Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 II 217



131 II 217

17. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement gegen X. und
Kanton Zürich sowie Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    1A.203/2004 vom 16. März 2005

Regeste

    Art. 124 BV, Art. 12 ff. OHG, Art. 2 ff. OHV, Art. 3a ff. ELG;
Entschädigung nach dem Opferhilfegesetz, Anrechnung von Drittleistungen,
Ermittlung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Opfers, Schadenszins.

    Entgegen dem Wortlaut des Opferhilfegesetzes sind Leistungen, die das
Opfer als Schadenersatz erhalten hat, auch dann von der Entschädigung
abzuziehen, wenn sie bereits bei der Berechnung seiner anrechenbaren
Einnahmen nach dem Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-,
Hinterlassenen- und Invalidenversicherung berücksichtigt worden sind
(E. 2).

    Bei einem minderjährigen Opfer, das bei der Mutter lebt, sind für die
Frage, wieweit es Anspruch auf eine opferhilferechtliche Entschädigung hat,
die wirtschaftlichen Verhältnisse der Mutter mit zu berücksichtigen (E. 3).

    Die opferhilferechtliche Entschädigung deckt auch den Schadenszins
(E. 4).

Sachverhalt

    X., geboren 1992, ist der Sohn von Y. Dieser wurde am 22. Januar
1997 ermordet.

    Am 8. Januar 1999 ersuchte X. die Direktion der Justiz und des
Innern des Kantons Zürich, Kantonale Opferhilfestelle, um Entschädigung
und Genugtuung.

    Mit Verfügung vom 14. Juni 2001 hiess die Kantonale Opferhilfestelle
das Gesuch um Genugtuung im Umfang von Fr. 30'000.- gut. Das Gesuch um
Entschädigung wies sie ab.

    Gegen die Abweisung des Gesuchs um Entschädigung reichte X. Beschwerde
beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ein. Dieses wies die
Beschwerde mit Urteil vom 30. Januar 2002 ab.

    Die von X. dagegen erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde hiess das
Bundesgericht am 7. Oktober 2002 teilweise gut. Es hob das Urteil des
Sozialversicherungsgerichts auf und wies die Sache zum neuen Entscheid
an dieses zurück (BGE 129 II 49).

    Mit Urteil vom 6. Juli 2004 verpflichtete das
Sozialversicherungsgericht den Kanton Zürich, X. eine Entschädigung von
Fr. 19'440.- zuzüglich 5 % Zins sei dem 22. Januar 1997 zu bezahlen.

    Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Sozialversicherungsgerichtes vom 6. Juli 2004 aufzuheben und die Sache
zum neuen Entscheid an dieses zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Die Vorinstanz kommt zum Schluss, das Total der dem
Beschwerdegegner wegen des Todes des Vaters entgangenen bevorschussten
Alimente belaufe sich auf Fr. 19'440.-. Sie prüft anschliessend,
ob die Voraussetzungen gemäss Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 des
Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten
(Opferhilfegesetz, OHG; SR 312.5) in Verbindung mit Art. 2 und 3 der
dazugehörigen Verordnung vom 18. November 1992 (Opferhilfeverordnung, OHV;
SR 312.51) für die Ausrichtung einer Entschädigung erfüllt seien. Sie
nimmt an, die anrechenbaren Einnahmen des Beschwerdegegners beliefen
sich auf insgesamt Fr. 8'383.-. Damit sei der massgebende Höchstbetrag
von 8'545.- gemäss Art. 3b Abs. 1 lit. a Ziff. 3 des Bundesgesetzes vom
19. März 1965 über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung (ELG; SR 831.30) für die anerkannten Ausgaben nicht
erreicht, weshalb der Beschwerdegegner Anspruch auf volle Entschädigung
habe. Bei der Berechnung der Einnahmen des Beschwerdegegners hat die
Vorinstanz in Anwendung von Art. 3c Abs. 1 lit. d ELG die ihm ausgerichtete
Halbwaisenrente von Fr. 3'660.- pro Jahr berücksichtigt. Die Vorinstanz
legt unter Hinweis auf Art. 14 Abs. 1 OHG dar, da sie die Halbwaisenrente
bereits bei der Einnahmenberechnung berücksichtigt habe, sei bei der
Entschädigung von einem entsprechenden Abzug abzusehen.

