Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 636



Urteilskopf

131 III 636

  82. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. X. AG gegen A. und B.
(Berufung)
  4C.25/2005 vom 15. August 2005

Regeste

  Aktienrecht; Statutenzwang für Gründervorteile; Teilnichtigkeit; Art. 628
Abs. 3 OR bzw. aOR; Art. 627 Ziff. 9 und Art. 20 Abs. 2 OR.

  Vereinbarung zwischen der in Gründung begriffenen Gesellschaft und den
Gründern betreffend zukünftige Zahlungen, die teilweise Gründervorteile und
teilweise ein Entgelt für zukünftige Leistungen zu Gunsten der Gesellschaft
darstellen. Blosse Teilnichtigkeit der Vereinbarung in Bezug auf die
Gründervorteile wegen Verstosses gegen den Statutenzwang (E. 2.2).

Sachverhalt ab Seite 636

  A.- Am 22. April 1965 gründeten C., seine zwei Söhne B. und D. sowie sein
Schwiegersohn E. die X. AG (Klägerin) mit Sitz in Z. Die vier
Gründeraktionäre bildeten auch den Verwaltungsrat der Gesellschaft je mit
Kollektivunterschrift zu zweien. Gleichentags schlossen die vier Gründer und
Verwaltungsräte einzeln mit der in Gründung begriffenen Gesellschaft
Dienstverträge für ihre Tätigkeit als Mitglieder der aktiven
Geschäftsleitung und Leiter der ihnen zugewiesenen Geschäftsbereiche. Für
jedes Mitglied der Geschäftsleitung wurde der Lohn auf monatlich Fr. 5'000.-
zuzüglich Fr. 400.- Vertrauensspesen festgesetzt. Ausserdem sicherte die
Gesellschaft

dem Arbeitnehmer jeweils eine lebenslängliche Rente von monatlich Fr.
4'000.- ab dem erfüllten 65. Altersjahr sowie bei dessen Ableben eine
lebenslängliche Witwenrente von monatlich Fr. 800.- und den minderjährigen
oder noch in Ausbildung befindlichen Nachkommen Waisenrenten von monatlich
Fr. 200.- zu. Beim Abschluss dieser Dienstverträge trat jeweils das einzelne
Verwaltungsratsmitglied als Arbeitnehmer auf, während die drei anderen
Verwaltungsräte den Vertrag für die Gesellschaft unterzeichneten. Mit
Nachträgen vom 26. Juli 1975, die in gleicher Weise unterzeichnet wurden,
wurden das monatliche Salär auf je Fr. 7'500.- zuzüglich
Repräsentationsspesen von monatlich Fr. 1'000.-, die Witwenrente auf
monatlich Fr. 3'500.- und die Waisenrenten auf monatlich Fr. 500.- erhöht.
Zudem wurde vereinbart, dass die festgesetzten Beträge je nach Entwicklung
der Lebenshaltungskosten dem Index angepasst werden.

  Die X. AG erfüllte die Lohn- und Rentenansprüche bis zum 31. Dezember
1996, wobei sie nach dem Tod von C. seiner Ehefrau A. (Beklagte 1) die
Witwenrente sowie B. (Beklagter 2) und E. (Beklagter 3) nach ihrer Aufgabe
der aktiven Tätigkeit die Altersrente ausrichtete. Mit Schreiben vom 2.
Dezember 1996 teilte die X. AG A., B. und E. mit, dass sie die
Rentenzahlungen gestützt auf einen einstimmigen Verwaltungsratsbeschluss vom
18. November 1996 ab 1. Januar 1997 vollumfänglich einstellen werde.

  B.- A., B. und E. setzten die ausstehenden Renten für die Zeit von Januar
1997 bis Oktober 2000 gestaffelt in Betreibung, wobei der Rechtsvorschlag
der X. AG jeweils durch provisorische Rechtsöffnung beseitigt wurde. Die X.
AG erhob darauf am 8. Juni 1999, 28. Juni 2000 und 9. Oktober 2002
Aberkennungsklage beim Amtsgericht Luzern-Stadt. Dieses vereinigte die drei
Verfahren mit Verfügungen vom 7. Juli 2000 und 11. Oktober 2002. Die von A.
eingeleiteten Betreibungen beliefen sich auf insgesamt Fr. 291'309.60, jene
von B. auf Fr. 332'917.60 und jene von E. auf Fr. 237'966.-, je zuzüglich
Zins. In den Aberkennungsklagen verlangte die Klägerin jeweils die
Feststellung, dass die in Betreibung gesetzten Forderungen nicht bestehen,
während die Beklagten die Abweisung der Klagen beantragten.

