Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 235



131 II 235

19. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Ab- teilung i.S. X.
gegen Bundesamt für Justiz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    1A.4/2005 / 1A.288/2004 vom 28. Februar 2005

Regeste

    Art. 2 Ziff. 1, Art. 3 Ziff. 1, Art. 12 Ziff. 2 lit. b und Art. 14
Ziff. 1 EAUe; Art. 1 und 2 EÜBT; Art. 3 Abs. 1 IRSG; Art. 260ter
Ziff. 1 StGB. Auslieferungsersuchen von Serbien-Montenegro gegen einen
Verfolgten, dem vorgeworfen wird, er habe Nachfolgeorganisationen der
kosovo-albanischen Organisation UCK unterstützt, die terroristische
Anschläge verübt hätten (s. auch BGE 130 II 337 ff.).

    Sachverhaltsdarstellung des Ersuchens und weitere Abklärungen
der eidgenössischen Behörden (E. 2.10 und 2.11). Begriff der
terroristischen Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB.
Auslieferungsvoraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit bejaht (E.
2.12-2.14). Einrede des "politischen" Deliktes im Auslieferungsrecht.
Abgrenzung zwischen mutmasslichen Terroristen bzw. bewaffneten politischen
Widerstandskämpfern und Bürgerkriegsparteien. Einrede der politischen
Verfolgung abgewiesen (E. 3.1-3.5).

Sachverhalt

    Die Strafjustiz von Serbien und Montenegro ermittelt gegen X. und
Mitangeschuldigte wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation
und weiteren Straftaten. Mit Entscheid vom 7. April 2004 bewilligte das
Bundesamt für Justiz (BJ) die Auslieferung des Verfolgten an Serbien und
Montenegro. Mit Urteil vom 8. Juli 2004 hiess das Bundesgericht die dagegen
erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut; der Auslieferungsentscheid
des BJ vom 7. April 2004 wurde aufgehoben, und die Streitsache wurde
zur Neubeurteilung an das BJ zurückgewiesen. Auf den Antrag des BJ vom
7. April 2004, es sei die Einrede des politischen Deliktes abzuweisen,
trat das Bundesgericht nicht ein. Das Haftentlassungsgesuch des Verfolgten
wies das Bundesgericht ab. Das Urteil vom 8. Juli 2004 wurde in BGE 130
II 337 teilweise publiziert.

    Am 13./14. August sowie am 17. September 2004 reichte die Botschaft von
Serbien und Montenegro weitere Ergänzungen des Auslieferungsersuchens ein.
Am 13. August und 9. September 2004 übermittelten der Dienst für Analyse
und Prävention des Bundesamtes für Polizei sowie das Eidgenössische
Departement für auswärtige Angelegenheiten dem BJ Zusatzberichte. Mit
Entscheid vom 3. Dezember 2004 bewilligte das BJ erneut die Auslieferung
des Verfolgten an Serbien und Montenegro. Der Auslieferungsentscheid
erfolgte "unter dem Vorbehalt des bundesgerichtlichen Entscheids über die
Einsprache des politischen Delikts". Mit separater Eingabe vom 3. Dezember
2004 stellte das BJ beim Bundesgericht den Antrag, die Einrede des
Verfolgten, wonach er politisch verfolgt werde, sei abzulehnen (Verfahren
1A.288/2004). Der Verfolgte hält mit Stellungnahme vom 22. Dezember 2004
an der Einrede des politischen Deliktes fest.

    Gegen den Auslieferungsentscheid des BJ vom 3. Dezember 2004
gelangte X. mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 4. Januar 2005 an das
Bundesgericht (Verfahren 1A.4/2005). Er beantragt im Hauptstandpunkt
die Abweisung des Auslieferungsersuchens. Das Bundesgericht weist die
Beschwerde und die Einrede des politischen Deliktes ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.10  Im angefochtenen Entscheid des BJ wird die
Sachverhaltsdarstellung des Ersuchens und seiner diversen Ergänzungen
nun wie folgt zusammengefasst:

