Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 640



Urteilskopf

131 III 640

  83. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A.W. und B.W. gegen
C.W. und D.W. (Berufung)
  4C.79/2005 vom 19. August 2005

Regeste

  Aktienrechtliche Verantwortlichkeit; Einrede der Einwilligung des
Verletzten.

  Wenn ein Verwaltungsrat mit der Einwilligung aller Aktionäre bzw. des
Alleinaktionärs handelt, kann er den Verantwortlichkeitsansprüchen, welche
der Gesellschaft zustehen, die Einrede der Einwilligung des Verletzten
entgegenhalten (E. 4.2).

Sachverhalt

  A.- Die X. AG wurde 1960 gegründet und von S.W. bis zu seinem Tod im Jahr
1997 als Alleinaktionär geführt. 1978 gründete S.W. gemeinsam mit seinem
Sohn C.W. und seiner Tochter D.W. die Kollektivgesellschaft W. & Co. Im Jahr
1984 trat S.W. aus der Kollektivgesellschaft aus. Am 17. Januar 1986 wurden
C.W. und D.W. in den Verwaltungsrat der X. AG gewählt.

  Am 5. August 1978 wurde zwischen der X. AG und der W. & Co. ein als
"Mietvertrag für gewerbliche Räume" betitelter Vertrag zur Benutzung eines
Teils einer der X. AG gehörenden Liegenschaft abgeschlossen. Am 8. Dezember
1992 wurde dieser Vertrag erneuert. Im zweiten Untergeschoss der
betreffenden Liegenschaft befindet sich eine Autoeinstellhalle. Von den
dortigen Parkplätzen sind 33 mit Parkuhren versehen. Mit Wirkung per 1.
Januar 1995 vermietete die X. AG der W. & Co. die erwähnten 33
Parkingmeterparkplätze. Der Mietzins wurde zunächst auf Fr. 80.- pro Monat
und Parkplatz festgelegt, was einem jährlichen Entgelt von Fr. 31'680.-
entspricht. In den Jahren 1995 und 1996 flossen der X. AG unter dem Titel
"Mietzinseinnahmen Parkuhren" je Fr. 31'680.- zu. Ab 1997 wurde das Entgelt
auf Fr. 85.- pro Monat und Parkplatz erhöht, womit sich die Jahresmiete neu
auf Fr. 33'660.- belief. Im hier interessierenden Zeitraum von 1995 bis 2000
wurden somit Zahlungen von insgesamt Fr. 198'000.- geleistet. In der
gleichen Zeit von 1995 bis 2000 sollen sich aber die Einnahmen der W. & Co.
aus der Parkuhrenbewirtschaftung nach Darstellung der Kläger auf insgesamt
Fr. 470'478.20 belaufen haben.

  B.- Nach dem Tod von S.W. im Jahre 1997, dem seinerzeitigen Alleinaktionär
der X. AG, entstand zwischen dessen Nachkommen A.W. und B.W. einerseits
(Kläger) und ihren Geschwistern

C.W. und D.W. anderseits (Beklagte) Streit darüber, ob die von den Beklagten
betriebene W. & Co. durch die Verwaltung der Parkplätze zu Lasten der X. AG
ungerechtfertigt bereichert wurde. Konkret machen die Kläger geltend, in der
Differenz zwischen dem abgelieferten Entgelt für die 33 Parkplätze von
insgesamt Fr. 198'000.- und dem bezüglich dieser Parkplätze durch
Parkingmetergebühren effektiv erzielten Einnahmen von Fr. 470'478.20 liege
eine verdeckte Gewinnausschüttung in der Höhe von Fr. 272'478.20 zugunsten
der W. & Co. Am 25. April 2003 beantragten die Kläger dem Handelsgericht des
Kantons Aargau zunächst, die Beklagten seien zu verpflichten, der X. AG
unter Vorbehalt der Nachklage den Betrag von Fr. 264'978.- zuzüglich Zinsen
zu bezahlen. Mit Urteil vom 14. Januar 2005 wies das Handelsgericht des
Kantons Aargau die Klage ab.

