Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 334



131 III 334

45. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. gegen Y. sowie
Obergericht des Kantons Luzern (Staatsrechtliche Beschwerde)

    5P.1/2005 vom 22. März 2005

Regeste

    Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen
Aspekte internationaler Kindesentführung (HEntfÜ; SR 0.211.230.02);
Rückführung widerrechtlich in die Schweiz verbrachter Kinder nach Spanien.

    Beschleunigungsgebot (Art. 11 Abs. 1 HEntfÜ): Eine Dauer des Verfahrens
vor den Schweizer Behörden (mit zwei kantonalen Rechtsmittelverfahren)
von sieben Monaten (wobei die jeweilige Instanz innert der Frist von sechs
Wochen oder wenig mehr geurteilt hat) ist nicht zu beanstanden (E. 2.3).

    Art. 12 Abs. 1 und 2 HEntfÜ: Falls das Rückführungsgesuch innert
weniger als einem Jahr seit dem Wegbringen oder Zurückhalten des Kindes
eingereicht worden ist, steht der Umstand, dass sich dieses in seiner
neuen Umgebung eingelebt hat, einer Rückführung nicht entgegen (E. 3.2).

    Art. 13 Abs. 2 HEntfÜ: Voraussetzungen, unter denen der Widerstand
des Kindes gegen seine Rückführung zu berücksichtigen ist (E. 4 und 5).

    Anordnung der Rückführung durch das Bundesgericht selbst (E. 6).

    Die staatsrechtliche Beschwerde fällt nicht in den Anwendungsbereich
von Art. 26 Abs. 2 HEntfÜ, wonach das Verfahren kostenlos ist (E. 7).

Sachverhalt

    A.- X. (Ehemann) und Y. (Ehefrau) heirateten am 30. August 1989
in A. und wohnten in der Folge in Spanien. Am 5. März 1994 wurde der
Sohn V. und am 6. April 1995 der Sohn W. geboren. Zusammen mit den
beiden Söhnen verliess Y. am 21. Juni 2003 Spanien und liess sich in
A. nieder. Zwei Tage später reichte sie beim Amtsgericht B. eine Klage
auf Scheidung der Ehe ein. Seit dem 25. Juni 2003 ist ausserdem ein
Massnahmenverfahren nach Art. 137 ZGB hängig. Beide Verfahren sind zur
Zeit sistiert.

    B.

    B.a X. stellte am 19. Januar 2004 beim Ministerio de Justicia in
Madrid ein Gesuch um Rückführung der beiden Söhne V. und W. nach Spanien,
das am 8. März 2004 an das Bundesamt für Justiz überwiesen und von diesem
am 23. April 2004 an das Amtsgericht B. weitergeleitet wurde. Mit Eingabe
vom 19. Mai 2004 an dieses Gericht erneuerte X. das Rückführungsgesuch.

    B.b Der Amtsgerichtspräsident II von B. hiess das Begehren mit
Entscheid vom 21. Juni 2004 gut und verpflichtete Y., die Kinder innert
30 Tagen ab Rechtskraft des Entscheids nach Spanien zurückzuführen.

    Y. zog den Entscheid an das Obergericht (II. Kammer) des Kantons
Luzern weiter, das die Nichtigkeitsbeschwerde am 11. August 2004 guthiess,
soweit es darauf eintrat, den Entscheid des Amtsgerichtspräsidenten aufhob
und die Sache zu neuer Beurteilung an diesen zurückwies.

    B.c Nach erneuter Instruktion wies der Amtsgerichtspräsident II von
B. das Rückführungsgesuch am 22. September 2004 ab.

    Die von X. hiergegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wies das
Obergericht (II. Kammer) am 11. November 2004 ab.

    C.- In seiner staatsrechtlichen Beschwerde vom 3. Januar 2005 beantragt
X., den obergerichtlichen Entscheid vom 11. November 2004 aufzuheben und
die kantonale Instanz anzuweisen, das Rückführungsgesuch gutzuheissen und
die Modalitäten der Rückführung festzulegen. Mit Eingabe vom 21. Januar
2005 hat er ausserdem um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege
nachgesucht.

    Y. beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf überhaupt
einzutreten sei.

    Das Obergericht hat sich nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Der Beschwerdeführer beanstandet die bisherige Dauer des
Verfahrens.

