Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 I 337



130 I 337

28. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A., B. und C. gegen
Spital D. sowie Verwaltungsgericht des Kantons Bern (staatsrechtliche
Beschwerde)

    4P.92/2004 vom 19. Oktober 2004

Regeste

    Kantonalrechtliche Haftung für spitalärztliche Tätigkeit; Willkür
(Art. 9 BV).

    Verletzung von Art. 9 BV wegen willkürlicher Würdigung von Expertisen
und widersprüchlicher Entscheidbegründung (E. 5).

Sachverhalt

    E.- , geboren am 6. Dezember 1924, wurde am 28. Oktober 1999 in das
Spital D. aufgenommen, um sich am 1. November 1999 einem erfolgreich
verlaufenen chirurgischen Eingriff am Herz zu unterziehen. Es wurden
eine Aortaklappe ersetzt und drei Bypass eingeführt. Nach einem
anschliessenden Aufenthalt auf der Intensivstation wurde E. am 2. November
1999 um 10 Uhr auf die Bettenstation verlegt. Was dort geschah, wird
in der Krankengeschichte wie folgt festgehalten: - Um 14.45 Uhr wurde
festgestellt, dass E. "noch nicht ganz adäquat" war,

    zum Teil nicht wusste, wo er sich befand.  - Um 17.00 Uhr wurde
bemerkt, dass er den Schlauch zur Infusionsflasche

    entfernt hatte, so dass überall Blutspuren sichtbar waren.  - Um
19.00 Uhr hat er wiederum das Bett verlassen und den Infusionsschlauch

    entfernt.  - Um 19.30 Uhr hat er den zentralen Venenkatheter
vollständig gezogen, wobei

    er zeitlich und örtlich desorientiert war. Es wurden ihm 3 Tropfen
Haldol

    verabreicht.  - Um 22.00 Uhr schien E. etwas beruhigt, aber immer
noch örtlich und

    zeitlich desorientiert.  - Um 23.30 Uhr sass E. am Bettrand, nachdem
er die Venenverweilkanäle

    herausgezogen hatte, was bewirkte, dass alles "wohin das Auge reicht"

    blutverschmiert war. Dabei war er zeitlich und örtlich
desorientiert. Es

    wurden ihm acht Tropfen Haldol und das Schlafmittel Stilnox
verabreicht,

    nachdem sich der Zustand am späten Abend ausgeprägt hatte.  - Um
00.15 Uhr stellte ein Arzt fest, dass E. ruhig war, adäquat antwortete

    und neurologisch unauffällig war.  - Um 00.35 Uhr sprang er vom Balkon
des Nachbarzimmers in den Tod.

    Einigkeit besteht darin, dass ein Verwirrtheitszustand von E. zum
Todessturz geführt hat. Dabei geht es um ein nach herzchirurgischen
Eingriffen "nahezu alltägliches Problem", das mit einer Wahrscheinlichkeit
von 20 % - 30 % auftritt, wobei ältere Personen häufiger davon
betroffen sind als jüngere. Das Hauptmerkmal des mit den Begriffen
"Verwirrtheitszustand", "Delir" oder "Durchgangssyndrom" bezeichneten
Zustandes besteht stets in der Störung der Aufmerksamkeit, die meist
fluktuiert. Eine ausgewogene und geordnete Wahrnehmung und Reizverarbeitung
im Gehirn der Patientin oder des Patienten ist im akuten Stadium des
Delirs nicht mehr möglich.

    Über die Pathogenese der Krankheit, das heisst über deren Entstehung
und Entwicklung, besteht Unklarheit. Als Ursache wird vor allem eine
metabolische Störung des Zentralnervensystems angenommen.

    Typisch ist der unvorhersehbare Verlauf der Krankheit. Ein stilles,
in sich gekehrtes Verhalten kann abrupt in ein bettflüchtiges oder
aggressives Verhalten gegen sich oder gegen andere umschlagen. Auch der
Grad der Verwirrtheit kann sich rasch ändern. Zudem ist bekannt, dass im
Zusammenhang mit dem Delir immer wieder Todesfälle auftreten.

