Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 IV 32



130 IV 32

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Generalprokurator des Kantons Bern und Generalprokurator des Kantons Bern
gegen X. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.391/2003 vom 18. März 2004

Regeste

    Art. 31 Abs. 2 SVG, Art. 2 Abs. 1 VRV, Art. 90 Ziff. 1 und 2 SVG;
Fahren unter Einfluss von Cannabis.

    Beim Fahren unter Drogeneinfluss muss eine allfällige Fahrunfähigkeit
aufgrund des konkreten Verhaltens des Fahrzeuglenkers nachgewiesen werden
(E. 3.2).

    Wer wegen des Einflusses von Cannabis ein Fahrzeug in nicht fahrfähigem
Zustand führt, erfüllt den Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung
im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG (E. 5.2).

Sachverhalt

    A.- X. wurde am frühen Nachmittag des 14. Juni 2002 in der
Münstergasse in Bern von Strassenarbeitern dabei beobachtet, wie
er auf der Fahrerseite seines Wagens Drogen versteckte. X. fuhr
daraufhin mit seinem Auto in rasantem bzw. zügigem Tempo durch die
Gerechtigkeitsgasse in Richtung Bärengraben. Dabei wurde er von der
herbeigerufenen Polizei verfolgt. Ihr gelang es schliesslich, ihn in der
Kasernenstrasse anzuhalten. Die Matrix-Aufforderung (Stop-Polizei) hatte
X. nicht beachtet. Im Lenkrad seines Wagens wurden 2,2 Gramm Marihuana
gefunden. Ein vor Ort durchgeführter Atemalkoholtest ergab einen Wert von
0,2 Promille. Der Drogenschnelltest, dem sich X. anschliessend auf dem
Polizeiposten unterzog, fiel positiv aus. Zur Bestimmung des Alkohol-
und Drogengehaltes wurden um 15.30 bzw. 15.40 Uhr eine Blut- und eine
Urinprobe abgenommen. Die Analyse durch das Institut für Rechtsmedizin
der Universität Bern ergab in Bezug auf Cannabis positive Testresultate;
Trinkalkohol wurde nicht nachgewiesen. X. hatte nach seinen eigenen Angaben
zwischen 13.00 und 13.15 Uhr auf der Münsterplattform einen Joint geraucht
und 3 dl Bier getrunken.

    B.- Der Untersuchungsrichter 3 des Untersuchungsrichteramtes
III Bern-Mittelland verurteilte X. mit Strafmandat vom 22. Oktober
2002 wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19a
BetmG) und wegen Führens eines Personenwagens unter Drogeneinfluss
(Art. 31 Abs. 2 i.V.m. Art. 90 Ziff. 2 SVG) zu zehn Tagen Gefängnis, mit
bedingtem Strafvollzug bei einer Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer
Busse von Fr. 1'000.-. Auf Einsprache des Beurteilten hin, erklärte die
Gerichtspräsidentin 17 des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen X. am 31. März
2003 hinsichtlich der Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz
der groben Verkehrsregelverletzung durch Führen eines Personenwagens
unter Drogeneinfluss (Art. 31 Abs. 2 i.V.m. Art. 90 Ziff. 2 SVG; Art. 2
Abs. 1 der Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11])
schuldig und verurteilte ihn zu zehn Tagen Gefängnis, bedingt erlassen auf
eine Probezeit von zwei Jahren, sowie zu einer Busse von Fr. 1'000.-. Das
Obergericht des Kantons Bern erklärte X. mit Urteil vom 28. August 2003
auf dessen Appellation hin der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln
durch Führen eines Personenwagens unter Drogeneinfluss (Art. 31 Abs. 2
i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG; Art. 2 Abs. 1 VRV) schuldig und verurteilte
ihn zu fünf Tagen Haft, mit bedingtem Strafvollzug unter Auferlegung
einer Probezeit von einem Jahr, sowie zu einer Busse von Fr. 500.-.

