Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 V 185



130 V 185

29. Auszug aus dem Urteil i.S. M. gegen Ausgleichskasse des Kantons Bern
und Verwaltungsgericht des Kantons Bern

    P 73/03 vom 6. Mai 2004

Regeste

    Art. 3d Abs. 1 lit. a ELG; Art. 8 ELKV: Vergütung von Kosten für
den Zahnarzt.

    Unter den Begriff der Kosten für den Zahnarzt gemäss Art. 3d Abs. 1
lit. a ELG fallen grundsätzlich die Aufwendungen für alle zahnärztlichen
Behandlungen. Diese sind zu vergüten, sofern die Voraussetzungen von Art. 8
ELKV (Einfachheit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmässigkeit; gegebenenfalls
Kostenvoranschlag) erfüllt sind. Für einen generellen Ausschluss
zahnärztlicher Massnahmen, welche der Behandlung einer Allgemeinerkrankung
dienen (vorliegend: Amalgamsanierung), besteht keine Grundlage (Erw. 4.3).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.

    4.1  Die Vorinstanz hat es abgelehnt, die umstrittenen
Aufwendungen als Zahnarztkosten gemäss Art. 3d Abs. 1 lit. a ELG
anzuerkennen. Sie führte diesbezüglich aus, darunter fielen die nicht
in den Leistungsbereich der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
fallenden, eigentlichen zahnärztlichen Behandlungen mit Einschluss
der Zahnbehandlungskosten (Zahnarztkosten, Kosten der zahntechnischen
Arbeiten, Material und Medikamente) sowie der Kosten für Zahnersatz
(Kronen, Brücken, Prothesen). Diese Vorkehren dienten der Erhaltung des
Gebisses und damit der Kaufähigkeit sowie der Behandlung von Zahn- und
Mundhöhlenkrankheiten. Die beantragte Sanierung der Amalgamfüllungen stelle
jedoch nicht eine Zahnbehandlung zum Zwecke der Erhaltung des Gebisses oder
der Kaufunktion dar. Vielmehr werde eine Reduktion der Quecksilberbelastung
sowie der behaupteten, damit in Zusammenhang stehenden Beschwerden des
Versicherten angestrebt. Letzterer verlange somit die Übernahme von Kosten
für die Behandlung einer Allgemeinerkrankung durch Amalgamsanierung. Dies
widerspreche jedoch der mit der 3. ELG-Revision eingeführten neuen
Konzeption der Krankheitskosten. Vor der Einführung des Obligatoriums
durch das am 1. Januar 1996 in Kraft getretene Bundesgesetz über die
Krankenversicherung, KVG, sei ein Teil der Bezüger und Bezügerinnen
von Ergänzungsleistungen nicht krankenversichert gewesen, weshalb die
entsprechenden Krankheitskosten im Rahmen einer verfügbaren Quote ersetzt
worden seien. Mit der Einführung des Krankenversicherungsobligatoriums habe
die Übernahme dieser Kosten im Rahmen der Ergänzungsleistungen auf die
Kostenbeteiligungen nach Art. 64 KVG sowie weitere, davon nicht gedeckte
Kosten gemäss der abschliessenden Liste nach Art. 3d Abs. 1 ELG beschränkt
werden können. Damit sei eine Einschränkung der durch Ergänzungsleistungen
zu ersetzenden Krankheitskosten einhergegangen. Aus dieser Entwicklung
erhelle, dass die Behandlung einer Allgemeinerkrankung, welche nicht
in die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
falle, auch nicht über den Ersatz von Zahnarztkosten durch die
Ergänzungsleistungen zu übernehmen sei, zumal es vorliegend nicht
um die Erhaltung der Zahnfunktion gehe. Anders zu entscheiden würde
eine Erweiterung des abschliessend zu verstehenden Kataloges gemäss
Art. 17-19a der Krankenpflegeleistungsverordnung (KLV) darstellen, was
nicht zulässig sei. Unter diesen Umständen könne offen bleiben, ob die
angeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Amalgamfüllungen
- zumindest teilweise - verursacht worden seien und sich eine Sanierung
derselben als zweckmässig erweisen würde.

    4.2  Demgegenüber macht der Beschwerdeführer geltend, die
vorinstanzliche Auslegung finde im Wortlaut der relevanten Bestimmungen
keine Stütze und sei vor allem mit Sinn und Zweck der Ergänzungsleistungen
nicht vereinbar. Danach solle namentlich das Absinken des Einkommens unter
die Grenze eines angemessenen Existenzbedarfs wegen versicherungsmässig
ungedeckter Krankheitskosten verhindert werden. Deshalb hätten Gesetz- und
Verordnungsgeber die nicht unter die Pflichtleistungen der Krankenkassen
fallenden Zahnarztkosten ausdrücklich miteinbezogen. In dieser Situation
sei es unzulässig, auf eine allgemeine Wegleitung des Bundesamtes für
Sozialversicherung (BSV) abzustellen.