  Das Bundesgericht weist eine von den Klägern dagegen erhobene Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

  3.  Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob durch die
Verpachtung der 33 Parkingmeterparkplätze die X. AG als Verpächterin
benachteiligt und die Kollektivgesellschaft W. & Co. als Pächterin
unzulässig begünstigt wurde. Die Kläger sehen eine solche unzulässige
Begünstigung darin, dass die Kollektivgesellschaft in der Zeit von 1995 bis
2000 nur einen Pachtzins von Fr. 198'000.- für die betreffenden Parkplätze
bezahlt habe, während sich die Einnahmen aus der Parkuhrenbewirtschaftung im
gleichen Zeitraum auf Fr. 470'478.20 belaufen hätten. In Bezug auf die
Differenz von Fr. 272'478.20 sei von einer verdeckten Gewinnausschüttung
zugunsten der von den Beklagten gebildeten Kollektivgesellschaft auszugehen.
Diese Gewinnausschüttung sei den Beklagten, die gleichzeitig Verwaltungsräte
der X. AG seien, als Pflichtverletzung anzulasten, so dass diese aus
aktienrechtlicher Verantwortlichkeit verpflichtet seien, der X. AG den von
ihnen verursachten Schaden in der Höhe von Fr. 272'478.20 zurückzuerstatten.
Das Handelsgericht hat dazu ausgeführt, der umstrittene Pachtvertrag sei
seitens der X. AG von S.W. abgeschlossen worden, der damals - abgesehen von
je einer fiduziarisch gehaltenen Aktie der beklagten Verwaltungsräte -
"Alleinaktionärsstellung" gehabt habe. Als Alleinaktionär der X. AG sei er
berechtigt gewesen, die Gesellschaft auch in einer für sie allenfalls
weniger vorteilhaften

Weise vertraglich zu binden. Gegen daraus hergeleitete
Verantwortlichkeitsansprüche könnten die Organe die haftungsbefreiende
Einrede "volenti non fit iniuria" (Einwilligung des Verletzten) erheben. Bei
diesem Ergebnis könne offen bleiben, ob die X. AG durch das ab dem 1. Januar
1995 praktizierte Pachtverhältnis zur Kollektivgesellschaft effektiv zu
Schaden gekommen sei.

Erwägung 4

  4.  Gegen diese Begründung wenden die Kläger in erster Linie ein, die
Vorinstanz habe mit ihrer Argumentation versäumt zu prüfen, ob durch den
fraglichen Pachtvertrag eine verdeckte Gewinnausschüttung zugunsten der
Kollektivgesellschaft W. & Co. vorliege, welche gegen zwingende
aktienrechtliche Kapitalschutzvorschriften verstiessen. Abgesehen davon habe
die Vorinstanz ohnehin zu Unrecht angenommen, dass die beklagten
Verwaltungsräte die Einrede "volenti non fit iniuria" erhoben hätten.

  4.1  Im vorliegenden Fall drängen sich zunächst einige Bemerkungen zur
Aktivlegitimation der Kläger auf. Die Kläger führen gestützt auf Art. 756
Abs. 1 OR eine Verantwortlichkeitsklage. Die beklagten Verwaltungsräte
sollen damit verpflichtet werden, der X. AG den Schaden zu ersetzen, welcher
dieser durch den angeblich nachteiligen Pachtvertrag mit der
Kollektivgesellschaft W. & Co. entstanden sein soll. Die Aktivlegitimation
der Aktionäre, mit Verantwortlichkeitsklage Schadenersatz für die
geschädigte Gesellschaft einzuklagen, ist grundsätzlich gegeben (BGE 131 III
306 E 3.1.1 S. 310 f.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die
Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des umstrittenen Pachtvertrages - Ende
1994 - noch nicht Aktionäre der X. AG gewesen waren, sondern erst mit dem
Tod von S.W. im Jahr 1997 zunächst mit den anderen Erben Gesamteigentümer
und nach der Teilung im Jahr 2001 Alleineigentümer der Aktien geworden sind.
Zur Geltendmachung der Ansprüche aus dem Gesellschaftsschaden reicht es,
wenn dem für die Gesellschaft klagenden Aktionär die Aktionärseigenschaft im
Zeitpunkt der Klageanhebung zukommt (WIDMER/ BANZ, Basler Kommentar, OR II,
2. Aufl., Basel 2002, N. 5 zu Art. 756 OR). Die Aktivlegitimation der Kläger
wurde daher zu Recht bejaht.

