Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 II 270



130 II 270

25. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. P. gegen W. und Aufsichtskommission über die Rechtsanwälte im Kanton
Zürich sowie Obergericht des Kantons Zürich (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    2A.459/2003 vom 18. Juni 2004

Regeste

    Art. 12 lit. a BGFA; Rechtsmittelweg im Übergangsrecht; Bedeutung
von Standesregeln der kantonalen Anwaltsverbände für die Auslegung der
Berufsregeln des eidgenössischen Anwaltsgesetzes; Disziplinarverstoss
eines Rechtsanwalts durch Betreibung ohne Vorwarnung?

    Nach Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes
ergangene kantonale Disziplinarentscheide können mit eidgenössischer
Verwaltungsgerichtsbeschwerde angefochten werden, auch wenn sie sich
gemäss dem Prinzip der lex mitior auf kantonales Recht stützen (E. 1). Auf
kantonale Standesregeln kann seit Inkrafttreten des eidgenössischen
Anwaltsgesetzes nur noch abgestellt werden, soweit sie eine landesweit
geltende Auffassung zum Ausdruck bringen (E. 3.1). Durch die Einleitung
einer Betreibung ohne vorgängige Androhung verstösst ein Rechtsanwalt
nicht gegen das Gebot der sorgfältigen und gewissenhaften Berufsausübung
(E. 3.2 und 3.3).

Sachverhalt

    Die am 9. Juli 1995 in Basel verstorbene M. hatte zunächst
E. testamentarisch zum Alleinerben bestimmt. In einem vom 2. Dezember 1993
datierenden Testament setzte sie neu ihren Rechtsanwalt W. als Alleinerben
und Willensvollstrecker ein. Im Zusammenhang mit der Frage der Gültigkeit
dieses zweiten Testaments sind mehrere Gerichtsverfahren zwischen E. und
W. hängig; Ersterer wird dabei durch Rechtsanwalt P. (Basel) vertreten.

    Am 25. März 2002 setzte Rechtsanwalt P. namens seines Mandanten gegen
W. eine Forderung von 2 Mio. Franken in Betreibung; in diesem Umfang habe
Letzterer aus dem Nachlass von M. Zahlungen erhalten bzw. diesem Mittel
entnommen. Am 26. Juni 2002 gelangte W. an die Aufsichtskommission über
die Rechtsanwälte im Kanton Zürich, bei welcher er gegen Rechtsanwalt
P. Anzeige erstattete, weil ihn dieser ohne vorgängige Ankündigung
betrieben habe. Die Aufsichtskommission eröffnete ein Disziplinarverfahren
betreffend "Sorgfalt und Geschäftstätigkeit" gemäss Art. 12 lit. a
des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der
Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA; SR 935.61) sowie betreffend
"Geschäftsgebaren und Schaffung klarer Rechtsverhältnisse" gemäss §
7 Abs. 1 und § 8 Abs. 1 des Zürcher Gesetzes vom 3. Juli 1938 über den
Anwaltsberuf (AnwG/ZH). Mit Beschluss vom 7. November 2002 disziplinierte
sie P. wegen Verstosses gegen letztere Bestimmungen mit einem Verweis;
zudem auferlegte sie ihm Verfahrenskosten von insgesamt Fr. 1'372.- und
sprach dem Verzeiger eine Entschädigung von Fr. 500.- zu. Auf den gegen
diesen Entscheid eingereichten Rekurs trat die Verwaltungskommission des
Obergerichts des Kantons Zürich nicht ein, weil sie nach dem Grundsatz
der lex mitior das bisherige kantonale Recht als anwendbar betrachtete,
womit die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht gegeben
sei und damit auch die Zuständigkeit der Verwaltungskommission als
Rechtsmittelinstanz entfalle (Beschluss vom 18. August 2003).

    Das Bundesgericht heisst die von P. hiergegen eingereichte
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gut, hebt den angefochtenen Entscheid auf
und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die
Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Der Beschwerdeführer ist mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde an
das Bundesgericht gelangt. Es stellt sich vorab die Frage nach der
Zulässigkeit dieses Rechtsmittels.

