Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 131 III 209



131 III 209

26. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. gegen B.
(Berufung)

    5C.199/2004 vom 19. Januar 2005

Regeste

    Umfang des persönlichen Verkehrs (Art. 273 Abs. 1 ZGB).

    Konflikte zwischen den Eltern sind kein Grund für eine Beschränkung des
Besuchsrechts gegenüber dem Kind. Eine solche rechtfertigt sich einzig,
wenn aufgrund der tatsächlichen Umstände davon auszugehen ist, dass die
Gewährung des üblichen Besuchsrechts das Kindeswohl gefährdet (E. 5).

Sachverhalt

    A.- C. ist das am 9. November 1994 geborene Kind von A. und B., die im
Konkubinat lebten. Am 20. April 2001 zog B. aus dem gemeinsamen Haushalt
aus. Zwischen ihr und A. bestehen erhebliche Spannungen, die sich u.a. in
Differenzen zum persönlichen Verkehr zwischen Vater und Sohn äussern.

    B.- Mit Beschluss vom 24. November 2003 gewährte die
Vormundschaftsbehörde M. A. ein Besuchsrecht an jedem ersten und dritten
Wochenende des Monats, jeweils von Freitag, 18.00 Uhr, bis Sonntag,
19.00 Uhr (die Freitagabende solange B. zu dieser Zeit arbeite) sowie
ein Ferienrecht von vier Wochen pro Jahr.

    Auf Beschwerde von B. hin beschränkte das Bezirksamt F. mit
Verfügung vom 23. Februar 2004 das Besuchsrecht auf jedes dritte
Wochenende im Monat von Samstagmorgen, 10.00 Uhr, bis Sonntagabend,
18.00 Uhr, und das Ferienrecht auf zwei Wochen pro Jahr. Die dagegen von
A. erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau, Kammer
für Vormundschaftswesen, mit Entscheid vom 17. Juni 2004 ab.

    C.- Gegen diesen Entscheid hat A. am 10. September 2004 Berufung
erhoben mit den Begehren, in Aufhebung des angefochtenen Urteils sei
für jedes erste und dritte Wochenende ein Besuchsrecht von Freitagabend,
18.00 Uhr, bis Samstagabend (offensichtlich gemeint: Sonntagabend), 19.00
Uhr, sowie ein Ferienrecht von vier Wochen pro Jahr zu gewähren. Mit
Berufungsantwort vom 2. November 2004 hat B. das Begehren gestellt,
die Berufung sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  In seiner Rechtsprechung zum Besuchsrecht übt das Bundesgericht
unter Verweis auf das richterliche Ermessen eine gewisse Zurückhaltung
(zur Überprüfung von Ermessensentscheiden im Allgemeinen: BGE 126 III 223
E. 4a S. 227 f.; 116 II 145 E. 6a S. 149; zum Besuchsrecht im Besonderen:
BGE 120 II 229 E. 4a S. 235).

    Vorliegend ist die abschliessende Beurteilung, welcher Umfang des
Besuchs- und Ferienrechts im konkreten Fall angemessen ist, nicht möglich
(dazu E. 5 hiernach). Primär ist aber ohnehin die Frage zu beantworten, ob
es vor Bundesrecht standhält, weitgehend unbekümmert um die Besonderheiten
des Einzelfalls auf eine kantonale Praxis abzustellen, nach welcher das
Besuchsrecht bei schlechtem Einvernehmen zwischen den Eltern generell
eingeschränkt wird. Dabei geht es um eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art,
weshalb es nicht gerechtfertigt wäre, wenn das Bundesgericht bei deren
Beantwortung Zurückhaltung üben würde.

Erwägung 4

    4.  Die kantonale Praxis neigt dazu, das Besuchsrecht im Streitfall
weniger grosszügig zu bemessen als bei gutem Einvernehmen der Eltern. Unter
Verweis auf das Ermessen des kantonalen Richters hat das Bundesgericht in
einem neueren Entscheid eine moderate Einschränkung wegen bestehender
Spannungen zwischen den Eltern und eines damit zusammenhängenden,
in tatsächlicher Hinsicht erwiesenen Loyalitätskonflikts des Kindes
geschützt; konkret ging es um ein Besuchsrecht an jedem dritten statt an
jedem zweiten Wochenende sowie um ein Ferienrecht von zwei statt von drei
Wochen (Entscheid 5C.176/2001 vom 15. November 2001, E. 2).

