Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 V 385



130 V 385

56. Auszug aus dem Urteil i.S. M. gegen Amt für Wirtschaft und Arbeit,
Arbeitslosenversicherung, Zürich, und Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich

    C 222/03 vom 29. Juni 2004

Regeste

    Art. 28 Abs. 1, Art. 30 Abs. 1 lit. e und Art. 96 Abs. 2
AVIG sowie Art. 42 Abs. 1 und 2 AVIV: Anspruchsvoraussetzung der
rechtzeitigen Meldung der Arbeitsunfähigkeit und Einstellungsgrund der
Meldepflichtverletzung.

    Im Falle einer wiederholten Verletzung der Meldepflicht im Sinne
von Art. 42 Abs. 1 AVIV ohne entschuldbaren Grund ist eine Kumulation
der Sanktionen gemäss Art. 42 Abs. 2 AVIV und Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG
zulässig (Erw. 3.1.2: Präzisierung von BGE 125 V 193).

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1

    3.1.1  Das kantonale Gericht erkannte zutreffend, dass der
Beschwerdeführer weder das RAV noch die Arbeitslosenkasse innert
Wochenfrist seit Beginn über seine 50 %ige Arbeitsunfähigkeit ab 14. Mai
2002 informiert hatte, und er diese Versicherungsorgane erstmals mit
der Abgabe des von ihm ausgefüllten und am 10. Juli 2002 unterzeichneten
Formulars "Angaben der versicherten Person für den Monat Juni 2002" über
seine dreiwöchige vollständige Arbeitsunfähigkeit vom 16. Juni bis 5. Juli
2002 in Kenntnis setzte. Zur Begründung führte die Vorinstanz an, der
Einstellungsgrund von Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG umfasse jede Verletzung
der Pflicht des Versicherten zu wahrheitsgemässer und vollständiger
Auskunft sowie zur Meldung aller leistungsrelevanten Tatsachen (vgl. BGE
123 V 151 Erw. 1b). Durch die Nichtmeldung der Teilarbeitsunfähigkeit
im Mai 2002 und die erst mit Einreichung des genannten Formulars vom
10. Juli 2002 erfolgte Meldung der Arbeitsunfähigkeit ab 16. Juni 2002
habe der Versicherte nicht nur die Anspruchsvoraussetzung im Sinne von
Art. 42 Abs. 2 AVIV verwirkt, sondern auch die ihm obliegende allgemeine
Meldepflicht im Sinne von Art. 96 Abs. 2 AVIG verletzt. Die zweimalige
Verletzung der Meldepflicht (sowohl nach Art. 42 Abs. 1 AVIV als
auch im Sinne von Art. 96 Abs. 2 AVIG) rechtfertige hier auch unter
Berücksichtigung des Verhältnismässigkeitsprinzips (vgl. BGE 125 V 197
Erw. 4c) die verfügte Einstellung in der Anspruchsberechtigung auf Grund
von Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG.

