Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 646



Urteilskopf

131 III 646

  84. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. und Y. gegen
Z.-Versicherungs-Gesellschaft (Berufung)
  5C.131/2005 vom 19. August 2005

Regeste

  Versicherungsvertrag; Anwendbarkeit der Bestimmung über die vorbehaltlose
Annahme auf die Begünstigung; Klage bei Verletzung des Pflichtteils durch
die Begünstigung; Passivlegitimation (Art. 78 und Art. 12 Abs. 1 VVG, Art.
471 Ziff. 1 und Art. 476 ZGB).

  Der Bestimmung über die vorbehaltlose Annahme untersteht die Vereinbarung
des Versicherungsnehmers mit dem Versicherer, nicht jedoch die frei
widerrufliche Begünstigung durch den Versicherungsnehmer (E. 2, 2.1 und
2.2).

  Eine Verletzung des Pflichtteils der Erben durch die Begünstigung ist mit
Herabsetzungsklage geltend zu machen. Die Klage richtet sich in diesem Fall
gegen den Begünstigten, nicht gegen den Versicherer (E. 2.3).

Sachverhalt

  A.- Am 12. Februar 1997 stellte V. bei der Z.-Versicherungs-Gesellschaft
(nachfolgend: Z.) einen Antrag auf Abschluss einer fondsanteilgebundenen
Lebensversicherung. Dabei führte er für allfällige Leistungen im Todesfall
als Begünstigte seine Lebenspartnerin L. zu 50 %, seine Tochter X. zu 25 %
sowie seinen Sohn Y. zu 25 % an. Die Z. stellte am 25. Februar 1997 die
Versicherungspolice Nr. x aus, in der sie unter dem Titel
Anspruchsberechtigung festhielt:

   - "Der Versicherungsnehmer ist für alle Leistungen anspruchsberechtigt,
      die zu seinen Lebzeiten fällig werden.

    - Beim Tod von V. wird die fällige Versicherungsleistung zu 50 % an L.,
      geb. 1953, zu 25 % an Y., geb. 1986, und zu 25 % an X., geb. 1989, bei
      deren Fehlen an die Erben ausbezahlt."

  Mit letztwilliger Verfügung vom 31. März 1999 setzte V. seine beiden
Kinder auf den Pflichtteil, wies die verfügbare Quote L. zu und ordnete
zudem an:

   - "Aus versicherungsrechtlichen Ansprüchen egal ob diese in den Nachlass
      fallen oder nicht, begünstige ich alleine L."

  Am 2. Mai 2000 beantragte V. bei der Z. für die von ihm abgeschlossene
fondsanteilgebundene Lebensversicherung einen Wechsel vom bisherigen
Anlagefonds "E." zum Anlagefonds "F.", welchem Wunsch die Z. am 24. Mai 2000
durch die Ausstellung einer entsprechenden neuen Police unter der bisherigen
Nr. x nachkam. Abgesehen von der Änderung des Anlagefonds wurden alle
Bestimmungen der ersten Police übernommen. V. verlangte keine Berichtigung
der neuen Police. Am 10. Juni 2001 starb V. Dessen

Willensvollstrecker stellte der Z. die letztwillige Verfügung vom 31. März
1999 zu, worauf die Z. die Todesfallsumme von Fr. 123'831.- L. auszahlte.

  B.- X. und Y. reichten beim Bezirksgericht Wil gegen die Z. Klage ein, mit
dem Begehren, diese zur Zahlung von je Fr. 30'957.75 zuzüglich Zinsen zu
verpflichten. Das Bezirksgericht hiess die Klage im beantragten Umfang gut.
Demgegenüber wies sie das Kantonsgericht St. Gallen auf Berufung der Z. ab.

  X. und Y. beantragen dem Bundesgericht mit eidgenössischer Berufung, die
Z. zur Zahlung von je Fr. 30'957.75 zuzüglich Zinsen zu verurteilen,
eventualiter die Leistung an beide auf insgesamt Fr. 7'638.80 zuzüglich
Zinsen festzusetzen. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Anlass zur vorliegenden Berufung bildet die vom Versicherungsnehmer
für das Todesfallkapital seiner Lebensversicherung gewählte Begünstigung.
Die Berufungskläger halten dafür, dass ihr Vater mit der Anpassung seiner
Lebensversicherungspolice im Jahre 2000 nicht bloss die Anlagestrategie,
sondern auch die in seinem Testament vom 31. März 1999 angeordnete
Begünstigung zu ihren Gunsten im Sinne der ursprünglichen Police geändert
habe. Sie berufen sich dabei auf die Genehmigungsfiktion von Art. 12 Abs. 1
des Bundesgesetzes vom 2. April 1908 über den Versicherungsvertrag (VVG; SR
221.229.1) und machen den Schutz ihres Pflichtteils nach Art. 476 ZGB
geltend.