    Der Beschwerdeführer rügt, das angefochtene Urteil verletze in
diesem letzten Punkt Bundesrecht. Die Vorinstanz hätte bei der Bemessung
des Schadens die Halbwaisenrente anrechnen müssen. Eine Entschädigung
werde nur Opfern ausgerichtet, deren Einkommen eine bestimmte Grenze
nicht überschreite (Art. 12 Abs. 1 OHG). Übersteige das Einkommen
den massgebenden Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach
dem ELG, werde nur eine reduzierte Leistung erbracht (Art. 13 Abs. 1
OHG). Um zu prüfen, ob diese Voraussetzungen gegeben seien, würden
die anrechenbaren Einnahmen nach dem ELG berechnet. Dazu gehörten auch
Leistungen einschliesslich Renten, die das Opfer aufgrund der Straftat
und ihrer Folgen vom Täter oder anderen Leistungserbringern, z.B. einer
Sozialversicherung, erhalte (Art. 3c Abs. 1 lit. d ELG). Stehe fest, dass
die Voraussetzungen von Art. 12 Abs. 1 OHG erfüllt seien, müsse in einem
zweiten Schritt die Höhe des Schadens festgestellt werden. Die Opferhilfe
funktioniere nicht nach dem Versicherungsprinzip, wonach im Schadensfall
eine bestimmte Versicherungssumme fällig werde. Vielmehr entspreche
es dem Sinn und Zweck der Opferhilfe als subsidiärem Instrument, dass
nicht der Gesamtschaden ausgeglichen werde, sondern nur jener Schaden,
der nach Abzug bereits erhaltener Entschädigungen ungedeckt bleibe
(Art. 14 Abs. 1 OHG). Die Halbwaisenrente des Beschwerdegegners sei
eine Leistung, die vom Schaden in Abzug gebracht werden müsse und die
opferhilferechtliche Entschädigung reduziere. Andernfalls würde das Opfer
doppelt entschädigt. Dies könne nicht der Sinne der Opferhilfe sein.

    2.2  Gemäss Art. 12 Abs. 1 OHG hat das Opfer Anspruch auf Entschädigung
für den durch die Straftat erlittenen Schaden, wenn seine anrechenbaren
Einnahmen nach Art. 3c ELG das Vierfache des massgebenden Höchstbetrages
für den allgemeinen Lebensbedarf nach Art. 3b Abs. 1 lit. a ELG nicht
übersteigen. Massgebend sind die voraussichtlichen Einnahmen nach der
Straftat.

    Nach Art. 13 Abs. 1 OHG richtet sich die Entschädigung nach dem Schaden
und den Einnahmen des Opfers. Liegen die Einnahmen unter dem massgebenden
Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach ELG, so erhält das
Opfer vollen Schadenersatz; übersteigen die Einnahmen diesen Betrag,
so wird die Entschädigung herabgesetzt.

    Gemäss Art. 2 OHV werden die anrechenbaren Einnahmen (Art. 12 Abs. 1
OHG) nach Artikel 3c ELG, nach den dazugehörigen Verordnungsbestimmungen
des Bundes sowie nach den diesbezüglichen Sonderbestimmungen der Kantone
berechnet.

    Nach Art. 3 OHV deckt die Entschädigung den ganzen Schaden, wenn
die anrechenbaren Einnahmen des Opfers nicht höher als der massgebende
Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach Art. 3b Abs. 1 lit. a
ELG (ELG-Wert) sind (Abs. 1). Übersteigen die anrechenbaren Einnahmen
des Opfers das Vierfache des ELG-Werts (OHG-Höchstbetrag), so wird keine
Entschädigung ausgerichtet (Abs. 2). Liegen die anrechenbaren Einnahmen
des Opfers zwischen dem ELG-Wert und dem OHG-Höchstbetrag, so wird die
Entschädigung nach der in Art. 3 Abs. 3 OHV enthaltenen Formel berechnet.

    Gemäss Art. 4 Abs. 1 OHV beträgt die Entschädigung höchstens 100'000
Franken.

    Nach Art. 3c Abs. 1 lit. d ELG sind als Einnahmen anzurechnen Renten,
Pensionen und andere wiederkehrende Leistungen, einschliesslich die
Renten der AHV sowie der IV. Zu Recht hat demnach die Vorinstanz die
Halbwaisenrente bei der Berechnung der Einnahmen berücksichtigt.