    2.10.1  Der Verfolgte habe in den Jahren 1999 und 2000 der OVPMB
("Befreiungsarmee für Presevo, Medvedja und Bujanovac") sowie ab 2002 der
ANA ("Albanian National Army"/"Armée nationale Albanaise") angehört. In
diesem Zusammenhang habe er "gegenüber den anderen Mitgliedern - mit denen
er einen ständigen Telefonkontakt aufrechterhalten" habe - "vor allem eine
beratende Rolle gespielt und deren Handlungen beeinflusst". Dabei habe der
Verfolgte "seine Gesprächspartner zur Ausführung konkreter terroristischer
Aktionen gegen Angehörige des Sicherheitsdienstes in Südserbien angestiftet
und diese Aktionen vorbereitet bzw. koordiniert". Ausserdem sei er "für
die Bereitstellung von Geldmitteln zur Beschaffung von Ausrüstung sowie von
Waffen und Munition zuständig gewesen". Die ANA habe "am 3. Februar 2003 in
Serbien einen Sicherheitsbeamten getötet". Die Täter hätten sich "danach
im Haus des Verfolgten versteckt". Mitglieder der ANA hätten "am 2. März
2003 und 23. September 2003" in Serbien Sprengkörper an verschiedenen
Orten angebracht, welche "in der Folge nicht explodiert" seien.

    2.10.2  Gemäss Angaben der ersuchenden Behörde seien "Struktur und
Aufbau" der OVPMB und der ANA "veränderlich" und "von der Anzahl der
Mitglieder sowie von der politischen bzw. wirtschaftlichen Situation
im betroffenen Gebiet" abhängig. In diesem Zusammenhang sei auch
"die Sicherheitslage von Bedeutung". Es habe sich "gezeigt, dass
sich die Struktur dieser Organisationen oft", manchmal sogar innert
Wochenfrist, verändert habe. Der Verfolgte habe eine "Sondergruppe" der ANA
gegründet, "welche mit der Planung und der unmittelbaren Ausführung von
terroristischen Aktionen und Gewaltakten zur Beunruhigung der Einwohner
beauftragt gewesen" sei. "Als eines der aktivsten Mitglieder dieser
Organisation sowie als Koordinator" habe er "durch kontinuierliche und
ordentliche Kontakte mit anderen Mitgliedern und durch konkrete Anweisungen
deren Aktionen geleitet, Finanzhilfe aus dem Ausland, namentlich aus
der Schweiz, besorgt und die Ausrüstung der Gruppe sichergestellt". In
der Schweiz habe der Verfolgte "für die Organisation Geld eingezogen
und dieses über eine andere Person in den Kosovo weitergeleitet". Er
sei "über die Vorbereitung und Ausführung der Tötung" des serbischen
Sicherheitsbeamten "informiert" gewesen. Zudem kenne er die Täter
persönlich und habe mit ihnen "vor und nach der Aktion telefonisch und
per SMS-Mitteilungen kommuniziert". Ausserdem hätten sich die Täter nach
dem Tötungsdelikt "im Haus des Verfolgten" in Bujanovac versteckt. Eine
"physische Teilnahme an der Tatausführung vor Ort" werde ihm hingegen
"nicht vorgeworfen". Zudem habe der Verfolgte "die Aufstellung der
Sprengladung auf einer Landstrasse im Gebiet des Dorfs Turija, welche von
Angehörigen der Einheiten des serbischen Innenministeriums, der Gendarmerie
und der Polizei benutzt" worden sei, "koordiniert". Er sei diesbezüglich
"ausführlich durch einen Mittäter orientiert worden, ohne dabei physisch
an der Tatausführung beteiligt gewesen zu sein". Schliesslich habe der
Verfolgte "bei den geplanten Hinterhalten gegen die Gendarmerie im Zeitraum
vom 6. bis 9. März 2003 im Gebiet der Gemeinde Bujanovac mitgewirkt,
indem die Kommunikation zwischen den Mittätern über den Verfolgten,
der aus der Schweiz telefoniert" habe, erfolgt sei.

    2.10.3  Zwar erscheint die Sachverhaltsdarstellung des Ersuchens
und seiner Ergänzungen nicht in allen Punkten konsistent. Sie entspricht
jedoch insgesamt den formellen Voraussetzungen von Art. 12 Ziff. 2 lit. b
des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EAUe;
SR 0.353.1).