    C.- X. (nachfolgend: der Verurteilte) und der Generalprokurator
des Kantons Bern führen eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde. Der
Verurteilte beantragt, er sei vom Vorwurf des Führens eines Fahrzeugs
in nicht fahrfähigem Zustand freizusprechen und die Sache sei zwecks
Neuverlegung der Verfahrens- und Verteidigungskosten an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Der Generalprokurator stellt Antrag auf Aufhebung des
angefochtenen Urteils und Rückweisung der Sache zu neuer Entscheidung an
die Vorinstanz.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

    I. Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten

Erwägung 2

    2.

    2.1  Die Vorinstanz nimmt an, der Verurteilte sei nach dem Konsum
von Cannabis und Bier fahrunfähig gewesen und sei sich dieses Zustandes
bewusst gewesen. Sein Verhalten erscheine aber nicht als rücksichtslos oder
sonst schwerwiegend regelwidrig. Auch lasse der festgestellte THC-Wert
(Anteil des Wirkstoffes Tetrahydrocannabinol) von ca. 3,5 ng/ml nur
auf eine geringe Drogenmenge schliessen. Der Verurteilte habe daher
für andere Verkehrsteilnehmer keine ernstliche Gefahr dargestellt. Er
sei der Polizei denn auch nicht durch sein Fahrverhalten aufgefallen,
sondern nur deshalb, weil ihr gemeldet worden sei, dass er in seinem
Lenkrad Drogen versteckt habe. Die Vorinstanz gelangt daher zum Schluss,
der Verurteilte habe lediglich eine einfache Verkehrsregelverletzung im
Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG begangen.

    Die erste Instanz hatte demgegenüber auf eine grobe Verletzung
der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG erkannt, weil der
Verurteilte im Wissen darum, dass er noch Auto fahren werde, Cannabis
und Alkohol konsumiert habe.

    2.2  Der Verurteilte macht geltend, seine Fahrfähigkeit sei nicht
eingeschränkt gewesen. Die im ärztlichen Untersuchungsbefund festgehaltene
leichte Beeinträchtigung in seinem Verhalten durch den Cannabis-Konsum habe
sich weder auf seine Fahrweise noch auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt.
Ausserdem sei er bei seiner Fahrt in keiner Weise negativ aufgefallen.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Wer angetrunken, übermüdet oder wegen des Einflusses von Alkohol,
Medikamenten, Drogen oder wegen eines anderen Grundes nicht fahrfähig
ist, darf kein Fahrzeug führen (Art. 31 Abs. 2 SVG; Art. 2 Abs. 1 VRV;
vgl. auch Art. 91 Abs. 1 SVG). Fahrfähigkeit ist die momentane körperliche
und geistige Befähigung, ein Fahrzeug während der gesamten Fahrt sicher
zu führen. Erhalten sein muss die Gesamtleistungsfähigkeit, welche neben
der Grundleistung auch eine für das Bewältigen plötzlich auftretender
schwieriger Verkehrs-, Strassen- und Umweltsituationen notwendige
Leistungsreserve umfasst. Der Fahrzeuglenker muss m.a.W. in der Lage sein,
ein Fahrzeug auch in einer nicht voraussehbaren, schwierigen Verkehrslage
sicher zu führen (Leitfaden "Verdachtsgründe fehlender Fahreignung"
der Expertengruppe Verkehrssicherheit des Eidgenössischen Departementes
für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation vom 26. April 2000, S. 2;
RENÉ SCHAFFHAUSER, Grundriss des Schweizerischen Strassenverkehrsrechts,
Bd. I: Grundlagen, Verkehrszulassung und Verkehrsregeln, 2. Aufl., Bern
2002, N. 501).

    3.2  Fahrunfähigkeit wegen der Einwirkung von Alkohol (Angetrunkenheit)
gilt - unabhängig von weiteren Beweisen und von der individuellen
Alkoholverträglichkeit - in jedem Fall als erwiesen, wenn der
Fahrzeugführer eine Blutalkohol-Konzentration von 0,8 oder mehr
Gewichtspromillen aufweist oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die
zu einer solchen Blutalkohol-Konzentration führt (Art. 2 Abs. 2 VRV;
Art. 55 Abs. 1 SVG). Nach Art. 91 Abs. 1 SVG soll somit nicht jeder
Fahrzeuglenker bestraft werden, der eine noch so geringe Menge Alkohol
zu sich nimmt und anschliessend ein Motorfahrzeug führt, sondern - soweit
nicht andere Beweise für eine Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit vorliegen
- nur derjenige, der vor der Fahrt soviel Alkohol zu sich nimmt, dass er
im Sinne des Gesetzes angetrunken ist (BGE 119 Ia 332 E. 1c).

