Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 V 553



130 V 553

81. Auszug aus dem Urteil i.S. Schweizerische Mobiliar
Versicherungsgesellschaft gegen 1. W., 2. H. sowie 3. Krankenkasse
Steffisburg und Verwaltungsgericht des Kantons Bern

    U 307/03 vom 19. August 2004

Regeste

    Art. 1 (seit 1. Januar 2003: Art. 1a) Abs. 1 und 2 UVG; Art. 1 und
2 Abs. 1 lit. g UVV: Versicherungsobligatorium und Konkubinat.

    Die im Konkubinat lebende Person, deren Tätigkeit in der Führung
des gemeinsamen Haushaltes besteht und die dafür über Naturalleistungen
(Kost und Logis) sowie ein allfälliges Taschengeld hinaus im Rahmen eines
Arbeitsvertrages einen Barlohn erhält, fällt nicht unter die gemäss Art. 2
Abs. 1 lit. g UVV vom UVG-Versicherungsobligatorium ausgenommenen Personen
(Erw. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Im Streite steht, ob W. für den als Unfall gemeldeten Zeckenbiss
vom 13. April 2001 und dessen Folgen bei der Mobiliar obligatorisch
unfallversichert ist. Der Beschwerde führende Unfallversicherer
verneint dies und damit seine Leistungspflicht aus dem besagten
Ereignis. Zur Begründung führt er zum einen an, W. sei für die
als Partnerin eines Konkubinates geleistete Haushaltarbeit von der
obligatorischen Unfallversicherung ausgeschlossen. Das gilt es als Erstes
zu prüfen. Denn trifft dieses Rechtsverständnis zu, ist offen zu lassen,
ob das Versicherungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Unfallversicherer
rechtsgültig und rechtzeitig in dem Sinne zustande gekommen ist, dass
das Ereignis vom 13. April 2001 davon erfasst wird. Dies wird von der
Mobiliar ebenfalls verneint.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Obligatorisch versichert sind nach dem Bundesgesetz vom 20. März
1981 über die Unfallversicherung (UVG) die in der Schweiz beschäftigten
Arbeitnehmer, einschliesslich der Heimarbeiter, Lehrlinge, Praktikanten,
Volontäre sowie der in Lehr- oder Invalidenwerkstätten tätigen Personen
(Art. 1 [seit 1. Januar 2003: Art. 1a bei unverändertem Inhalt] Abs. 1
UVG).

    Der Bundesrat kann die Versicherungspflicht ausdehnen auf Personen,
die in einem arbeitsvertragsähnlichen Verhältnis stehen. Er kann Ausnahmen
von der Versicherungspflicht vorsehen, namentlich für mitarbeitende
Familienmitglieder, unregelmässig Beschäftigte und Arbeitnehmer
internationaler Organisationen und ausländischer Staaten (Art. 1 [seit
1. Januar 2003: Art. 1a bei unverändertem Inhalt] Abs. 2 UVG). Von dieser
Befugnis hat der Bundesrat auf dem Verordnungsweg Gebrauch gemacht. Von
Interesse ist hier der mit "Ausnahmen von der Versicherungspflicht"
überschriebene Art. 2 der Verordnung vom 20. Dezember 1982 über die
Unfallversicherung (UVV) und dabei namentlich Abs. 1 lit. g dieser
Bestimmung. Danach sind Konkubinatspartnerinnen und -partner, die in dieser
Eigenschaft AHV-beitragspflichtig sind, nicht obligatorisch versichert.

    3.2  Nach dem Verständnis des kantonalen Gerichts gelangt der in Art. 2
Abs. 1 lit. g UVV vorgesehene Ausschluss vom Versicherungsobligatorium
nicht zur Anwendung, wenn eine im Konkubinat lebende Person für Arbeiten
entschädigt wird, welche über die in einem Konkubinatsverhältnis
üblicherweise zu erbringenden Leistungen hinausgehen. Darunter sollen
namentlich Leistungen fallen, die von einer Konkubinatspartnerin
resp. einem Konkubinatspartner für den andern resp. die andere aufgrund
eines zwischen den beiden geltenden Arbeitsvertrages gegen einen
vereinbarten Lohn entrichtet werden.