  2.1  Die Vorinstanz hält für das Bundesgericht verbindlich fest, dass der
Versicherungsnehmer sich von der Berufungsbeklagten eine neue Police
ausstellen liess, mit welcher keine erneute Änderung der Begünstigung,
sondern lediglich ein Wechsel des Anlagefonds erfolgen sollte. In Unkenntnis
des Testamentes vom 31. März 1999 habe diese bei der Ausstellung der neuen
Police die Begünstigungsordnung der ursprünglichen Police übernommen.

  Dagegen bringen die Berufungskläger vor, die Vorinstanz habe ihnen zu
Unrecht die Beweislast auferlegt für die Tatsache, dass der
Versicherungsnehmer eine Änderung der Begünstigungsklausel gewollt habe. Sie
machen in diesem Zusammenhang eine Verletzung von Art. 8 ZGB geltend. Welche
der beiden Seiten im kantonalen Verfahren zu beweisen hatte, dass der
Versicherungsnehmer die

Begünstigungsordnung tatsächlich ändern wollte, mag vorliegend dahin
gestellt bleiben (zur Beweislastverteilung im Versicherungsvertragsrecht
vgl. BGE 130 III 321 E. 3.1). Die Frage der Beweislastverteilung stellt sich
nämlich nur, sofern eine entscheidwesentliche Tatsachenbehauptung überhaupt
offen geblieben ist. In einem solchen Fall regelt Art. 8 ZGB die Folgen der
Beweislosigkeit, sofern nicht andere Regeln zum Tragen kommen (BGE 129 III
18 E. 2.6). Die Beweislastverteilung wird indes gegenstandslos, wenn die
Vorinstanz aufgrund eines Beweisverfahrens zum Ergebnis gelangt, eine
bestimmte Behauptung sei bewiesen oder widerlegt. (BGE 119 II 114 E. 4c S.
117; 128 III 271 E. 2b/aa S. 277, je mit Hinweisen). Die Vorinstanz ist zum
Schluss gelangt, dass der Versicherungsnehmer keine Änderung der
Begünstigung wollte. Damit ist hinsichtlich dieser strittigen Frage kein
beweisloser Zustand gegeben und es gibt infolgedessen auch keine Beweislast
zu verteilen. Es liegt kein Anwendungsfall von Art. 8 ZGB vor.

  2.2  Mit der Begünstigung verfügt der Versicherungsnehmer über den
Versicherungsanspruch, indem er ihn auf einen Dritten überträgt. Dieser kann
den Anspruch in eigenem Namen gegenüber dem Versicherer einfordern, sobald
der Versicherungsfall eingetreten ist (Art. 78 VVG). Bei der
Todesfallversicherung ist dies der Tod des Versicherungsnehmers. In diesem
Zeitpunkt muss die Begünstigung noch bestehen und der Begünstigte noch am
Leben sein. Solange der Versicherungsfall nicht eingetreten ist, kann der
Versicherungsnehmer die Begünstigung als einseitige Willenserklärung
jederzeit und formfrei widerrufen, es sei denn, er habe in der Police einen
schriftlichen Widerrufsverzicht abgegeben und diese dem Begünstigten
übergeben (Art. 77 VVG; BGE 112 II 157 E. 1a; MAURER, Schweizerisches
Privatversicherungsrecht, 3. Aufl. 1995, S. 448, 452). Er kann die
Begünstigung nicht nur aufheben, sondern auch durch eine neue Regelung
ersetzen. Wenn auch die jeweilige Begünstigung für ihre Gültigkeit weder die
Zustimmung noch die Kenntnis des Versicherers erfordert, so ist dieser nur
dann gehalten, die Leistung an den neuen Begünstigten zu erbringen, wenn er
von der Änderung Kenntnis erlangt hat. Ob die Begünstigung inzwischen ohne
sein Wissen abgeändert worden ist, braucht der Versicherer nicht abzuklären
(BGE 110 II 199 E. 2; 112 II 157 E. 1a; MAURER, a.a.O., S. 453; KÜNG, Basler
Kommentar, N. 24 zu Art. 76 VVG).

  Dass der Versicherungsnehmer seine Anordnung der Begünstigung rechtsgültig
ändern konnte, ist zwischen den Parteien mit Recht nicht strittig. Hingegen
ist im vorliegenden Fall zu entscheiden, ob die von der Berufungsbeklagten
auf Verlangen des Versicherungsnehmers erstellte neue Police vom 24. Mai
2000 zugleich eine Änderung der Begünstigungsanordnung enthält, wie sie im
Testament vom 31. März 1999 vorgenommen worden ist. Die Vorinstanz hat dies
im angefochtenen Urteil verneint. Sie weist in ihrer (einlässlichen)
Begründung darauf hin, dass die Begünstigung nicht Gegenstand der
vertraglichen Vereinbarung zwischen Versicherung und Versicherungsnehmer
ist. Für die Begünstigung brauche es nur eine einseitige, nicht
empfangsbedürftige Willenserklärung des Versicherungsnehmers und keine
Zustimmung der Versicherung. Überdies könne der Versicherungsnehmer die
Begünstigung jederzeit und ohne Mitteilung an den Versicherer gültig
abändern. Damit unterliege die Begünstigungsanordnung der in Art. 12 Abs. 1
VVG geregelten Genehmigungsfiktion nicht. Die in der Police vom 24. Mai 2000
enthaltene Begünstigungsklausel würde nur zum Tragen kommen, wenn davon
auszugehen wäre, dass der Versicherungsnehmer die am 31. März 1999
testamentarisch angeordnete Begünstigung entsprechend abändern wollte. Das
Beweisverfahren habe nun aber ergeben, dass der Versicherungsnehmer mit der
neuen Police vom 24. Mai 2000 nur den Anlagefonds und nicht zugleich die
Begünstigung ändern wollte. Damit sei nach wie vor die im Testament genannte
Lebenspartnerin allein zum Bezug des Todesfallkapitals berechtigt. Den
Kindern des Versicherungsnehmers stünden aus der in Frage stehenden Police
keine Ansprüche zu.