    In einem weiteren Entscheid hat das Bundesgericht zur Luzerner
Praxis jüngst festgehalten, dass Konfliktsituationen, wie sie in jeder
Scheidung - analog auch bei der Auflösung eines Konkubinats - auftreten
können, nicht zu einer einschneidenden Beschränkung des Besuchsrechts
auf unbestimmte Zeit führen dürfen, wenn das Verhältnis zwischen dem
besuchsberechtigten Elternteil und dem Kind gut ist (BGE 130 III 585
E. 2.2.1 S. 589). Das Bundesgericht hat sich dabei von der Überlegung
leiten lassen, dass es unhaltbar wäre, wenn der obhutsberechtigte
Elternteil es in der Hand hätte, gewissermassen durch Zwistigkeiten
mit dem anderen Teil den Umfang des Besuchsrechts zu steuern. Es hat
in diesem Sinn auch zu bedenken gegeben, dass für einen allfälligen
Loyalitätskonflikt des Kindes in erster Linie die Eltern verantwortlich
sind, was ihnen allerdings oftmals nicht bewusst ist, und es hat die
Pflicht des obhutsberechtigten Elternteils hervorgehoben, die Beziehung
zwischen dem Kind und dem anderen Teil zu fördern und das Kind für die
Kontaktpflege positiv vorzubereiten. Zudem hat es auf die Erkenntnis
verwiesen, dass aufgrund des schicksalhaften Eltern-Kind-Verhältnisses
die Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen sehr wichtig ist und bei
dessen Identitätsfindung eine entscheidende Rolle spielen kann. In diesem
Zusammenhang hat es auch festgehalten, dass gerade für die Entwicklung der
Männlichkeit bei Knaben die Orientierungsmöglichkeit an einer väterlichen
Identifikationsfigur von grosser Bedeutung ist.

Erwägung 5

    5.  Das Obergericht hat es im Wesentlichen bei einem Verweis auf
die kantonale Praxis, wonach das Besuchsrecht bei elterlichen Konflikten
einzuschränken sei, bewenden lassen. Das Abstellen auf eine solche Praxis
muss jedoch mit der in BGE 130 III 585 publizierten Rechtsprechung für
den Fall, dass das Einvernehmen zwischen besuchsberechtigtem Elternteil
und Kind gut ist, als überholt gelten. Die beiläufige Bemerkung im
angefochtenen Urteil, C. halte sich sehr gerne bei seinem Vater auf,
lässt darauf schliessen, dass dies vorliegend der Fall ist; zudem lässt
sich dem erstinstanzlichen Urteil in Ergänzung der obergerichtlichen
Sachverhaltsfeststellungen (Art. 64 Abs. 2 OG) entnehmen, dass sich der
Vater liebevoll und vorsorglich um seinen Sohn kümmert und der inzwischen
immerhin 10-jährige C. wünscht, mehr Zeit bei seinem Vater verbringen
zu dürfen.

    Aus BGE 130 III 585 lässt sich jedoch nicht der Schluss ziehen, dass
bei gutem Einvernehmen zwischen Kind und besuchsberechtigtem Elternteil
in jedem Fall ein Besuchs- und Ferienrecht üblichen Umfangs zu gewähren
sei. Vielmehr hat das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung betont,
dass das Kindeswohl oberste Richtschnur bildet und eine Einschränkung des
Besuchsrechts angezeigt sein kann, wenn das Kind sonst überfordert wäre
(BGE 130 III 585 E. 2.1 S. 588; 127 III 295 E. 4a S. 298; 123 III 445
E. 3b S. 451). Hierfür sind nach der zitierten Rechtsprechung in jedem
Fall die näheren Umstände abzuklären, damit im Einzelfall eine angemessene
Regelung getroffen werden kann.