    2.11  Zu den weiteren Sachverhaltsabklärungen des BJ wird im
angefochtenen Entscheid Folgendes ausgeführt:

    2.11.1  Gemäss den Berichten des Dienstes für Analyse und Prävention
des Bundesamtes für Polizei (DAP) vom 22. März und 13. August 2004
seien die OVPMB und die ANA "Nachfolgeorganisationen der UCK" (Ushtria
Clirimtare e Kosovës/"Kosovo Liberation Army") und "eng miteinander
verbunden". Nach Auflösung der OVPMB im Mai 2001 seien die meisten ihrer
Mitglieder der ANA beigetreten. Diese sei für "Untergrundaktionen" und
"Anschläge" verantwortlich, "namentlich gegen serbische Sicherheitskräfte
in Südserbien". "Mit ihren gezielten Kampfhandlungen" versuche sie,
"die Krisenregion zu destabilisieren und damit die internationalen
Friedensbemühungen zu behindern". Die ANA habe sich "zu mehreren Anschlägen
bekannt, bei denen seit 2001 ca. 25 Angehörige der Sicherheitskräfte
aus Mazedonien und Serbien getötet worden" seien. Die ANA-Zellen seien
"vielfach mit den lokalen kriminellen Gebietschefs verbunden". "Die
Kämpfer dieser Zellen" seien "als feste Bestandteile der kriminellen
Clanstrukturen in Schutzgelderpressungen, Schmuggel, Waffen-, Drogen-
und Menschenhandel involviert".

    2.11.2  Laut DAP hätten die US-Regierung sowie der ehemalige
Chef der UNO-Verwaltung im Kosovo (UNMIK) die ANA als terroristische
Organisation bezeichnet. Zwar habe die internationale Staatengemeinschaft
"aufgrund von politischen Überlegungen und verschiedener Abkommen" die
UCK und ihre Nachfolgeorganisationen "anfänglich grundsätzlich nicht auf
Terrorlisten gesetzt". Ab Mitte 2001 sei jedoch erkannt worden, dass in den
Kampfhandlungen von selbst ernannten Befreiungsbewegungen eine Gefährdung
des Friedens und der Sicherheit in der Krisenregion liege. Am 17. April
2003 habe der zuständige Sonderbevollmächtigte des UNO-Generalsekretärs,
Michael Steiner, eine Verwaltungsanweisung erlassen, wonach es sich bei der
ANA um eine "terroristische Vereinigung" (im Sinne der UNMIK-Verfügung
Nr. 2001/12 vom 14. Juni 2001) handle. Diese Verfügung sei erfolgt,
nachdem sich die ANA zu einem Sprengstoffanschlag vom 12. April 2003 auf
eine Eisenbahnbrücke in Zvecan bekannt habe. Am 28. Mai 2003 habe auch
das Schatzamt der US-Regierung die ANA als "terroristische Organisation"
bezeichnet. Zur Struktur und zum Aufbau der ANA gebe es wenig neue
Erkenntnisse. Oberstes Gremium der ANA für politische Entscheidungen sei
ein Exekutivorgan, welches aus elf Mitgliedern bestehe. Die Mitgliederzahl
werde auf einige hundert Personen geschätzt, darunter viele frühere
Mitglieder der UCK.

    2.11.3  Gemäss dem Zusatzbericht des Eidgenössischen Departements für
auswärtige Angelegenheiten (EDA) vom 13. August 2004 könne momentan
"von einer organisierten Kraft unter dem Namen ANA" nicht mehr
gesprochen werden. Im Jahre 2003 "sei das Problem jedoch noch aktuell
gewesen". Vertreter der UCK hätten ausgesagt, dass die ANA "bereits vor
dieser existiert habe". Die ANA habe "politische, militärische, finanzielle
und eventuell auch logistische Strukturen". Selbst für die ehemaligen
Vertreter der UCK sei es "nicht immer leicht", die Verästelungen innerhalb
der ANA zu überblicken. "Seit dem Jahre 2004" gleiche die ANA "eher
einer Gruppe von Kriminellen, als einer Organisation mit disziplinierten
Kämpfern", die politische Ziele verfolgt. Ab 2004 hätten die Aktionen, die
der ANA zuzurechnen sind, "mehrheitlich Erpressungen und Einschüchterungen
der Bevölkerung" betroffen. Die Organisation verfüge heute über nicht mehr
als 200 Mitglieder. Nur wenige davon befänden sich im Kosovo, die Mehrheit
halte sich in Belgien, der Schweiz und eventuell in Italien auf. Seit dem
erwähnten Attentat vom 12. April 2003 auf eine Eisenbahnbrücke in Zvecan
habe sich die ANA "zu keinen weiteren Anschlägen mehr bekannt". Da die
ANA die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien mit gewalttätigen Mitteln
angestrebt habe, sei sie Mitte April 2003, nach dem Attentat von Zvecan,
von der UNMIK "als terroristische Organisation eingestuft worden". Es
könne nicht ausgeschlossen werden, dass seither "verschiedene Gruppierungen
unter dem Deckmantel der 'ANA' gemeinrechtliche Straftaten begehen würden,
ohne jeglichen politischen Hintergrund".