    Am 27. Oktober 2000 klagten die Ehefrau des Verstorbenen A.
(Beschwerdeführerin 1) und dessen Töchter B. (Beschwerdeführerin 2)
sowie C. (Beschwerdeführerin 3) beim Verwaltungsgericht des Kantons
Bern mit dem Antrag, das Spital D. sei zur Leistung von Schadenersatz
und Genugtuung in der Höhe von insgesamt Fr. 284'658.- nebst Zins von 5
% seit 3. November 1999 zu verpflichten. Zur Begründung führten sie an,
die Beklagte habe eine Reihe von Sorgfaltspflichten verletzt: - Sie habe
es versäumt, Richtlinien zur Behandlung von postoperativen

    Verwirrtheitszuständen zu erlassen.  - Sie habe keine adäquate
Diagnose gestellt. - Sie habe keinen Facharzt der Psychiatrie beigezogen.
- Sie habe nicht für eine hinreichende medikamentöse Therapie gesorgt.
- Sie habe keine hinreichenden Massnahmen für die Sicherheit des Patienten

    angeordnet (Sitzwache, Fixierung etc.).  - Sie habe die ärztliche
Aufklärungspflicht verletzt.

    Der Instruktionsrichter beschränkte das Verfahren auf die Frage der
grundsätzlichen Haftung der Beklagten und ordnete drei Begutachtungen an.
Gutachter waren: Prof. F., damals Oberarzt der Klinik für Psychiatrie
und Psychotherapie im Klinikum X.; Prof. G., Chefarzt an der Klinik
für Herz- und Thoraxchirurgie des Spitals Y.; Prof. H., Direktor der
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der technischen
Universität Z.

    Mit Urteil vom 15. März 2004 wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Bern die Klage ab.

    Die Beschwerdeführerinnen haben gegen das Urteil des
Verwaltungsgerichts vom 15. März 2004 staatsrechtliche Beschwerde
eingereicht mit dem Begehren, es sei aufzuheben. Die Beschwerdegegnerin
und das Verwaltungsgericht beantragen die Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und hebt den angefochtenen
Entscheid auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.  Die Beschwerdeführerinnen halten dafür, das Verwaltungsgericht sei
mit seinem Befund, die Beschwerdegegnerin habe auf den Verwirrungszustand
des E. mit adäquaten Massnahmen reagiert, in Willkür verfallen.

    5.1  Das Verwaltungsgericht hat eine Sorgfaltspflichtverletzung im
Wesentlichen aus folgenden Gründen verneint:

    5.1.1  Aufgrund der Verwirrtheitszeichen, die am späteren Abend des 2.
November 1999 auftraten, sei die Balkontüre im Zimmer des Patienten
verriegelt worden. Diese Massnahme sei üblich und ziele darauf ab,
Fenstersprünge herzchirurgischer Patientinnen und Patienten zu verhindern.
Diese bauliche Massnahme habe jedoch keine absolute Sicherheit bieten
können, weil aufgrund feuerpolizeilicher Erwägungen (Feuerleiter) und mit
Rücksicht auf die Mitpatienten und die Mitarbeiter der Klinik nicht alle
Balkontüren auf einem Stockwerk verriegelt werden könnten.

    5.1.2  Das Verwaltungsgericht hat seine Beurteilung weiterer auf das
verbleibende Risiko bezogener Sicherheitsmassnahmen insbesondere auf die
Gutachten der Professoren G. und H. gestützt, da das Gutachten von Prof. F.
wenig fallbezogene Ausführungen enthält.

    Prof. G. weise darauf hin, dass selbst in Ländern, die unter ähnlichem
Spardruck stehen wie die Schweiz, beispielsweise in Deutschland, der
Einsatz von Sitzwachen grosszügig geregelt sei; auch im Spital Y.,
in dem er selbst tätig ist, werde im Bereich der operativen Medizin
mit einem erheblichen Mittelbedarf für akut eingesetzte Sitzwachen
gerechnet. Zusammenfassend habe er festgehalten:

      "Die Ausprägung des Durchgangssyndroms am späten Abend der

      Ereignisnacht wäre in Kenntnis der heutigen Literatur zur

      perioperativen Behandlung in der Herzchirurgie in einer Vielzahl von

      Kliniken Grund gewesen, entweder auf eine intermediate-care-Abteilung

      zurückzuverlegen oder eine Sitzwache anzuordnen.  [...]  Ob im Spital

      D. Ressourcen für Sitzwachen zur Verfügung standen, diese kurzfristig

      beschafft werden konnten und/oder gar das Einsetzen von Sitzwachen

      aus finanziellen Gründen oder ähnlichem nicht gern gesehen oder gar

      untersagt war, entzieht sich der Kenntnis des Gutachters und müsste

      von gerichtlicher Seite geklärt werden. Inwieweit der Einsatz einer

      Sitzwache das tragische Ereignis zwingend hätte verhindern können,

      bleibt darüber hinaus dahingestellt."

