 vom 13. Januar 2000, E. 2b/aa nicht publ. in BGE 126 II 7
ff. ["ACS/TCS"]; Urteil 2A.12/2000 vom 21. November 2000 ["L'honneur perdu
de la Suisse II"], E. 2b/aa). Auf ihre frist- und formgerecht eingereichte
Eingabe ist einzutreten.

    1.2  Keine Parteistellung kommt im vorliegenden Verfahren den
ursprünglichen Popularbeschwerdeführern zu (vgl. das Urteil 2A.197/ 2001
vom 5. Juli 2001 ["Il Regionale"], E. 5b): Als solche wären sie nicht
legitimiert gewesen, gegen einen negativen Entscheid der Beschwerdeinstanz
an das Bundesgericht zu gelangen (vgl. BGE 130 II 514 E. 1 und 2.2.1
["Medien-Forum"]). Da die Beschwerdeführerin jedoch die Aufhebung
eines gestützt auf ihre Eingabe an die UBI ergangenen gutheissenden
Entscheids verlangt, ist die Vernehmlassung der Popularbeschwerdeführer
als Stellungnahme weiterer Beteiligter im Sinne von Art. 110 Abs. 1 OG
entgegenzunehmen (Urteil 2A.286/1999 vom 13. Januar 2000, E. 2c nicht publ.
in BGE 126 II 7 ff. ["ACS/TCS"]; Urteil 2A.50/1998 vom 1. Dezember 1998
["L'honneur perdu de la Suisse I"], E. 3).

Erwägung 2

    2.

    2.1  Nach Art. 4 RTVG sind (in Konkretisierung von Art. 93 Abs. 2 BV)
Ereignisse "sachgerecht" darzustellen; die Vielfalt der Ereignisse und
Ansichten muss angemessen zum Ausdruck kommen (Abs. 1); Ansichten und
Kommentare haben als solche erkennbar zu sein (Abs. 2). Das aus diesen
Programmanforderungen abgeleitete Gebot der Objektivität verlangt, dass
der Hörer oder Zuschauer durch die vermittelten Fakten und Auffassungen in
die Lage versetzt wird, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das Prinzip
der Wahrhaftigkeit verpflichtet den Veranstalter, Fakten objektiv
wiederzugeben; bei umstrittenen Sachaussagen ist der Zuschauer so zu
informieren, dass er sich darüber selber ein Bild machen kann (BGE 119 Ib
166 E. 3a S. 170 ["VPM"]; 116 Ib 37 E. 5a S. 44 ["Grell-Pastell"]). Das
Gebot der Sachgerechtigkeit verlangt nicht, dass alle Standpunkte
qualitativ und quantitativ genau gleichwertig dargestellt werden
(vgl. zu Wahlsendungen: BGE 125 II 497 ff. ["Tamborini"]); entscheidend
ist, dass der Zuschauer erkennen kann, dass und inwiefern eine Aussage
umstritten ist (Urteile 2A.32/2000 vom 12. September 2000 ["Vermietungen
im Milieu"], E. 2b/cc, und 2A.437/1996 vom 3. Februar 1997 ["Die Kinder von
Magnitogorsk"], E. 2b/cc). Ein allgemeines Problem kann in diesem Rahmen -
bei geeigneter Einbettung - auch anhand von Beispielen illustriert werden
(Urteil 2A.32/2000 vom 12. September 2000 ["Vermietungen im Milieu"],
E. 2c; vgl. auch das Urteil des EGMR i.S. Selistö gegen Finnland vom
16. November 2004 [56767/00], Rz. 52 und 68: "It is natural in journalism
that an individual case is chosen to illustrate a wider issue").