    2.12  Gemäss Art. 260ter Ziff. 1 StGB wird mit Zuchthaus bis zu fünf
Jahren oder mit Gefängnis bestraft, wer sich an einer Organisation
beteiligt, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung
geheimhält und die den Zweck verfolgt, Gewaltverbrechen zu begehen
oder sich mit verbrecherischen Mitteln zu bereichern. Ebenso macht sich
strafbar, wer eine solche Organisation in ihrer verbrecherischen Tätigkeit
unterstützt. Unter den Begriff der kriminellen Organisationen fallen neben
den mafiaähnlichen Verbrechersyndikaten auch hochgefährliche terroristische
Gruppierungen. Nicht zu den kriminellen Organisationen gezählt werden
hingegen (grundsätzlich) extremistische Parteien, oppositionelle
politische Gruppen sowie Organisationen, die mit angemessenen (nicht
verbrecherischen) Mitteln um die politische Macht in ihrem Heimatland
ringen oder einen Freiheitskampf gegen diktatorische Regimes führen (BGE
130 II 337 E. 3.4 S. 344; 128 II 355 E. 4.3 S. 365 f.; 125 II 569 E. 5c
S. 574, je mit Hinweisen). Nach der Praxis des Bundesgerichtes stellen
insbesondere die italienischen "Brigate Rosse", die baskische ETA und
das internationale Netzwerk Al-Qaïda terroristische verbrecherische
Organisation im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB dar (BGE 128 II
355 E. 2.2 S. 361; 125 II 569 E. 5c und d S. 574 f.; zur betreffenden
teilweise nicht publizierten Rechtsprechung und zur Abgrenzung zwischen
Art. 260ter Ziff. 1 und Art. 260quinquies StGB vgl. auch MARC FORSTER, Die
Strafbarkeit der Unterstützung [insbesondere Finanzierung] des Terrorismus,
ZStrR 121/2003 S. 423 ff.).

    2.12.1  Als Beteiligte im Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 1
StGB sind alle Personen anzusehen, welche funktionell in die kriminelle
Organisation eingegliedert sind und im Hinblick auf deren verbrecherische
Zweckverfolgung Aktivitäten entfalten. Diese Aktivitäten brauchen (für sich
allein) nicht notwendigerweise illegal bzw. konkrete Straftaten zu sein. Es
genügen namentlich auch logistische Vorkehren, die dem Organisationszweck
unmittelbar dienen (wie z.B. Auskundschaften, Planen oder Bereitstellen
der operativen Mittel, insbesondere Beschaffen von Fahrzeugen,
Kommunikationsmitteln oder Finanzdienstleistungen usw.). Die Beteiligung
setzt auch keine massgebliche Funktion innerhalb der Organisation voraus.
Sie kann informeller Natur sein oder auch geheimgehalten werden (BGE 128
II 355 E. 2.3 S. 361 mit Hinweisen).