    Demgegenüber habe Prof. H. die Sachlage wie folgt beurteilt:

      "Verwirrtheitszustände sind wegen ihrer Fluktuationen notorisch

      irreführende Störungen. Aufgrund der grossen Häufigkeit von

      Verwirrtheitszuständen nach kardiochirurgischen Eingriffen und

      aufgrund der Unvorhersagbarkeit ihres zu allermeist günstigen

      Verlaufes bzw.  aufgrund der Schwierigkeiten, besonders gefährdete

      Patienten rechtzeitig zu identifizieren, müssten eigentlich alle

      Patienten während der ersten Woche - vor allem nachts - ständig

      überwacht werden. Dies ist nicht realisierbar und wäre für die

      überwiegende Mehrzahl der Überwachten eine nicht zumutbare,

      ständige Belastung. Arzt und Pflegepersonal haben die unter den

      gegebenen Umständen der Klinik üblichen, möglichen und sinnvollen

      Sicherungsmassnahmen getroffen."

    Seine zusammenfassende Beurteilung laute:

      "Im unmittelbaren Interesse des Patienten und des Heilungsverlaufs

      schien es vertretbar und angeraten, sich mit den angeordneten

      Vorsichtsmassnahmen und der niedrig dosierten Pharmakotherapie zu

      begnügen. Der zunächst günstige postoperative Verlauf, die Gabe von

      Haloperidol, die eingekehrte Ruhe bei nochmaliger Untersuchung, das

      Abschliessen der Balkontür, das Informieren des Pflegepersonals,

      alle diese Faktoren waren vom verantwortlichen Arzt in seine

      Abwägung einzubeziehen. Die Anwesenheit einer Sitzwache oder

      sogar die Rückverlegung auf eine Beobachtungsstation oder in

      eine geschlossene Psychiatrische Klinik wären mit einem zumindest

      geringen zusätzlichen Stress für den Patienten verbunden gewesen,

      der sowohl aus kardiologischer, als auch aus psychiatrischer Sicht zu

      bedenken war.  Dass alle 5 genannten positiven Prognoseindikatoren

      bzw.  Sicherungsmassnahmen und sogar ein beherzt eingreifender

      Mitpatient den tragischen Ausgang nicht verhindern konnten, war

      nicht vorherzusehen."

    Das Verwaltungsgericht hat zunächst festgestellt, dass die Professoren
G. und H. die Frage der Sitzwache unterschiedlich beantworten, und ist
dann - ohne das Gutachten G. konkret in Frage zu stellen - dem Gutachten
H. gefolgt und hat sich seiner in den oben wiedergegebenen Zitaten
formulierten Auffassung angeschlossen, wonach Arzt und Pflegepersonal
die unter den Umständen der Klinik üblichen, möglichen und sinnvollen
Sicherungsmassnahmen getroffen hätten.

    Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, es liege zwar auf der Hand,
dass die Sicherheit des Patienten mit einer Sitzwache besser gewährleistet
sei als mit periodischen Kontrollen durch die Betreuungspersonen der
Bettenstation. Angesichts der Besonderheit des Verwirrungszustandes,
der sich durch die Unvorhersehbarkeit des Verhaltens und abrupte
Verhaltensänderungen kennzeichne, müsste ein Patient während der
ersten Woche nach dem Eingriff vor allem nachts ständig überwacht
werden. Es leuchte aber ein, dass dies die verfügbaren personellen
und finanziellen Ressourcen nicht zulassen würden. Deshalb sei eine
Sitzwache nur anzuordnen, wenn dies durch die konkrete Risikolage geboten
sei. Der zu beurteilende Geschehnisablauf, nämlich der Sturz vom Balkon des
Nebenzimmers, habe demgegenüber einen derart singulären Charakter - selbst
den Gutachtern sei ein vergleichbarer Fall nicht bekannt gewesen -, dass er
von den Verantwortlichen nicht vorausgesehen werden konnte. Der Verzicht
auf die Anordnung einer Sitzwache, der mit Blick auf den ungewöhnlichen
Ablauf der Ereignisse in das Ermessen der Verantwortlichen gestellt gewesen
sei, sei noch nicht als pflichtwidrige Unterlassung zu werten. Dasselbe
gelte für den Verzicht, den Patienten auf die Intensivpflegestation
zurückzuverlegen oder an seinem Bett ein Bettgitter anzubringen.