    2.2  Die gesetzlichen Programmbestimmungen schliessen weder
Stellungnahmen und Kritiken von Programmschaffenden noch den
"anwaltschaftlichen Journalismus" aus, bei dem sich der Medienschaffende
zum Vertreter einer bestimmten These macht; auch in diesem Fall muss aber
die Transparenz im dargelegten Sinn gewahrt bleiben (BGE 121 II 29 E. 3b
S. 34 ["Mansour - Tod auf dem Schulhof"]). Der Beitrag darf insgesamt
nicht manipulativ wirken. Als Manipulation gilt eine in Verletzung der
im Einzelfall gebotenen journalistischen Sorgfaltspflichten erfolgte,
unsachgemässe Information des Publikums (vgl. BGE 114 Ib 204 E. 3d
S. 208 ["Nessim Gaon"]; FRANZ ZELLER, Öffentliches Medienrecht, Bern
2004, S. 255 ff.; STUDER/MAYR VON BALDEGG, Medienrecht für die Praxis,
Zürich 2000, S. 156 ff.; DENIS BARRELET, Droit de la communication,
Bern 1998, Rz. 774 ff.). Dabei ist - entgegen den Einwendungen der
Beschwerdeführerin - praxisgemäss auch der nichtverbalen Gestaltung des
Beitrags (Kameraführung, Tonfall usw.) Rechnung zu tragen (vgl. Urteil
2A.32/2000 vom 12. September 2000 ["Vermietungen im Milieu"], E. 2a;
BGE 121 II 29 E. 3c S. 35 ff. ["Mansour - Tod auf dem Schulhof"]). Der
Umfang der erforderlichen Sorgfalt hängt im Einzelfall von den Umständen,
dem Charakter und den Eigenheiten des Sendegefässes sowie dem Vorwissen
des Publikums ab (BGE 122 II 471 E. 4 ["Schwermetall II"]; 121 II 359
E. 3 und E. 4c ["Adrian Gasser"], 29 E. 3a S. 33 f. ["Mansour - Tod auf
dem Schulhof"]; 114 Ib 204 E. 3d S. 208 ["Nessim Gaon"]). Je heikler
ein Thema ist, umso höhere Anforderungen sind an seine publizistische
Umsetzung zu stellen (BGE 121 II 29 E. 3b S. 34 ["Mansour - Tod auf dem
Schulhof"]). Welche gestalterischen Mittel wie eingesetzt werden, ist nur
so lange Sache des Veranstalters, als er dem Gebot der "Sachgerechtigkeit"
nachkommt. Art. 5 Abs. 1 RTVG, der die Programmautonomie garantiert, gilt
lediglich im Rahmen der allgemeinen Informationsgrundsätze von Art. 4
RTVG bzw. von Art. 93 Abs. 2 BV.

    2.3  Der Programmautonomie ist bei der Beurteilung der einzelnen
Sendung insofern Rechnung zu tragen, als sich ein staatliches Eingreifen
nicht bereits dann rechtfertigt, wenn ein Beitrag allenfalls nicht in
jeder Hinsicht voll zu befriedigen vermag, sondern nur, falls er auch bei
einer Gesamtwürdigung (vgl. BGE 114 Ib 204 E. 3a S. 207 ["Nessim Gaon"])
die programmrechtlichen Mindestanforderungen von Art. 4 RTVG verletzt
(BGE 121 II 359 E. 3 S. 363 f. ["Adrian Gasser"]). Die Erfordernisse der
Sachgerechtigkeit und Ausgewogenheit als Kriterien der Objektivität
dürfen nicht derart streng gehandhabt werden, dass Freiheit und
Spontaneität verloren gehen. Die in Art. 17 Abs. 1 und Art. 93 Abs. 3
BV garantierte Autonomie der Medienschaffenden ist zu wahren; der ihnen
bei der Programmgestaltung zustehende Spielraum verbietet es, bereits
einzugreifen, wenn eine Sendung nicht in jeder Hinsicht überzeugt (BGE 121
II 359 E. 4f S. 367 ["Adrian Gasser"]; 119 Ib 166 E. 4e S. 174 ["VPM"]).