    2.12.2  Bei Personen, die nicht in die Organisationsstruktur integriert
sind, kommt die Tatvariante der Unterstützung in Frage. Diese verlangt
einen bewussten Beitrag zur Förderung der verbrecherischen Aktivitäten der
kriminellen Organisation. Im Gegensatz zur Gehilfenschaft zu spezifischen
Straftaten (Art. 25 StGB) ist für die Unterstützung nach Art. 260ter
Ziff. 1 Abs. 2 StGB der Nachweis von kausalen Tatbeiträgen im Hinblick
auf ein konkretes Delikt nicht erforderlich (BGE 128 II 355 E. 2.4 S. 361
f. mit Hinweisen). So können namentlich das blosse Liefern von Waffen an
eine terroristische oder mafiaähnliche Organisation, das Verwalten von
Vermögenswerten oder andere logistische Hilfeleistungen von Aussenstehenden
unter den Organisationstatbestand von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB
fallen. Dementsprechend besteht zwischen der Beihilfe zu konkreten
Straftaten und dem Organisationstatbestand auch grundsätzlich echte
Konkurrenz (BGE 128 II 355 E. 2.4 S. 362 mit Hinweisen). Der subjektive
Tatbestand von Art. 260ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB verlangt jedoch, dass der
Unterstützende weiss oder zumindest in Kauf nimmt, dass sein Beitrag der
verbrecherischen Zweckverfolgung der kriminellen Organisation dienen
könnte. Blosse Sympathisanten oder "Bewunderer" von terroristischen
oder mafiaähnlichen Vereinigungen fallen demgegenüber nicht unter den
Organisationstatbestand (BGE 128 II 355 E. 2.4 S. 362 mit Hinweisen).

    2.13  Gestützt auf die Zusatzberichte des DAP und des EDA muss die
ANA aufgrund ihrer Struktur und ihrer verbrecherischen Aktivitäten im
fraglichen Zeitraum (Frühjahr 2003) als terroristische Organisation im
Sinne von Art. 260ter Ziff. 1 StGB bezeichnet werden. Bei der ANA handelte
sich nach den vorliegenden Erkenntnissen um eine relativ straff geführte
und paramilitärisch organisierte extremistische Untergrundorganisation
mit einigen hundert aktiven Mitgliedern, die ihren Aufbau und ihre
personelle Zusammensetzung geheim hielt. Ihr Ziel bestand darin, die
ehemalige Bürgerkriegsregion Kosovo-Südserbien mit dem Einsatz von
Gewalt politisch zu destabilisieren, um die Unabhängigkeit des Kosovo
von Serbien zu erzwingen. Zu diesem Zweck verübte die ANA im Februar
und März 2003 Attentate mit Schusswaffen und Sprengstoff auf serbische
Sicherheitskräfte. Ab Mitte April 2003 beanspruchte sie aber auch
die Urheberschaft eines Bombenanschlages gegen zivile Einrichtungen
(Eisenbahnbrücke in Zvecan). Wie sich aus den Rechtshilfeakten
ergibt, wurde die ANA deshalb vom zuständigen Sonderbevollmächtigten
des UNO-Generalsekretärs am 17. April 2003 auf die Liste der als
terroristisch eingestuften extremistischen Gruppierungen gesetzt. Dem
Beschwerdeführer wird im Wesentlichen vorgeworfen, er habe der ANA (als
eines ihrer aktivsten Mitglieder) angehört. Von der Schweiz aus habe er die
Organisation logistisch unterstützt. Namentlich habe er sich an der Planung
und Koordination von Anschlägen beteiligt und für die ANA finanzielle
Mittel beschafft. Über die im Februar 2003 geplante und ausgeführte Tötung
eines serbischen Polizisten sei er zumindest "informiert" gewesen. "Vor
und nach der Aktion" habe er mit den Hauptverdächtigen "telefonisch und
per SMS-Mitteilungen kommuniziert". Ausserdem hätten sich die Täter nach
dem Tötungsdelikt in einem Haus des Beschwerdeführers versteckt. Eine
"physische Teilnahme an der Tatausführung vor Ort" werde ihm hingegen
"nicht vorgeworfen". Dies gelte auch für fehlgeschlagene Sprengstoffdelikte
der ANA im März bzw. September 2003.