  4.2  Damit stellt sich die Frage, ob die Auffassung der Vorinstanz
zutreffend ist, der seinerzeitige Alleinaktionär S.W. sei berechtigt
gewesen, seine Aktiengesellschaft in einer allenfalls weniger vorteilhaften
Weise vertraglich zu binden, weshalb die Organe den

gegen sie geltend gemachten Verantwortlichkeitsansprüchen die Einrede der
Einwilligung des Verletzten entgegenhalten könnten.

  4.2.1  Nach der Rechtsprechung fällt eine Verantwortlichkeit ausser
Betracht, wenn die ins Recht gefasste Organperson nachzuweisen vermag, dass
sie mit dem Einverständnis des Geschädigten gehandelt hat. So kann sich die
betreffende Organperson gegenüber der auf Schadenersatz klagenden
Gesellschaft auf die haftungsbefreiende Einrede "volenti non fit iniuria"
berufen, wenn sie im ausdrücklichem oder stillschweigenden Einverständnis
aller Aktionäre gehandelt hat oder einen gesetzeskonform gefassten und
unangefochten gebliebenen Beschluss der Generalversammlung vollzieht. Ferner
sind Schadenersatzansprüche der Gesellschaft auch ausgeschlossen, wenn die
Generalversammlung den verantwortlichen Organen gemäss Art. 758 Abs. 1 OR
die Décharge erteilt hat. Analog entfällt eine Haftung gegenüber der
Gesellschaft, wenn diese bzw. deren Alleinaktionär in Kenntnis der
Verhältnisse Organhandlungen toleriert, die normalerweise
Schadenersatzansprüche im Sinn von Art. 754 OR begründen würden (Urteil
4C.397/ 1998 vom 15. Juni 1999, E. 2b/bb mit Hinweisen, publ. in: SZW 2000
S. 197 ff. und SJ 1999 S. 481). Diese Rechtsprechung ist in der Literatur
auf Zustimmung gestossen (URS BERTSCHINGER, Aktienrechtliche
Verantwortlichkeit: Weisungen des Alleinaktionärs an die Verwaltungsräte
schliessen Anspruch der Gesellschaft aus, in: SZW 2000 S. 197 ff.).

  4.2.2  Im vorliegenden Fall hat das Handelsgericht verbindlich
festgestellt (Art. 63 Abs. 2 OG), dass S.W. im Zeitpunkt der
Vertragsanpassung "Alleinaktionärsstellung" gehabt habe. Lediglich die
beiden Beklagten hätten in ihrer Eigenschaft als Mitglieder des
Verwaltungsrats je eine Aktie fiduziarisch gehalten. Wenn aber S.W. im
Zeitpunkt des Vertragsabschlusses per 1. Januar 1995 Alleinaktionär der X.
AG gewesen war, darf vom Einverständnis aller Aktionäre mit dem - für die X.
AG möglicherweise nachteiligen - Pachtvertrag ausgegangen werden. Die
Beklagten in ihrer Eigenschaft als damalige Verwaltungsräte der X. AG können
der von den Klägern für die Gesellschaft erhobenen Verantwortlichkeitsklage
(Art. 756 Abs. 1 OR) daher die haftungsbefreiende Einrede "volenti non fit
iniuria" entgegensetzen. Wenn die Gesellschaft bzw. deren Alleinaktionär in
Kenntnis der Verhältnisse Organhandlung tolerieren, die
Verantwortlichkeitsansprüche begründen könnten, steht den betroffenen
Organpersonen die erwähnte haftungsbefreiende Einrede zur Verfügung.