Erwägung 3

    3.  Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beurteilung des
angefochtenen Beitrags durch die UBI als zu streng:

    3.1  Der umstrittene Bericht wurde im Rahmen des politischen
Informationsmagazins "Rundschau" ausgestrahlt. Der angebliche
"Rentenmissbrauch" bildete, nachdem die Schweizerische Volkspartei (SVP)
das Schlagwort der "Scheininvaliden" geprägt hatte, im Sommer und während
des Wahlkampfs des Herbsts 2003 eine in den verschiedenen Medien engagiert
und kontrovers diskutierte Problematik (vgl. etwa Tages-Anzeiger vom
13. Juni und 14. Juni 2003: "Blocher will gegen 'Scheininvalide' vorgehen";
"Kritiker kontern Blochers Angriff auf Invalide"; NZZ vom 21. Juni 2003:
"IV - zu ernst für ein Wahlkampfgefecht"). Beim Zuschauer durfte im
Dezember 2003 dementsprechend ein gewisses Vorwissen vorausgesetzt
werden (vgl. BGE 121 II 359 E. 4c S. 365 ["Adrian Gasser"]) - dies auch
hinsichtlich des Funktionierens der Invalidenversicherung. Durch den
Hinweis auf die 4. IV-Revision und die in diesem Rahmen zur Verbesserung
des medizinischen Abklärungssystems geschaffenen regionalen ärztlichen
Dienste wurde für den Zuschauer ersichtlich, dass über IV-Gesuche
kantonal entschieden wird und eine gewisse Vereinheitlichung des
Beurteilungsmassstabs angestrebt ist. Dass der Beitrag vor allem
auf Aussagen von Ärzten beruhte, ist nicht zu beanstanden, nachdem
diesen im IV-Verfahren eine entscheidende Rolle zukommt (vgl. BEATRICE
BREITENMOSER et al., "Eingliederung vor Rente" - realisierbares Ziel oder
bloss wohltönender Slogan?, Warum nimmt die Zahl der IV-Rentenbezügerinnen
und -bezüger zu?, in: Soziale Sicherheit 6/1999 S. 288 ff., dort S. 290;
R. CONNE, Arbeitsfähigkeit und Invalidenversicherung, in: Schweizerische
Ärztezeitung 2003 S. 2361 ff., dort S. 2363). Zudem wurden auch Vertreter
der IV-Institutionen selber befragt, so die damalige Vizedirektorin des
Bundesamts für Sozialversicherung (Beatrice Breitenmoser), welches die
Aufsicht über die kantonalen IV-Stellen ausübt, sowie ein Oberarzt der
Medizinischen Abklärungsstelle (MEDAS) Basel. Auf die Frage, was die IV
unternehme, um die Rentenflut in den Griff zu bekommen, führte Beatrice
Breitenmoser aus, dass es verschiedene Faktoren gebe, welche die IV
nicht beeinflussen könne, so etwa die Ärztedichte, die dazu führe, dass
es schneller zu Konsultationen und in deren Folge zu Anmeldungen bei den
IV-Stellen komme. Die IV könne aber ihr Abklärungssystem verbessern; die
(neuen) regionalen ärztlichen Dienste verstärkten in diesem Zusammenhang
das medizinische Know-how und förderten den Kontakt zur behandelnden
Ärzteschaft. Hieraus ergab sich für das Publikum die Bedeutung, welche
den Ärzten zukommt; gleichzeitig wurde damit, wenn auch nur summarisch,
das Funktionieren der IV verdeutlicht ("Aamäldig bin ere IV-Schtell") und
indirekt ein gewisses Defizit bei den ärztlichen Abklärungen eingeräumt
("... zum s'ärztliche know-how vo dr IV wirklich z'schterke").