    2.14  Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung fiele der
inkriminierte Sachverhalt nach schweizerischem Recht grundsätzlich unter
Art. 260ter Ziff. 1 StGB. Damit liegt ein auslieferungsfähiges Delikt im
Sinne von Art. 2 Ziff. 1 EAUe vor. Einen liquiden Alibibeweis vermag der
Beschwerdeführer nicht zu erbringen. Zwar macht er geltend, er habe sich
im fraglichen Zeitraum jeweils in der Schweiz aufgehalten. Die ersuchende
Behörde wirft ihm jedoch keine Teilnahme an konkreten Tathandlungen in
Südserbien vor; vielmehr wird er verdächtigt, die ANA von der Schweiz
aus logistisch unterstützt zu haben. Auch die übrigen Einwendungen des
Beschwerdeführers gegen die Sachdarstellung des Ersuchens lassen den
dargelegten Verdacht nicht ohne weiteres dahinfallen. Dies gilt namentlich
für sein Vorbringen, entgegen der Sachdarstellung des Ersuchens habe er
nie in Bujanovac gewohnt oder dort ein Haus besessen.

    Es kann offen bleiben, ob die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen
Tatbeiträge ausreichend konkret wären, um ihm darüber hinaus eine direkte
strafbare Beteiligung an dem fraglichen Tötungsdelikt und an den versuchten
Sprengstoffdelikten anzulasten. Welche Straftatbestände im Falle einer
Anklageerhebung nach ausländischem Recht in Frage kämen, ist nicht vom
schweizerischen Rechtshilferichter zu prüfen. Dass im Dispositiv des
angefochtenen Entscheides der Sachverhalt, für den die Auslieferung
bewilligt werden soll, im Sinne der obigen Erwägungen eingegrenzt wird,
hält vor dem Bundesrecht stand. Die Begrenzung nach dem Grundsatz der
Spezialität (Art. 14 Ziff. 1 EAUe) soll sicherstellen, dass der ersuchende
Staat im Falle der Auslieferung lediglich Sachverhalte zur Anklage
bringt, die gemäss Art. 2 Ziff. 1 EAUe auch nach schweizerischem Recht
strafbar wären. Eine allfällige Ausdehnung des Anklagesachverhaltes wäre
nur mit ausdrücklicher Zustimmung der schweizerischen Behörden zulässig
(vgl. Art. 14 Ziff. 1 lit. a EAUe).

Erwägung 3

    3.  (...)

    3.1  Die Auslieferung wird nicht bewilligt, wenn die strafbare
Handlung, derentwegen sie begehrt wird, vom ersuchten Staat als eine
politische oder eine mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung
angesehen wird (Art. 3 Ziff. 1 EAUe; vgl. auch Art. 3 Abs. 1 und Art. 55
Abs. 2 IRSG).

    Serbien und Montenegro sowie die Schweiz haben das Europäische
Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977
ratifiziert (EÜBT; SR 0.353.3). Das EÜBT ist für Serbien und Montenegro
seit dem 16. August 2003 in Kraft. Gemäss Art. 2 Ziff. 1 EÜBT kann der
ersuchte Staat im Falle von Auslieferungsgesuchen entscheiden, dass eine
schwere Gewalttat gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder
die Freiheit einer Person nicht als politische oder mit einer solchen
zusammenhängende Straftat angesehen wird (sofern die Tat nicht ohnehin
unter Art. 1 EÜBT fällt). Analoges gilt für den Versuch, eine solche
schwere Gewalttat zu begehen oder für die Beteiligung daran als Mittäter
oder Gehilfe (Art. 2 Ziff. 3 EÜBT). Keine politische Straftat im Sinne
des EÜBT liegt namentlich bei schweren Straftaten vor, die in einem
Angriff auf das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit
völkerrechtlich geschützter Personen einschliesslich Diplomaten bestehen
(Art. 1 lit. c EÜBT). Das gleiche gilt für Entführungen, Geiselnahmen,
schwere widerrechtliche Freiheitsentziehungen oder für Straftaten,
bei deren Begehung eine Bombe, eine Handgranate, eine Rakete, eine
automatische Schusswaffe oder ein Sprengstoffbrief oder -paket verwendet
wird, wenn dadurch Personen gefährdet werden (Art. 1 lit. d und e
EÜBT). Keine politische Straftat stellt schliesslich der Versuch dar,
eine der genannten Straftaten zu begehen, oder die Beteiligung daran als
Mittäter oder Gehilfe (Art. 1 lit. f EÜBT).