    Gemäss Art. 14 Abs. 1 OHG werden Leistungen, die das Opfer als
Schadenersatz erhalten hat, von der Entschädigung abgezogen. Ausgenommen
sind Leistungen (insbesondere Renten und Kapitalabfindungen), die bereits
bei der Berechnung der anrechenbaren Einnahmen berücksichtigt worden sind
(Art. 12 Abs. 1). Nach Art. 14 Abs. 2 OHG gehen die Ansprüche, die dem
Opfer aufgrund der Straftat zustehen, im Umfang der Entschädigung an den
Kanton über, wenn die Behörde eine Entschädigung zugesprochen hat. Diese
Ansprüche haben Vorrang vor den verbleibenden Ansprüchen des Opfers und
den Rückgriffsansprüchen Dritter.

    Da die Vorinstanz die Halbwaisenrente bei der Berechnung der Einnahmen
berücksichtigt hat, war die Rente gemäss Art. 14 Abs. 1 Satz 2 OHG nicht
von der Entschädigung abzuziehen. Der angefochtene Entscheid stützt sich
insoweit auf den Wortlaut des Gesetzes. Der Beschwerdeführer verlangt
die Auslegung von Art. 14 Abs. 1 OHG entgegen dem Wortlaut.

    2.3  Nach der Rechtsprechung darf die Auslegung vom klaren Wortlaut
eines Rechtssatzes nur dann abweichen, wenn triftige Gründe dafür bestehen,
dass er nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche triftigen
Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte, aus dem Sinn und Zweck
der Vorschrift und aus dem Zusammenhang mit anderen Gesetzesbestimmungen
ergeben. Entscheidend ist danach nicht der vordergründig klare Wortlaut
einer Norm, sondern der wahre Rechtssinn, welcher durch die anerkannten
Regeln der Auslegung zu ermitteln ist. Auch Bundesgesetze sind einer
Auslegung wider den Wortlaut zugänglich. Art. 191 BV setzt dem nur insoweit
Schranken, als er verbietet, vom klaren Wortlaut und vom Sinn und Zweck
einer Vorschrift abzugehen, um diese in den Rahmen der Verfassung zu
stellen. Der Wortlaut allein aber stellt kein Hindernis dar, selbst wenn
er klar ist. Bestehen triftige Gründe dafür, dass er den wahren Rechtssinn
einer Vorschrift - die ratio legis - nicht wiedergibt, ist es nach dem
Gesagten zulässig, von ihm abzuweichen und die Vorschrift entsprechend
zu deuten, insbesondere dann, wenn der wahre Rechtssinn entgegen dem
Wortlaut verfassungskonform erscheint (BGE 111 Ia 292 E. 3b S. 297;
131 II 13 E. 7.1, mit Hinweisen).

    2.4  Das Schrifttum ist der einhelligen Ansicht, vom Schaden seien
auch Leistungen abzuziehen, die bereits bei der Berechnung der Einnahmen
berücksichtigt worden seien. Vom Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 OHG sei
insoweit abzuweichen (PETER GOMM, Subsidiarität und Koordination von
Entschädigungsleistungen mit Leistungen Dritter nach dem Opferhilfegesetz,
in: Opferhilfe in der Schweiz, Bundesamt für Justiz [Hrsg.], Bern 2004, S.
294; EVA WEISHAUPT, Finanzielle Ansprüche nach Opferhilfegesetz, SJZ
98/2002 S. 330 f.; THOMAS KOLLER, Das Opferhilfegesetz: Auswirkungen auf
das Strassenverkehrsrecht, AJP 1996 S. 593 f.; RUTH BANTLI KELLER/ULRICH
WEDER/KURT MEIER, Anwendungsprobleme des Opferhilfegesetzes, Plädoyer
1995 5 S. 43; PETER GOMM/PETER STEIN/DOMINIK ZEHNTNER, Kommentar zum
Opferhilfegesetz, Bern 1995, N. 10 zu Art. 13 OHG und N. 29 zu Art. 14
OHG).

    Die Expertenkommission führt in ihrem Erläuternden Bericht vom
25. Juni 2002 zum Vorentwurf eines neuen Opferhilfegesetzes aus,
Art. 14 Abs. 1 Satz 2 OHG sei gestrichen worden. Er beruhe auf einem
gesetzgeberischen Versehen. In Lehre und Praxis sei anerkannt, dass
zur richtigen Berechnung der Entschädigung Drittleistungen sowohl bei
der Ermittlung der Einnahmen nach dem ELG als auch bei der Ermittlung
des Nettoschadens zu berücksichtigen seien. Im ersten Fall gehe es um die
Frage, ob das Opfer infolge der Straftat in wirtschaftliche Schwierigkeiten
geraten sei und daher der staatlichen Hilfe bedürfe; im zweiten darum,
wie gross der ungedeckte Schaden sei (S. 36).