    2.1  In Verfahren um Rückgabe von Kindern haben die zuständigen
Behörden eines jeden Vertragsstaates mit der gebotenen Eile zu handeln
(Art. 11 Abs. 1 des Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die
zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung [HEntfÜ;
SR 0.211.230.02]). Hat das zuständige Gericht nicht innerhalb von sechs
Wochen nach Eingang des Antrags eine Entscheidung getroffen, so kann unter
anderem der Gesuchsteller eine Darstellung der Gründe für die Verzögerung
verlangen (Art. 11 Abs. 2 HEntfÜ). Das Übereinkommen konkretisiert demnach
das allgemein geltende Beschleunigungsgebot wie es für Spanien und für die
Schweiz nach Konventionsrecht (Art. 6 Abs. 1 EMRK) und für das Verfahren
vor den Schweizer Behörden nach der Bundesverfassung (Art. 29 Abs. 1) gilt.

    2.2  Vorliegend steht einzig die Dauer des Rückführungsverfahrens vor
den Schweizer Behörden zur Beurteilung. Hingegen steht es dem Bundesgericht
nicht zu, die Umstände zu prüfen, die dazu geführt haben, dass das am 19.
Januar 2004 beim Ministerio de Justicia in Madrid eingereichte Gesuch erst
am 8. März 2004 an das Bundesamt für Justiz in Bern überwiesen wurde. Das
Bundesamt leitete das Gesuch seinerseits am 23. April 2004 an das
Amtsgericht B. weiter. Ob dieses Vorgehen in zeitlicher Hinsicht angebracht
war, kann offen bleiben. Entscheidend ist nämlich die Gesamtdauer des
Verfahrens vor den Schweizer Behörden. Der Amtsgerichtspräsident beurteilte
das vom Bundesamt übermittelte, vom Beschwerdeführer am 19. Mai 2004
erneuerte Gesuch bereits am 21. Juni 2004. Das Obergericht entschied über
die gegen den Gutheissungsentscheid erhobene Nichtigkeitsbeschwerde am 11.
August 2004 und hob ihn auf. Hierauf ergänzte der Amtsgerichtspräsident
das Beweisverfahren, indem er die beiden betroffenen Kinder anhörte,
und entschied am 22. September 2004 von neuem. Das Obergericht schützte
den Abweisungsentscheid des Amtsgerichts am 11. November 2004.

    2.3  Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass die Schweizer Behörden
über das Rückführungsgesuch (mit zwei kantonalen Rechtsmittelverfahren)
innert sieben Monaten befunden haben. Die jeweilige Entscheid-
bzw. Rechtsmittelinstanz hat innert der Frist von sechs Wochen oder
wenig mehr geurteilt. Dabei ist nicht ausser Acht zu lassen, dass die
Gerichte den Parteien selbstverständlich das Anhörungsrecht zu gewähren
hatten (Art. 29 Abs. 2 BV) und ihnen die gesetzlichen Fristen und damit
den Rechtsschutz nicht hatten abkürzen dürfen (dazu ALEXANDER R. MARKUS,
Beschleunigungsgebot und Berufungsfähigkeit bei Kinder-Rückgabeentscheiden
nach Haager Übereinkommen, in: AJP 1997 S. 1086). Es fällt in
diesem Zusammenhang übrigens auf, dass der Beschwerdeführer die
Rechtsmittelfristen, einschliesslich der Gerichtsferien, im kantonalen
Verfahren und bei der Einreichung der staatsrechtlichen Beschwerde
jeweils voll ausgenützt hat. Die Angelegenheit wurde gesamthaft gesehen
mit der gebotenen Eile behandelt, womit sich die betreffende Rüge als
ungerechtfertigt erweist.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Das Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte
internationaler Kindesentführung hat unter anderem zum Ziel, die sofortige
Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort
zurückgehaltener Kinder sicherzustellen (Art. 1 lit. a). Als widerrechtlich
gilt das Wegbringen oder Zurückhalten eines Kindes, wenn dadurch das
Sorgerecht verletzt wird, das einer Person allein oder gemeinsam nach dem
Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Wegbringen
oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 3 Abs. 1
lit. a HEntfÜ). Ist ein Kind im Sinne dieser Bestimmung widerrechtlich
weggebracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags
bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaates, in dem
sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem
Wegbringen oder Zurückhalten verstrichen, so wird die sofortige Rückgabe
des Kindes angeordnet (Art. 12 Abs. 1 HEntfÜ).

    Es steht im vorliegenden Verfahren fest und wird von den Parteien nicht
bestritten, dass diese das Sorgerecht über die beiden Kinder in Spanien
gemeinsam ausgeübt haben und die Jahresfrist für das Rückführungsgesuch
eingehalten worden ist.

