Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 V 393



130 V 393

58. Auszug aus dem Urteil i.S. Z. gegen IV-Stelle Bern und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern

    I 634/03 vom 15. Juni 2004

Regeste

    Art. 1 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 und 3 ATSG sowie
Art. 16 ATSG; Art. 28 Abs. 3 IVG (in der bis 31. Dezember 2003 gültig
gewesenen Fassung) in Verbindung mit Art. 27bis Abs. 1 und 2 IVV (in den
bis 31. Dezember 2003 gültig gewesenen Fassungen); Art. 28 Abs. 2ter
IVG in Verbindung mit Art. 27bis IVV: Invaliditätsbemessung nach der
gemischten Methode; ATSG.

    Die bisherige Rechtsprechung zur Anwendung der so genannten gemischten
Methode nach Massgabe von Art. 27bis IVV zur Invaliditätsbemessung bei
teilerwerbstätigen Versicherten erfährt durch das In-Kraft-Treten des
ATSG keine Änderung (Erw. 3).

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Zu beurteilen ist in einem ersten Schritt, ob die
Invaliditätsbemessung bei teilerwerbstätigen Versicherten auch unter
der Geltung des ATSG weiterhin nach der so genannten gemischten Methode
vorzunehmen ist.

    3.1  Während das ATSG selber keine diesbezügliche Regelung enthält,
sieht Art. 27bis Abs. 1 IVV (in der vom 1. Januar bis 31. Dezember 2003
in Kraft gestandenen, vorliegend massgeblichen Fassung) vor, dass bei
Versicherten, die nur zum Teil erwerbstätig sind oder die unentgeltlich im
Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin mitarbeiten, für diesen Teil die
Invalidität nach Art. 16 ATSG festgelegt wird. Waren sie daneben in einem
Aufgabenbereich nach Art. 8 Abs. 3 ATSG tätig, so wird die Invalidität für
diese Tätigkeit nach Art. 27 IVV ("Nichterwerbstätige") festgelegt. In
diesem Falle sind der Anteil der Erwerbstätigkeit beziehungsweise der
unentgeltlichen Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten oder der Ehegattin
und der Anteil der Tätigkeit im andern Aufgabenbereich festzulegen
und ist der Invaliditätsgrad entsprechend der Behinderung in beiden
Bereichen zu bemessen (so genannte gemischte Methode). Ist - so Abs. 2
der Bestimmung - anzunehmen, dass Versicherte im Zeitpunkt der Prüfung
des Rentenanspruchs ohne Gesundheitsschaden ganztätig erwerbstätig wären,
hat die Invaliditätsbemessung ausschliesslich nach den Grundsätzen für
Erwerbstätige zu erfolgen.