    5.1.3  In tatbeständlicher Hinsicht besteht zwischen dem Experten
G., der sein Gutachten in Kenntnis der Krankengeschichte verfasst hat,
und dem Experten H. eine Differenz, zu der das Verwaltungsgericht im
Einzelnen nicht Stellung genommen hat. Der Gutachter G. geht davon aus,
dass sich der Krankheitszustand am Abend der Ereignisnacht, als auch die
Haldoldosierung erhöht und Stilnox verabreicht wurde, ausgeprägt habe. Das
Verwaltungsgericht scheint dieser Annahme zuzustimmen, wenn es ausführt,
aufgrund der Verwirrtheitszeichen, die am späten Abend des 2. November 1999
auftraten, sei die Balkontüre im Zimmer des Patienten verriegelt worden.

    Demgegenüber vertraut der Experte H. auf den Eindruck eines Arztes,
der den Patienten kurz nach Mitternacht besucht und als ruhig empfunden
habe. Das Verwaltungsgericht folgt diesem Gutachter insoweit, als es die
getroffenen Massnahmen insgesamt als adäquat beurteilt. Die Differenz
in der Beurteilung des Krankheitszustandes von E. in der Ereignisnacht
braucht aber hier nicht weiter erörtert zu werden, da Einigkeit darüber
herrscht, dass bei diesem Patienten ein Verwirrungszustand vorlag, dessen
Verlauf unberechenbar war, und da auch Einigkeit über das Fortbestehen
eines Todessturzrisikos besteht, das sich mit den getroffenen Massnahmen
allein nicht ausschliessen liess.

    Hauptstreitpunkt unter den Experten ist daher nicht etwa die
Zweckmässigkeit einer permanenten Sitzwache, sondern die Frage,
ob eine solche Massnahme bei den vorhandenen personellen und
finanziellen Ressourcen für jeden nach einer Herzoperation unter
einem Verwirrungszustand leidenden Patienten zu verkraften wäre. Das
Verwaltungsgericht hält dagegen für ausschlaggebend, dass die konkrete
Risikolage die Anordnung einer permanenten Sitzwache darum nicht als
angezeigt habe erscheinen lassen, weil der Geschehensablauf singulär und
nicht voraussehbar gewesen sei.

    5.2  Die Beschwerdeführerinnen machen im Einzelnen geltend, das
Verwaltungsgericht habe die Frage, ob die Beschwerdegegnerin mit adäquaten
Massnahmen auf die Sicherheitsrisiken für E. reagiert habe, aus folgenden
Gründen willkürlich beurteilt: - Mit der Verriegelung des Fensters und
der Balkontüre des Patientenzimmers

    von E. habe das Spital das Todessturzrisiko anerkannt und mit der

    Beschränkung dieser baulichen Massnahme auf das Patientenzimmer
auch das

    Fortbestehen des Todessturzrisikos. Das stimme mit der in diesem Punkt

    einhelligen Meinung der Experten überein, welche den baulichen
Massnahmen

    nicht die Funktion einer absoluten Sicherheit zuschreiben, und sei

    letztlich auf den Krankheitszustand von E. zurückzuführen, für den eine

    hohe Mortalität symptomatisch sei.  - Was die konkrete Frage der
Anordnung einer Sitzwache anbelangt, hätte sich

    das Verwaltungsgericht nicht grundlos über die Expertenmeinung von
Prof. G.

    hinwegsetzen und dem Gutachter Prof. H. anschliessen dürfen, der im

    Ergebnis das Erfordernis einer Sitzwache im vorliegenden Fall verneint,

    obwohl er das (fortbestehende) Risiko von Todesstürzen anerkennt.
- Wenn das Todessturzrisiko und die mit einem Delir verbundene hohe

    Mortalität als bekannt vorausgesetzt werden können, sei es
widersprüchlich,

    einen Todessturz - in welcher Form er sich auch verwirklichen sollte
- als

    ein nicht voraussehbares singuläres Risiko zu bewerten.