    3.2  Die Gründe für die Zunahme der IV-Leistungen sind umstritten
(BREITENMOSER et al., aaO, S. 288: "... geben Anlass zu Spekulationen").
Der Filmbeitrag vertrat die These, dies sei stärker als bisher
vermutet auf einen "Rentenmissbrauch" insbesondere von (gewissen)
Ausländergruppen zurückzuführen. Dabei konnte er sich unter anderem auf
die Erklärung des Präsidenten des Ärzteverbandes FMH stützen, wonach
es Leute gebe, die mit der gezielten Absicht in die Schweiz kämen,
das hiesige System auszubeuten. Anhand konkreter Beispiele sollte
dies illustriert werden. Der Filmbericht war zwar - für sich selber
betrachtet - provokativ und spielte mit den Emotionen des Zuschauers,
doch ist seine programmrechtliche Zulässigkeit im Gesamtzusammenhang,
d.h. unter Einbezug des anschliessenden Studiogesprächs, zu würdigen
und nicht allein aufgrund der etwas reisserisch formulierten Einleitung;
Filmbericht und Diskussion bildeten erkennbar eine thematische Einheit. Das
Gespräch relativierte den Filmbeitrag deutlich und brach ihm weitgehend
die Spitze: Die filmische Einführung diente als These (auch) dazu, in
der dem regelmässigen "Rundschau"-Zuschauer bekannten Art und Weise dem
Studiogast "auf den Zahn" zu fühlen. Nationalrat Rechsteiner (SP/BS)
als Mitglied der Sozialkommission der grossen Kammer stellte die im
Filmbeitrag provokativ dargestellten Einzelfälle dabei in einen grösseren
Zusammenhang. Er unterstrich wiederholt, dass entgegen der im Filmbeitrag
und vom Befrager vertretenen Auffassung, nicht der "Rentenmissbrauch"
durch Ausländer, sondern in erster Linie "arbeitsmarktliche" (kein
Platz mehr in der Arbeitswelt für Arbeitnehmer, welche nicht mehr
die volle Leistung erbringen könnten) und "finanzmechanische Gründe"
(Abschieben von nicht vermittelbaren Arbeitnehmern von der Fürsorge zur
IV als "letztes Netz") für die Zunahme der IV-Leistungen entscheidend
seien. Die gezeigten Beispiele seien "aufs Ganze gesehen untypisch" und
unter dem Begriff "Exoten" einzureihen. Auf das Insistieren des Befragers
hin lud er das Fernsehen ein, nicht nur die gezeigten missbräuchlichen
Situationen, sondern auch die viel grössere Zahl der "normalen" Fälle
zu dokumentieren. Hierdurch setzte er zum einseitigen, als These den
angeblichen Rentenmissbrauch durch Ausländer in den Vordergrund stellenden
Filmbeitrag einen Gegenpunkt; dieser erlaubte es dem Zuschauer, sich
gesamthaft ein eigenes Bild zu machen. Sendungen dürfen dramaturgisch
packend umgesetzt sein und eine "emotionale Dimension" aufweisen (BGE 121
II 29 E. 3b S. 34 ["Mansour - Tod auf dem Schulhof"]); auch verbietet
die journalistische Unvoreingenommenheit nicht, gewisse Hypothesen zu
formulieren, solange der Zuschauer befähigt bleibt, sich aufgrund des
Gezeigten eine eigene Meinung zu bilden (BGE 121 II 29 E. 3c/bb S. 36
["Mansour - Tod auf dem Schulhof"]; 119 Ib 166 E. 3b S. 171 ["VPM"]).
Dies war hier gestützt auf die "Aufarbeitung" des Beitrags und der darin
vertretenen Auffassung im anschliessenden Studiogespräch der Fall.

