Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 II 83



130 II 83

10. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. Eidgenössisches Departement des Innern gegen X. AG und
Kantonales Laboratorium sowie Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.419/2003 vom 15. Januar 2004

Regeste

    Lebensmittelgesetz; Art. 19 Abs. 1 lit. b der Lebensmittelverordnung;
Täuschungsverbot; Orangensaft; Packungsaufschrift.

    Die Täuschung kann unter anderem darin liegen, dass beim Konsumenten
der Eindruck erweckt wird, ein Lebensmittel besitze eine besondere
Eigenschaft, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel diese Eigenschaft
besitzen (E. 2).

    Der vorliegend beanstandete (wahre) Hinweis "ohne Zuckerzusatz"
dient der Information des Konsumenten über eine für dessen Kaufentscheid
nicht unbedeutsame Frage. Eine sich auf das Täuschungsverbot stützende
behördliche Intervention erweist sich daher als nicht gerechtfertigt
(E. 3).

Sachverhalt

    Die X. AG in Y. stellt unter anderem Orangensäfte unter der Bezeichnung
"Ramseier Premium Orangensaft" und "Sunair Orangensaft" her. Beide
Orangensäfte sind mit dem Hinweis "ohne Zuckerzusatz" versehen. Mit
Schreiben vom 27. September 2001 teilte das Kantonale Laboratorium der
X. AG mit, der Hinweis "ohne Zuckerzusatz" sei im Sinne von Art. 19
Abs. 1 lit. b der Lebensmittelverordnung als täuschend zu beanstanden,
da Fruchtsäfte grundsätzlich als Produkte ohne Zuckerzusatz definiert
seien. Gegen diese Verfügung erhob die X. AG erfolglos Einsprache.

    Das in der Folge angerufene Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
erachtete das gesetzliche Täuschungsverbot als nicht verletzt und hiess
die Beschwerde der X. AG gut.

    Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt das Eidgenössische
Departement des Innern, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons
Luzern aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Das Bundesgesetz vom 9. Oktober 1992 über Lebensmittel und
Gebrauchsgegenstände (Lebensmittelgesetz, LMG; SR 817.0) bezweckt
unter anderem, die Konsumenten im Zusammenhang mit Lebensmitteln vor
Täuschungen zu schützen (Art. 1 lit. c LMG). Gemäss Art. 18 Abs. 1 LMG
müssen die angepriesene Beschaffenheit sowie alle andern Angaben über
das Lebensmittel den Tatsachen entsprechen. Sodann dürfen Anpreisung,
Aufmachung und Verpackung der Lebensmittel den Konsumenten nicht täuschen
(Art. 18 Abs. 2 LMG), wobei die Täuschung unter anderem darin liegen
kann, dass beim Konsumenten falsche Vorstellungen über Herstellung,
Zusammensetzung, Beschaffenheit, Produktionsart, Haltbarkeit, Herkunft,
besondere Wirkungen und Wert des Lebensmittels geweckt werden (Art. 18
Abs. 3 LMG). Die Lebensmittelverordnung vom 1. März 1995 (LMV; SR 817.02)
konkretisiert dieses Täuschungsverbot. Verboten sind unter anderem
"Angaben, mit denen zu verstehen gegeben wird, dass ein Lebensmittel
besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel
dieselben Eigenschaften besitzen" (Art. 19 Abs. 1 lit. b LMV).

Erwägung 3

    3.

    3.1  Der von der Beschwerdegegnerin vertriebene Orangensaft fällt
unter die Kategorie der Fruchtsäfte, für welche die Zugabe von Zucker,
von bestimmten Ausnahmen abgesehen, ausgeschlossen ist (Art. 232 LMV). Bei
strenger formeller Betrachtung verstösst daher der vorliegend beanstandete
Hinweis "ohne Zuckerzusatz" der Packungsaufschriften des fraglichen
Orangensafts gegen Art. 19 Abs. 1 lit. b LMV.

