Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 II 488



130 II 488

42. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X.
gegen Einwohnerdienste sowie Verwaltungsgericht des Kantons Basel-Stadt
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.497/2004 vom 30. September 2004

Regeste

    Art. 13b Abs. 1 lit. d und Art. 13b Abs. 3 ANAG; Ausschaffungshaft
für weggewiesene Asylgesuchsteller, die einen Nichteintretensentscheid
der Asylbehörden erwirkt haben.

    Der Haftgrund von Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG hat selbständige
Bedeutung, so dass es auf das Verhalten des Betroffenen nach dem
Nichteintretensentscheid grundsätzlich nicht ankommt.

Sachverhalt

    A.- Der nach eigenen Angaben aus Weissrussland stammende, papierlose X.
ist am 8. Juni 2004 illegal in die Schweiz eingereist, wo er gleichentags
um Asyl ersuchte. Das Bundesamt für Flüchtlinge trat am 22. Juni 2004
auf sein Gesuch nicht ein, wies ihn weg und hielt ihn an, spätestens
am Tag nach Eintritt der Rechtskraft seines Entscheids die Schweiz zu
verlassen. Das Bundesamt begründete dies damit, dass X. die Behörden über
seine Herkunft getäuscht habe (vgl. Art. 32 Abs. 2 lit. b des Asylgesetzes
vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]); weil er offensichtlich nicht aus
Weissrussland stamme und sich seine Ausführungen nur auf dieses Land
bezögen, lägen zudem keinerlei Hinweise auf eine Gefährdung vor. Am
5. Juli 2004 schützte die Schweizerische Asylrekurskommission den
Nichteintretensentscheid auf Beschwerde hin, wobei sie eine Ausweisung
nach Weissrussland ausschloss.

    B.- X. sprach mehrmals (12. Juli, 3. und 23. August 2004) bei den
Einwohnerdiensten des Kantons Basel-Stadt vor und ersuchte um finanzielle
Nothilfe. Zudem wurde er am 14. Juli 2004 von der Polizei vorgeführt und
bei dieser Gelegenheit ausdrücklich auf seine Mitwirkungspflicht bei der
Papierbeschaffung sowie auf die Möglichkeit, ihn in Ausschaffungshaft zu
nehmen, hingewiesen. Anlässlich der Vorsprache vom 23. August 2004 wurde X.
verhaftet und mit Strafbefehl des Strafgerichts Basel-Stadt vom 24. August
2004 wegen rechtswidrigen Aufenthalts in der Schweiz zu einer Busse von 400
Franken verurteilt. Anschliessend wurde er von den Einwohnerdiensten in
Ausschaffungshaft genommen, welche das Verwaltungsgericht des Kantons
Basel-Stadt, Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
(Haftrichter), bis zum 23. November 2004 bestätigte (Urteil vom 25. August
2004).

    C.- Am 8. September 2004 hat X. beim Bundesgericht staatsrechtliche
Beschwerde eingereicht mit dem Antrag, den Entscheid des Haftrichters
aufzuheben und die Einwohnerdienste des Kantons Basel-Stadt anzuweisen,
ihn aus der Haft zu entlassen.

    Das Bundesgericht nimmt die staatsrechtliche Beschwerde als
Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegen und weist sie ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.  Nachdem ein (rechtskräftiger) Wegweisungsentscheid der
Asylbehörden vorliegt, bleibt zu prüfen, ob der von den kantonalen Behörden
herangezogene Haftgrund (Art. 13b Abs. 1 lit. d des Bundesgesetzes vom
26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG; SR
142.20], ins Gesetz eingefügt durch das am 19. Dezember 2003 beschlossene
"Entlastungsprogramm 2003", in Kraft seit 1. April 2004) erfüllt ist.

    3.1  Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG erlaubt neu die Anordnung von
Ausschaffungshaft gegen einen Ausländer, wenn das Bundesamt für
Flüchtlinge auf dessen Asylgesuch in Anwendung von Art. 32 Abs. 2
lit. a-c oder Art. 33 AsylG nicht eingetreten ist. Gemäss Art. 32
Abs. 2 lit. b AsylG wird auf das Asylgesuch nicht eingetreten, wenn
der Asylsuchende die Behörden über seine Identität täuscht und diese
Täuschung aufgrund der Ergebnisse der erkennungsdienstlichen Behandlung
oder anderer Beweismittel feststeht. Ebenso wird gemäss Art. 32 Abs. 2
lit. c AsylG auf ein Asylgesuch nicht eingetreten, wenn der Asylsuchende
seine Mitwirkungspflicht auf eine andere Weise grob verletzt. Gemäss
Art. 13f lit. c ANAG (eingefügt am 19. Dezember 2003) muss der Ausländer
Ausweispapiere beschaffen oder bei deren Beschaffung durch die Behörden
mitwirken. Ebenso verpflichtet Art. 8 Abs. 4 AsylG Asylsuchende dazu, nach
Vorliegen eines vollziehbaren Wegweisungsentscheids bei der Beschaffung
gültiger Reisepapiere mitzuwirken.