    1.1  Bis anhin waren die Verhaltenspflichten der Rechtsanwälte und
die Disziplinarsanktionen, welche für Verstösse gegen diese Pflichten
verhängt werden können, ausschliesslich kantonalrechtlich geregelt. Als
Rechtsmittel auf Bundesebene war in diesem Bereich deshalb einzig die
staatsrechtliche Beschwerde gegeben. Inzwischen ist am 1. Juni 2002
das eidgenössische Anwaltsgesetz in Kraft getreten, welches neben
den Berufsregeln (Art. 12 BGFA) insbesondere auch das Disziplinarrecht
(Art. 17 ff. BGFA) abschliessend regelt. Gegen letztinstanzliche kantonale
Disziplinarentscheide steht nunmehr gestützt auf Art. 97 ff. OG in
Verbindung mit Art. 5 VwVG die eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde
offen. Die Regelung des Verfahrens bleibt dabei Sache der Kantone (Art. 34
Abs. 1 BGFA), wobei aber nach Art. 98a OG als letzte kantonale Instanz
eine richterliche Behörde entscheiden muss (BGE 129 II 297 E. 1.1 S. 299).

    1.2  Der disziplinarrechtlich beurteilte Sachverhalt hat sich
vor Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes abgespielt;
Verfahrenseröffnung und Entscheidfällung erfolgten indessen bereits unter
der Herrschaft des neuen Bundesrechts. Es fragt sich deshalb nicht nur,
welches Verfahrensrecht, sondern auch welches (materielle) Disziplinarrecht
anzuwenden ist, das alte kantonale oder das neue bundesrechtliche. Das
eidgenössische Anwaltsgesetz regelt diese Frage ebenso wenig, wie es eine
Übergangsregelung für die zulässigen Rechtsmittel oder den Rechtsmittelweg
enthält.

    1.2.1  Ohne gegenteilige Regelung sind neue verfahrensrechtliche
Bestimmungen jedenfalls auf jene Verfahren anzuwenden, die unter Herrschaft
des neuen Rechts eingeleitet werden (vgl. ALFRED KÖLZ, Intertemporales
Verwaltungsrecht, in: ZSR 102/1983 II S. 222). Im vorliegenden Zusammenhang
lässt sich jedoch die Frage nach dem formellen nicht von jener nach
dem materiellen Recht trennen: Das Rechtsmittel der eidgenössischen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist nur gegenüber Verfügungen zulässig, die
sich auf öffentliches Bundesrecht stützen oder stützen müssten (Art. 97
ff. OG i.V.m. Art. 5 VwVG). Das neue Verfahrensrecht kann demnach nur
insoweit Anwendung finden, als auch bereits die neuen eidgenössischen
Bestimmungen über die Disziplinaraufsicht zum Tragen kommen.

    1.2.2  Welches materielle Disziplinarrecht vorliegend Anwendung findet,
ist in analoger Anwendung von Art. 2 Abs. 2 StGB nach dem Grundsatz der
"lex mitior" zu bestimmen (KÖLZ, aaO, S. 175; vgl. auch BGE 104 Ib 87 E. 2b
S. 89 f. bezüglich Administrativmassnahmen im Strassenverkehr). Dieses
Vorgehen setzt eine Beurteilung des Vorfalls sowohl nach dem bisherigen
kantonalen als auch nach dem geltenden eidgenössischen Disziplinarrecht
voraus (vgl. Urteil 2A.191/2003 vom 22. Januar 2004, E. 6), womit
der zu fällende Disziplinarentscheid insoweit zwingend auch auf
der Auslegung von Bundesrecht beruht. Deshalb rechtfertigt es sich,
die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ebenfalls gegen jene Entscheide
zuzulassen, welche sich im Ergebnis zwar immer noch auf kantonales Recht
stützen können, aber im erwähnten Sinne die Mitanwendung von Bundesrecht
voraussetzen. Im angefochtenen Entscheid wurde das alte kantonale mit dem
neuen eidgenössischen Disziplinarrecht verglichen und insoweit Bundesrecht
angewandt, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorliegend zulässig
ist (so im Ergebnis bereits Urteil 2A.191/2003 vom 22. Januar 2004, E.
1.3).