    Die Kantonale Opferhilfestelle bemerkt in der Vernehmlassung
ebenso, Art. 14 Abs. 1 Satz 2 OHG stelle ein gesetzgeberisches Versehen
dar. Dieses solle mit der Revision des Opferhilfegesetzes korrigiert
werden.

    2.5  Gemäss Art. 124 BV sorgen Bund und Kantone dafür, dass Personen,
die durch eine Straftat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen
Unversehrtheit beeinträchtigt worden sind, Hilfe erhalten und angemessen
entschädigt werden, wenn sie durch die Straftat in wirtschaftliche
Schwierigkeiten geraten.

    Eine Entschädigung soll also nur erhalten, wer sie aufgrund seiner
wirtschaftlichen Lage braucht. Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1 OHG in
Verbindung mit Art. 2 und 3 OHV konkretisieren dies. Danach ist zunächst
zu klären, ob die anrechenbaren Einnahmen des Opfers den ELG-Wert
oder den OHG-Höchstbetrag übersteigen. Je nachdem erhält das Opfer -
unter Vorbehalt des Höchstbetrages von 100'000 Franken - eine volle,
reduzierte oder keine Entschädigung. Im Weiteren ist, soweit Anspruch
auf eine Entschädigung besteht, zu prüfen, welchen Schaden das Opfer
erlitten hat. Dabei soll, wie dies Art. 14 OHG vorsieht, die staatliche
Entschädigungszahlung subsidiär sein. Dies bedeutet, dass diese in der
Rangordnung an unterster Stelle steht und die Leistungspflicht des Staates
hinter alle anderen Ansprüche zurücktritt. Nur dann, wenn kein anderer zur
Deckung des Schadens herangezogen werden kann, muss letztlich der Staat dem
Opfer eine Entschädigung ausrichten. Im Verhältnis zu den verschiedenen
Schadenausgleichs- und Hilfssystemen stellt die Opferhilfe das unterste
Netz dar. Ausserhalb dieses Systems und am Schluss der Leistungskaskade
steht die Sozialhilfe (GOMM, aaO, S. 285; WEISHAUPT, aaO, S. 329 und
356, insb. Fn. 77).

    Die Berechnung der Einnahmen des Beschwerdegegners nach Art. 3c ELG
hat ergeben, dass diese - auch in Berücksichtigung der Halbwaisenrente
nach Absatz 1 lit. d - den ELG-Wert nicht erreichen. Geht man davon aus,
hat der Beschwerdegegner Anspruch auf volle staatliche Entschädigung. Eine
andere Frage ist es, wie hoch sein Schaden ist. Insoweit ist unbestritten,
dass der Beschwerdegegner aufgrund entgangener Alimentenbevorschussungen
einen Schaden von Fr. 19'440.- erlitten hat. Dabei handelt es sich jedoch
um den Bruttoschaden. Der Beschwerdegegner erhält wegen des Todes des
Vaters eine Halbwaisenrente. Würde diese vom Bruttoschaden nicht abgezogen,
würde der Beschwerdegegner überentschädigt und aufgrund des Todes des
Vaters finanziell besser gestellt, indem zur Alimentenbevorschussung die
Halbwaisenrente hinzukäme.

    Im vorinstanzlichen Entscheid bleibt die Sozialversicherung als
Schadensausgleichssystem unberücksichtigt. Dies widerspricht dem
Subsidiaritätsprinzip, wonach die Opferhilfe an letzter Stelle stehen soll.

    Wie sich aus den Materialien ergibt, wollte man mit Art. 14 Abs. 1
Satz 2 OHG verhindern, dass derselbe Faktor zweimal hintereinander
berechnet wird (Schlussbericht der Studienkommission zur Ausarbeitung
eines Vorentwurfs zum Bundesgesetz über die Hilfe an Opfer von Straftaten
gegen Leib und Leben vom 23. Dezember 1986, S. 125). Dabei wurde offenbar
übersehen, dass für die zweimalige Berechnung sachliche Gründe bestehen und
- wie der vorliegende Fall zeigt - die einmalige Berechnung zu unhaltbaren
Ergebnissen führt.