    Beim Fahren unter Drogeneinfluss existiert nach dem derzeitigen
Kenntnisstand der Wissenschaft kein gesicherter Erfahrungs- und
Grenzwert für die Fahrfähigkeit. Es kann daher nicht ohne weiteres von
der konsumierten Drogenmenge bzw. dem Wirkstoffnachweis im Körper des
Betroffenen auf fehlende Fahrfähigkeit geschlossen werden (BGE 124 II 559
E. 4b S. 565; MANFRED DÄHLER/RENÉ SCHAFFHAUSER, Strassenverkehrsdelikte,
in: Niggli/Weissenberger [Hrsg.], Strafverteidigung, Handbücher für die
Anwaltspraxis, Bd. VII, Basel 2002, N. 11.209). Die Fahrunfähigkeit
muss in diesem Bereich daher, wie bei der Angetrunkenheit mit einem
Blutalkoholgehalt von weniger als 0,8 Promille oder bei Fehlen einer
Blutprobe (vgl. BGE 103 IV 110 E. 1; 98 IV 289 E. 1a; 90 IV 159 E. 4
S. 167; SCHAFFHAUSER, aaO, N. 504), auf Grund des erkennbaren äusseren
Verhaltens des Fahrzeuglenkers im konkreten Einzelfall, namentlich
auf Grund von Ausfallerscheinungen, Fahrfehlern, einer besonders
sorglosen und leichtsinnigen Fahrweise oder Verhaltensauffälligkeiten
bei Polizeikontrollen bzw. anlässlich der ärztlichen Untersuchung,
nachgewiesen werden (SCHAFFHAUSER, aaO, N. 516 ff.; DÄHLER/SCHAFFHAUSER,
aaO, N. 11.196 und 11.210; FRANZ RIKLIN, Fahren unter Drogeneinfluss,
strafrechtliche, verwaltungsrechtliche und strafprozessuale Aspekte,
Strassenverkehrsrechts-Tagung 1998, Freiburg 1998, S. 10). Dies gilt
auch für das Führen von Fahrzeugen unter dem Einfluss von Cannabis.

    3.3  Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und
die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) haben
zur Feststellung der Verminderung der Fahrfähigkeit durch Drogen und/oder
Medikamente Empfehlungen erlassen, die am 1. Januar 1995 in Kraft getreten
sind. Diese tragen dem Umstand Rechnung, dass wegen der unterschiedlichen
Wirkung von Cannabis auf den Konsumenten nicht ohne weiteres von der
konsumierten Menge bzw. der Wirkstoffkonzentration im Blut auf fehlende
Fahrfähigkeit geschlossen werden kann (BGE 124 II 559 E. 4b mit Hinweisen).

    Als geeignete Massnahme zur Feststellung des Drogen- und/oder
Medikamenteneinflusses nennt Art. 4 der Empfehlungen die Polizeikontrolle
(Art. 5 f.), die ärztliche Untersuchung (Art. 7), die chemische Analyse
im forensischen Laboratorium (Art. 12 ff.) sowie die Begutachtung
durch einen Sachverständigen (Art. 15 f.). Die Empfehlungen enthalten
im Anhang 2 sodann Richtlinien für die Begutachtung der Fahrfähigkeit
unter dem Einfluss von Drogen und/oder Medikamenten. Danach genügt der
ärztliche Untersuchungsbericht alleine zur gutachterlichen Beurteilung der
Fahrfähigkeit wegen eines spezifischen Drogen- oder Medikamentenkonsums
in der Regel nicht. Neben den ärztlichen Angaben müssen nach Möglichkeit
auch Beobachtungen der Polizeiorgane und deren möglichst detaillierte
und beschreibende Protokollierung Berücksichtigung finden. Ebenso
sollen eventuell vorhandene Zeugenaussagen herangezogen werden zum
Vergleich der Beobachtungen (z.B. "verladener" Fahrzeuglenker) mit der
chemisch-toxikologisch festgestellten Konzentration einer Droge oder
eines Medikamentes im Blut (Ziff. 2.3 und 3; vgl. auch PETER X. ITEN,
Fahren unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss, Institut für Rechtsmedizin,
Zürich 1994, S. 22).

