Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 457



131 III 457

59. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen
Verwaltungsrekurskommission des Kantons St. Gallen (Staatsrechtliche
Beschwerde)

    5P.121/2005 vom 17. Mai 2005

Regeste

    Fürsorgerische Freiheitsentziehung; Entlassungsgesuch (Art. 397d ZGB).

    Die Möglichkeit, jederzeit ein Entlassungsgesuch zu stellen, ergibt
sich aus dem Bundesrecht, weshalb die Verletzung des betreffenden Anspruchs
mit Berufung vorzutragen ist. Mit staatsrechtlicher Beschwerde ist hingegen
zu rügen, der Kanton sei zu Unrecht von einer treuwidrigen Rechtsausübung
ausgegangen (E. 1).

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Aus Art. 397a Abs. 3 i.V.m. Art. 397d Abs. 2 und Art. 397e Ziff. 2
ZGB hat die Lehre abgeleitet, dass die Person, welche im Rahmen einer
fürsorgerischen Freiheitsentziehung in eine Anstalt eingewiesen worden
ist, grundsätzlich jederzeit ein Gesuch um Entlassung stellen kann (statt
vieler: DESCHENAUX/STEINER, Personnes physiques et tutelle, 4. Aufl.,
Bern 2001, Rz. 1192 und 1210); dasselbe ergibt sich aus der Botschaft
zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung (vgl. BBl 1977 III 38) und der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGE 130 III 729). Der Begriff der
Jederzeitigkeit ist demnach bundesrechtlicher Natur, und aus ihm folgt,
dass das Rechtsschutzinteresse per se gegeben ist und die Veränderung
der Verhältnisse - unter Vorbehalt der nachfolgenden Ausführungen -
keine materielle Voraussetzung für das (erneute) Einreichen eines
Entlassungsgesuches darstellt.

    Indes steht das Recht, jederzeit die Entlassung zu verlangen, wie
jede Rechtsausübung unter dem Vorbehalt des Vertrauensgrundsatzes und des
Rechtsmissbrauchsverbots sowie des Grundsatzes von Treu und Glauben. Diese
Maximen sind Teil des kantonalen Prozessrechts, welches grundsätzlich das
Verfahren der fürsorgerischen Freiheitsentziehung ordnet (vgl. Art. 397e
ZGB), obgleich sich der materielle Anspruch, der im kantonalen Verfahren
beurteilt wird, aus dem Bundesprivatrecht ergibt; die Verletzung der
genannten Maximen kann deshalb nicht mit Berufung gerügt werden (vgl. BGE
111 II 62 E. 3 S. 66 f.; 119 II 89 E. 2c S. 92; Urteil 4C.28/1997 vom 2.
August 1999, E. 2b nicht publ. in BGE 125 III 346). Entsprechend hat das
Bundesgericht im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde entschieden,
dass das Recht, jederzeit ein Entlassungsgesuch zu stellen und den
gesuchsabweisenden Entscheid gerichtlich beurteilen zu lassen, durch
den Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben eingeschränkt werde
und deshalb auf Entlassungsgesuche, die in unvernünftigen Abständen
gestellt werden, nicht einzutreten sei (BGE 130 III 729). Auf ein
unmittelbar oder kurz nach einem abweisenden Entscheid erneut gestelltes
Entlassungsgesuch wäre immerhin dann einzutreten, wenn die betroffene
Person - was normalerweise keine Eintretensvoraussetzung ist - veränderte
Verhältnisse nachweist, die eine Entlassung rechtfertigen.

    Nach dem Gesagten ist die Auslegung des bundesrechtlichen Begriffs der
jederzeitigen Entlassung berufungsfähig (Art. 43 Abs. 1 OG), während die
Rüge, die letzte kantonale Instanz sei zu Unrecht von einer treuwidrigen
bzw. querulatorischen Rechtsausübung ausgegangen, mit staatsrechtlicher
Beschwerde zu rügen ist (Art. 84 Abs. 1 lit. a OG).