Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 IV 140



130 IV 140

22. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer i.S. X. gegen Eidg.
Untersuchungsrichteramt

    8G.145/2003 vom 9. März 2004

Regeste

    Art. 214 Abs. 1 BStP; Pressemitteilung.

    Eine Pressemitteilung des Eidg. Untersuchungsrichteramtes stellt keine
Amtshandlung im Sinne von Art. 214 Abs. 1 BStP dar (E. 2). Sie sollte
allerdings nach Möglichkeit vorgängig den Parteien zur Stellungnahme
zugestellt werden (E. 3).

Sachverhalt

    A.- NZZ Online berichtete am 19. Dezember 2003, der ehemalige
Stabschef der Nationalen Alarmzentrale solle wegen ungetreuer Amtsführung
angeklagt werden. Der Eidgenössische Untersuchungsrichter sei zum Schluss
gekommen, dass der Staatsbeamte mit der Auftragsvergabe an eine Firma,
deren Verwaltungsrat er gewesen sei, öffentliche Interessen verletzt
habe. Finanziell habe er jedoch nicht profitiert.

    B.- Der ehemalige Stabschef, X., wendet sich mit Eingabe
vom 23. Dezember 2003 an die Anklagekammer des Bundesgerichts und
beantragt, es sei festzustellen, dass die Information der Presse durch
den Eidgenössischen Untersuchungsrichter rechtswidrig gewesen sei. Gegen
diesen sei ein Verfahren wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses gemäss
Art. 320 StGB zu eröffnen.

    Der Eidgenössische Untersuchungsrichter beantragt in seiner
Vernehmlassung vom 13. Januar 2004, auf die Beschwerde sei nicht
einzutreten. Eventuell sei sie abzuweisen.

    Im zweiten Schriftenwechsel halten die Parteien mit Eingaben vom 26.
Januar und 10. Februar 2004 an ihren Anträgen fest.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Eine Beschwerde an die Anklagekammer gemäss Art. 214 Abs. 1 BStP
ist gegen Amtshandlungen (und überdies wegen Säumnis) des Eidgenössischen
Untersuchungsrichters zulässig. Es stellt sich die Frage, ob eine
Pressemitteilung eine Amtshandlung im Sinne von Art. 214 Abs. 1 BStP
darstellt oder nicht.

    Das Gesetz spricht nicht von "Untersuchungshandlungen", sondern von
"Amtshandlungen" (französisch: opérations; italienisch: operazioni). Dies
liesse den Schluss zu, dass Art. 214 Abs. 1 BStP weit auszulegen und
auf die Beschwerde gegen eine Pressemitteilung deshalb einzutreten
sein könnte. In den Verhandlungen der Expertenkommission für die
Bundesstrafprozessreform 1926/1927 wurde denn auch ausgeführt, dass "alles,
was der Untersuchungsrichter tut oder unterlässt", mit einer Beschwerde an
die Anklagekammer angefochten werden könne (PETER BÖSCH, Die Anklagekammer
des Schweizerischen Bundesgerichts [Aufgaben und Verfahren], Diss. Zürich
1978, S. 74 mit Hinweis).

    Andererseits spricht jedoch einiges dafür, Art. 214 Abs. 1 BStP
restriktiver auszulegen und die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen
eine Pressemitteilung des Untersuchungsrichters zu verneinen. Der
Untersuchungsrichter verweist zur Begründung seines Antrags auf
Nichteintreten zunächst zu Recht darauf, dass es sich bei einer
Pressemitteilung nicht um eine Verfügung handle. Art. 214 Abs. 2 BStP
spricht jedoch ausdrücklich davon, dass zur Beschwerde nach Abs. 1
legitimiert sei, wer durch eine "Verfügung" einen Nachteil erlitten
habe. Der Gesetzgeber versteht unter Amtshandlungen Akte, welche die
Strafuntersuchung vorantreiben und auf diese Weise die Rechtsstellung
des Beschuldigten berühren. Pressemitteilungen gehören nicht dazu. Im
Übrigen kann sich der Beschuldigte gegen den Untersuchungsrichter,
der Pressemitteilungen abgibt, auf zivil- und strafrechtlichem Weg
zur Wehr setzen. Der Untersuchungsrichter kann sich der Verletzung
des Amtsgeheimnisses oder einer Ehrverletzung strafbar gemacht haben;
allenfalls besteht für den Betroffenen ein Anspruch auf Berichtigung
oder Genugtuung (vgl. NIKLAUS SCHMID, in: Donatsch/Schmid, Kommentar
zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, Loseblattsammlung, Zürich
1996, § 34 N. 19). Es ist denn auch zu berücksichtigen, dass sich bei
der Prüfung der Rechtmässigkeit einer Pressemitteilung schwierige Tat-
und Rechtsfragen stellen können, für deren Beurteilung das beförderlich
zu behandelnde und deshalb eher summarische Beschwerdeverfahren gemäss
Art. 214 BStP ungeeignet ist.