    3.2  Nach Wortlaut und Sinn von Art. 13b Abs.1 lit. d ANAG sowie nach
der Systematik des Gesetzes stellt das Vorliegen eines gestützt auf Art. 32
Abs. 2 lit. a-c oder Art. 33 AsylG ergangenen Nichteintretensentscheids
des Bundesamts für Flüchtlinge schon für sich allein einen (selbständigen)
Haftgrund dar, ohne dass es noch (nachträglicher) zusätzlicher Hinweise für
eine Untertauchensgefahr oder eine sonstige Vereitelungsabsicht bedürfte.
Das folgt auch aus den Erläuterungen in der Botschaft des Bundesrats
zum Entlastungsprogramm 2003 für den Bundeshaushalt (BBl 2003 S. 5753
f.) und wurde inzwischen vom Bundesgericht im Grundsatzentscheid vom
15. Juli 2004 (BGE 130 II 377 E. 3.2.2 f. S. 382 ff.) sowie in einem
weiteren Entscheid (Urteil 2A.436/2004 vom 6. August 2004, E. 2.3)
bestätigt. Mithin stellt schon die Tatsache, dass das Bundesamt einen auf
die genannten Bestimmungen des Asylgesetzes - hier Art. 32 Abs. 2 lit. b
AsylG - sich stützenden Nichteintretensentscheid getroffen hat, einen
gesetzlichen Haftgrund dar. Wenn die Asylbehörde aufgrund eines bestimmten
(missbräuchlichen) Verhaltens des Asylgesuchstellers - in casu: Täuschung
der Behörden über seine Identität - einen Nichteintretensentscheid fällt,
ist das Vorliegen einer Untertauchensgefahr bzw. der mutmasslichen Absicht,
eine zwangsweise Ausschaffung zu vereiteln, von Gesetzes wegen anzunehmen,
ohne dass es zur Bejahung des Haftgrunds noch weiterer Elemente bedürfte.

    3.3  Dass der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nach dem
abschlägigen Asylbescheid nicht untergetaucht ist, sondern sich bei
den Behörden wiederholt gemeldet hat, ändert nichts. Im erwähnten
Grundsatzurteil vom 15. Juli 2004 lagen die Dinge nicht wesentlich
anders: Der Betroffene war nicht untergetaucht, sondern für die Behörden
erreichbar, und er wurde - wie der Beschwerdeführer - inhaftiert, als er um
finanzielle Nothilfe ersuchte. Wenn das nach dem Nichteintretensentscheid
der Asylbehörde zutage gelegte nachträgliche Verhalten zur Beurteilung der
unterstellten Vereitelungsabsicht jeweils immer noch als wesentliches
Sachverhaltselement mitgewürdigt werden müsste, verlöre der neue
Haftgrund gemäss Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG seine Bedeutung oder
jedenfalls seinen selbständigen Charakter, und die Bestimmung vermöchte
den ihr vom Gesetzgeber zugedachten Zweck nicht zu erfüllen. Eine andere
Betrachtungsweise könnte sich allenfalls dann ausnahmsweise rechtfertigen,
wenn zwischen dem als Haftgrund heranziehbaren Nichteintretensentscheid der
Asylbehörde und der Anordnung der Ausschaffungshaft lange Zeit verstrichen
ist und sich eine Berücksichtigung der nachträglichen Entwicklung
der Dinge zur Beurteilung der Untertauchensgefahr sachlich zwingend
aufdrängt. Vorbehalten bleibt in jedem Fall die allgemeine Schranke
der Verhältnismässigkeit: Auf die Anordnung oder Aufrechterhaltung
der Ausschaffungshaft ist zu verzichten, wenn diese Massnahme wegen
bestimmter äusserer Umstände nicht bzw. nicht mehr als sinnvoll und
verhältnismässig erscheint, z.B. weil binnen kurzem mit der Erteilung
einer Aufenthaltsbewilligung zu rechnen ist (vgl. BGE 126 II 439 E. 4;
125 II 377 E. 4 S. 383; vgl. auch BGE 130 II 56 E. 4.2.3 S. 62 f.).