    3.2  Art. 12 Abs. 2 HEntfÜ bestimmt, dass die Rückgabe des Kindes
ebenfalls dann angeordnet wird, wenn der Antrag erst nach Ablauf der
erwähnten Jahresfrist eingegangen ist, es sei denn, es sei erwiesen,
dass das Kind sich in seiner neuen Umgebung eingelebt hat. Letzteres
kann im vorliegenden Fall, wo das Gesuch früher gestellt worden ist,
einer Rückführung mithin von vornherein nicht entgegenstehen. Soweit der
Wunsch von V. und W., in der Schweiz zu bleiben, mit dem Hinweis auf
die aktuellen Lebensumstände und die Beziehungen zu den hier lebenden
Grosseltern begründet wird (vgl. unten E. 5.5), sind die Aussagen der
Kinder mithin unbeachtlich.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Nach Art. 13 Abs. 1 HEntfÜ ist die zuständige Instanz des
ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen,
wenn nachgewiesen wird, dass der Gesuchsteller dem Wegbringen oder
Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat (lit. a)
oder dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen
oder seelischen Schadens für das Kind verbunden wäre oder das Kind auf
andere Weise in eine unzumutbare Lage brächte (lit. b). Ferner kann die
Anordnung einer Rückgabe abgelehnt werden, wenn festgestellt wird, dass
sich das Kind der Rückgabe widersetzt und es ein Alter und eine Reife
erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu
berücksichtigen (Art. 13 Abs. 2 HEntfÜ).

    4.2  Der Amtsgerichtspräsident hatte dafür gehalten, dass alle drei
eine Rückführung ausschliessenden Tatbestände gegeben seien. Demgegenüber
gelangte das Obergericht zur Auffassung, dass einerseits bei einer
Gesamtwürdigung der Verhältnisse ein nachträglicher Verzicht des
Beschwerdeführers auf eine Rückführung der Kinder zu verneinen sei und
dass andererseits von einer schwerwiegenden Gefahr für die körperliche
oder seelische Gesundheit der Kinder im Falle ihrer Rückführung nicht
gesprochen werden könne, zumal nicht dargetan sei, dass die von der
Beschwerdegegnerin kritisierten Erziehungsmethoden des Beschwerdeführers
und das sektenähnliche Umfeld, in dem die Familie gelebt habe, sich auch
dann auf die Kinder auswirken würden, wenn diese bloss auf spanisches
Hoheitsgebiet zurückgeführt würden. Als erfüllt hat das Obergericht jedoch
den Ausschlussgrund von Art. 13 Abs. 2 HEntfÜ betrachtet.

    4.3  In Anbetracht der Tatsache, dass ihrem Antrag auf Nichtrückgabe
der Kinder gestützt auf diese Bestimmung stattgegeben worden ist, hatte
die Beschwerdegegnerin keinen Anlass, den Entscheid des Obergerichts
anzufechten. Dies hätte sie jedoch nicht daran gehindert, für den Fall,
dass die Voraussetzungen von Art. 13 Abs. 2 HEntfÜ von der erkennenden
Abteilung verneint werden sollten, sich auf die anderen Ausschlussgründe
zu berufen und den obergerichtlichen Entscheid in dieser Hinsicht zu
kritisieren. Da sie dies unterlassen hat, geht es im Folgenden einzig
um die Frage, ob die Rückführung wegen eines von den Kindern geäusserten
Widerstandes zu verweigern sei.

Erwägung 5

    5.  V. und W. wurden am 14. September 2004 (zunächst getrennt)
in Anwesenheit eines Kinder- und Jugendpsychologen durch den
Amtsgerichtspräsidenten von B. angehört. Beide äusserten den Wunsch,
nicht nach Spanien zurückkehren zu müssen.