  4.2.3  Wenn aber eine Haftung gegenüber der Gesellschaft entfällt, weil
diese selbst bzw. ihr Alleinaktionär die umstrittenen Organhandlungen -
Abschluss des Pachtvertrages mit der Kollektivgesellschaft - toleriert
haben, sind auch die Aktionäre, die für die Gesellschaft klagen, mit den
geltend gemachten Verantwortlichkeitsansprüchen ausgeschlossen. Im Übrigen
können die Aktionäre auch keine eigenen Ansprüche geltend machen, weil sie
die Aktien durch Erbgang vom seinerzeitigen Alleinaktionär erworben haben
und dessen Zustimmung folglich auch ihnen entgegengehalten werden kann.
Unter diesen Umständen muss die von den Klägern geltend gemachte Verletzung
von Kapitalschutzvorschriften nicht abgehandelt werden. Die Gesellschaft,
welche eine allfällige Verletzung dieser Vorschriften toleriert hat, kann
sich nicht später auf die Verletzung eben dieser Vorschriften berufen. Einer
solchen Gesellschaftsklage läge ein widersprüchliches Verhalten zu Grunde,
das keinen Rechtsschutz verdient (Art. 2 Abs. 2 ZGB; BERTSCHINGER, a.a.O.,
S. 199).

  4.3  Damit ist nur noch zu prüfen, ob die Beklagen die erwähnte
haftungsbefreiende Einrede auch erhoben haben.

  4.3.1  Die Vorinstanz hat dazu festgehalten, dass die Parteien gemäss §
183 ZPO/AG alle Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen müssten. Dazu
gehörten namentlich auch zivilrechtliche Einreden wie die
haftungsausschliessende Einrede "volenti non fit iniuria". Dabei genüge es
nicht, dass bloss die Tatsachen behauptet würden, welche die Voraussetzungen
für die Einrede bildeten (BÜHLER/EDELMANN/KILLER, Kommentar zur aargauischen
Zivilprozessordnung, 2. Aufl., Aarau 1998, N. 4 zu § 183 ZPO/AG). Im
vorliegenden Fall hätten die Beklagten unter der Rubrik "Rechtliches"
ausgeführt, dass sie das streitige Rechtsgeschäft nicht zu verantworten
hätten. Weiter hätten sie geltend gemacht, dass der mit der
Kollektivgesellschaft abgeschlossene Pachtvertrag einerseits nicht ungünstig
für die X. AG gewesen und andrerseits auch durch den Alleinaktionär
abgeschlossen worden sei.

  4.3.2  Diese Ausführungen wurden von der Vorinstanz zutreffend als gültig
erhobene Einrede "volenti non fit iniuria" ausgelegt. Die Beklagten haben
sich nicht nur darauf beschränkt, blosse Tatsachen zu behaupten, welche die
Voraussetzung der haftungsbefreienden Einrede bilden. Vielmehr haben sie
unter dem Titel "Rechtliches" festgehalten, dass sie das Rechtsgeschäft
nicht zu verantworten hätten,

sondern dass der umstrittene Pachtvertrag vom damaligen Alleinaktionär
abgeschlossen worden sei. Diese Ausführungen durften von der Vorinstanz
dahin gehend ausgelegt werden, dass die Kläger den
Verantwortlichkeitsansprüchen, welche von der Gesellschaft erhoben worden
sind, die Einrede der Einwilligung zum umstrittenen Pachtvertrag entgegen
gesetzt haben. Die Auffassung der Vorinstanz ist damit nicht zu beanstanden,
dass die haftungsbegründende Einrede "volenti non fit iniuria" effektiv auch
erhoben wurde.

  4.4  Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass die Beklagten
der Verantwortlichkeitsklage die haftungsbefreiende Einrede der Einwilligung
des Verletzten entgegen halten können und dies auch getan haben. Aus diesen
Gründen ist die Berufung abzuweisen.