    3.3  Die Beschwerdeführerin erachtet diese Auslegung von Art. 2 Abs. 1
lit. g UVV für falsch. Das Bundesamt für Gesundheit schliesst sich ihrer
Auffassung an und führt aus, die Verordnungsbestimmung sei geschaffen
worden, um jene Personen, welche in der AHV als erwerbstätig erfasst werden
und deren Arbeit in der Haushaltführung im Konkubinat besteht, von der
obligatorischen Unfallversicherung auszunehmen. Dies liege darin begründet,
dass der Nachweis der entsprechenden Tätigkeit kaum zu erbringen sei und
einen Eingriff in die Privatsphäre der betreffenden Personen bedinge. Die
Art der Entschädigung unter den Konkubinatspartnern dürfe nicht über
eine allfällige UVG-Entschädigungspflicht entscheiden, da dadurch die
Rechtssicherheit nicht mehr gewährleistet wäre und dem Abschluss fiktiver
Arbeitsverträge Vorschub geleistet würde. Auch bestehe die Gefahr, dass
die Betroffenen erst nach einem Unfall Prämien bezahlten, um in den Genuss
der vom UVG vorgesehenen Leistungen zu gelangen. Alleine der Umstand,
dass an Stelle von oder zusätzlich zu Kost und Logis ein Lohn bezahlt
werde, könne daher nicht entscheidend dafür sein, ob Konkubinatspartner
obligatorisch unfallversichert seien.

    3.4  Gemäss Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 lit. g UVV sind von der
Versicherungspflicht ausgenommen "Konkubinatspartnerinnen und -partner, die
in dieser Eigenschaft AHV-beitragspflichtig sind". Wer damit gemeint ist,
ergibt sich aus dem entstehungsgeschichtlichen Hintergrund der Bestimmung.

    3.4.1  Art. 2 Abs. 1 lit. g UVV wurde mit der am 1. Januar 1998 in
Kraft getretenen UVV-Revision vom 15. Dezember 1997 (AS 1998 151) neu
aufgenommen. Eine wesentliche Zielsetzung der - noch verschiedene weitere
Ausführungsbestimmungen beschlagenden - Revision bildete die Verbesserung
der Koordination mit den anderen Sozialversicherungen, namentlich auch
bei der Umschreibung des Arbeitnehmerbegriffs (RKUV 1998 S. 71). Der
Bundesrat entschied sich, hiefür in den Ausführungsbestimmungen zum UVG
direkt auf die AHV-Gesetzgebung zu verweisen (Erläuterungen zur Änderung
der UVV, in: RKUV 1998 S. 87). Als Arbeitnehmer im Sinne von Art. 1
(resp. seit 1. Januar 2003: Art. 1a) Abs. 1 UVG gilt demnach, wer eine
unselbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne der Bundesgesetzgebung über
die Alters- und Hinterlassenenversicherung ausübt (Art. 1 UVV in der seit
1. Januar 1998 geltenden Fassung). Die von diesem Grundsatz abweichenden
Ausnahmen und Sonderfälle sind in den Art. 1a und 2 UVV abschliessend
genannt (Erläuterungen zu Änderung der UVV, in: RKUV 1998 S. 87). Die
Ausnahmefälle wurden bei der Verordnungsrevision vom 15. Dezember 1997
mit den in Art. 2 Abs. 1 lit. f, g und h UVV genannten Personengruppen
ergänzt. Dabei handelt es sich um Personen, "die aus praktischen und
konzeptionellen Überlegungen nicht mit Arbeitnehmern gleichzustellen sind,
obwohl sie AHV-rechtlich als Unselbstständigerwerbende erfasst werden"
(Erläuterungen zur Änderung der UVV in: RKUV 1998 S. 88). Es ging dem
Verordnungsgeber dabei nicht um Personen, welche eine Erwerbstätigkeit
ausüben und deswegen der AHV-Beitragspflicht unterstehende Arbeitnehmer
(im Sinne von Art. 1 UVV in Verbindung mit Art. 1 [seit 1. Januar 2003:
Art. 1a] Abs. 1 UVG) darstellen, also diesen nicht lediglich gleichgestellt
sind. Gemeint kann mit den revisionsweise neu der Ausnahmeregelung
unterstellten Personen vielmehr nur sein, wer keine Erwerbstätigkeit
ausübt und dennoch AHV-beitragsrechtlich als unselbstständigerwerbend
behandelt wird.