  Diese Darlegungen stehen entgegen der Auffassung der Berufungskläger
durchaus im Einklang mit dem Bundesrecht. Sie tragen insbesondere dem
Umstand Rechnung, dass der Versicherungsnehmer die Begünstigung jederzeit
und einseitig nach seinem Gutdünken festlegen kann. Welche Anordnungen er im
Einzelnen trifft, kümmert die Versicherung zudem solange nicht, als diese
ihr gegenüber in einer unmissverständlichen Fassung kundgetan werden. Damit
kann die Regelung der Begünstigung nicht gleichzeitig Bestandteil einer
Vereinbarung des Versicherungsnehmers mit der Versicherung sein, sondern sie
behält mit der Aufnahme in die Police nach Art. 11 Abs. 1 VVG ihren
Charakter als einseitige und widerrufliche Anordnung. Die
Genehmigungsfiktion von Art. 12 Abs. 1 VVG lässt eine Beanstandung nach
Fristablauf grundsätzlich nicht

mehr zu. Der Genehmigung durch den Versicherungsnehmer bzw. seinem
Berichtigungsrecht nach Art. 12 Abs. 1 VVG untersteht nur die Vereinbarung
mit dem Versicherer. Dazu gehört jede Abrede, die Bestandteil des
Vertragsinhaltes bildet, wie etwa die Festlegung der Prämienhöhe
(ROELLI/KELLER/TÄNNLER, Kommentar zum Bundesgesetz über den
Versicherungsvertrag, Bd. I, 2. Aufl. 1968, S. 212 Fn. 2). Die Begünstigung
ist hingegen frei widerruflich, was ausschliesst, sie der genannten
Bestimmung zu unterstellen.

  2.3  Erstmals vor Bundesgericht berufen sich die Berufungskläger zudem auf
ihren Pflichtteilsschutz als Nachkommen des Versicherungsnehmers nach Art.
471 Ziff. 1 ZGB und machen die Verletzung von Art. 476 ZGB geltend.

  Die entsprechenden Vorbringen erfolgen im Hinblick auf das herabgesetzte
Eventualbegehren und sind im Berufungsverfahren zulässig, da das
Bundesgericht hier das Recht von Amtes wegen anzuwenden hat. Zwar lassen
sich dem angefochtenen Urteil keine Angaben zur Frage des Rückkaufswertes
der Versicherung entnehmen. Indes ergibt sich aus Ziff. 13.2 der in der
Berufung angeführten Allgemeinen Bedingungen für die anteilgebundene
Lebensversicherung, dass es sich vorliegend um eine rückkaufsfähige
Versicherung handelt, die gemäss ebenfalls in der Berufung erwähntem
öffentlichem Inventar einen Rückkaufswert von Fr. 10'185.10 aufweist.
Insoweit kann der Sachverhalt vom Bundesgericht ergänzt werden (Art. 64 Abs.
2 OG).

  Im Rahmen der Erbteilung ist der Rückkaufswert der Versicherung als
Aktivum einzusetzen, da es sich hierbei um einen auf den Tod des
Versicherungsnehmers gestellten Anspruch zu Gunsten eines Dritten handelt
(Art. 476 ZGB; WEIMAR, Berner Kommentar, N. 3 zu Art. 476 ZGB). Erweist
sich, dass der Erblasser mit einer Verfügung von Todes wegen den Pflichtteil
seiner nächsten Erben verletzt hat, so sind sie zur Einreichung einer
Herabsetzungsklage berechtigt. Diese Möglichkeit steht einem weiteren Kreis
offen, wozu z.B. die Konkursverwaltung oder die Gläubiger gehören, nicht
aber der Dritte, der einen Erbteil erwirbt. Das Begehren richtet sich gegen
den durch die Verfügung von Todes wegen begünstigten Miterben oder den
eingesetzten Erben, den Empfänger einer Zuwendung unter Lebenden oder den
Vermächtnisnehmer, der bereits im Besitz des Vermächtnisses ist
(FORNI/PIATTI, Basler Kommentar, N. 1 und 5 Vorbem. zu Art. 522-533 ZGB).
Daraus ergibt sich

nicht nur, dass die Versicherung im Herabsetzungsprozess nicht Partei sein
kann, sondern auch dass die Verletzung eines Pflichtteils ausschliesslich in
einem derartigen Verfahren zu prüfen ist.