Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 II 49



130 II 49

7. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. X. gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.502/2003 vom 6. Januar 2004

Regeste

    Art. 17 Abs. 1, Art. 17 Abs. 2 Sätze 1 und 2 und Art. 7
Abs. 1 ANAG; Art. 3 ff. FZA, Art. 4 und 5 VEP; Entlassung aus der
eidgenössischen Kontrolle. Art. 17 Abs. 2 Satz 2 ANAG; Beginn des
Fristenlaufes. Freizügigkeitsabkommen; Anspruch auf Erteilung der
Niederlassungsbewilligung?

    Gegen den Beschwerdeentscheid des Eidgenössischen Justiz-
und Polizeidepartementes betreffend die Entlassung aus der
eidgenössischen Kontrolle ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht nur zulässig, sofern sich aus dem Bundesrecht
oder aus einer zwischenstaatlichen Vereinbarung ein Anspruch auf die
Niederlassungsbewilligung ableiten lässt (E. 2).

    Auslegung von Art. 17 Abs. 2 Satz 2 ANAG: Damit der ausländische
Ehegatte einen Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung erwirbt, muss
der niedergelassene andere Ehegatte während der ganzen fünfjährigen
Dauer des ehelichen Zusammenlebens in der Schweiz im Besitze einer
Niederlassungsbewilligung gewesen sein (E. 3).

    Die Erteilung der Niederlassungsbewilligung an ausländische Ehegatten
niedergelassener Ausländer richtet sich nach wie vor nach Art. 17 Abs. 2
ANAG und bildet auch für die unter das Freizügigkeitsabkommen fallenden
Personen nicht Gegenstand dieses Abkommens (E. 4).

Sachverhalt

    Dem australisch-österreichischen Doppelbürger Z. wurde am
2. Oktober 1997 eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Am 10. Oktober 1997
heiratete Z. die australische Staatsangehörige X. (geb. 1963). Diese
reiste am 2. Dezember 1997 in die Schweiz ein und erhielt im Rahmen
des Familiennachzuges eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib
beim Ehegatten. Nachdem Z. die zuständigen Behörden über seine
australisch-österreichische Doppelbürgerschaft in Kenntnis gesetzt hatte,
wurde ihm am 2. Dezember 2002 gestützt auf die Niederlassungsvereinbarung
zwischen der Schweiz und Österreich nach fünfjährigem ununterbrochenem
Aufenthalt in der Schweiz die Niederlassungsbewilligung erteilt.

    Mit Eingaben vom 20. August, 8. und 23. September 2002
beantragte X. beim Migrationsamt des Kantons Zürich die Erteilung
der Niederlassungsbewilligung. Die kantonale Behörde leitete das
Begehren am 3. Oktober 2002 zum Entscheid an das zuständige Bundesamt
für Ausländerfragen (heute: Bundesamt für Zuwanderung, Integration
und Auswanderung [IMES]) weiter. Dieses verfügte am 7. Oktober 2002,
dass X. per 1. Oktober 2007 aus der eidgenössischen Kontrolle entlassen
werde. Die Niederlassungsbewilligung könne frühestens am 2. Oktober 2007
erteilt werden.

    Eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde wies das Eidgenössische
Justiz- und Polizeidepartement am 18. September 2003 ab.

    Auf die gegen den Entscheid des Departementes gerichtete
Verwaltungsgerichtsbeschwerde tritt das Bundesgericht wegen Unzulässigkeit
des Rechtsmittels nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Gemäss Art. 15 Abs. 1 und 2 ANAG (SR 142.20) ist die
kantonale Fremdenpolizei oder eine ihr übergeordnete kantonale
Behörde zuständig, Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen zu
erteilen. Dabei entscheidet sie grundsätzlich nach freiem Ermessen
(Art. 4 ANAG). Alle Anwesenheitsbewilligungen, ausser die in
Art. 18 Abs. 2 ANAG vorgesehenen, bedürfen aber der Zustimmung des
Bundesamtes für Zuwanderung, Integration und Auswanderung (Art. 18
Abs. 3 ANAG), so auch die Niederlassungsbewilligung (PETER UEBERSAX,
in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold, Ausländerrecht, Basel 2002, Rz. 5.73,
S. 155).