    5.1  Ob im Sinne von Art. 13 Abs. 2 HEntfÜ dem Widerstand des
betroffenen Kindes Rechnung zu tragen und von der Anordnung seiner
Rückführung in das Herkunftsland abzusehen sei, ist letztlich auf Grund
einer sämtliche Umstände erfassenden Würdigung seiner Äusserungen zu
beurteilen. Es ist zu prüfen, ob das (urteilsfähige) Kind sich einer
Rückführung aus freien Stücken, d.h. unbeeinflusst durch den entführenden
Elternteil, widersetzt (dazu PALANDT/HELDRICH, Beck'scher Kurz-Kommentar
zum [Deutschen] Bürgerlichen Gesetzbuch, 64. Aufl., Anh. zu EGBGB 24 [IPR]
Rz. 79). Zur Beantwortung dieser Frage ist abzuklären, inwieweit das Kind
die Interessen der beiden betroffenen Eltern und seine eigene Situation
zu erkennen und zu begreifen vermag und inwieweit es in der Lage ist,
einen allfälligen Loyalitätskonflikt zu verarbeiten und sich trotz aller
äusseren Einflüsse bezüglich der Rückführung eine eigene Meinung zu bilden
(dazu ANDREAS BUCHER, L'enfant en droit international privé, Basel 2003,
S. 168 f. Rz. 487 ff.). Eine völlig unbeeinflusste Willensbildung wird es
kaum je geben, und es geht für die Rückführungsbehörde deshalb regelmässig
darum, den zwar unter dem Einfluss eines Elternteils entstandenen,
aber dennoch beachtlichen Willen von dem unbeachtlichen, allenfalls
manipulierten Kindeswillen abzugrenzen (KATJA SCHWEPPE, Kindesentführungen
und Kindesinteressen, Die Praxis des Haager Übereinkommens in England
und Deutschland, Diss. Frankfurt am Main 2001, S. 196).

    5.2  In welchem Alter das Kind die für eine möglichst autonome
Willensbildung erforderliche Reife erlangt, lässt sich nicht allgemein
bestimmen. Vor ein paar Jahren wurde die notwendige Reife in der Regel
noch ab dem 14. Altersjahr angenommen (HANS KUHN, "Ihr Kinderlein bleibet,
so bleibet doch all", in: AJP 1997 S. 1102 mit Hinweisen). ANDREAS BUCHER
(aaO, S. 168 Rz. 486) hält dafür, dass sich ein Mindestalter überhaupt
nicht festlegen lasse. Seit einiger Zeit wird in der Rechtsprechung
vermehrt auch die Meinung jüngerer Kinder berücksichtigt, frühestens
aber ab dem 10. Altersjahr (dazu CARLA SCHMID, Neuere Entwicklungen im
Bereich der internationalen Kindsentführungen, in: AJP 2002 S. 1335 mit
Hinweisen). Es ist auf jeden Fall davon auszugehen, dass je näher sich das
Kind bei der für die Anwendung des Übereinkommens geltenden Altersgrenze
von 16 Jahren (Art. 4 HEntfÜ) befindet, um so eher anzunehmen ist,
es verfüge über die nötige Reife, in eigener Verantwortung, möglichst
unbeeinflusst vom entführenden Elternteil zu entscheiden, und es sich um
so eher rechtfertigt, auf die Meinung des Kindes massgeblich abzustellen
(dazu GERHARD WALTER/MONIQUE JAMETTI GREINER/IVO SCHWANDER, Internationales
Privat- und Verfahrensrecht, Texte und Erläuterungen, 2. Bd., HEntfÜ
[84 E], Ergänzungslieferung Dezember 2000, Rz. 34; STAUDINGER/PIRRUNG,
Kommentar zum [Deutschen] Bürgerlichen Gesetzbuch, 13. Aufl., Berlin 1994,
Vorbem. zu Art. 19 EGBGB, S. 274 Rz. 685). Ist ein Kind - wie hier, wo
V. und W. im Zeitpunkt ihrer Befragung 10 ½- bzw. 9 ½-jährig waren - vom
erwähnten Alter noch verhältnismässig weit entfernt und liegt bezüglich
seiner Urteilsfähigkeit ein Grenzfall vor, ist seine Meinung dagegen mit
besonderer Zurückhaltung zu würdigen.

    5.3  Im Rahmen des Rückführungsverfahrens darf nicht ein
Sorgerechtsentscheid getroffen werden; hierfür bleibt - bis zu einer
allfälligen rechtskräftigen Abweisung des Rückführungsbegehrens
- ausschliesslich das (Familien-)Gericht am Ort des früheren
(rechtmässigen) Aufenthalts des Kindes zuständig (vgl. die Art. 16 und
19 HEntfÜ; KUHN, aaO, S. 1093). Mit dem Übereinkommen soll eine spätere
Sorgerechtsentscheidung ermöglicht, nicht aber vorweggenommen werden
(Zeitschrift für das gesamte Familienrecht [FamRZ] 1998 S. 475).