    Gesamthaft gesehen sind Pressemitteilungen eines Eidgenössischen
Untersuchungsrichters mit Beschwerde gemäss Art. 214 BStP nicht
anfechtbar. Art. 13 EMRK steht dieser Auffassung nicht entgegen. Soweit
die Möglichkeit besteht, sich gegen allfällige Grundrechtsverletzungen
durch Pressemitteilungen auch auf andere Weise als allein mittels
Aufsichtsbeschwerde zur Wehr zu setzen, erfordert die Garantie eines
wirksamen Rechtsschutzes nicht, zusätzlich eine Beschwerde an ein
unabhängiges Gericht zuzulassen (vgl. BGE 121 I 87 E. 1b). Wie bereits
gesagt, stehen einem Betroffenen in der Schweiz hinreichende zivil- und
strafrechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, um sich gegen eine seiner
Ansicht nach rechtswidrige Pressemitteilung zu wehren.

    Aus den genannten Gründen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.

Erwägung 3

    3.  Die Anklagekammer entscheidet nicht nur über Beschwerden im Sinne
von Art. 214 BStP, sondern übt überdies die allgemeine Aufsicht über
die Voruntersuchung aus (Art. 11 BStP). Soweit keine beschwerdefähigen
Amtshandlungen - sondern z.B. Pressemitteilungen - zur Diskussion stehen,
kann die Anklagekammer somit nötigenfalls aufsichtsrechtlich einschreiten.
Die Aufsichtsbeschwerde stellt allerdings kein Rechtsmittel dar
(vgl. Robert Hauser/ ERHARD SCHWERI, Schweizerisches Strafprozessrecht,
5. Aufl., Basel 2002, § 94 N. 6), weshalb die Rechtssuchenden keinen
Anspruch darauf haben, dass sich die Aufsichtsbehörde mit der ihr
unterbreiteten Angelegenheit befasst (BGE 123 II 402 E. 1b/bb). Im
vorliegenden Fall gibt die vom Beschwerdeführer erhobene Kritik, er sei
durch die Mitteilung in der Presse "überrumpelt" worden, der Anklagekammer
Anlass, Folgendes anzumerken: Der leitende Untersuchungsrichter hat am
11. Juni 2002 über das Problem der "Medienorientierungen" ein ausführliches
Vademecum erstellt. Darin hat er sich unter anderem auch zu der vom
Beschwerdeführer aufgeworfenen Frage geäussert, ob der Betroffene
vorgängig über eine Pressemitteilung informiert werden sollte oder
nicht. Der leitende Untersuchungsrichter hat in dem Vademecum ausdrücklich
festgehalten, eine schriftliche Medienorientierung sei nach Möglichkeit
vorgängig den Parteien zur Stellungnahme zuzustellen, wobei ein Anspruch
auf Berücksichtigung der Stellungnahme allerdings nicht bestehe. Dadurch
kann verhindert werden, dass der Betroffene durch die Mitteilung in der
Presse "überrumpelt" wird (ebenso Rep 1995 S. 297 Nr. 91). Es ist zwar
unbekannt, aus welchem Grund dieses Vorgehen im vorliegenden Fall nicht
gewählt worden ist. Aber immerhin liegen klare interne Richtlinien vor,
auf deren Einhaltung inskünftig - auch vom leitenden Untersuchungsrichter
- zu achten sein wird. Es besteht unter diesen Umständen kein Anlass für
aufsichtsrechtliche Massnahmen.