    3.2  In der Praxis des Bundesgerichtes wird zwischen so genannt
"absolut" politischen und "relativ" politischen Delikten unterschieden.
"Absolut" politische Delikte stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit
politischen Vorgängen. Darunter fallen namentlich Straftaten, welche sich
ausschliesslich gegen die soziale und politische Staatsorganisation
richten, wie etwa Angriffe gegen die verfassungsmässige Ordnung,
Landes- oder Hochverrat. Ein "relativ" politisches Delikt liegt nach der
Rechtsprechung vor, wenn einer gemeinrechtlichen Straftat im konkreten
Fall ein vorwiegend politischer Charakter zukommt. Der vorwiegend
politische Charakter ergibt sich aus der politischen Natur der Umstände,
Beweggründe und Ziele, die den Täter zum Handeln bestimmt haben und die
in den Augen des Rechtshilferichters vorherrschend erscheinen. Das Delikt
muss stets im Rahmen eines Kampfes um die Macht im Staat begangen worden
sein und in einem engen Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Kampfes
stehen. Darüber hinaus müssen die fraglichen Rechtsgüterverletzungen in
einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen, und die
auf dem Spiel stehenden politischen Interessen müssen wichtig und legitim
genug sein, um die Tat zumindest einigermassen verständlich erscheinen
zu lassen (BGE 130 II 337 E. 3.2 S. 342 f.; 128 II 355 E. 4.2 S. 365;
125 II 569 E. 9b S. 578, je mit Hinweisen).

    3.3  Zu denken ist hier insbesondere an den Einsatz von
illegalen Mitteln gegen diktatorische oder systematisch die
Menschenrechte verletzende Regimes. Bei schweren Gewaltverbrechen,
namentlich Tötungsdelikten, wird der politische Charakter in der
Regel verneint. Ausnahmen könnten allenfalls bei eigentlichen offenen
Bürgerkriegsverhältnissen gegeben sein, oder wenn das betreffende Delikt
(etwa im Falle eines "Tyrannenmordes") das einzige praktikable Mittel zur
Erreichung wichtiger humanitärer Ziele darstellen würde (BGE 130 II 337
E. 3.3 S. 343; 128 II 355 E. 4.2 S. 365; 109 Ib 64 E. 6a S. 71 f., je
mit Hinweisen). Diese Praxis des Bundesgerichtes gilt auch bei der Prüfung
der Frage, ob es sich beim Verfolgten um einen mutmasslichen Terroristen
oder einen bewaffneten politischen Widerstandskämpfer handelt (BGE 130
II 337 E. 3.3 S. 343; 128 II 355 E. 4 S. 363 f., je mit Hinweisen).

    Der heiklen Unterscheidung zwischen "legitimen" Widerstandskämpfern
oder Bürgerkriegsparteien einerseits und Terroristen andererseits
hat der eidgenössische Gesetzgeber auch beim Erlass des neuen
Art. 260quinquies StGB (Terrorismusfinanzierung, in Kraft seit
1. Oktober 2003) Rechnung getragen. So sehen die Absätze 3 und 4 dieser
Bestimmung Strafbarkeitsausschlüsse vor bei Personen, welche namentlich
(das humanitäre Kriegsvölkerrecht respektierende) Bürgerkriegsparteien
finanziell unterstützen oder auch Freiheitskämpfer gegen Unterdrückung und
Besatzung bzw. politische Aktivisten, die zur Durchsetzung ihrer ideellen
und politischen Anliegen angemessene Mittel des gewalttätigen Widerstands
einsetzen (vgl. BGE 130 II 337 E. 3.3 S. 343 f. mit Hinweisen). Auch die
Anwendung von Art. 260ter Ziff. 1 StGB (Unterstützung bzw. Beteiligung an
einer terroristischen Organisation) verlangt eine entsprechende Abgrenzung
zwischen Terroristen und politischen Widerstandskämpfern. Die vom
Gesetzgeber - bewusst - an die Gerichte delegierte Aufgabe, zu bestimmen,
was im Einzelfall eine straflose "politisch legitime" Gewaltanwendung
darstelle und was nicht, muss allerdings als sehr delikat bezeichnet werden
(BGE 130 II 337 E. 3.3 S. 344 mit Hinweisen).