    5.4  Das Obergericht hat festgehalten, V. und W. hätten ernsthaft
und nachvollziehbar geäussert, nicht nach Spanien zurückgeführt werden zu
wollen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bestehe kein Anlass,
den Willen der beiden Kinder in Frage zu stellen. Deren Anhörung habe
in Anwesenheit einer Fachperson stattgefunden und sei in jeder Hinsicht
korrekt gewesen. Die Äusserungen der Kinder hätten auf realem Erleben
beruht und ihre ablehnende Haltung erscheine denn auch nicht als aus
der Luft gegriffen. Wohl sei nicht zu verkennen, dass die beiden eine
solidarische Haltung zur Beschwerdegegnerin einnähmen, doch lasse sich
Art. 13 Abs. 2 HEntfÜ kein Hinweis dafür entnehmen, dass die Beweggründe
von Bedeutung wären und der Wille des Kindes im Kontext von Art. 13 Abs. 1
lit. a und b HEntfÜ auszulegen wäre. Allerdings heisse dies nicht, dass der
Kindeswille nicht kritisch zu hinterfragen wäre, zumal auch Aussagen von
Kindern der freien richterlichen Beweiswürdigung unterlägen. Angesichts
der Äusserungen von V. und W. habe der Amtsgerichtspräsident jedoch ohne
Willkür davon ausgehen dürfen, der Ausschlussgrund von Art. 13 Abs. 2
HEntfÜ sei in ihrem Fall gegeben.

    5.5  Aus dem Anhörungsprotokoll vom 14. September 2004 geht deutlich
hervor, dass die beiden Knaben wünschen, bei der Mutter bleiben zu
können und nicht zum Vater zurückkehren zu müssen. V. erklärte, wenn
er ohne Mutter nach Spanien zurückkehren müsste, wäre er allein und nur
mit seinen Nachbarn, weil der Vater lange arbeiten müsse. W. äusserte,
Angst zu haben, bei einer Rückkehr nach Spanien einmal auf der Strasse
leben zu müssen, da ihnen die finanziellen Mittel fehlen würden; auch die
Mutter habe ihm gesagt, dass es sehr schlimm für sie wäre, wenn sie nach
Spanien zurückkehren müssten.

    Es fällt auf, dass die beiden Kinder sich offensichtlich dazu zu
äussern hatten, ob sie lieber bei der Mutter in der Schweiz bleiben
oder lieber zum Vater nach Spanien zurückkehren möchten. Die Frage der
Rückführung wurde mit andern Worten auf die Frage reduziert, unter
wessen Obhut sie lieber leben würden. Wohl ist nicht zu übersehen,
dass es das Differenzierungsvermögen eines Kindes übersteigen dürfte,
Motive allgemeiner Natur gegen eine Rückkehr ins Herkunftsland von
Motiven auseinander zu halten, die gegen eine Rückkehr zum dort lebenden
Elternteil sprechen (dazu SCHWEPPE, aaO, S. 195). Es dürfte jedoch
äusserst fraglich sein, ob V. und W. sich anlässlich ihrer Anhörung
überhaupt bewusst waren, dass sie sich nicht zur Obhutsfrage, sondern
zu einer allfälligen Rückführung nach Spanien zu äussern hatten, wo das
zuständige Gericht dann über das Sorgerecht zu befinden haben würde.

    Das Obergericht beruft sich auf die Würdigung des von den beiden
Knaben geäusserten Willens durch den Amtsgerichtspräsidenten, die es
als überzeugend bezeichnet. Der Amtsgerichtspräsident war seinerseits
zum Schluss gelangt, den mit V. und W. geführten Gesprächen habe nicht
entnommen werden können, dass die Knaben von ihrer Mutter auf die Anhörung
hin beeinflusst worden wären. Es mag sein, dass die Beschwerdegegnerin die
Kinder nicht bewusst auf deren Befragung durch den Richter vorbereitet
und auf deren Aussagen nicht unmittelbar eingewirkt hat. Indessen sind
bei der Würdigung der Erklärungen von V. und W. die gesamten Umstände in
Betracht zu ziehen: Die beiden Knaben haben mit der Beschwerdegegnerin
fluchtartig Spanien verlassen und bilden seither mit ihr eine ausgeprägte
Schicksalsgemeinschaft. In ihrer neuen Umgebung sind die drei mit
offenen Armen empfangen worden. V. und W. haben ihren Widerstand
gegen eine Rückkehr nach Spanien denn auch teilweise mit den aktuellen
Lebensverhältnissen und der Beziehung zu den Grosseltern begründet.