    5.3  Dem Arzt ist sowohl in der Diagnose wie in der Bestimmung
therapeutischer oder anderer Massnahmen nach dem objektiven Wissensstand
oftmals ein Entscheidungsspielraum gegeben, welcher eine Auswahl unter
verschiedenen in Betracht fallenden Möglichkeiten zulässt. Sich für das
eine oder das andere zu entscheiden, fällt in das pflichtgemässe Ermessen
des Arztes, ohne dass er zur Verantwortung gezogen werden könnte, wenn
er bei einer Beurteilung ex post nicht die objektiv beste Lösung gefunden
hat. Eine Pflichtverletzung ist daher nur dort gegeben, wo eine Diagnose,
eine Therapie oder ein sonstiges ärztliches Vorgehen nach dem allgemeinen
fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint. Die Prüfung,
ob dem Arzt eine Ermessensüberschreitung zur Last gelegt werden kann,
beurteilt sich somit nicht nach dem Sachverhalt, wie er sich nachträglich
dem Experten oder dem Richter darstellt; massgebend ist vielmehr, was der
Arzt im Zeitpunkt, in dem er sich für eine Massnahme entschied oder eine
solche unterliess, von der Sachlage halten musste (BGE 120 Ib 411 E. 4a
und b sowie 4c/aa; 115 Ib 175 E. 3b S. 184/185). Soweit die Möglichkeit
negativer Auswirkungen der Behandlung erkennbar ist, muss der Arzt alle
Vorkehren treffen, um deren Eintritt zu verhindern (BGE 120 II 248 E. 2c
S. 250).

    Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil erkannte das für
die Beschwerdegegnerin handelnde Personal, dass die im Patientenzimmer
des E. vorgenommene Verriegelung als Sicherheitsmassnahme nicht genügte,
weil er mangels permanenter Bewachung sein Zimmer verlassen und sich sein
lebensbedrohendes Selbstgefährdungspotential - in welcher Form auch immer -
ausserhalb des Zimmers verwirklichen konnte. Ebenfalls erkannt wurde, dass
durch die Anordnung einer Sitzwache die Lebensgefahr erheblich gemindert
werden konnte. Die Beschwerdegegnerin vermag nicht darzulegen, weshalb
eine solche Massnahme nicht zumutbar gewesen wäre. Das Unterlassen,
eine Sitzwache oder eine Rückverlegung auf die Intensivpflegestation
anzuordnen und damit negative oder gar fatale Auswirkungen des durch den
operativen Eingriff bedingten Zustandes des Patienten zu verhindern,
wird damit objektiv vorwerfbar. Das wird vom Verwaltungsgericht an
sich auch nicht in Zweifel gezogen. Das Verwaltungsgericht verlangt
aber als weitere Voraussetzung der Vorwerfbarkeit, dass das Personal
der Beschwerdegegnerin auch die konkrete Form der Verwirklichung
der Selbstgefährdung hätte voraussehen müssen. Damit verkennt es die
Tragweite der an sich offenkundigen Verwirrtheit im Hinblick auf eine
mögliche Selbstschädigung, die krankheitsbedingt nicht voraussehbare
Verhaltensweisen miteinschloss. Indem das Verwaltungsgericht die Symptome
des Delirs als Krankheitszustand im Einklang mit den Gutachtern klar
herausarbeitet und dabei insbesondere auch auf das für solche Patienten
typische unvoraussehbare Verhalten und die abrupten Verhaltensänderungen
hinweist, die Vorwerfbarkeit aber an die zusätzliche Voraussetzung der
Voraussehbarkeit des konkreten Verhaltens, das bei E. auf singuläre Weise
zum Tod geführt hat, knüpfen will, stellt es auf ein unsachliches Argument
ab und verstrickt sich in einen unauflösbaren Widerspruch. Der Verzicht
auf die Anordnung einer Sitzwache kann nicht damit gerechtfertigt werden,
dass die konkret eingetretene Äusserungsform des Verwirrtheitszustandes
(Sturz vom Balkon des Nachbarzimmers) noch nie vorgekommen ist. Auch wenn
dieser Geschehensablauf zum ersten Mal eingetreten sein mag, lag er doch
im Spektrum der bei einem Delir typischen Verhaltensformen, die sich
eben gerade durch ihre Unvorhersehbarkeit charakterisieren. Im Übrigen
hätte die Anordnung einer ständigen Überwachung, wie sie angesichts des
Krankheitszustandes von E. und der verbleibenden - zwangsläufig nur
generell voraussehbaren Risiken - geboten gewesen wäre, das tödliche
Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit verhindert.