    2.2  Nach Art. 17 Abs. 1 ANAG zweiter Satz in Verbindung mit
Art. 11 Abs. 2 und Art. 19 Abs. 3 ANAV (SR 142.201) setzt das Bundesamt
für Zuwanderung, Integration und Auswanderung im Einzelfall fest,
wann der Ausländer aus der eidgenössischen Kontrolle entlassen wird,
das heisst, von welchem Zeitpunkt an es frühestens der Erteilung
der Niederlassungsbewilligung durch den Kanton zustimmt. Der
Zustimmungsentscheid des Bundesamtes kann mit Beschwerde beim
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement angefochten werden
(Art. 20 Abs. 1 lit. a ANAG). Dieses entscheidet darüber grundsätzlich
endgültig (vgl. Art. 20 Abs. 3 ANAG); gegen den Beschwerdeentscheid des
Departementes über die Entlassung aus der eidgenössischen Kontrolle ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht nur zulässig, sofern
sich aus dem Bundesrecht oder aus einer zwischenstaatlichen Vereinbarung
ein Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung ableiten lässt (vgl. Urteil
2A.540/1997 vom 28. April 1998, E. 1 und 2).

    2.3  Wenn das Bundesamt seine Zustimmung verweigert oder den Zeitpunkt
der Entlassung aus der eidgenössischen Kontrolle - wie im vorliegenden Fall
- auf ein späteres Datum als das anbegehrte festsetzt, darf die kantonale
Fremdenpolizei einem Gesuch um Erteilung der Niederlassungsbewilligung
nicht entsprechen (Urteil 2A.540/1997 vom 28. April 1998, E. 2a). Die
Zustimmung des Bundesamtes ist, selbst wenn sie vorgängig geäussert wird,
lediglich Bestandteil des Niederlassungsbewilligungsverfahrens: Dem
Ausländer erwächst allein aus dem eidgenössischen Entlassungsentscheid
bzw. aus der eidgenössischen Zustimmung noch kein Anspruch auf eine
Niederlassungsbewilligung (Art. 11 Abs. 2 ANAV; BGE 125 II 633 E. 2b
S. 637 mit Hinweisen; UEBERSAX, aaO, Rz. 5.73, S. 155).

Erwägung 3

    3.  Die Beschwerdeführerin verkennt nicht, dass ihr die Entlassung
aus der eidgenössischen Kontrolle keinen Rechtsanspruch auf eine
Niederlassungsbewilligung verschafft. Sie leitet jedoch ihren Anspruch
und damit die Zulässigkeit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus Art. 17
Abs. 2 ANAG ab.

    3.1  Art. 17 ANAG hat - soweit hier interessierend - folgenden
Wortlaut:

      1 In der Regel wird die Behörde dem Ausländer, auch wenn er

        voraussichtlich dauernd im Lande bleibt, zunächst nur Aufenthalt

        bewilligen. Das Bundesamt für Zuwanderung, Integration und

        Auswanderung setzt im einzelnen Fall fest, von wann an frühestens

        die Niederlassung bewilligt werden darf.

      2 Ist dieser Zeitpunkt bereits festgelegt oder ist der Ausländer im

        Besitz der Niederlassungsbewilligung, so hat sein Ehegatte Anspruch

        auf Erteilung und Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung, solange

        die Ehegatten zusammen wohnen. Nach einem ordnungsgemässen und

        ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren hat der Ehegatte

        ebenfalls Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung. (...)

      2bis(...).

    Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, sie erfülle sämtliche
Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 2 ANAG, da ihr Ehegatte im Besitze der
Niederlassungsbewilligung sei, sie selber seit mehr als fünf Jahren
mit ihm verheiratet sei und während dieser fünf Jahre ordnungsgemäss
und ununterbrochen zusammen mit ihm in der Schweiz gewohnt habe.
Demgegenüber stellt sich die Vorinstanz auf den Standpunkt, ein
Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Niederlassungsbewilligung
gemäss Art. 17 Abs. 1 Satz 2 ANAG sei erst dann gegeben, wenn - nebst dem
ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt - ihr Ehegatte während der
gesamten (fünfjährigen) Zeitdauer den fremdenpolizeilichen Status eines
Niedergelassenen innegehabt habe. Z. sei aber erst seit dem 2. Oktober
2002 im Besitz der Niederlassungsbewilligung, weshalb zur Berechnung der
Fünfjahresfrist auf dieses Datum abzustellen sei und der Anspruch auf
Niederlassung von der Beschwerdeführerin frühestens am 2. Oktober 2007
erworben werden könne.

