Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 451



131 III 451

58. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. Swissair
Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft in Nachlassliquidation und
Flightlease AG in Nach- lassliquidation gegen X. (Berufung)

    5C.238/2004 vom 26. Mai 2005

Regeste

    Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG (alte Fassung); Kollokation
des Abgeltungsanspruchs des Arbeitnehmers für nicht bezogene Ferien.

    Zulässigkeit der eidgenössischen Berufung gegen ein im
Kollokationsprozess ergangenes Urteil. Streitwertberechnung. Legitimation
zur Anfechtung des Kollokationsplanes (E. 1.1-1.3).

    Der Abgeltungsanspruch für nicht bezogene Ferien entsteht, wenn
feststeht, dass diese nicht mehr in natura gewährt werden können. Im
vorliegenden Fall ist der Abgeltungsanspruch bei Konkurseröffnung
entstanden, so dass er vollumfänglich in der Ersten Klasse kolloziert
werden muss (E. 2).

    Art. 343 Abs. 2 OR; Kostenlosigkeit des Verfahrens.

    Es liegt keine Streitigkeit aus Arbeitsverhältnis vor, wenn im
Kollokationsprozess ausschliesslich der Rang einer Abgeltungsforderung
für nicht bezogene Ferien strittig ist, nicht aber deren Bestand an sich,
selbst wenn eine arbeitsrechtliche Vorfrage zu entscheiden ist (E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. war bei der Balair/CTA Leisure AG als Pilot angestellt. Das
Arbeitsverhältnis unterstand dem Gesamtarbeitsvertrag "Balair/ CTA -
Aeropers" (nachfolgend: GAV). Gemäss Art. 30 GAV stand X. ein jährlicher
Ferienanspruch von 45 Tagen zu.

    Mit Verfügung vom 27. November 2001 eröffnete der Einzelrichter des
Bezirks Bülach über die Balair/CTA Leisure AG den Konkurs. Am 29. November
2001 wurde X. vom Konkursamt Bassersdorf per sofort entlassen. Unter
dem Titel "Anspruch für nicht bezogene Ferien (49 Tage)" kollozierte das
Konkursamt in der Folge zu Gunsten von X. eine Forderung von Fr. 30'807.82
in der Ersten Klasse im Sinne von Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a
SchKG.

    B.- Mit Eingabe vom 29. Januar 2003 fochten die Swissair Schweizerische
Luftverkehr-Aktiengesellschaft in Nachlassliquidation und die Flightlease
AG in Nachlassliquidation den Kollokationsplan an. Sie verlangten, die
Forderung von X. sei im Umfang von Fr. 16'661.37 nicht in der Ersten,
sondern in der Dritten Klasse zu kollozieren.

    Am 11. November 2003 wies der Einzelrichter des Bezirksgerichts Bülach
die Klage ab. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte mit Urteil
vom 21. September 2004 den bezirksgerichtlichen Entscheid.

    C.- Die Swissair Schweizerische Luftverkehr-Aktiengesellschaft
in Nachlassliquidation und die Flightlease AG in Nachlassliquidation
gelangen mit eidgenössischer Berufung an das Bundesgericht. Sie verlangen
die Aufhebung des obergerichtlichen Urteils und beantragen, es sei die
Forderung von X. in der 1. Klasse des Kollokationsplans im Konkurs der
Balair/CTA Leisure AG auf Fr. 14'146.45 zu reduzieren und der Betrag
von Fr. 16'661.37 in die 3. Klasse zu verweisen.

    X. schliesst in seiner Stellungnahme auf Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  (...)

    1.1  Gegen ein im Kollokationsprozess ergangenes Urteil ist die
eidgenössische Berufung zulässig, wenn - wie vorliegend - Ansprüche des
Bundeszivilrechts umstritten sind (BGE 129 III 415 E. 2.2 S. 416). Die
Berufung ist im Übrigen rechtzeitig erhoben worden und richtet sich
gegen einen Endentscheid eines oberen kantonalen Gerichts, der nicht mehr
durch ein ordentliches kantonales Rechtsmittel angefochten werden kann
(Art. 54 Abs. 1 und Art. 48 Abs. 1 OG).

    1.2  Im vorliegenden Fall bestimmt sich der Streitwert nach der
Differenz zwischen der Dividende, welche gemäss Kollokationsplan auf die
Forderung des Beklagten entfällt, und derjenigen, welche sich ergibt, wenn
die Klage gutgeheissen würde (KURT AMONN/ FRIDOLIN WALTHER, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 7. Aufl. 2003, § 30 N. 24). Gemäss
angefochtenem Urteil kann bei einer Kollokation in der Ersten Klasse mit
einer Dividende von 100 % gerechnet werden, in der Dritten Klasse mit
einer solchen zwischen 6 und 10 %. Damit liegt der Streitwert bei rund Fr.
15'000.-, so dass sich die Berufung auch in dieser Hinsicht als zulässig
erweist (Art. 46 OG).

    1.3  Die beiden Klägerinnen sind im Konkurs der Balair/CTA Leisure
AG als Gläubigerinnen kolloziert. Sie sind damit zur Anfechtung des
Kollokationsplans befugt (Art. 250 SchKG).

Erwägung 2

    2.  Strittig ist, ob die Abgeltungsforderung des Beklagten
vollumfänglich in der Ersten Klasse zu kollozieren ist, oder nur soweit
als sie eine Entschädigung für den Ferienanspruch darstellt, der in den
letzten sechs Monaten vor Konkurseröffnung entstanden ist.

    2.1  Art. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG ist mit dem Bundesgesetz
vom 19. Dezember 2003 (in Kraft seit 1. Januar 2005) geändert worden. Auf
den vorliegenden Fall ist indes noch die alte Fassung anwendbar, da der
Konkurs bereits im Jahr 2001 eröffnet worden ist (Übergangsbestimmung
der Änderung vom 19. Dezember 2003).