    3.1.2  Das Eidgenössische Versicherungsgericht hielt in BGE 125 V 193
fest, dass es im Falle einer bloss einmaligen Meldepflichtverletzung nicht
mit dem Verhältnismässigkeitsprinzip vereinbar ist, einen Versicherten mit
der in Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG vorgesehenen Sanktion zu belegen, wenn er
überdies aus demselben Grund bereits nach Massgabe von Art. 42 Abs. 2 AVIV
seines Anspruchs auf Arbeitslosentaggelder verlustig gegangen ist. Wegen
nicht entschuldbar verspätet erfolgter Meldung der Arbeitsunfähigkeit
verwirkte der Beschwerdeführer bereits gestützt auf Art. 42 Abs. 2
AVIV seinen Taggeldanspruch für die Dauer vom 17. Juni bis 5. Juli 2002
(vgl. BGE 117 V 244), weshalb ihm die Arbeitslosenkasse für diese Zeit
zu Recht keine Arbeitslosenentschädigung ausrichtete. Dennoch steht im
Falle einer wiederholten, ohne entschuldbaren Grund (vgl. dazu GERHARDS,
Kommentar zum Bundesgesetz vom 25. Juni 1982 über die obligatorische
Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung, Band I, Bern
1987, N 66 zu Art. 28) nicht rechtzeitig erfolgten Meldung im Sinne von
Art. 42 Abs. 1 AVIV und gleichzeitiger Verletzung der Meldepflicht gemäss
Art. 96 Abs. 2 AVIG einer zur Verwirkung des Taggeldanspruchs nach Art. 42
Abs. 2 AVIV gegebenenfalls hinzutretenden angemessenen Einstellung in
der Anspruchsberechtigung wegen Verletzung der Meldepflicht gestützt
auf Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG nichts im Wege. Art. 42 Abs. 1 AVIV,
welcher auf der gesetzlichen Grundlage von Art. 28 Abs. 1 und 3 AVIG
basiert, und Art. 96 Abs. 2 AVIG verfolgen verschiedene Ziele. Art. 42
Abs. 1 AVIV bezweckt die Verhinderung von Missbräuchen (HANS-ULRICH
STAUFFER, Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung
und Insolvenzentschädigung, 2. Aufl., Zürich 1998, S. 71) und die
Gewährleistung der Kontrolle (BGE 117 V 247 Erw. 3c). Der vorübergehende
Eintritt vollständiger oder teilweiser Arbeitsunfähigkeit bei Anspruch
auf das volle Taggeld nach Massgabe von Art. 28 Abs. 1 AVIG soll -
trotz während dieser Zeit wegen Krankheit, Unfall oder Mutterschaft nicht
erfüllbarer Kontrollvorschriften (vgl. z.B. das monatliche Beratungs- und
Kontrollgespräch gemäss Art. 22 Abs. 2 AVIV) - nicht dazu dienen, sich der
Kontrollpflicht entziehen zu können. Die rechtzeitige Meldung nach Art.
42 Abs. 1 AVIV ist formelle Anspruchsvoraussetzung (THOMAS NUSSBAUMER,
Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht
[SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 363 mit Hinweis). Demgegenüber handelt
es sich bei der Auskunfts- und Meldepflicht nach Art. 96 Abs. 1 und 2
AVIG um Mitwirkungspflichten im Sinne von Obliegenheiten (GERHARDS, aaO,
Bd. II, N 1 zu Art. 96-97). Der Einstellungsgrund im Sinne von Art. 30
Abs. 1 lit. e AVIG kann durch Verletzung der Meldepflicht im Sinne von
Art. 96 Abs. 2 AVIG unabhängig davon erfüllt sein, ob die falschen oder
unvollständigen Angaben für die Ausrichtung der Versicherungsleistungen
oder deren Bemessung kausal sind (BGE 123 V 151 Erw. 1b mit Hinweis). Nach
dem Gesagten ist BGE 125 V 193 in dem Sinne zu präzisieren, dass das
Verhältnismässigkeitsprinzip einer zusätzlich zur Rechtsfolge der
Anspruchsverwirkung im Sinne von Art. 42 Abs. 2 AVIV zu verfügenden
angemessenen Einstellung in der Anspruchsberechtigung wegen Verletzung
der Meldepflicht im Sinne von Art. 30 Abs. 1 lit. e AVIG dann nicht
entgegen steht, wenn sich der Versicherte ohne entschuldbaren Grund
durch wiederholte, nicht rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit
einerseits der Kontrollpflicht im Sinne von Art. 42 Abs. 1 AVIV entzieht
und andererseits auch die Arbeitsvermittlungs- und Beratungsbemühungen der
Arbeitslosenversicherungsorgane durch mehrfache Verletzung der allgemeinen
Meldepflicht im Sinne von Art. 96 Abs. 2 AVIG erschwert.