    3.2  Auf dem Wege der Auslegung zu entscheiden ist damit die Frage,
wann die in Art. 17 Abs. 2 Satz 2 ANAG erwähnte Fünfjahresfrist zu
laufen beginnt.

    3.2.1  Ausgangspunkt jeder Auslegung bildet der Wortlaut der
Bestimmung. Ist der Text nicht ganz klar und sind verschiedene
Interpretationen möglich, so muss nach seiner wahren Tragweite gesucht
werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente; dabei kommt es
namentlich auf den Zweck der Regelung, die dem Text zu Grunde liegenden
Wertungen sowie auf den Sinnzusammenhang an, in dem die Norm steht (BGE
129 II 114 E. 3.1 S. 118; 125 II 192 E. 3a S. 196, mit Hinweisen).

    3.2.2  Nach einer strikt wörtlichen Auslegung von Art. 17 Abs. 2
Satz 2 ANAG könnte sich jeder Ausländer auf den Niederlassungsanspruch
berufen, der seit fünf Jahren ordnungsgemäss und ununterbrochen in der
Schweiz in ehelicher Gemeinschaft mit einem niedergelassenen Ausländer
zusammenlebt, unabhängig davon, seit wann sein Ehepartner über die
Niederlassungsbewilligung verfügt. Rein wörtlich könnte für die Entstehung
des Anspruches sogar schon ein fünfjähriger ordnungsgemässer Aufenthalt in
der Schweiz vor der Ehe genügen. Eine solche Auslegung stünde indessen in
klarem Widerspruch zum Sinn und Zweck des Bundesgesetzes vom 26. März 1931
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer und lässt sich auch nicht
mit der Systematik des Gesetzestextes vereinbaren: Es liegt auf der Hand,
dass Art. 17 Abs. 2 Satz 2 ANAG an den vorangehenden Satz 1 anknüpft und
damit die zu absolvierende fünfjährige Aufenthaltsdauer vom Zeitpunkt
der Entstehung des nach Abs. 2 Satz 1 erworbenen Aufenthaltsrechtes
beginnen lassen will. In diesem Sinne wurde die Vorschrift denn auch
seit jeher verstanden und gehandhabt. Schon der Anspruch auf Erteilung
der Aufenthaltsbewilligung für den nachzuziehenden Ehegatten entsteht
erst mit der Kontrollentlassung des bereits hier lebenden Ehegatten
durch das Bundesamt (bzw. im Zeitpunkt der formellen Erteilung der
Niederlassungsbewilligung). Setzt aber schon der Anspruch auf eine
Aufenthaltsbewilligung die Niederlassungsbewilligung des bereits in
der Schweiz weilenden Ehepartners voraus, so ist folgerichtig, dass der
Anspruch des nachgezogenen Ehegatten auf die Niederlassungsbewilligung
erst fünf Jahre nach deren Erteilung an den Partner entstehen kann.