    3.3  Bereits der umstrittene Bericht selber enthielt im Übrigen
gewisse relativierende und erklärende Elemente:

    3.3.1  These des Filmbeitrags bildete die Annahme, dass der
Missbrauch der IV-Renten "tatsächlich grösser" sei als vermutet -
"und der Anteil der Ausländer überdurchschnittlich". Zwar wurde in
der Folge nicht klar zwischen (nicht begründeten) Rentenbegehren und
(nicht gerechtfertigten) Rentenbezügen unterschieden, doch war dies
für den minimal aufmerksamen Zuschauer erkennbar: Zur Einleitung im
Off-Kommentar, wonach Ausländer viele Rentenbegehren zu Unrecht stellten,
erklärte der Präsident des Ärzteverbandes FMH, dass die entsprechende
Quote bei 20 %, wahrscheinlich aber höher liegen dürfte. Die hieraus
gezogene Schlussfolgerung des Befragers, dies entspreche der Zahl jener
Ausländer, die missbräuchlich eine IV-Rente "bezögen", war offensichtlich
falsch, was sich aus der Fragestellung und der entsprechenden Antwort
ergab. Nationalrat Rechsteiner stellte im anschliessenden Studiogespräch
den Denkfehler - als Schwachpunkt der vom Fernsehen vertretenen These -
denn auch ausdrücklich mit der Feststellung richtig, das es sich hierbei
um die heutige Rückweisungsquote handle, d.h. die Zahl jener Fälle,
in denen es die IV abgelehnt hat, Leistungen zu erbringen.

    3.3.2  Der beanstandete Filmbeitrag wies im Weiteren darauf hin, dass
es keine offiziellen Zahlen zum IV-Missbrauch gebe; "IV-Chefin" Beatrice
Breitenmoser bestätige jedoch: "35 % aller IV-Bezüger seien Ausländer"
- deutlich mehr, als dies dem Anteil der ausländischen Wohnbevölkerung
entspreche. Zwar war die Nennung dieser Zahl unmittelbar nach dem
unzutreffenden Schluss, dass die vom Präsidenten des Ärzteverbands
genannten 20 % sich auf jene Ausländer bezögen, die missbräuchlich eine
Rente erhielten, unglücklich und tendenziös, doch konnte der Zuschauer
erkennen, dass es dabei um die IV-Leistungen als solche und nicht mehr
um die Gesuche ging. Vor allem aber wurde die damit verbundene implizite
Unterstellung, die Zahl belege, dass mehr Ausländer (missbräuchlich) eine
Rente bezögen, durch das anschliessende Statement der Vizedirektorin des
Bundesamts für Sozialversicherung relativiert, worin diese erklärte, warum
der Anteil ausländischer Bezüger von IV-Leistungen höher sei, als dies dem
Anteil der Ausländer an der Wohnbevölkerung entspreche: Die ausländische
Wohnbevölkerung sei häufiger erwerbstätig als die schweizerische, weshalb
bei gesundheitlichen Problemen schneller an die IV gelangt werde, da das
Erwerbseinkommen dahinfalle; zudem arbeite die ausländische Wohnbevölkerung
im Vergleich zur schweizerischen in Berufsbranchen, in denen es eher zu
Rücken- und Knieproblemen komme.

    Die UBI kritisiert, die befragte "IV-Chefin" habe damit implizit
dargelegt, "dass der im Off-Kommentar gemachte Vergleich ohne weitergehende
Analyse nicht dazu" tauge, "um einen erhöhten Missbrauch der IV-Rente durch
ausländische Staatsangehörige zu belegen"; inwiefern hierin eine Verletzung
der rundfunkrechtlich gebotenen journalistischen Sorgfaltspflichten liegen
könnte, ist indessen nicht ersichtlich: Wird aus einem Beitrag selber für
den Zuschauer deutlich, dass die vom Journalisten verwendeten Zahlen nicht
geeignet sind, die von ihm vertretene These zu stützen, ist die geforderte
Transparenz gewahrt, auch wenn das entsprechende Vorgehen ein zweifelhaftes
Licht auf die Seriosität seiner journalistischen Arbeit werfen mag. Der
Zuschauer erhält ein Element in die Hand, das ihm erlaubt, sich über die
vom Journalisten suggerierte Meinung ein eigenes Bild zu machen und sie
zu relativieren (vgl. BGE 121 II 29 E. 3c/bb S. 36 ["Mansour - Tod auf dem
Schulhof"]). Dies gilt umso mehr, wenn die entsprechende Argumentation -
wie hier - im anschliessenden Studiogespräch durch einen (weiteren) Kenner
der Materie (Nationalrat Rechsteiner) im gleichen Sinn aufgenommen und
ergänzt wird ("Drecksarbeiten", welche vor allem von Ausländern besorgt
werden; Doppelbelastung; ungenügende Erholungszeit; vorrangig körperliche
und weniger psychische Beeinträchtigungen bei Ausländern usw.).