    Entgegen dieser Abklärungspflicht enthält der angefochtene Entscheid
hierzu kaum relevante Feststellungen, und das Obergericht hat es auch
nicht für nötig befunden, die beantragten einschlägigen Zeugen anzuhören,
sondern es bei der formelhaften Erwägung bewenden lassen, bei der Auflösung
des gemeinsamen Haushaltes pflege ein Kind als Folge des Zerwürfnisses
zwischen den Elternteilen hin- und hergerissen zu werden, wodurch es
belastet werde und leicht in Loyalitätskonflikte geraten könne.

    Tatsächlich können solche Belastungen und Loyalitätskonflikte
auftreten (FELDER, Kinder und ihre Familien in schwierigen psychosozialen
Verhältnissen, in: Die Rechte des Kindes/Das UNO-Übereinkommen und seine
Auswirkungen auf die Schweiz, Basel 2001, S. 210), sie sind aber keineswegs
eine geradezu notwendige Begleiterscheinung elterlicher Trennung, wie
das Obergericht anzunehmen scheint. Ohnehin ist die Beschränkung des
Besuchsrechts eine letztlich wenig geeignete Massnahme, um der Tatsache,
dass der Wechsel der Bezugsperson bei einem Kind Loyalitätskonflikte
hervorrufen kann (BGE 123 III 445 E. 3b S. 451), zu begegnen. Es ist eine
anerkannte kinderpsychologische Tatsache, dass sich die meisten Kinder
eine harmonische Beziehung zu beiden Teilen, aber auch eine Versöhnung
bzw. eine Wiedervereinigung zwischen den Eltern wünschen (ARNZTEN,
Elterliche Sorge und Umgang mit Kindern, 2. Aufl., München 1994, S. 1
und 33). Dieser Umstand lässt sich durch besuchsrechtliche Restriktionen
nicht beseitigen, jedenfalls nicht in grundsätzlicher Weise; insofern
sind allfällig auftretende Loyalitätskonflikte des Kindes bis zu einem
gewissen Grad als dem Besuchsrecht inhärente Erscheinung hinzunehmen,
zumal in der kinderpsychologischen Literatur hervorgestrichen wird,
dass die positiven Aspekte regelmässiger Besuche beim anderen
Elternteil (namentlich Erleichterung der Trennungsverarbeitung,
Ergänzung der Erziehungsstile, Identifizierungsmöglichkeit, Steigerung
des Selbstwertgefühls, Beratungsmöglichkeit in der Pubertät und später
bei der Berufswahl), die negativen Aspekte (anfängliche Beunruhigungen
und mögliche Belastungen) überwiegen und die ungestillte Sehnsucht nach
dem abwesenden Elternteil auf die Dauer die stärkeren und schädlicheren
psychischen Auswirkungen zeitigt (ARNZTEN, aaO, S. 34 ff.), indem sich
das Kind z.B. von diesem Elternteil ein irreales Bild aufbaut. Für den
Fall elterlicher Konflikte hat die kinderpsychologische Forschung im
Übrigen ergeben, dass Besuche eine entspannende Wirkung haben können,
wenn sie richtig angelegt und einige Zeit durchgeführt werden, indem sich
die Auswirkungen der Konfliktsituation bei jedem weiteren Besuch mehr und
mehr verlieren (ARNZTEN, aaO, S. 43). Das bedingt, dass sich die Eltern
bemühen, die Ausübung des Besuchsrechts nicht zum Anlass zu nehmen,
ihre gegenseitigen Zwistigkeiten auszutragen.

    Nach dem Gesagten genügen jedenfalls die obergerichtlichen Hypothesen
in ihrer allgemeinen Form nicht, um das Besuchsrecht ohne nähere
Abklärungen zum Einzelfall einzuschränken. Wie oben ausgeführt würde
sich dies einzig dann rechtfertigen, wenn aufgrund der tatsächlichen
Umstände davon auszugehen wäre, dass die Gewährung des üblichen
Besuchs- und Ferienrechts das Kindeswohl gefährden würde. Mangels
konkreter Feststellungen im angefochtenen Entscheid bleibt unklar, ob
dies vorliegend der Fall ist, weshalb das Bundesgericht die korrekte
Anwendung des einschlägigen Bundesrechts nicht abschliessend beurteilen
kann. Die Sache ist demnach zur Vervollständigung des Sachverhaltes an
die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 64 Abs. 1 OG).