    Bei Kindern im Alter von V. und W. ist es unter den gegebenen
Umständen unvorstellbar, dass sie etwas anderes äussern, als bei dem sie
betreuenden Elternteil und in ihrer neuen Umgebung bleiben und nicht an
den früheren Aufenthaltsort zurückkehren zu wollen. Zu bedenken ist vor
allem auch, dass die Beschwerdegegnerin (zumindest) W. gegenüber erklärt
hat, es wäre für sie sehr schlimm, wenn sie nach Spanien zurückkehren
müssten. Die Beschwerdegegnerin macht zwar in ihrer Vernehmlassung nicht
(mehr) geltend, bei einer Rückkehr nach Spanien mit einer Strafverfolgung
rechnen zu müssen, sondern bringt einzig vor, sie würde bei einem Umzug
nach Spanien ihre heutige ideale Situation aufgeben. Die Kinder mussten
aber angesichts ihrer negativen Einstellung gleichwohl unter dem Eindruck
gestanden haben, es sei zumindest nicht ausgeschlossen, dass sie alleine
zurückkehren und sich von ihrer Mutter, die für sie zur einzigen näheren
Bezugsperson geworden ist, trennen müssten.

    5.6  Von einer unbeeinflussten Willensbildung kann unter
den dargelegten Umständen nicht die Rede sein. V. und W. verfügen
offensichtlich nicht über die für die Berücksichtigung ihrer Meinung
erforderliche Reife. Zudem ist ihr Wunsch, in der Schweiz zu bleiben,
teilweise darauf zurückzuführen, dass sie sich hier eingelebt haben,
und insofern deshalb ohnehin unbeachtlich (vgl. oben E. 3.2). Bei dieser
Sachlage geht es nicht an, das Rückführungsbegehren gestützt auf Art. 13
Abs. 2 HEntfÜ abzuweisen. Die Vorbringen der Beschwerdegegnerin vermögen
- soweit aus novenrechtlicher Sicht überhaupt beachtlich - daran nichts
zu ändern.

Erwägung 6

    6.  Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich rein
kassatorischer Natur (BGE 130 I 258 E. 1.2 S. 261 mit Hinweisen). Eine
Ausnahme gilt in Fällen, wo die von der Verfassung geforderte Lage nicht
schon mit der Aufhebung des angefochtenen kantonalen Entscheids hergestellt
wird, sondern dafür eine positive Anordnung nötig ist (BGE 129 I 129
E. 1.2.1 S. 132 mit Hinweisen). So gibt das Bundesgericht beispielsweise
in Rechtsöffnungssachen einem Antrag, mit dem über die Aufhebung des
angefochtenen Entscheids hinaus die Erteilung der Rechtsöffnung verlangt
wird, unter gewissen Voraussetzungen statt (dazu BGE 120 Ia 256 E. 1b
S. 257 f.). Diese Grundsätze sind sinngemäss auch auf die vorliegende
Staatsvertragsbeschwerde anzuwenden. Das im Rückführungsverfahren geltende
Beschleunigungsgebot rechtfertigt es, dass die Anordnung der Rückführung,
mit der hier der konventionskonforme Zustand herbeigeführt wird, vom
Bundesgericht selbst getroffen wird. Neben der Aufhebung des angefochtenen
Entscheids ist daher anzuordnen, dass die Beschwerdegegnerin V. und W. bis
Ende Mai 2005 nach Spanien zurückbringe.

Erwägung 7

    7.  Die staatsrechtliche Beschwerde fällt als bundesrechtliches
ausserordentliches Rechtsmittel gegen letztinstanzliche kantonale
Rückführungsentscheide entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers
nicht in den Anwendungsbereich von Art. 26 Abs. 2 HEntfÜ, wonach das
Verfahren kostenlos ist. Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend ist die
Gerichtsgebühr der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG).
Diese ist ausserdem zu verpflichten, den Beschwerdeführer für seine
Umtriebe im bundesgerichtlichen Verfahren zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1
OG). Das Gesuch des Beschwerdeführers, ihm für das bundesgerichtliche
Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren, wird damit insofern
gegenstandslos, als er nicht kostenpflichtig ist. Da die Voraussetzungen
für die Gewährung des Armenrechts offensichtlich erfüllt sind, ist
dem Begehren jedoch insofern stattzugeben, als für den Fall, dass die
zugesprochene Parteientschädigung sich nicht einbringen lassen sollte,
dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine Entschädigung aus der
Bundesgerichtskasse zuzusprechen ist (Art. 152 Abs. 2 OG).