Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 IV 97



130 IV 97

16. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen Y. sowie
Obergericht des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.278/2003 vom 26. August 2004

Regeste

    Art. 29 StGB; Beginn des Fristenlaufs der Strafantragsfrist.

    Die Frist zur Stellung des Strafantrages beginnt erst zu laufen, wenn
der Verletzte persönlich, und nicht schon, wenn sein bevollmächtigter
Vertreter die Tat und den Täter kennt (E. 2).

Sachverhalt

    X. wurde Ende Mai 2002 von seiner Arbeitgeberin mit der Begründung
entlassen, verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Namen
ihm nicht mitgeteilt wurden, hätten ihn der sexuellen Belästigung
bezichtigt. X. liess die Arbeitgeberin umgehend wissen, dass er die
Kündigung als missbräuchlich erachte, den Kündigungsgrund als ehrverletzend
empfinde und sich rechtliche Schritte vorbehalte.

    Am 3. Juli 2002 wurde dem Rechtsvertreter von X. Einsicht in die
internen Unterlagen der Arbeitgeberin gewährt, aus welchen er die Namen
der Personen, welche die Vorwürfe erhoben hatten, ersehen konnte. Er
musste sich jedoch dazu verpflichten, seinem Klienten die entsprechenden
Namen nicht bekannt zu geben, woran er sich hielt.

    Spätestens am 26. Juli 2002 bevollmächtigte X. seinen Rechtsvertreter
zur vollumfänglichen Wahrung seiner Interessen, einschliesslich
der Stellung eines Strafantrages wegen Ehrverletzung gegen die ihn
beschuldigenden Personen. Gleichentags ersuchte der Rechtsvertreter
die Arbeitgeberin schriftlich darum, seinem Klienten die Namen der
entsprechenden Personen bekannt geben zu dürfen, wozu diese mit Schreiben
vom 13. August 2003 einwilligte.

    Am 13. November 2002 reichte X. beim Bezirksgericht Zürich
Ehrverletzungsklage gegen Y. ein. Mit Beschluss vom 7. Februar 2003 trat
das Gericht auf die Klage infolge Verspätung nicht ein. Einen dagegen
erhobenen Rekurs wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss
vom 20. Juni 2003 ab.

    Auf eine gegen den Entscheid des Obergerichts eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde ist das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit
Beschluss vom 7. Mai 2004 nicht eingetreten.

    X. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben.

    Y. beantragt in ihrer Stellungnahme vom 26. Juli 2004 die
vollumfängliche Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde, soweit darauf
eingetreten werden könne.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe Art. 29
StGB verletzt, indem sie davon ausgegangen sei, zum Zeitpunkt der
Einreichung seiner Klage sei die Frist, um Strafantrag zu stellen,
bereits abgelaufen gewesen. Für den Beginn des Fristenlaufs könne
frühestens auf das Datum der Entbindung seines Rechtsvertreters von der
Stillhaltevereinbarung, mithin auf den 13. August 2002, abgestellt werden.

    2.1  Die dreimonatige Strafantragsfrist beginnt mit dem Tag,
an welchem dem Antragsberechtigten der Täter bekannt wird (Art. 29
StGB). Die Antragsberechtigung richtet sich dabei nach dem Träger des
angegriffenen Rechtsgutes; bei höchstpersönlichen Rechtsgütern wie der
Ehre ist Verletzter nur der Träger des Rechtsgutes selbst (Art. 28 Abs. 1
StGB; BGE 121 IV 258 E. 2b).

    Das Recht, Strafantrag zu stellen, ist grundsätzlich höchstpersönlicher
Natur und unübertragbar (BGE 122 IV 207 E. 3c). Daraus hat das
Bundesgericht gefolgert, dass unter dem Antragsberechtigten nur der
Verletzte persönlich und nicht auch sein bevollmächtigter Vertreter zu
verstehen ist, sodass die Antragsfrist erst zu laufen beginnt, wenn der
Verletzte persönlich die Tat und den Täter kennt und nicht schon, wenn
sein bevollmächtigter Vertreter diese Kenntnis hat (BGE 80 IV 209 E. 2;
97 I 769 E. 2).

    2.2  Nach Auffassung der Vorinstanzen rechtfertigt sich ein Abweichen
von der dargelegten Rechtsprechung im vorliegenden Fall deshalb, weil
der Beschwerdeführer seinen Rechtsvertreter schon vor dem Zeitpunkt,
in welchem er Kenntnis vom Namen der Beschwerdegegnerin erhielt, mit der
Stellung eines Strafantrages beauftragt hatte. Er habe sich dessen Kenntnis
somit spätestens ab dem 26. Juli 2002 - dem Datum der Bevollmächtigung -
anrechnen zu lassen, weshalb die Antragsfrist spätestens am 26. Oktober
2002 abgelaufen sei.