    3.2  Wie bis anhin (vgl. Art. 28 Abs. 3 IVG [in der bis 31. Dezember
2002 in Kraft gestandenen Fassung] in Verbindung mit Art. 27bis Abs. 1
und 2 IVV [in den bis 31. Dezember 2000 sowie vom 1. Januar 2001 bis
31. Dezember 2002 in Kraft gestandenen Fassungen]) fehlt es somit auf
gesetzlicher Ebene an einer ausdrücklichen Grundlage für eine besondere
Bemessungsmethode der Invalidität bei Teilerwerbstätigen (vgl. indes
nunmehr seit 1. Januar 2004: Art. 28 Abs. 2ter IVG [in Verbindung mit
Art. 27bis IVV]). Aus den Art. 7 f. ATSG wird jedoch erkennbar, dass
der Gesetzgeber die Bemessung der Invalidität sowohl von Erwerbstätigen
(Art. 7, 8 Abs. 1 und 16 ATSG) wie auch von Nichterwerbstätigen (Art. 8
Abs. 3 ATSG) regeln wollte. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb
die Bestimmung der Invalidität von teilerwerbstätigen Versicherten -
als deren Mischform - davon ausgenommen werden sollte (vgl. auch
UELI KIESER, ATSG-Kommentar: Kommentar zum Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000,
Zürich 2003, N 25 zu Art. 7). Der Umstand, dass das ATSG keine für mehrere
Sozialversicherungszweige verbindliche Regelung der Invaliditätsbemessung
bei teilerwerbstätigen Versicherten enthält, lässt indes klar erkennen,
dass in dieser Frage eben gerade keine - mit der Einführung des ATSG
grundsätzlich beabsichtigte - Vereinheitlichung des bisherigen materiellen
Sozialversicherungsrechts angestrebt wurde (vgl. BGE 130 V 344 Erw. 2.2
mit Hinweisen). Der Gesetzgeber wollte die nicht in allen Teilen nach
den gleichen Kriterien vorgenommene bisherige Bemessung der Invalidität
von Teilerwerbstätigen (vgl. dazu etwa für die Invalidenversicherung
BGE 125 V 152 ff. Erw. 4 und für die Unfallversicherung BGE 119 V 481
Erw. 2b; ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Bundesgesetz über die Unfallversicherung,
in: MURER/ STAUFFER [Hrsg.], Rechtsprechung des Bundesgerichts zum
Sozialversicherungsrecht, 3. Aufl., Zürich 2003, S. 61) somit durch das
ATSG nicht harmonisieren, sondern in den einzelnen Sozialversicherungen
weiterhin singuläre Lösungen ermöglichen. Eine entsprechende Umsetzung
findet sich denn auch einerseits im zuvor zitierten Art. 27bis
IVV sowie - per 1. Januar 2004 - im neuen Art. 28 Abs. 2ter IVG,
welcher im Wesentlichen die nun auf Gesetzesstufe gehobene bisherige
Verordnungsnorm beinhaltet. Wie namentlich der bundesrätlichen Botschaft
zur 4. IVG-Revision zu entnehmen ist, sollte sich dadurch bei der Methode
der Invaliditätsbemessung im Vergleich zur geltenden Regelung nichts
ändern (vgl. die Botschaft vom 21. Februar 2001 über die 4. Revision des
Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung [BBl 2001 3267 und 3287],
was weder im Rahmen der Vorberatungen in den jeweiligen Kommissionen
(Protokoll der nationalrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und
Gesundheit vom 1./2. November 2001 [S. 46]; Protokoll der ständerätlichen
Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit vom 27./28. Mai 2002
[S. 9]) noch in den parlamentarischen Beratungen zu Diskussionen Anlass
gab (Amtl. Bull. 2001 N 1943 und S 756 f.).

    3.3  Da sich, wie zuvor beschrieben, dem Invalidenversicherungsgesetz
bis Ende 2003 keine unmittelbaren Hinweise zur Bestimmung der Invalidität
bei Teilerwerbstätigen entnehmen liessen, entwickelte das Eidgenössische
Versicherungsgericht eine ständige Rechtsprechung zur Anwendung der
gemischten Methode nach Massgabe von Art. 27bis IVV (zur Entstehung vgl.
namentlich FRANZ SCHLAURI, Gemischte Methode der Invaliditätsbemessung, in:
SCHAFFHAUSER/SCHLAURI [Hrsg.], Schmerz und Arbeitsunfähigkeit, St. Gallen
2003, S. 309-328 mit diversen Hinweisen). An dieser insbesondere in BGE 125
V 146 ausführlich dargelegten und bekräftigten Praxis wurde trotz Kritik
(vgl. u.a. BGE 125 V 152 f. Erw. 4; SCHLAURI, aaO, S. 317-328; KIESER,
aaO, N 24 zu Art. 7 mit Hinweisen) auch in neuester Zeit ausdrücklich
festgehalten (vgl. u.a. Urteile M. vom 23. Februar 2004, I 399/01,
S. vom 23. Februar 2004, I 219/02, und F. vom 17. Februar 2004,
I 473/03). Danach wird zunächst der Anteil der Erwerbstätigkeit und
derjenige der Tätigkeit im Aufgabenbereich (so unter anderm im Haushalt)
bestimmt, wobei sich die Frage, in welchem Ausmass die versicherte Person
ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, mit Rücksicht
auf die gesamten Umstände, so die persönlichen, familiären, sozialen und
erwerblichen Verhältnisse, beurteilt (BGE 125 V 150 Erw. 2c mit Hinweisen;
SVR 2001 IV Nr. 25 S. 75 ff.). Die Invalidität bestimmt sich in der Folge
dadurch, dass im Erwerbsbereich ein Einkommens- und im Aufgabenbereich ein
Betätigungsvergleich vorgenommen wird, wobei sich die Gesamtinvalidität
aus der Addierung der in beiden Bereichen ermittelten und gewichteten
Teilinvaliditäten ergibt. Von dieser Gerichts- und Verwaltungspraxis
abzuweichen besteht nach dem Gesagten auch mit In-Kraft-Treten des ATSG
keine Veranlassung.