    4.3  (Auslegung des Gesetzes; vgl. BGE 128 V 118 f. Erw. 3b mit
Hinweisen)

    4.3.1  Nach dem Wortlaut von Art. 3d Abs. 1 lit. a ELG ist den Bezügern
einer jährlichen Ergänzungsleistung ein Anspruch einzuräumen auf die
Vergütung von ausgewiesenen, im laufenden Jahr entstandenen Kosten für
den Zahnarzt. Art. 8 Abs. 1 ELKV (erlassen gestützt auf Art. 3d Abs. 4
ELG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 1 ELV) schränkt diesen Anspruch
dahin gehend ein, dass die Kosten für einfache, wirtschaftliche und
zweckmässige Zahnbehandlungen vergütet werden. Die durch einen Zahnarzt
vorzunehmende Amalgamsanierung stellt nach dem üblichen Sprachgebrauch
sowohl eine Behandlung durch den Zahnarzt als auch eine Zahnbehandlung
dar. Der Wortlaut der erwähnten Normen legt somit eine Beschränkung des
Vergütungsanspruchs nach Massgabe von Art oder Zweck der zahnärztlichen
Behandlung nicht nahe. Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat
denn auch mit Bezug auf die ähnlich lautenden Art. 3 Abs. 4 lit. e ELG
und Art. 6 ELKV in der bis 31. Dezember 1995 gültig gewesenen Fassung
die Möglichkeit einer Übernahme der Kosten der zur Behandlung eines
gesundheitlichen Leidens medizinisch indizierten, durch einen Zahnarzt
auszuführenden Amalgamsanierung grundsätzlich bejaht (BGE 123 V 67 Erw. 5
mit Hinweis auf das nicht veröffentlichte Urteil S. vom 25. August 1992,
P 63/91). Das grammatikalische Auslegungselement spricht somit für das
Bestehen eines Vergütungsanspruchs; vorausgesetzt wird lediglich, dass
es sich um eine einfache, wirtschaftliche und zweckmässige Vorkehr handelt.

    4.3.2  Die durch die Vorinstanz postulierte Einschränkung ergibt
sich auch nicht aus der Entstehungsgeschichte von Art. 3d ELG. Es trifft
zwar zu, dass die Botschaft zur am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen
3. ELG-Revision (BBl 1997 I 1197 ff.) die Vergütung von Krankheits-
und Behinderungskosten in einen Zusammenhang mit der Einführung
des Krankenversicherungsobligatoriums durch das seit 1. Januar 1996
geltende KVG stellt. Konkret wird ausgeführt, mit der Einführung des
Obligatoriums entfielen die bisherigen Vergütungen der Ergänzungsleistung
für Krankheitskosten von Personen, welche nicht krankenversichert
seien. Die Ergänzungsleistung könne sich inskünftig auf die Übernahme
der Krankenkassenselbstbehalte, von Zahnarztkosten, von durch die
Krankenversicherung nicht gedeckten SPITEX-Kosten und von Hilfsmittelkosten
beschränken (BBl 1997 I 1208). Daraus lässt sich aber nicht schliessen,
dass die Pflicht zur Vergütung von krankenversicherungsrechtlich nicht
gedeckten Kosten zahnärztlicher Behandlungen hätte eingeschränkt werden
sollen. Auch die Erläuterungen zu Art. 3d ELG (BBl 1997 I 1214) enthalten
keine derartige Aussage; vielmehr wird erklärt, die Arzt- und Arzneikosten
müssten nicht mehr gesondert erwähnt werden, da sie nunmehr durch die
obligatorische Krankenpflegeversicherung getragen würden, sodass sich die
Ergänzungsleistungen auf die Übernahme von Selbstbehalt und Franchise
beschränken könnten. Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen wurde
die fragliche Einschränkung ebenfalls nicht diskutiert.