    5.4

    5.4.1  Dem Sachverständigen sind bloss Sach-, keine Rechtsfragen zu
unterbreiten. Die Beantwortung letzterer obliegt zwingend dem Gericht
(BGE 113 II 429 E. 3a S. 432 mit Hinweisen; MERKLI/ AESCHLIMANN/HERZOG,
Kommentar zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege im Kanton Bern,
Bern 1997, N. 24 zu Art. 19 VRPG). Daraus folgt, dass das Gericht
nicht auf eine Expertenaussage abstellen darf, wenn mit dieser eine
Rechtsfrage beantwortet wird. Das hat das Verwaltungsgericht jedoch
getan, indem es sich auf die Auffassung des Gutachters H. berufen hat,
wonach die Beschwerdegegnerin mit den von ihr getroffenen Massnahmen
ihre Sorgfaltspflichten erfüllt habe. Es wäre vielmehr Sache des
Verwaltungsgerichts gewesen, die finanzielle Zumutbarkeit der als wirksam
erkannten Massnahmen (Sitzwache, Rückverlegung auf die Intensivstation)
einzuschätzen. Das Verwaltungsgericht legt aber nicht dar, aus welchen
Gründen es der Beschwerdegegnerin nicht zuzumuten gewesen wäre, denselben
Aufwand wie die vom Experten G. genannten anderen Spitäler zu betreiben.

    5.4.2  Das Gericht darf in Fachfragen nicht ohne triftige Gründe von
Gutachten abweichen und muss Abweichungen begründen (BGE 128 I 81 E. 2
S. 86; FABIENNE HOHL, Procédure civile, Bd. I, 2001, Rz. 1113 und 1114
mit Hinweisen). Weicht das Gericht von einem Gutachten ab, kann ihm keine
Willkür vorgeworfen werden, wenn die Glaubwürdigkeit des Gutachtens durch
die Umstände ernsthaft erschüttert ist. Dagegen kann das Gericht dann
der Willkür verfallen, wenn es Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens
hegt und dennoch keine ergänzende Abklärung anordnet, um diese Zweifel
zu beseitigen.

    Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht in keiner Weise auf
Umstände hingewiesen, welche die Glaubwürdigkeit des Gutachters G. mit
Bezug auf die Aussage, wonach in anderen Spitälern in einer Vielzahl von
Fällen Sitzwachen angeordnet werden, erschüttern könnten. Ebenso wenig sind
dem angefochtenen Urteil irgendwelche Zweifel an der Richtigkeit dieser
Aussage zu entnehmen. Indem das Verwaltungsgericht vom Gutachten des als
Experten beigezogenen Herzchirurgen G. ohne erkennbaren Grund abgewichen
ist, ist es der Willkür verfallen. Eine vertiefte Auseinandersetzung mit
der Aussage des Herzchirurgen G. wäre im Übrigen umso mehr geboten gewesen,
als die Herzchirurgen im Umgang mit den recht zahlreichen Delirpatienten
unter den Herzoperierten (20-30 %) über mehr Erfahrung verfügen als die
Psychiater, die nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil in der
Regel nicht einmal zur Diagnosestellung beigezogen werden.

    5.5  Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass das
Verwaltungsgericht in Willkür verfallen ist, indem es eine
Sorgfaltspflichtverletzung verneint hat, - weil es sich unzulässigerweise
auf eine Rechtsauffassung des Experten H.

    gestützt hat und die Expertenmeinung G. ohne Grund ausser Acht
gelassen hat

    und - weil es eine mit dem festgestellten, durch ein unberechenbares
Verhalten

    gekennzeichneten Krankheitszustand in Widerspruch stehende
Berechenbarkeit

    des Patientenverhaltens vorausgesetzt hat.