    3.4  Die Vorinstanz stützt sich für ihren Entscheid auf die
polizeilichen Erhebungen vor Ort, die ärztlichen Untersuchungen
anlässlich der Blutentnahme und der Abnahme der Urinprobe, sowie die
chemisch-toxikologischen Untersuchungen von Blut und Urin und die
toxikologische Beurteilung des Verurteilten durch das Institut für
Rechtsmedizin der Universität Bern (vgl. auch SCHAFFHAUSER, aaO,
N. 516 f.). Sie folgt somit für die Feststellung der Verminderung
der Fahrfähigkeit den genannten Empfehlungen des EJPD und der KKJPD
(vgl. E. 3.3).

    Im ärztlichen Untersuchungsbefund, der zweieinhalb Stunden nach
der Fahrt erhoben wurde, wurden die Bewusstseinslage des Verurteilten
als benommen, sein Verhalten als ruhig, seine Stimmung als normal, die
Sprache als unauffällig und die Konjunktiven als gerötet beschrieben. Der
Verurteilte bestand den Rombergtest sicher. Der Strichgang war leicht
schwankend, die Finger-Finger-Probe wurde als sicher und die örtliche
und zeitliche Orientierung als erhalten bewertet. Der Arzt beurteilte
den Verurteilten insgesamt als "etwas verladen" und erachtete den Grad
der Beeinträchtigung als leicht. Gemäss dem Bericht des Instituts für
Rechtsmedizin der Universität Bern vom 18. September 2002 ergaben die
chemisch-toxikologischen Untersuchungen einen THC-Wert von ca. 3,5
ng/ml und einen THC-COOH-Wert (Tetrahydrocannabinol-Carbonsäure)
von ca. 46 ng/ml. Der Gutachter beurteilte den Verurteilten aus
forensisch-toxikologischer Sicht als nicht fahrfähig.

    3.5  An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Kassationshof
gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Unter diesen Umständen verletzt der
Schluss der Vorinstanz, der Verurteilte sei nicht fahrfähig im Sinne von
Art. 31 Abs. 2 SVG gewesen, kein Bundesrecht. Was der Verurteilte hiegegen
einwendet, führt zu keinem anderen Ergebnis.