    3.3.3  Soweit die UBI im Zusammenhang mit dem Fall Gökham kritisiert,
dieser sei nicht geeignet gewesen, einen "Rentenmissbrauch" zu belegen,
da Gökham gar keine IV-Rente beziehe, sondern erst ein entsprechendes
(chancenloses) Gesuch stellen wolle, verkennt sie, dass dies für den
Zuschauer wiederum erkennbar war: Auf die Frage, was der Arzt dazu sage,
dass er nicht mehr arbeiten könne und eine Rente wolle, erwiderte Gökham,
dass er ihn hierfür als zu jung erachte, worauf der Kommentator festhielt:
"Psychotherapeut [H.] behandelt Gökham wegen seiner Depression. Die
medizinischen Folgen seiner Schussverletzung klären zurzeit andere Ärzte
ab. Der Psychotherapeut hätte Bedenken, falls Gökham eine IV-Rente
bekäme." Damit war für das Publikum klar, dass Gökham tatsächlich
keine Rente bezieht, gestützt auf die behaupteten psychischen Probleme
(Liebeskummer) - wie auch die UBI angenommen hat - kaum eine solche
wird erwirken können und es deshalb in erster Linie darum ging, seine
Einstellung zu einer Berentung aufzuzeigen (Rentenbegehrlichkeit).

    3.3.4  Wenn sich die Unabhängige Beschwerdeinstanz daran stösst, dass
verschiedene Details der einzelnen Portraits nicht weiter vertieft worden
sind - etwa die Frage, ob der Marokkaner Mohammed weiterhin die volle
IV-Rente erhalten wird, obwohl er die ihm angebotene Stelle auch anonym
vor der Kamera ausgeschlagen hat -, stellt sie an die journalistischen
Pflichten zu hohe Anforderungen: Zwar wären solche Informationen im
Hinblick auf das Funktionieren der Kontrollmechanismen der IV allenfalls
interessant gewesen, Gegenstand des Beitrags bildeten jedoch nicht die
Schicksale der einzelnen gezeigten Personen als solche, sondern der -
durch das anschliessende Studiogespräch für den Zuschauer erkennbar
relativierte - Versuch der "Rundschau"-Redaktion, provokativ die Probleme
der IV darauf zurückzuführen, dass der Rentenmissbrauch durch Ausländer
höher sei als bisher angenommen.