    Wie die Expertenkommission im Erläuternden Bericht vom 25. Juni
2002 (S. 36) und WEISHAUPT (aaO, S. 331) zutreffend ausführen,
ist die Drittleistung deshalb zweimal zu berücksichtigen, weil zwei
unterschiedliche Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen sind. Zum einen
geht es um die Ermittlung des Schadens, der dem Opfer nach Abzug von
Drittleistungen noch verbleibt (Nettoschaden) und den es ohne staatliche
Leistung selber tragen müsste; zum andern darum, ob und wieweit das Opfer
aufgrund seiner wirtschaftlichen Verhältnisse staatlicher Hilfeleistung
bedarf.

    Würde Art. 14 Abs. 1 OHG wörtlich ausgelegt, entstünde auch ein
Widerspruch zu Art. 14 Abs. 2 OHG. Die Drittleistung würde in einem
Fall wie hier nicht vom Bruttoschaden abgezogen. Würde dagegen zuerst
die staatliche Entschädigung nach dem Opferhilfegesetz geleistet,
subrogierte der Staat in die Ansprüche des Opfers mit der Folge, dass die
nachträgliche Drittleistung dem Opfer entzogen würde. Es ergäbe sich also
eine unterschiedliche Situation, je nachdem, ob die Drittleistung vor der
Entschädigung nach dem Opferhilfegesetz erbracht wird oder nachher. Eine
derartige Ungleichbehandlung rechtfertigt sich nicht.

    Dass Sozialversicherungsleistungen, die bei der Berechnung der
Einnahmen nach dem ELG zu berücksichtigen sind, vom Bruttoschaden
abzuziehen sind, ergibt sich im Übrigen bereits aus BGE 128 II 49,
wo das Bundesgericht das Vorgehen bei der Festsetzung der staatlichen
Entschädigung bei Erwerbsausfall dargelegt hat (E. 3 S. 52 f.).

    2.6  Die Beschwerde ist im vorliegenden Punkt begründet. Entgegen
dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 OHG sind Leistungen, die das Opfer als
Schadenersatz erhalten hat, auch dann von der Entschädigung abzuziehen,
wenn sie bereits bei der Berechnung der anrechenbaren Einnahmen nach dem
ELG berücksichtigt worden sind.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Die Vorinstanz hat bei den anrechenbaren Einnahmen nach dem ELG
einzig jene des Beschwerdegegners berücksichtigt. Der Beschwerdeführer
macht geltend, dies verletze Bundesrecht. Die Vorinstanz hätte die
finanziellen Verhältnisse der Mutter mit berücksichtigen müssen.
Das Opferhilfegesetz (Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 Abs. 1) verweise bei
der Frage, unter welchen wirtschaftlichen Voraussetzungen das Opfer einen
Entschädigungsanspruch habe, auf das ELG. Während für die Frage, ob ein
Anspruch auf Opferhilfeleistungen bestehe, auf Art. 3c und Art. 3b Abs. 1
ELG abzustellen sei, werde für die Frage, wie die Höhe der Entschädigung
zu bemessen sei, generell auf "den allgemeinen Lebensbedarf nach ELG"
verwiesen. Art. 3a ELG äussere sich zur Berechnung und Höhe der jährlichen
Ergänzungsleistung. Nach Absatz 4 dieser Bestimmung seien die anerkannten
Ausgaben und die anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten, Personen mit
rentenberechtigten Kindern sowie von Waisen, die im gleichen Haushalt
leben, zusammenzurechnen. Die beiden folgenden Bestimmungen zählten
die anrechenbaren Ausgaben (Art. 3b ELG) und Einnahmen (Art. 3c ELG)
auf. Das Opferhilfegesetz verweise nicht ausdrücklich auf Art. 3a ELG. Die
erwähnten drei Bestimmungen seien aber aufeinander bezogen und bildeten
ein sinnvolles Ganzes. Der generelle Verweis auf das ELG in Art. 13 Abs. 1
OHG erlaube, ja verlange deshalb auch die Anwendung von Art. 3a Abs. 4
ELG im Rahmen der opferhilferechtlichen Bemessung der Entschädigung. Im
vorliegenden Fall hätte der Einbezug der finanziellen Situation der
Mutter eine Kürzung der opferhilferechtlichen Entschädigung um rund 20 %
zur Folge.