    So mag zutreffen, dass der ermittelte THC-Wert als eher tief
erscheint und auf einen geringen oder nur mässigen Cannabis-Konsum
hindeutet, doch schliesst die Vorinstanz entgegen der Auffassung des
Verurteilten nicht schon allein aufgrund des Nachweises der geringen
Wirkstoffkonzentration im Blut auf die Fahrunfähigkeit. Sie stützt sich
vielmehr auch auf die im ärztlichen Untersuchungsbefund zweieinhalb
Stunden nach der Fahrt festgehaltenen Verhaltensauffälligkeiten und deren
Würdigung im Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin, die ohne weiteres
Rückschlüsse auf eine Beeinträchtigung der Fahrfähigkeit erlauben. Im
Übrigen ist anerkannt, dass Cannabis auch bei bloss gelegentlichem Konsum
in geringer Menge die Fahrfähigkeit erheblich beeinträchtigen kann (PETER
HENTSCHEL, Strassenverkehrsrecht, 37. Aufl., München 2003, 4 dStGB §
316 N. 5). Ausserdem verweist die Vorinstanz zu Recht darauf, dass der
Verurteilte neben Cannabis - wenn auch nur in geringer Menge - Alkohol
konsumiert hat (Mischkonsum), was wegen der gegenseitigen Potenzierung
beider Stoffe verkehrsrelevante Ausfallerscheinungen mit grösserer
Wahrscheinlichkeit erwarten lässt (BGE 124 II 559 E. 4b S. 565 f. mit
Hinweisen). In der Literatur wird schliesslich auch darauf hingewiesen,
dass die Cannabis-Wirkung nur bedingt mit der Wirkstoffkonzentration
korreliert. So wird der maximale Blutspiegel nach dem Rauchen von
Cannabis bereits nach wenigen Minuten erreicht, während das maximale
"High" erst nach etwa 30 Minuten eintritt, zu einem Zeitpunkt, in welchem
die THC-Blutkonzentration bereits wieder deutlich abgesunken ist. Zu
signifikanten Leistungsverschlechterungen kommt es danach vor allem
im akuten Rausch, d.h. bei der Aufnahme des Wirkstoffs durch Rauchen
innerhalb der ersten Stunde nach dem Konsum (BGE 124 II 559 E. 4c S. 566;
GESCHWINDE, Rauschdrogen, Marktformen und Wirkungsweisen, 4. Aufl., Berlin
usw. 1998, S. 28 f. N. 95 und 97; ITEN, aaO, S. 103 ff.; ders., Drogen und
Verkehrsrecht, die wissenschaftliche Begutachtung von Fahrzeuglenkern unter
Drogen- oder Medikamenteneinfluss, Strassenverkehrsrechts-Tagung 1998,
Freiburg 1998, S. 16; GUIDO STICHT/HERBERT KÄFERSTEIN, Grundbegriffe,
Toxikokinetik und Toxikodynamik, in: Günter Berghaus/Hans-Peter Krüger
[Hrsg.], Cannabis im Strassenverkehr, Stuttgart 1998, S. 8 f.). Im
vorliegenden Fall hat der Verurteilte kurze Zeit nach dem Konsum sein
Fahrzeug gelenkt, während die Blutprobe erst etwa zweieinhalb Stunden
nach der Fahrt abgenommen worden ist. Die Wirkstoffkonzentration dürfte
danach bei der Fahrt jedenfalls grösser gewesen sein, als der ermittelte
THC-Wert von ca. 3,5 ng/ml.

    Dass die Festlegung eines Gefahrengrenzwerts auch bei Cannabis
wünschenswert wäre, wie der Verurteilte vorbringt, mag zutreffen. Doch ist
ein solcher, der Blutalkoholkonzentration von 0,8 Promille vergleichbarer
Grenzwert heute wissenschaftlich (noch) nicht begründbar (vgl. oben
E. 3.2). Aus den vom Verurteilten angeführten Vergleichswerten von Alkohol
und Cannabis ergibt sich nichts anderes. Sein Hinweis bezieht sich auf eine
vergleichende Analyse experimenteller Studien, in der die Beeinträchtigung
durch Cannabis in Abhängigkeit von der Wirkstoffkonzentration im Vergleich
zur Dosis-/Wirkstoffbeziehung von Alkohol beschrieben wird, die in ihrer
Aussagekraft aber beschränkt ist und daher die Festlegung von verlässlichen
Grenzwerten nicht erlaubt (vgl. MARK VOLLRATH/HANS-PETER KRÜGER, Auftreten
und Risikopotenzial von Drogen im Strassenverkehr, Blutalkohol 39/2002
S. 34; vgl. auch GÜNTER BERGHAUS/HANS-PETER KRÜGER/MARK VOLLRATH,
Beeinträchtigung fahrrelevanter Leistungen nach Rauchen von Cannabis
und nach Alkoholkonsum - eine vergleichende Metaanalyse experimenteller
Studien, in: Günter Berghaus/Hans-Peter Krüger [Hrsg.], Cannabis im
Strassenverkehr, Stuttgart 1998, S. 101 ff.).