    Gegen diese Betrachtungsweise lässt sich zunächst einwenden, dass
die Lebensmittelverordnung die Zugabe von Zucker für Fruchtsäfte nicht
ausnahmslos ausschliesst, sondern unter bestimmten Voraussetzungen,
die an sich auch für Orangensaft gegeben sein können, zulässt, nämlich
bis maximal 15 g pro Liter, wenn dies zur Korrektur eines natürlichen
Mangels an Zuckerarten geboten ist, oder bis maximal 100 g pro Liter
zur Erzielung eines süssen Geschmackes (Art. 232 Abs. 1 lit. f LMV). Die
Zuckerbeigabe zur Erzielung eines süssen Geschmackes muss jedoch in der
Sachbezeichnung durch die Angabe "gezuckert" oder "mit Zuckerzusatz" sowie
der Höchstmenge der zugegebenen Zuckerarten zum Ausdruck kommen (Art. 233
Abs. 3 LMV). Das beschwerdeführende Departement macht diesbezüglich
geltend, vorliegend ergebe sich bereits aus der Anpreisung als "100%
naturreiner" Orangensaft sowie aus der Bezeichnung "Premium", welche die
Verwendung erstklassiger Früchte verspreche, dass die Voraussetzungen
für eine Zuckerzugabe gemäss Art. 232 Abs. 1 lit. f LMV nicht gegeben
seien. Dass Orangensaft mit den erwähnten beiden Bezeichnungen nach
den Bestimmungen der Lebensmittelverordnung keinen zugegebenen Zucker
enthalten dürfe, sei eine Selbstverständlichkeit. Die zusätzliche Angabe
"ohne Zuckerzusatz" sei daher geeignet, bei den Konsumenten den Eindruck
zu erwecken, das Lebensmittel besitze besondere Eigenschaften, obwohl dies
nicht zutreffe. Eine Täuschung des Konsumenten im Sinne von Art. 19 Abs. 1
lit. b LMV könne auch durch wahre Angaben über das Produkt vorliegen.

    3.2  Letzterem ist an sich beizupflichten.  Vorliegend darf aber
das legitime Informationsbedürfnis des Konsumenten nicht ausser Acht
bleiben. Für den Konsumenten kann es nämlich eine wichtige Rolle spielen,
ob ein als Fruchtsaft angebotenes Produkt wirklich rein natürlich ist
oder aber, wie dies bei vielen anderen Getränkearten auf Fruchtbasis
zulässigerweise der Fall sein kann (vgl. etwa die Bestimmungen betreffend
Fruchtnektar und Fruchtsirup: Art. 235 Abs. 1 und Art. 239 Abs. 1 LMV),
zugegebenen Zucker enthält. Der durchschnittliche Konsument kennt die
Vorschriften der Lebensmittelverordnung nicht und ist auch nicht ohne
weiteres in der Lage, bereits aus der Bezeichnung eines Produkts und aus
der vorgeschriebenen Deklaration über die Zusammensetzung des Lebensmittels
bezüglich einer allfälligen Zuckerzugabe sofort den richtigen Schluss
zu ziehen. So gesehen dient der vorliegend beanstandete (wahre) Hinweis
vorab der besseren Information des Konsumenten über eine für dessen
Kaufentscheid nicht unbedeutsame Frage. Gegenüber diesem qualifizierten
Informationsbedürfnis kommt der Befürchtung, dass der Konsument durch den
streitigen Hinweis bezüglich der Eigenschaften gleichwertiger anderer
Fruchtsäfte, deren Packungsaufschrift keinen solchen Vermerk enthält,
allenfalls zu falschen Vorstellungen verleitet werden könnte, bloss
untergeordnetes Gewicht zu. Sie vermag eine sich auf das Täuschungsverbot
stützende behördliche Intervention nicht zu rechtfertigen. So zu
entscheiden liegt umso näher, als - wie den Akten zu entnehmen ist -
heute auch andere Anbieter von Orangensaft in den Packungsaufschriften auf
das Fehlen von Zuckerzugabe ausdrücklich hinweisen, ohne dass dagegen,
soweit ersichtlich, eingeschritten worden wäre. Zusammenfassend ergibt
sich, dass sich die beanstandeten Packungsaufschriften noch im Rahmen
des dem Anbieter zuzugestehenden Gestaltungsspielraumes halten.