    3.4.2  Wer als Konkubinatspartnerin oder -partner zu diesen Personen
zählt, ist im Lichte des Rechtsverständnisses zu sehen, welches zur
Zeit der UVV-Revision vom 15. Dezember 1997 herrschte. Danach wurde
die im Konkubinat lebende Person, welche den gemeinsamen Haushalt
besorgt und hiefür mit Naturalleistungen (in Form von Kost und Logis)
sowie allenfalls zusätzlich einem Taschengeld entschädigt wird,
AHV-beitragsrechtlich als unselbstständigerwerbend betrachtet, auch wenn
sie keiner Erwerbstätigkeit nachging (BGE 116 V 177, 110 V 1; SVR 1995
AHV Nr. 52 S. 143; ZAK 1990 S. 427, 1988 S. 508). Die so umschriebene
Personengruppe ist unter "in dieser Eigenschaft AHV-beitragspflichtig" im
Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. g UVV zu verstehen und nach dieser Bestimmung
vom UVG-Versicherungsobligatorium ausgenommen.

    An diesem Verständnis von Art. 2 Abs. 1 lit. g UVV hat sich mit der
zwischenzeitlich vom Eidgenössischen Versicherungsgericht vorgenommenen
Praxisänderung, wonach die im Konkubinat lebende Person, welche
ausschliesslich den gemeinsamen Haushalt führt und dafür vom Partner resp.
der Partnerin Kost und Logis sowie allenfalls zusätzlich ein Taschengeld
erhält, beitragsrechtlich als nichterwerbstätig gilt (BGE 125 V 205),
nichts geändert. Nicht von dieser Verordnungsbestimmung erfasst wird somit
die im Konkubinat lebende Person, welche einer Erwerbstätigkeit nachgeht
und deswegen als Arbeitnehmer der AHV-Beitragspflicht untersteht. Das
gilt entgegen dem Verständnis von Beschwerdeführerin und Bundesamt auch,
wenn die Erwerbstätigkeit in der Haushaltführung im Konkubinat besteht,
für diese Tätigkeit mithin im Rahmen eines Arbeitsvertrages ein Lohn
ausgerichtet wird. Wollte man die innerhalb des Konkubinatsverhältnisses
erwerbstätigen Personen ebenfalls nicht dem UVG-Versicherungsobligatorium
unterstellen, müssten die Rechtsgrundlagen, welche die Ausnahmefälle
regeln, entsprechend geändert werden.

    3.5

    3.5.1  Die Beschwerdeführerin begründet ihre abweichende Auffassung
namentlich damit, das Konkubinat stelle eine nicht teilbare Rechtsbeziehung
dar und schliesse als Verhältnis unter gleichberechtigten Partnern per
definitionem die Annahme eines Arbeitsvertrages aus.

    Der Einwand ist nicht stichhaltig. Die eheähnliche Gemeinschaft,
das Konkubinat, ist im ZGB nicht geregelt (BGE 125 V 207 Erw. 3b, 121 V
128 Erw. 2c/cc; Urteil K. vom 14. Juli 2004 Erw. 3.1, U 104/03). Den
Partnern des Konkubinates steht es frei, die Beziehungen unter sich
durch vertragliche Vereinbarungen zu bestimmen und damit die von ihnen
gewünschten gegenseitigen Rechte und Pflichten verbindlich vorzusehen
(BGE 129 I 6 Erw. 3.2.4; Urteil K. vom 14. Juli 2004 Erw. 3.2,
U 104/03). Insbesondere ist es ihnen entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin nicht verwehrt, die von der einen Seite für die andere
verrichteten Tätigkeiten arbeitsvertraglich zu regeln, wobei in Ermangelung
eines förmlichen Vertrages gegebenenfalls auch die arbeitsvertragliche
Abschlussvermutung nach Art. 320 Abs. 2 OR zur Anwendung gelangen
kann. Dass ein Arbeitsvertrag ein Subordinationsverhältnis zwischen
Arbeitgeber und -nehmer voraussetzt, steht dem nicht entgegen (vgl. BGE 109
II 228; Pra 2000 Nr. 47 S. 268). Es besteht auch kein begründeter Anlass,
die Tätigkeit der Haushaltführung im Konkubinat anders zu behandeln.