    Dass der Verurteilte keine drogenbedingten Ausfallerscheinungen gezeigt
hat, die sich in Fahrfehlern ausgewirkt haben, trifft zu. Es wird ihm denn
auch kein Fahrfehler, insbesondere keine Geschwindigkeitsüberschreitung
vorgeworfen. Auch nimmt die Vorinstanz zu seinen Gunsten an, er habe
beim Anhalten den Motor seines Fahrzeugs nicht abgewürgt, sondern
ordentlich abgestellt. Doch lässt sich daraus nicht schliessen, die vom
Arzt erkannte leichte Beeinträchtigung des Verhaltens habe sich nicht
auf das Fahrverhalten ausgewirkt. Denn die Annahme der Fahrunfähigkeit
wegen Drogeneinflusses setzt den Nachweis eines Fahrfehlers nicht
voraus. Selbst ein unauffälliger ärztlicher Untersuchungsbefund schliesst
eine Beeinflussung der Fahrfähigkeit nicht aus (Empfehlungen Art. 7
Abs. 2). Es genügt eine Verminderung der Gesamtleistungsfähigkeit, wie
sie dem Verurteilten hier vom Arzt und vom Gutachter attestiert worden ist.

    Die Beschwerde des Verurteilten erweist sich somit als unbegründet.

    II. Nichtigkeitsbeschwerde des Generalprokurators

Erwägung 4

    4.  Der Generalprokurator wendet sich gegen die rechtliche Würdigung
des Fahrens unter Drogeneinfluss als einfache Verletzung der Verkehrsregeln
durch die Vorinstanz. Der Verurteilte sei nicht fahrfähig gewesen. Er
habe sich mithin in einen Zustand versetzt, welcher seine Fahrfähigkeit
beeinträchtigt habe, und habe trotzdem ein Fahrzeug geführt. Dies müsse
zu einer Strafbarkeit wegen grober Verkehrsregelverletzung im Sinne von
Art. 90 Ziff. 2 SVG führen.

Erwägung 5

    5.

    5.1  Nach Art. 90 Ziff. 2 SVG wird mit Gefängnis oder mit Busse
bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche
Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt. Der
Tatbestand ist nach der Rechtsprechung objektiv erfüllt, wenn der Täter
eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet
und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. Eine ernstliche Gefahr
für die Sicherheit anderer im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist bereits
beim Vorliegen einer erhöhten abstrakten Gefährdung gegeben. Die erhöhte
abstrakte Gefahr setzt die nahe liegende Möglichkeit einer konkreten
Gefährdung oder Verletzung voraus (BGE 123 IV 88 E. 3a; 123 II 37 E. 1b
und 106 E. 2a, je mit Hinweisen).

    Subjektiv erfordert der Tatbestand ein rücksichtsloses oder sonst
schwerwiegend regelwidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden,
mindestens grobe Fahrlässigkeit (BGE 118 IV 84 E. 2a mit Hinweisen). Dies
ist immer zu bejahen, wenn der Täter sich der allgemeinen Gefährlichkeit
seiner verkehrswidrigen Fahrweise bewusst ist. Grobe Fahrlässigkeit
kann aber auch vorliegen, wenn der Täter die Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer pflichtwidrig gar nicht in Betracht zieht, also
unbewusst fahrlässig handelt. In solchen Fällen bedarf jedoch die Annahme
grober Fahrlässigkeit einer sorgfältigen Prüfung (BGE 106 IV 49 f. mit
Hinweisen).

    5.2  Der Generalprokurator geht zu Recht davon aus, dass das Führen
eines Fahrzeugs in nicht fahrfähigem Zustand wegen des Einflusses von
Cannabis einen typischen Fall der schweren Missachtung einer wichtigen
Verkehrsvorschrift darstellt.