    4.3.3  Ergänzungsleistungen werden ausgerichtet, um Bezügerinnen
und Bezügern von Renten der Alters- und Hinterlassenen- oder der
Invalidenversicherung das Existenzminimum zu gewährleisten, ohne dass die
Versicherten Sozialhilfe beziehen müssen (vgl. Art. 112 Abs. 2 lit. b in
Verbindung mit Art. 196 Ziff. 10 BV). Mit den Leistungen gemäss ELG soll
somit der gegenwärtige Grundbedarf, sollen die laufenden Lebensbedürfnisse
gedeckt werden (BGE 127 V 369 Erw. 5a; vgl. auch BGE 122 V 24 Erw. 5a
mit Hinweisen). Aus dieser der ergänzungsleistungsrechtlichen Regelung
zu Grunde liegenden Ziel- und Zwecksetzung lässt sich ebenfalls nicht
ableiten, der Begriff der "Kosten für Zahnarzt" gemäss Art. 3d Abs. 1
lit. a ELG und Art. 19 Abs. 1 lit. a ELV bzw. der Zahnbehandlungskosten
gemäss Art. 8 Abs. 1 ELKV sei in der durch die Vorinstanz befürworteten,
einschränkenden Weise auszulegen. Vielmehr können die zur Behandlung einer
Allgemeinerkrankung notwendigen zahnärztlichen Massnahmen ohne weiteres
dem gegenwärtigen Grundbedarf zugeordnet werden, wobei Art und Umfang
der vergütungsfähigen Leistungen durch das Erfordernis der einfachen,
wirtschaftlichen und zweckmässigen Vorkehr bestimmt und begrenzt werden.

    4.3.4  Was den systematischen Gesichtspunkt anbelangt, unterscheidet
das Gesetz in Art. 3 ELG zwischen der jährlichen Ergänzungsleistung
einerseits und der Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten
andererseits. Die Letzteren werden in Art. 3d Abs. 1 ELG aufgezählt. Der
dortige abschliessende (AHI 2002 S. 74 f. Erw. 4) Katalog sieht
unter anderem vor, dass die Kostenbeteiligungen nach Art. 64 KVG zu
vergüten sind (Art. 3d Abs. 1 lit. f ELG). Darunter fallen auch die
Kostenbeteiligungen für zahnärztliche Leistungen, die ausnahmsweise
- gemäss Art. 31 Abs. 1 lit. a bis c KVG - von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung getragen werden. Wenn nun Art. 3d Abs. 1 lit. a
ELG ausserdem die Kosten für den Zahnarzt nennt, so handelt es sich dabei
offensichtlich um jene anteilmässig weit überwiegenden Aufwendungen,
welche die Krankenversicherung nicht zu ersetzen hat. Durch die beiden
Normen werden grundsätzlich alle notwendigen ärztlichen und zahnärztlichen
Behandlungen erfasst. Ein genereller Ausschluss bestimmter Massnahmen ist
weder darin noch im gestützt auf entsprechende Delegationsbestimmungen
erlassenen Art. 8 ELKV vorgesehen. Wäre beabsichtigt gewesen, zahnärztliche
Eingriffe, welche der Behandlung einer Allgemeinerkrankung dienen, aus dem
Leistungskatalog auszuschliessen, hätte dies im Gesetz (oder allenfalls
in der Verordnung) ausdrückliche Erwähnung finden müssen.

    4.3.5  In AHI 2002 S. 74 f. Erw. 4 hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Aufzählung der vergütungsfähigen Krankheits- und
Behinderungskosten in Art. 3d ELG als abschliessend bezeichnet. Aus diesem
Grund verneinte es einen Anspruch auf Vergütung von Aufwendungen für nicht
obligatorisch krankenversicherte psychotherapeutische Behandlungen. In
Bezug auf die vorliegende Konstellation lässt sich daraus jedoch nichts
ableiten, haben doch die Kosten für den Zahnarzt im Gegensatz zu jenen
der Psychotherapie in den Katalog von Art. 3d ELG Aufnahme gefunden.

    4.3.6  Zusammenfassend ergibt sich, dass unter Art. 3d Abs.
1 lit. a ELG grundsätzlich alle Zahnarztkosten fallen, einschliesslich der
Aufwendungen für Vorkehren zur Behandlung von Allgemeinerkrankungen. Diese
sind zu vergüten, sofern und soweit die Voraussetzungen der Einfachheit,
Wirtschaftlichkeit und Zweckmässigkeit erfüllt sind (Art. 8 Abs. 1 Satz
1 ELKV), wobei ausserdem ein Kostenvoranschlag einzureichen und dessen
Genehmigung einzuholen ist, wenn die Kosten der Massnahme, wie hier,
voraussichtlich die Summe von Fr. 3000.- übersteigen werden (Art. 8 Abs. 3
ELKV). Dieses Auslegungsergebnis ist auch mit der vom BSV herausgegebenen
Wegleitung über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (WEL), Randziffer
5037 ff., vereinbar, werden doch darin die Leistungen von Zahnärzten für
die Behandlung einer Allgemeinerkrankung nicht ausgeschlossen. Das BSV
hat sich denn auch in seiner Vernehmlassung nicht auf diesen Standpunkt
gestellt, sondern die Zweckmässigkeit der Massnahme verneint.