    3.5.2  Die vom Bundesamt geäusserten Bedenken können ebenfalls nicht
geteilt werden. Voraussetzung für die Versicherungspflicht der den Haushalt
führenden Konkubinatspartner ist, dass ein Arbeitsvertrag nach OR zustande
gekommen ist und ein AHV-pflichtiger Lohn ausbezahlt wird. Es ist nicht
ersichtlich, wie bei diesen Verhältnissen eine Versicherungsdeckung
nach einem Unfallereignis herbeigeführt werden könnte. Die Situation
unterscheidet sich insofern nicht wesentlich von Arbeitsverhältnissen
ausserhalb von Konkubinaten. Sodann verdient offenbarer Rechtsmissbrauch,
wie er etwa in fiktiven Arbeitsverträgen zu sehen wäre, ohnehin keinen
Schutz (Art. 2 ZGB).

    3.5.3  In ähnlichem Zusammenhang zu sehen ist der Hinweis der
Beschwerdeführerin auf Art. 13 Abs. 1 UVV. Danach sind nur diejenigen
Teilzeitbeschäftigten, deren wöchentliche Arbeitszeit bei einem Arbeitgeber
mindestens acht Stunden beträgt, auch gegen Nichtberufsunfälle (nebst
den Berufsunfällen) versichert.

    Im vorliegenden Fall ist eine wöchentliche Arbeitszeit von
acht Wochenstunden vereinbart. Insofern ist für das Bestehen
der Versicherungsdeckung die Unterscheidung zwischen Berufs-
und Nichtberufsunfällen erlässlich. In Fällen mit geringeren
Wochenarbeitszeiten hingegen kann sich tatsächlich die Frage stellen,
ob ein Unfall bei der bar entlöhnten Arbeit eingetreten und damit -
als Berufsunfall - versichert ist. Den dadurch hervorgerufenen
Abgrenzungsschwierigkeiten wird vorteilhafterweise dadurch zu
begegnen sein, dass die gegen Lohn entrichteten Haushaltsarbeiten
von den Konkubinatspartnern und Arbeitsvertragsparteien möglichst
genau umschrieben werden. Das empfiehlt sich namentlich auch vor dem
Hintergrund, dass der leistungsbegründende Sachverhalt - beispielsweise
der Eintritt eines Unfalles bei der Arbeit - vom Leistungsansprecher
im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten darzutun ist, soweit nicht der
vom Versicherungsträger und im Beschwerdefall vom Gericht zu beachtende
Untersuchungsgrundsatz greift (BGE 125 V 195 Erw. 2, 122 V 158 Erw. 1a, je
mit Hinweisen; vgl. auch Art. 53 und Art. 55 UVV und zur Mitwirkungspflicht
des Arbeitgebers Art. 56 UVV). Ein Absehen von der Versicherungspflicht
hingegen lässt sich mit der besagten Abgrenzungsproblematik, welche im
Übrigen mutatis mutandis auch bei den mitarbeitenden Familiengliedern mit
oder ohne Barlohn (vgl. Art. 2 Abs. 1 lit. a UVV) besteht, nicht begründen.

    3.6  Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass
arbeitsvertragliche Vereinbarungen zwischen den Konkubinatspartnern
auch über die Haushaltführung zulässig sind und die Unterstellung der
Arbeitnehmerseite unter das UVG-Versicherungsobligatorium zur Folge haben.

    3.7  Auf die konkret gegebenen Verhältnisse bezogen erhebt die
Beschwerdeführerin weiter den Einwand, der Arbeitsvertrag zwischen
H. und W. sei fiktiv.

    Es bestehen indessen keine begründeten Anhaltspunkte dafür, dass die
Konkubinatspartner die arbeitsvertragliche Regelung der Haushaltbesorgung
nicht ernsthaft gewollt, sondern zwecks Unterstellung von W. unter
das UVG-Versicherungsobligatorium vorgetäuscht haben. Gegen diese
Annahme spricht namentlich auch, dass sich H. vor der Antragstellung
beim Unfallversicherer unter Hinweis auf den für die Haushaltarbeiten
ausgerichteten Lohn bei der AHV gemeldet hatte und in der Folge -
wenn auch mit Verzögerung - rückwirkend ab Arbeitsvertragsbeginn als
Arbeitgeber erfasst und damit der Pflicht zur Entrichtung der paritätischen
AHV-Beiträge unterstellt worden war. Wohl erfolgte die Anmeldung bei
der AHV erst im Dezember 2000 und damit fast zwei Jahre nach Abschluss
des Arbeitsvertrages vom 1. Januar 1999. H. legt aber glaubwürdig dar,
dass er bis zu diesem Zeitpunkt in guten Treuen davon ausgegangen war,
diesen Schritt nicht unternehmen zu müssen.