    Die Einnahme von Cannabis führt nach den Ergebnissen zahlreicher
wissenschaftlicher Studien beim Betroffenen zu Verminderungen im
Bereich der Wahrnehmung und der Psychomotorik sowie der kognitiven und
affektiven Funktionen. Namentlich kann der Konsum von Cannabisprodukten
zu einer Beeinträchtigung der dynamischen Sehschärfe (d.h. dem Erkennen
sich bewegender Objekte), zu einer Verlängerung der Reaktionszeit, zur
Veränderung der Koordinationsfähigkeit oder zur fehlenden Genauigkeit
von automatisierten Bewegungsabläufen führen. Cannabis beeinträchtigt
daher bei Sucht die Fahreignung generell und bei gelegentlichem Konsum
die Fahrfähigkeit unmittelbar nach dem Genuss der Droge (BGE 124 II 559
E. 4a S. 565 mit Hinweisen; vgl. ferner SCHAFFHAUSER, aaO, N. 514; THOMAS
GESCHWINDE, aaO, S. 28 ff. N. 93 ff.; STEPHAN HARBORT, Rauschmitteleinnahme
und Fahrsicherheit, Indikatoren - Analysen - Massnahmen, Stuttgart
[u.a.] 1996, S. 106 ff. N. 222 ff.). Nach der Rechtsprechung kann denn auch
ein die momentane Fahrfähigkeit beeinträchtigender Cannabiskonsum Anlass
bieten, die generelle Fahreignung des Betroffenen durch ein Fachgutachten
näher abklären zu lassen (BGE 127 II 122 E. 4b).

    Das Betäubungsmittel ist in seinen Auswirkungen in verkehrsrechtlicher
Hinsicht mit der Alkoholintoxikation vergleichbar (zur Beeinträchtigung
der Fahrfähigkeit durch Alkohol vgl. SCHAFFHAUSER, aaO, N. 504;
ferner KLAUS FOERSTER, Störungen durch psychotrope Substanzen, in:
Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 3. Aufl., 2000, S. 165;
RUDOLF HAURI-BIONDA, Fahrfähigkeit, Institut für Rechtsmedizin der
Universität Zürich 1994, S. 5). Es drängt sich daher auf, das Fahren
unter dem Einfluss von Cannabis grundsätzlich gleich zu behandeln wie
das Fahren in angetrunkenem Zustand gemäss Art. 91 Abs. 1 SVG, welches -
auch für Trunkenheitsfahrten mit einem Blutalkoholgehalt von weniger als
0,8 Promille (vgl. oben E. 3.2) - als Vergehen mit Gefängnis oder Busse
bedroht ist (vgl. Art. 9 Abs. 2 StGB). Diese Auffassung steht im Einklang
mit der Änderung des Strassenverkehrsgesetzes vom 14. Dezember 2001 (AS
2002 S. 2767 ff.; BBl 1999 S. 4462, 4493), nach welchem mit Gefängnis
oder Busse bestraft wird, wer aus anderen Gründen als Angetrunkenheit
fahrunfähig ist und ein Motorfahrzeug führt (Art. 91 Abs. 2 nSVG). Darunter
fällt nach dem künftigen Recht auch das Führen eines Motorfahrzeuges
unter Betäubungsmitteleinfluss (Art. 31 Abs. 2 nSVG). Es gilt somit in
diesem Fall die gleiche Strafandrohung wie beim Tatbestand des Fahrens in
angetrunkenem Zustand mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration
(Art. 91 Abs. 1 nSVG).

    5.3  Im zu beurteilenden Fall steht zudem ausser Zweifel, dass die
unter dem Einfluss von Cannabis unternommene rasante oder jedenfalls
zügige Autofahrt zur Mittagszeit durch die belebte Berner Innenstadt
die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet hat (zur Gefahrenlage
innerorts vgl. BGE 123 II 37 E. 1d). Der objektive Tatbestand der
groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist
daher erfüllt. Nichts anderes ergibt sich hinsichtlich der subjektiven
Seite. Indem der Verurteilte die nahe liegende Gefährdung anderer
Verkehrsteilnehmer nicht bedacht oder sich bewusst über sie hinweggesetzt
hat, hat er eine besondere Gleichgültigkeit gegenüber fremden Rechtsgütern
bewiesen. Der Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung ist somit
auch in subjektiver Hinsicht erfüllt. Aus diesen Gründen verstösst der
Schuldspruch der Vorinstanz wegen einfacher Verletzung der Verkehrsregeln
im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG gegen Bundesrecht.

    Die Beschwerde des Generalprokurators erweist sich somit als begründet.