    3.4  Vorliegend erfolgte die Anordnung der Ausschaffungshaft
als Reaktion auf die Nichtbefolgung der mit dem asylrechtlichen
Nichteintretensentscheid verbundenen Wegweisung, ohne dass bis zur
Haftanordnung ein übermässig langer Zeitraum verstrichen wäre. Damit
genügte die Erfüllung der Voraussetzungen von Art. 13b Abs. 1 lit. d ANAG
schon für sich allein als Haftgrund. Dem Hinweis des Beschwerdeführers
auf sein nachträgliches Verhalten wäre im Übrigen entgegenzuhalten,
dass aus seinem bisherigen Nichtuntertauchen bzw. dem wiederholten
Vorsprechen bei den kantonalen Einwohnerdiensten auch rein sachlich
nicht (oder nicht ohne weiteres) auf das Fehlen der unterstellten
Vereitelungsabsicht geschlossen werden könnte. Dieses Verhalten des
Beschwerdeführers lässt sich nämlich auch damit erklären, dass er entweder
aufgrund der ungeklärten Identität bzw. der fehlenden Papiere gar nicht
mit der Möglichkeit rechnete, zwecks zwangsweiser Ausschaffung bereits
in Haft genommen zu werden (vgl. BGE 130 II 377 E. 3.3.3.2 S. 387),
oder dass er, weil an Unterstützungsleistungen interessiert, trotz an
sich weiterbestehender Untertauchensabsicht bei der Behörde vorsprach
und das damit verbundene Risiko einer allfälligen Inhaftierung bewusst
hinnahm. Wer seine Mitwirkungspflichten im Asylverfahren gröblich verletzt
und deswegen einen Nichteintretensentscheid erwirkt, muss gemäss der
neuen gesetzlichen - mit der EMRK grundsätzlich im Einklang stehenden
(vgl. BGE 130 II 377 E. 3.1 S. 380 f., E. 3.2.3 i.f. S. 384 und E. 3.3 S.
385 ff.) - Regelung jedenfalls in Kauf nehmen, dass er zur Sicherung des
zwangsweisen Vollzugs der Wegweisung in Ausschaffungshaft genommen wird.
Dazu kommt vorliegend, dass der Beschwerdeführer die ihm nach Art. 13f
ANAG obliegende bzw. auferlegte Mitwirkung bei der Papierbeschaffung auch
nachträglich verweigert hat, was einen zusätzlichen Haftgrund darstellen
könnte (vgl. Art. 13b Abs. 1 lit. c ANAG in der Fassung 19. Dezember 2003).
Die Einwendungen des Beschwerdeführers sind insoweit nicht stichhaltig.

Erwägung 4

    4.  Vorbehalten bleiben die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen
für die Ausschaffungshaft, wobei hier einzig noch die Einhaltung des
Beschleunigungsgebots in Frage steht.

    4.1  Der Beschwerdeführer wurde, weil er nach dem Entscheid der
Asylrekurskommission seiner Ausreisepflicht nicht nachgekommen war und auch
nichts zur Beschaffung der erforderlichen Papiere unternommen hatte, am 24.
August 2004 in Ausschaffungshaft versetzt und diese Anordnung tags darauf
vom Haftrichter bestätigt. Gemäss Art. 13b Abs. 3 ANAG sind die für den
Vollzug der Wegweisung notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen. Befindet
sich der weggewiesene Ausländer in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug,
so sind die Fremdenpolizeibehörden bei klarer fremdenpolizeilicher
Ausgangslage nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes gehalten, die
notwendigen Schritte zur Papierbeschaffung nach Möglichkeit schon vor
der Entlassung einzuleiten, damit der Betroffene nicht mehr unnötig oder
nicht unnötig lange in Ausschaffungshaft genommen werden muss (vgl. BGE
124 II 49 E. 3a mit Hinweisen).

    4.2  Auf diese Rechtsprechung kann sich der Beschwerdeführer vorliegend
nicht berufen: Die gegen ihn verfügte Wegweisung wurde mit dem Entscheid
der Asylrekurskommission rechtskräftig, und dem Beschwerdeführer wurde
zunächst Gelegenheit gegeben, selber die erforderlichen Schritte zur
Papierbeschaffung für die Ausreise zu unternehmen. Erst als sich zeigte,
dass der Beschwerdeführer dazu nicht gewillt war, wurde die Notwendigkeit
einer zwangsweisen Ausschaffung sichtbar. Im Zeitpunkt der Haftanordnung
bzw. -bestätigung durch den Richter konnte demzufolge von einer
unzulässigen Verzögerung der behördlichen Vorkehren zur Papierbeschaffung
keine Rede sein. Die vom Beschwerdeführer angerufene Rechtsprechung, wonach
Untätigkeit der Behörden während mehr als zwei Monaten als Verletzung
des Beschleunigungsgebots zu werten ist (vgl. BGE 124 II 49 E. 3a S. 51),
kommt hier nicht zum Zuge. Wieweit das Beschleunigungsgebot seit Anordnung
der Haft eingehalten worden ist, kann nicht Gegenstand des vorliegenden
Verfahrens bilden. Im Übrigen haben die baselstädtischen Behörden sofort
nach Anordnung der Ausschaffungshaft um Vollzugsunterstützung durch den
Bund ersucht.