    3.4  Da weder das EAUe noch das EÜBT den Begriff des politischen
Deliktes näher definieren, verfügen die Vertragsstaaten hier über ein
weites Ermessen. Das Bundesgericht prüft die Frage, ob ein politisches
Delikt vorliegt, welches eine Auslieferung ausschliesst, mit freier
Kognition (BGE 130 II 337 E. 3.4 S. 344; 128 II 355 E. 4.3 S. 365;
125 II 569 E. 9b S. 577 f.). Das schweizerische Strafrecht unterscheidet
zwischen kriminellen Organisationen (Art. 260ter StGB), staatsgefährdenden
rechtswidrigen Vereinigungen (Art. 275ter StGB) sowie gemeinrechtlichen
Formen kollektiver Kriminalität bzw. der Teilnahme an Straftaten. Unter
den Begriff der kriminellen Organisationen fallen neben den mafiaähnlichen
Verbrechersyndikaten auch hochgefährliche terroristische Gruppierungen.
Nicht zu den kriminellen Organisationen gezählt werden hingegen
(grundsätzlich) extremistische Parteien, oppositionelle politische Gruppen
sowie Organisationen, die mit angemessenen (nicht verbrecherischen)
Mitteln um die politische Macht in ihrem Heimatland ringen oder einen
Freiheitskampf gegen diktatorische Regimes führen (BGE 130 II 337
E. 3.4 S. 344; 128 II 355 E. 4.3 S. 365 f.; 125 II 569 E. 5c S. 574,
je mit Hinweisen).

    3.5  Wie bereits dargelegt, wird dem Beschwerdeführer die Unterstützung
und Beteiligung an einer terroristischen Organisation im Sinne von Art.
260ter Ziff. 1 StGB vorgeworfen, welche namentlich für ein Tötungsdelikt
und für versuchte Sprengstoffanschläge im Frühjahr 2003 verantwortlich
sei (vgl. oben, E. 2.12-2.13). Bei schweren Gewaltverbrechen, namentlich
Tötungsdelikten, wird der politische Charakter der verfolgten Straftaten in
der Regel verneint (BGE 130 II 337 E. 3.3 S. 343; 128 II 355 E. 4.2 S. 365,
je mit Hinweisen). Analoges muss auch für die Unterstützung von politisch
motivierten terroristischen Gewalttaten gelten. Eine Ausnahme im Sinne
der dargelegten Praxis (offene Bürgerkriege, moderater Widerstandkampf
gegen fremde Besatzung oder diktatorische Regimes) ist im vorliegenden
Fall nicht gegeben, sie wäre hier auch mit der Zielrichtung des EÜBT
nur schwer zu vereinbaren. Zwar ist es im März 2004 erneut zu blutigen
interethnischen Auseinandersetzungen im Kosovo gekommen. Der Bürgerkrieg
ist jedoch seit mehreren Jahren formell beendet. Seither bemüht sich
die internationale Staatengemeinschaft mit grossem Engagement um eine
Befriedung der Krisenregion (vgl. KFOR-Botschaft des Bundesrates, BBl
2005 S. 447 ff., 450-52; s. auch oben E. 2.11.2). Der terroristische, den
Einwand des politischen Deliktes grundsätzlich ausschliessende Charakter
der fraglichen Straftaten kommt im Falle der ANA namentlich dadurch
zum Ausdruck, dass dieser extremistischen Organisation (jedenfalls seit
Mitte April 2003) neben Attentaten auf serbische Sicherheitskräfte auch
noch ein Sprengstoffanschlag gegen zivile Einrichtungen (Eisenbahnbrücke
in Zvecan) vorgeworfen wird. Die Einschüchterung der Bevölkerung oder
auch die Nötigung von Staaten bzw. internationalen Organisationen durch
Gewaltverbrechen ist ein typisches Merkmal für terroristische Aktivitäten
im Sinne des EÜBT (vgl. URSULA CASSANI, Le train de mesures contre le
financement du terrorisme: une loi nécessaire? SZW 2003 S. 293 ff.,
301 f.; FORSTER, aaO, S. 444; s. auch Art. 260quinquies Abs. 1 StGB).

    Nach dem Gesagten ist die Einrede des politischen Deliktes im
vorliegenden Fall abzuweisen.