    3.3.5  Der Beitrag stellte für die angebliche "Rentenbegehrlichkeit"
gewisser Ausländer bzw. Ausländergruppen in erster Linie auf die
Aussagen zweier Ärzte ab. Dabei handelte es sich zwar - was die
UBI beanstandet - teilweise um Informationen aus zweiter Hand und
"subjektive Erfahrungsberichte", doch verletzen solche die journalistische
Sorgfaltspflicht nicht, wenn - wie hier - ein Thema zur Diskussion
steht, bei dem die direkt Betroffenen aus nahe liegenden Gründen kaum
bereit sind, selber vor der Kamera Auskunft zu geben, eine spezifische
Geheimhaltungspflicht (Arztgeheimnis) zu beachten ist und sich zudem die
Aussagen mehrerer, grundsätzlich vertrauenswürdiger Quellen überschneiden
(vgl. BGE 114 Ib 204 E. 4c S. 212 ["Nessim Gaon"]). Die einzelnen
Stellungnahmen wurden durch den Präsidenten der Ärztegesellschaft in dem
Sinn generalisiert, dass andere Ärzte ähnliche Erfahrungen gemacht hätten.
Dass Ärzte bei der Ausarbeitung ihrer Gutachten einem gewissen Druck
seitens der Patienten ausgesetzt sind, ist nicht neu (vgl. etwa NZZ vom
21. Juni 2003: IV - zu ernst für ein Wahlkampfgefecht: "Hat es sich ein
Patient einmal in den Kopf gesetzt, dass er krank ist, nicht mehr arbeiten
könne und deshalb Anspruch auf eine IV-Rente habe, gerät der Arzt massiv
unter Druck") und kann auch einschlägigen Fachpublikationen entnommen
werden (BREITENMOSER et al., aaO, S. 290; CONNE, aaO, S. 2362). Der
Präsident der FMH erklärte diesbezüglich, dass ihm "etliche" Kolleginnen
und Kollegen bekannt seien, welche solche Erfahrungen gemacht hätten. Auf
die Nachfrage, ob sie, wie vom einem Arzt geschildert, auch bedroht worden
seien, bejahte er dies.

    3.4  Zusammengefasst ergibt sich damit, dass der angefochtene
(Film-)Bericht allenfalls anders und journalistisch besser hätte gestaltet
werden können, der Beitrag in seiner Gesamtheit (Film und Studiogespräch)
Art. 4 RTVG jedoch nicht verletzt hat. Die Programmaufsicht hat sich
auf eine Rechtskontrolle zu beschränken und darf keine Fachaufsicht
bilden (BGE 122 II 471 E. 5 S. 481 ["Schwermetall II"]; ZELLER, aaO,
S. 251 und 260 f.), auch wenn die entsprechenden Grenzen fliessend
sind. Eine rundfunkrechtlich relevante Sorgfaltspflichtverletzung
liegt nicht schon dann vor, wenn im Nachhinein und losgelöst von
jedem zeitlichen Druck festgestellt werden kann, dass ein Beitrag
anders und überzeugender hätte gestaltet werden können, sondern nur,
wenn die programmrechtlichen Mindestanforderungen verletzt sind. Ein
aufsichtsrechtliches Einschreiten rechtfertigt sich - auch im Hinblick
auf Art. 10 EMRK (vgl. Urteil des EGMR i.S. VgT gegen die Schweiz vom 28.
Juni 2001, Recueil CourEDH 2001-VI S. 271, Ziff. 68) - bloss, wenn der
(mündige) Zuschauer in Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflichten
manipuliert wird; er sich gestützt auf die gelieferten Informationen oder
deren Aufarbeitung kein eigenes sachgerechtes Bild mehr machen kann,
weil wesentliche Umstände verschwiegen (BGE 121 II 29 E. 3c/bb S. 36
["Mansour - Tod auf dem Schulhof"]) oder "Geschichten" durch das Fernsehen
"inszeniert" werden (BGE 122 II 471 E. 5a S. 482 ["Schwermetall II"];
vgl. auch das Urteil 2A.32/2000 vom 12. September 2000 ["Vermietungen
im Milieu"], E. 2c in fine). Andere, untergeordnete Unvollkommenheiten
fallen in die redaktionelle Verantwortung des Veranstalters und sind durch
dessen Programmautonomie gedeckt (Urteil 2A.113/1997 vom 6. Oktober 1997
["Meuterei auf dem Hauenstein"], E. 3b). Die vorliegende Beschwerde ist
deshalb gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben; es ist
festzustellen, dass dieser die Programmbestimmungen nicht verletzt hat
(vgl. das Urteil 2A.197/2001 vom 5. Juli 2001 ["Il Regionale"] sowie
das Dispositiv von BGE 116 Ib 37 ff. ["Grell-Pastell"]).