    Der Beschwerdeführer bringt sodann vor, die Vorinstanz habe es
zum Nachteil des Beschwerdegegners unterlassen, den von ihr zutreffend
erwähnten Freibetrag von Fr. 15'000.- vom Vermögen gemäss Art. 3c Abs. 1
lit. c ELG tatsächlich in Abzug zu bringen. Zudem sei sie beim Lebensbedarf
von einem falschen Betrag ausgegangen (Fr. 8'545.- statt Fr. 9'060.-).

    3.2  Wie dargelegt, soll nach Art. 124 BV Opferhilfe nur erhalten, wer
das aufgrund seiner wirtschaftlichen Lage braucht. Das Opferhilfegesetz
und die dazugehörige Verordnung verweisen zur Konkretisierung dieses
Grundgedankens auf die anrechenbaren Einnahmen nach Art. 3c ELG und den
massgebenden Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach Art. 3b
Abs. 1 lit. a ELG. Damit wird der Kreis jener Personen festgelegt,
die aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse Anspruch auf staatliche
Opferhilfeleistung haben sollen. Zwar verweisen weder das Opferhilfegesetz
noch die Opferhilfeverordnung ausdrücklich auf Art. 3a Abs. 4 ELG,
wonach die anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen von Ehegatten,
Personen mit rentenberechtigten oder an der Rente beteiligten Kindern sowie
von Waisen, die im gleichen Haushalt leben, zusammenzurechnen sind. Würde
man diese Bestimmung nicht anwenden, hätten jedoch Kinder - da sie meistens
über geringe anrechenbare Einnahmen verfügen - regelmässig Anspruch auf
staatliche Entschädigung; dies selbst dann, wenn ihre Eltern reich sind.
Damit würde Entschädigung geleistet in Fällen, in denen das Opfer das nicht
nötig hat. Dies widerspräche dem Grundgedanken der Opferhilfe. Art. 3a Abs.
4 ELG ist deshalb nach der zutreffenden Auffassung des Beschwerdeführers
in einem Fall wie hier, wo es um ein minderjähriges Opfer geht, anzuwenden.
Dies wird auch im Schrifttum gefordert (WEISHAUPT, aaO, S. 328).

    3.3  Zutreffend weist der Beschwerdeführer im Übrigen darauf hin,
dass die Vorinstanz fälschlicherweise für den Beschwerdegegner von einem
ELG-Wert von Fr. 8'545.- ausgegangen ist, statt von einem solchen von
Fr. 9'060.-. Dieser letztere Betrag wurde mit Art. 1 lit. c der Verordnung
03 vom 20. September 2002 über Anpassungen bei Ergänzungsleistungen
zur AHV/IV, in Kraft seit 1. Januar 2003, festgesetzt. Er hätte
von der Vorinstanz ihrem Entscheid zugrunde gelegt werden müssen
(GOMM/STEIN/ZEHNTNER, aaO, N. 30 f. zu Art. 12 OHG). Begründet ist
ebenso der Einwand, dass es die Vorinstanz bei der Berechnung des
Vermögensverzehrs von einem Fünfzehntel des Reinvermögens nach Art. 3c
Abs. 1 lit. c ELG irrtümlich unterlassen hat, den für Kinder vorgesehenen
Freibetrag von Fr. 15'000.- abzuziehen.

    3.4  Die Beschwerde ist auch im vorliegenden Punkt begründet.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Die Vorinstanz hat den Kanton Zürich verpflichtet, den Betrag
von Fr. 19'440.- seit dem 22. Januar 1997 mit 5 % zu verzinsen. Der
Beschwerdeführer rügt, das angefochtene Urteil verletze auch insoweit
Bundesrecht. Die Vorinstanz nenne keine Gründe für die angebliche
Verzinsungspflicht. Dafür fehle es an der gesetzlichen Grundlage. Der
Schadenszins (Art. 41 Abs. 1 OR) finde bei unerlaubter Handlung Anwendung
und bezwecke, den Geschädigten so zu stellen, wie wenn er bereits
im Zeitpunkt des Schadenseintritts befriedigt worden wäre. Der Staat
schulde in Opferhilfefällen selbst keinen Schadenersatz aus unerlaubter
Handlung. Die finanzielle Opferhilfe solle vielmehr - sofern gewisse
Kriterien erfüllt seien - als eine Art Ausfallgarantie in jenen Fällen
greifen, in denen das Opfer vom Täter keine Leistungen erhalte. Mangels
Schadenersatzpflicht könne die OHG-Entschädigungsbehörde auch nicht zur
Zahlung eines Schadenszinses auf die ihr obliegende Leistung verpflichtet
werden. Die Voraussetzungen für die Leistung von Verzugszins (Art. 104
Abs. 1 OR) seien ebenso wenig gegeben.