  Mit Urteil vom 13. Juni 2003 stellte das Amtsgericht Luzern-Stadt fest,
dass die Forderung der Beklagten 1 gegenüber der Klägerin im Betrag von
insgesamt Fr. 116'637.40 nebst Zins bestehe. In diesem

Umfang wies es die Aberkennungsklage ab, während es sie im übersteigenden
Umfang guthiess. Für den Beklagten 2 lautete die geschützte Forderung auf
insgesamt Fr. 194'394.25 nebst Zins, für den Beklagten 3 auf insgesamt Fr.
153'941.30 nebst Zins.

  Gegen das Urteil des Amtsgerichts reichten sowohl die Beklagten wie die
Klägerin beim Obergericht des Kantons Luzern Appellation ein. Die Beklagten
verlangten die vollumfängliche Abweisung der Aberkennungsklagen, während die
Klägerin deren vollständige Gutheissung beantragte. Am 5. Dezember 2003
schrieb das Obergericht die zwischen der Klägerin und dem Beklagten 3
laufende Aberkennungsklage infolge Vergleichs als erledigt ab. Mit Urteil
vom 6. Dezember 2004 bestätigte darauf das Obergericht (I. Kammer) das
amtsgerichtliche Urteil bezüglich der Forderungen der Beklagten 1 und 2.

  Das Bundesgericht weist die von der Klägerin gegen das Urteil des
Obergerichts erhobene Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

  2.  Das Obergericht hat festgestellt, dass die Alters- und Witwenrenten,
welche die Gesellschaft in den Verträgen vom 22. April 1965 und 26. Juli
1975 den Verwaltungsratsmitgliedern zugesichert hat, über das hinaus gingen,
was einem unbeteiligten Dritten als Arbeitnehmer eingeräumt worden wäre. Die
das marktübliche Mass übersteigenden Leistungen betrachtete es als einen
Gründervorteil im Sinne von Art. 628 Abs. 3 aOR, für welchen die
entsprechenden Publizitätsvorschriften nicht eingehalten wurden, und als
eine unzulässige verdeckte Gewinnausschüttung. Demgemäss hat das Obergericht
die Aberkennungsklagen im entsprechenden Ausmass gutgeheissen. Die Klägerin
wirft dem Obergericht eine Verletzung von Bundesrecht vor, weil ein Verstoss
gegen Art. 628 Abs. 3 aOR zur vollständigen Nichtigkeit der Verträge führe.
Zudem würde für die Annahme einer blossen Teilnichtigkeit im Sinne von Art.
20 Abs. 2 OR auch der hypothetische Parteiwille zur Aufrechterhaltung der
Verträge mit den reduzierten Leistungen fehlen.
  (...)

  2.2  Das schweizerische Aktienrecht lässt zu, dass bei der Gründung der
Gesellschaft den Gründern oder anderen Personen besondere Vorteile
eingeräumt werden, für welche die Gesellschaft aufzukommen hat. Solche
Vorteile vermögensrechtlicher Art, welche

direkt der begünstigten Person zustehen und nicht mit den von ihr gehaltenen
Aktien verknüpft sind, können mannigfaltige Formen annehmen und auch in
künftigen periodischen Leistungen bestehen. Art. 628 Abs. 3 aOR verlangte
dafür aber wie die gleichlautende Bestimmung im revidierten Aktienrecht,
dass die begünstigten Personen in den Statuten mit Namen aufgeführt werden
und der gewährte Vorteil nach Inhalt und Wert genau bezeichnet wird. Fehlt
es an den erforderlichen Angaben in den Statuten, so ist die Einräumung der
Sondervorteile nichtig (Art. 627 Ziff. 9 aOR). Dieser Statutenzwang sichert
die Publizität und Transparenz für Dritte und wird ergänzt durch das
Erfordernis des Eintrags im Handelsregister (Art. 641 Ziff. 6 aOR). Bereits
das alte Recht unterwarf die Zusicherung solcher besonderer Vorteile auch
einer besonderen Beschlussfassung (Art. 630 und Art. 636 aOR). Sie konnten
bzw. können auch nur bei der Gründung und bei Kapitalerhöhungen, nicht aber
durch andere spätere Statutenänderungen eingeräumt werden (SIEGWART, Zürcher
Kommentar, N. 69 zu Art. 628 aOR; FORSTMOSER, Schweizerisches Aktienrecht,
Bd. I/1, Zürich 1981, § 10 N. 102; VON STEIGER, Das Recht der
Aktiengesellschaft in der Schweiz, 4. Aufl. 1970, S. 83 ff.;
FORSTMOSER/MEIER-HAYOZ/NOBEL, Schweizerisches Aktienrecht, Bern 1996, § 15
N. 24).