    Die Vorinstanzen stützen ihre Ansicht auf REHBERG und RIEDO. REHBERG
vertritt ohne weitere Begründung die Auffassung, auf die Kenntnis des
bevollmächtigten Vertreters müsse es entgegen der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung ankommen, wenn der Verletzte diesen bereits zu einem
Zeitpunkt zur Stellung eines Strafantrages ermächtigt habe, in welchem
der Täter noch keinem von beiden bekannt gewesen sei (JÖRG REHBERG, Der
Strafantrag, ZStrR 85/1969 S. 247 ff., 269). RIEDO teilt diese Meinung
und schlägt vor, die Grundsätze anzuwenden, wie sie für das Handeln von
Organen juristischer Personen gelten. Es sei stossend, wenn der Vertretene
zur Wahrung seiner Interessen einen Vertreter bestellen könnte, um sich
später darauf zu berufen, er selbst habe den Täter nicht gekannt (CHRISTOF
RIEDO, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Art. 29 StGB N. 10).

    2.3  Entgegen der Meinung der zitierten Autoren ist kein zwingender
Grund ersichtlich, in Fällen wie dem vorliegenden von der bisherigen
Rechtsprechung abzuweichen und dem Vertretenen die Kenntnis seines
Bevollmächtigten anzurechnen. Denn auch wenn ein Verletzter seinen
Rechtsvertreter vor Kenntnis des Täters mit der Einreichung eines
Strafantrags beauftragt, ist es durchaus denkbar, dass er, je nachdem, wer
als Täter identifiziert wird, keine Strafverfolgung wünscht. Der Entscheid,
Strafantrag zu stellen oder darauf zu verzichten, muss ihm daher persönlich
erhalten bleiben. Weil der Vertretene, der Strafantrag stellen möchte,
im Allgemeinen an einer möglichst baldigen Anhandnahme der Strafverfolgung
interessiert sein dürfte, ist die Gefahr des Rechtsmissbrauchs gering. Im
Einzelfall könnte einem solchen ohnehin Rechnung getragen werden.

    DIE RECHTSLAGE BEI DER BÜRGERLICHEN STELLVERTRETUNG IST SODANN
KEINESWEGS

MIT DERJENIGEN BEI DER ORGANVERTRETUNG VERGLEICHBAR, DA JURISTISCHE
PERSONEN

NATURGEMÄSS NICHT SELBST, SONDERN NUR DURCH IHRE ORGANE STRAFANTRAG
STELLEN KÖNNEN. VIEL EHER SCHEINT EIN VERGLEICH MIT DER GESETZLICHEN
VERTRETUNG URTEILSFÄHIGER ENTMÜNDIGTER ANGEBRACHT. DENN DEM GESETZLICHEN
VERTRETER STEHT HIER NEBEN DEM VERLETZTEN EIN SELBSTÄNDIGES ANTRAGSRECHT
ZU (VGL. ART. 28 ABS. 3 STGB; BGE 127 IV 193 E. 5B). WIE RIEDO SELBST
FESTHÄLT, FÜHRT DIE

KENNTNIS DES TÄTERS DURCH DEN VERTRETER IN DIESEN FÄLLEN NICHT ZUM BEGINN
DES FRISTENLAUFS FÜR DEN VERTRETENEN (RIEDO, A.A.O., ART. 28 STGB N. 29
SOWIE ART. 29 STGB N. 7; VGL. AUCH WALTER HUBER, DIE allgemeinen Regeln
über den Strafantrag im schweizerischen Recht [STGB 28-31], DISS. ZÜRICH
1967, S. 28). MUSS SICH ABER NICHT EINMAL DER GESETZLICH VERTRETENE
DAS WISSEN SEINES VERTRETERS ANRECHNEN LASsen, kann sich dies für die
gewillkürte Stellvertretung umso weniger RECHTFERTIGEN.

    Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sich der Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers gegenüber dessen Arbeitgeberin vertraglich verpflichtet
hatte, seinem Mandanten die Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
welche die Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben hatten, zu
verschweigen. Solange er an diese Vereinbarung gebunden war, durfte
er keine Strafklage gegen die betreffenden Personen einreichen. Denn
hierfür hätte er die Namen in der Klageschrift nennen müssen und der
Beschwerdeführer hätte sie spätestens durch Teilnahme am Strafprozess
erfahren. Würde für die hier zu entscheidende Frage auf die Kenntnis
des Rechtsvertreters abgestellt, hätte die Strafantragsfrist demnach
vor dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, ab welchem Klage eingereicht
werden durfte. Die Arbeitgeberin hätte es damit in der Hand gehabt zu
entscheiden, wie viel Zeit dem Beschwerdeführer für die Stellung des
Antrags verbleiben bzw. ob ihm dies überhaupt noch möglich sein solle. Es
kann aber nicht angehen, dass eine unbeteiligte Drittperson die Dauer der
Strafantragsfrist verkürzen kann. Das Argument der Beschwerdegegnerin,
der Beschwerdeführer habe nach der Entbindung seines Rechtsvertreters
von der Stillhalteverpflichtung am 13. August 2002 zur Einreichung der
Klage noch genügend Zeit gehabt, überzeugt daher nicht.

    2.4  Nachdem der Name der Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer
laut den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz vor
der Aufhebung der Stillhaltevereinbarung nicht bekannt gegeben worden
war, begann die Antragsfrist nach den vorstehenden Erwägungen frühestens
am 13. August 2002 zu laufen. Mit Einreichung der Klage am 13. November
2002 war die dreimonatige Frist damit auf jeden Fall gewahrt, weshalb
sich die Beschwerde als begründet erweist.