    4.2  Art. 13 OHG regelt die Bemessung der Entschädigung. Danach richtet
sich letztere nach dem Schaden und den Einnahmen des Opfers. Liegen
die Einnahmen - wovon die Vorinstanz hier ausgegangen ist - unter dem
massgebenden Höchstbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf nach dem ELG,
so erhält das Opfer vollen Schadenersatz; übersteigen die Einnahmen diesen
Betrag, so wird die Entschädigung herabgesetzt (Abs. 1).

    Nach der Rechtsprechung ist der Begriff des Schadens im Opferhilferecht
der gleiche wie im Haftpflichtrecht (BGE 131 II 121 E. 2.1; 129 II 49 E.
4.3.2; Urteil 1A.252/2000 vom 8. Dezember 2000, publ. in: ZBl 102/2001 S.
486 ff., E. 2a und e). Das Opfer kann im Rahmen von Art. 11 ff. OHG
Forderungen für die verschiedenen Schadensposten geltend machen, die
nach Art. 41 OR in Betracht kämen (BGE 131 II 121 E. 2.4.4). Zum Schaden
gemäss Art. 41 OR gehört der Zins vom Zeitpunkt an, in dem das schädigende
Ereignis sich finanziell ausgewirkt hat. Der Schadenszins bezweckt, den
Anspruchsberechtigten so zu stellen, wie wenn er für seine Forderung am
Tag des Schadenseintritts befriedigt worden wäre (BGE 131 III 12 E. 9.1;
130 III 591 E. 4 S. 599, mit Hinweisen). Nach Art. 73 Abs. 1 OR gilt
der Zinsfuss von 5 % (HEINZ REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht,
3. Aufl., Zürich 2003, S. 40 N. 170a; KARL OFTINGER/EMIL W. STARK,
Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. 1: Allgemeiner Teil, 5. Aufl.,
Zürich 1995, S. 257 N. 25).

    Gehört der Schadenszins zum Schaden, hat das Opfer Anspruch
auf die Vergütung dieses Zinses im Rahmen der opferhilferechtlichen
Entschädigung. Andernfalls erhielte es entgegen Art. 13 Abs. 1 OHG
keinen vollen Schadenersatz. Diese Bestimmung gewährt der Behörde
keinen Ermessensspielraum. Die in Art. 13 Abs. 1 Satz 2 OHG vorgesehene
Herabsetzung der Entschädigung wird nach der Formel von Art. 3 Abs. 3 OHV
berechnet. Ausgangspunkt ist auch dabei der volle Schadenersatz. Wieweit
die Entschädigung herabgesetzt wird, ergibt sich aus der genannten
Formel. Der Beschwerdeführer verlangt - unausgesprochen - die Auslegung
des Gesetzes entgegen dem Wortlaut auch im vorliegenden Punkt. Bei Art. 13
Abs. 1 OHG bestehen jedoch - anders als bei Art. 14 Abs. 1 OHG (oben E. 2)
- keine triftigen Gründe, die für ein Abweichen vom Gesetzeswortlaut
sprechen.

    Lehnte man die Vergütung des Schadenszinses ab, würde im Übrigen
das Opfer, das - wie hier - länger auf die Entschädigung warten muss,
schlechter gestellt gegenüber jenem, das diese rasch erhält. Eine derartige
Ungleichbehandlung rechtfertigt sich nicht. Der Zeitablauf soll nicht
zulasten des Opfers gehen.

    Die Vorinstanz hat mit der Anordnung der Verzinsung danach kein
Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde ist in diesem Punkt unbegründet.

    Ob eine opferhilferechtliche Genugtuung in gleicher Weise zu verzinsen
wäre, kann hier offen bleiben.

Erwägung 5

    5.

    5.1  Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Sache zum neuen Entscheid unter Berücksichtigung der
oben dargelegten Grundsätze an die Vorinstanz zurückzuweisen.