  Kein besonderer Vorteil im Sinne von Art. 628 Abs. 3 aOR liegt vor, wenn
eine von der Gesellschaft erbrachte Leistung ein Entgelt darstellt für eine
ihr nach der Gründung zufliessende Leistung. Dies ergibt sich bereits aus
dem vom Gesetz verwendeten Begriff des Vorteils, der eine Begünstigung
voraussetzt (FORSTMOSER, a.a.O., § 10 N. 93). Liegt ein gemischtes Geschäft
vor, welches bereits im Gründungsstadium abgeschlossen wird, so stellt nur
der unentgeltliche Teil einen besonderen Vorteil dar und untersteht nur
dieser den dafür geltenden Vorschriften. Eine solche Spaltung gemischter
Geschäfte findet sich auch in anderen Bereichen der Rechtsordnung (z.B.
erbrechtliche Ausgleichung).

  Was die Klägerin für die Begründung einer vollständigen Nichtigkeit
vorbringt, ist nicht stichhaltig. Keine der von ihr zitierten
Literaturstellen befasst sich mit der Situation, wo die von der Gesellschaft
zu erbringenden Leistungen teils ein normales Entgelt für Gegenleistungen
ist und nur der andere Teil einen besonderen Vorteil im Sinne von Art. 628
Abs. 3 aOR darstellt. Demgegenüber bejaht FORSTMOSER im Gutachten, welches
die Klägerin eingeholt hat und auf welches sie sich bei ihrer
Aberkennungsklage vor allem

stützte, für diese Situation ausdrücklich die Möglichkeit einer blossen
Teilnichtigkeit. Das Bundesgerichtsurteil 4C.120/1988 vom 22. August 1988
bezieht sich ebenfalls nicht auf eine solche Situation. Streitgegenstand war
damals eine Schuldübernahme durch die Gesellschaft für Lohnansprüche aus der
Zeit vor der Gründung. Zur Frage der Gegenleistung hat sich das
Bundesgericht dort unter dem Gesichtspunkt der Sachübernahme geäussert, da
der behauptete Gegenwert der Gesellschaft ebenfalls bei der Gründung
zugeflossen wäre. Die bei Sachübernahmen geltende Regelung kann hingegen
nicht auf die hier zu beurteilende Situation übertragen werden, da bei
Sachübernahmen immer das ganze Geschäft den dafür geltenden besonderen
Vorschriften unterworfen ist und kein Anlass zu einer Spaltung besteht. Der
blosse Umstand, dass sowohl Art. 628 Abs. 2 wie Art. 628 Abs. 3 aOR den
Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor der Verplanung oder Verminderung des
Gesellschaftsvermögens bezwecken, ist kein genügender Grund, um auch jenen
Teil künftiger Leistungen der Gesellschaft, der ein normales Entgelt für
eine nach der Gründung ihr zufliessende Gegenleistung darstellt, den
Vorschriften über die Gründervorteile zu unterstellen.

  Unbehelflich ist auch der Hinweis der Klägerin auf die im neuen
Aktienrecht eingeführte Formvorschrift für Sacheinlagen, da hier ein dem
alten Recht unterstehender Gründervorteil zu beurteilen ist. Für die
Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und dem Begünstigten zur Begründung
solcher Vorteile verlangte das alte Recht keine besondere Form, sondern es
stellte dafür nur besondere Publizitätserfordernisse (Erwähnung in den
Statuten, Handelsregistereintrag) auf. Das Obergericht ist somit zu Recht
davon ausgegangen, dass die Rechtsfolge der Nichteinhaltung der
Publizitätserfordernisse in einer blossen Teilnichtigkeit bestehen kann.