    Nach aArt. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG sind in der Ersten
Klasse die Forderungen von Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis, die
in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung entstanden sind,
sowie die Forderungen wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses
infolge Konkurses des Arbeitgebers zu kollozieren. Wie das Obergericht
zu Recht angemerkt hat, ist zu unterscheiden zwischen dem Zeitpunkt,
in dem die Forderung entstanden ist, und demjenigen, in dem sie fällig
geworden ist. Für die Frage der Privilegierung ist vorliegend einzig
von Bedeutung, ob die Abgeltungsforderung in den letzten sechs Monaten
vor Konkurseröffnung entstanden ist (vgl. auch Urteil des Bundesgerichts
5C.155/2000 vom 31. August 2000, E. 4c).

    2.2  Der Anspruch auf Ferien besteht aus einem einheitlichen Anspruch
auf Gewährung von Freizeit unter Fortzahlung des Lohnes während dieser Zeit
(Art. 329a i.V.m. Art. 329d Abs. 1 OR). Der Ferienanspruch entsteht pro
rata temporis entsprechend der Beschäftigungsdauer (Art. 329a Abs. 3 OR;
statt vieler: MANFRED REHBINDER/ WOLFGANG PORTMANN, Basler Kommentar,
N. 2 zu Art. 329a OR).

    Nach der absolut zwingenden Vorschrift von Art. 329d Abs. 2 OR darf
der Ferienanspruch während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nicht
durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen abgegolten werden
(BGE 129 III 493 E. 3.1 S. 495). Eine Abgeltung von Ferienansprüchen ist
grundsätzlich nur zulässig, wenn deren Bezug in natura bei Auflösung des
Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich ist (BGE 106 II 152 E. 2 S. 154;
128 III 271 E. 4a/aa S. 280 f. mit Hinweisen). Ein Entschädigungsanspruch
für nicht bezogene Ferien kann damit erst entstehen, wenn diese nicht mehr
in natura gewährt werden können. Erst in diesem Zeitpunkt steht fest, ob
dem Arbeitnehmer überhaupt ein Abgeltungsanspruch zusteht, und wird die
Ferienforderung durch eine reine Geldforderung ersetzt (GUGLIELMO BRUNI,
Die Stellung des Arbeitnehmers im Konkurs des Arbeitgebers, BJM 1982
S. 302; FRANZ K. BRÖNNIMANN, Der Arbeitgeber im Konkurs, Diss. Basel
1982, S. 99; URS BÄRLOCHER, Der Ferienanspruch nach schweizerischem
Arbeitsrecht, Diss. Basel 1971, S. 143 f.). Nicht gefolgt werden kann
damit der Auffassung der Klägerinnen, der Abgeltungsanspruch entstehe
parallel zum Ferienanspruch pro rata temporis. Da im vorliegenden Fall der
Abgeltungsanspruch für nicht bezogene Ferien erst bei Konkurseröffnung
entstanden ist, muss er vollumfänglich in der Ersten Klasse kolloziert
werden (GUGLIELMO BRUNI, aaO, S. 302; FRANZ K. BRÖNNIMANN, aaO, S. 100;
ROLAND BACHMANN, Das Arbeitsverhältnis im Konkurs des Arbeitgebers,
Diss. Bern 2005, S. 255; a.M. jedoch ohne Begründung: HANSJÖRG PETER,
in: Staehelin/ Bauer/Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, N. 34 zu Art. 219 SchKG; ROLAND MÜLLER,
Konkursprivileg für leitende Arbeitnehmer, SJZ 100/2004 S. 555).

    2.3  Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerinnen ergeben sich
bei dieser Lösung keine Probleme im Zusammenhang mit der Verjährung:
Für bereits verwirkte oder verjährte Ferienansprüche entsteht gar
kein Abgeltungsanspruch (GUGLIELMO BRUNI, aaO, S. 302), und ein
Abgeltungsanspruch, der mehr als sechs Monate vor Konkurseröffnung
entstanden ist, kommt nicht (mehr) in Genuss der Privilegierung gemäss
aArt. 219 Abs. 4 Erste Klasse lit. a SchKG. Im vorliegenden Fall
ist indes keine dieser Konstellationen dargetan. Entsprechend ist die
Abgeltungsforderung des Beklagten vollumfänglich in der Ersten Klasse
zu kollozieren.

Erwägung 3

    3.  Damit ist die Berufung insgesamt abzuweisen. Bei diesem Ausgang
des Verfahrens werden die Klägerinnen kosten- und entschädigungspflichtig
(Art. 156 Abs. 1 und 159 Abs. 2 OG). Es stellt sich die Frage, ob es sich
beim vorliegenden Verfahren um eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis
gemäss Art. 343 OR handelt und - weil der Streitwert unter Fr. 30'000.-
liegt - dementsprechend keine Gerichtskosten erhoben werden dürfen (BGE 115
II 30 E. 5a S. 40). Zu entscheiden war zwar über eine arbeitsrechtliche
Vorfrage, strittig war indes nicht der Abgeltungsanspruch an sich, sondern
ausschliesslich dessen Rang im Kollokationsplan. Damit unterliegt das
vorliegende Verfahren nicht der Kostenfreiheit (DIETER HIERHOLZER, in:
Staehelin/Bauer/Staehelin, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung
und Konkurs, N. 80 zu Art. 250 SchKG; a.M. MANFRED REHBINDER, Berner
Kommentar, N. 18 zu Art. 343 OR; ADRIAN STAEHELIN/FRANK VISCHER, Zürcher
Kommentar, N. 10 zu Art. 343 OR).