    3.2.3  Auch aus Art. 7 Abs. 1 Satz 2 ANAG, auf welchen sich
die Beschwerdeführerin beruft, kann sie nichts zu ihren Gunsten
ableiten. Wie sie selber zutreffend festhält, stimmt der zweite Satz
von Art. 17 Abs. 2 ANAG, welcher dem mit einem niedergelassenen Partner
verheirateten Ausländer nach fünf Jahren Aufenthalt einen Anspruch auf
Niederlassungsbewilligung einräumt, überein mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2
ANAG, welcher dem mit einem Schweizer Bürger verheirateten Ausländer nach
ordnungsgemässem und ununterbrochenem Aufenthalt von fünf Jahren Anspruch
auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung gibt. Die zu Art. 7 Abs. 1
Satz 2 ANAG entwickelte Rechtsprechung ist sinngemäss auch massgebend für
die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 ANAG (Urteil 2P.382/1997 vom 28. Mai
1998, E. 3b). Dass der ausländische Ehepartner in den Genuss einer
Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 7 Abs. 1 ANAG kommen kann, setzt aber
voraus, dass sein Ehepartner über die schweizerische Staatsangehörigkeit
verfügt. Erst nach einem ununterbrochenen, ordnungsgemässen Aufenthalt
von fünf Jahren, der mit dem Datum der Heirat bzw. mit dem Datum der
Einreise in die Schweiz, sofern die Ehe im Ausland geschlossen wurde
(ANGELA BRYNER, in: Uebersax/Münch/Geiser/Arnold, aaO, Rz. 24.23, S. 1066),
oder mit der Einbürgerung beginnt, hat die ausländische Ehepartnerin eines
Schweizers Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung. Übertragen auf eine
Ausländerin, die mit einem Niedergelassenen verheiratet ist, bedeutet dies,
dass diese dann einen Anspruch auf die Niederlassungsbewilligung erwirbt,
wenn ihr Ehegatte während der gesamten fünfjährigen Dauer des ehelichen
Zusammenlebens über eine Niederlassungsbewilligung verfügt hat. Entgegen
der Auffassung der Beschwerdeführerin verstösst diese Auslegung keineswegs
gegen den Sinn und Zweck von Art. 17 Abs. 2 Satz 2 ANAG bzw. Art. 7 Abs. 1
ANAG, zumal die privilegierte ausländerrechtliche Stellung ausländischer
Ehepartner von Niedergelassenen bzw. von schweizerischen Staatsangehörigen
vom ausländerrechtlichen Status bzw. der Staatsangehörigkeit des
Ehepartners abhängt.

    3.3  Art. 17 Abs. 2 ANAG räumt der Beschwerdeführerin somit keinen
Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung bzw. auf sofortige Entlassung
aus der eidgenössischen Kontrolle ein.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Am 1. Juni 2002 ist das Abkommen vom 21. Juni 1999
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über
die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) in
Kraft getreten. Es ist im Folgenden noch zu prüfen, ob sich allenfalls
aus dem Freizügigkeitsabkommen ein Anspruch auf Erteilung der
Niederlassungsbewilligung ableiten lässt.

    4.2  Das Freizügigkeitsabkommen räumt Angehörigen der Vertragsstaaten
(und nach Art. 7 lit. d FZA i.V.m. Art. 3 Abs. 2 des Anhangs I dazu den
nachzugsberechtigten Angehörigen [unabhängig von ihrer Nationalität])
das Recht auf Einreise (Art. 3 FZA) sowie auf Aufenthalt und Zugang
zu einer Erwerbstätigkeit (Art. 4 ff. FZA) nach den Bestimmungen des
Anhangs I zu diesem Abkommen ein. Die den Aufenthalt betreffenden
Bestimmungen des Anhangs I vermitteln individuelle Rechtsansprüche
auf Erteilung einer der in Art. 4 der Verordnung vom 22. Mai 2002 über
die Einführung des freien Personenverkehrs (VEP; SR 142.203) genannten
fremdenpolizeilichen Aufenthaltsbewilligungen ("Kurzaufenthaltsbewilligung
EG/EFTA", "Aufenthaltsbewilligung EG/EFTA" sowie "Grenzgängerbewilligung
EG/EFTA"). Demgegenüber bildet die Erteilung der schweizerischen
Niederlassungsbewilligung auch für die unter das Freizügigkeitsabkommen
fallenden Personen nicht Gegenstand dieses Abkommens, sondern richtet
sich nach wie vor nach Art. 6 ANAG und Art. 11 ANAV sowie nach den
von der Schweiz abgeschlossenen Niederlassungsverträgen (Art. 5 VEP;
vgl. BGE 129 II 249 E. 3.3 S. 258 mit Hinweisen). Die Erteilung der
Niederlassungsbewilligung an ausländische Ehegatten niedergelassener
Ausländer richtet sich daher nach wie vor nach Art. 17 Abs. 2 ANAG
(Urteil 2A.98/2003 vom 28. August 2003, E. 2.2). Die mit einem
australisch-österreichischen Doppelbürger verheiratete Beschwerdeführerin
kann somit - was die Erteilung der Niederlassungsbewilligung betrifft -
aus dem Freizügigkeitsabkommen nichts zu ihren Gunsten ableiten.