Erwägung 2

    2.  Die Verwaltungskommission des Obergerichts ist auf den Rekurs
des Beschwerdeführers nicht eingetreten, weil sie - nach dem Gesagten
unrichtigerweise - davon ausging, die Beurteilung des Falls nach dem als
"lex mitior" betrachteten kantonalen Anwaltsgesetz führe dazu, dass die
eidgenössische Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht zur Verfügung stehe; der
Ausschluss dieses Rechtsmittels hätte gemäss kantonalem Verfahrensrecht
auch die Unzulässigkeit des bei ihr eingereichten Rekurses zur Folge
gehabt (vgl. § 7 der Verordnung vom 15. Mai 2002 betreffend die Anpassung
des kantonalen Rechts an das eidgenössische Anwaltsgesetz). Im Ergebnis
hat die Verwaltungskommission den Streitfall aber materiell beurteilt
und die angefochtene Disziplinarsanktion geschützt. Eine Aufhebung des
angefochtenen Nichteintretensentscheids und Rückweisung der Sache an die
Vorinstanz, damit diese auf das Rechtsmittel formell eintritt und das
(materielle) Ergebnis ihrer Beurteilung auch im Dispositiv zum Ausdruck
bringt, erübrigt sich.

Erwägung 3

    3.  Im Folgenden ist vorab nach den Berufsregeln des eidgenössischen
Anwaltsgesetzes zu prüfen, ob eine disziplinarwidrige Handlung
vorliegt. Ist diese Frage nämlich - wie der Beschwerdeführer vorbringt
- zu verneinen, so erübrigt sich eine Beurteilung von dessen Verhalten
nach der (im Zeitpunkt der streitigen Handlung noch gültigen) Regelung
im kantonalen Anwaltsgesetz. Die Verwaltungskommission des Zürcher
Obergerichts hätte diesfalls gemäss dem Grundsatz der "lex mitior" von
einer Disziplinierung absehen müssen, weil nach geltendem Recht kein
Pflichtverstoss gegeben wäre.

    3.1  Ziel des eidgenössischen Anwaltsgesetzes ist, wie schon dessen
Titel zeigt, die interkantonale Mobilität der Rechtsanwälte; es handelt
sich primär um ein Freizügigkeitsgesetz, welches insoweit das Bundesgesetz
vom 6. Oktober 1995 über den Binnenmarkt (BGBM; SR 943.02) weiterführt
(vgl. BBl 1999 S. 6020). Gleichzeitig nimmt es jedoch in wesentlichen
Bereichen eine Harmonisierung des materiellen Anwaltsrechts vor, indem
es sowohl einen Registereintrag einführt, welcher die Berufstätigkeit
auf dem Gebiet der ganzen Schweiz ermöglicht (Art. 4 BGFA), als auch die
Berufsregeln für Rechtsanwälte auf Bundesebene vereinheitlicht (Art. 12
BGFA). Diese letztere Massnahme dient - gleich wie die bundesrechtliche
Regelung des Eintrags in das kantonale Anwaltsregister - vorab der
Förderung der angestrebten Freizügigkeit (vgl. die Botschaft des Bundesrats
vom 28. April 1999, BBl 1999 S. 6039).

    3.1.1  Dementsprechend ist die Umschreibung der Berufsregeln in
Art. 12 BGFA abschliessender Natur (BGE 129 II 297 E. 1.1 S. 299; BBl
1999 S. 6054); für abweichende kantonale Vorschriften besteht kein Raum
mehr (vgl. BBl 1999 S. 6039 sowie an Stelle vieler: MADELEINE VOUILLOZ,
La nouvelle loi fédérale sur la libre circulation des avocats, in: SJZ
98/2002 S. 436). Zur Auslegung von Art. 12 BGFA kann alsdann nur noch
beschränkt auf die jeweiligen Standesregeln der kantonalen Anwaltsverbände
abgestellt werden, welche bis anhin regelmässig herangezogen wurden, um
die im betreffenden Kanton geltenden Berufspflichten zu konkretisieren
(vgl. etwa BGE 108 Ia 316 E. 2b/aa S. 319; 106 Ia 100 E. 7a S. 107).
Entsprechendes ist seit Inkrafttreten des eidgenössischen Anwaltsgesetzes
grundsätzlich nur noch denkbar, soweit die betreffende Standesregel eine
landesweit in nahezu allen Kantonen geltende Auffassung zum Ausdruck bringt
(vgl. ISAAK MEIER, Bundesanwaltsgesetz - Probleme in der Praxis, in:
plädoyer 2000 5 S. 34). Deshalb können die kantonalen Aufsichtsbehörden
auf ihre bisherige, von den lokalen Standesregeln geprägte Rechtsprechung
nur noch beschränkt zurückgreifen, ansonsten die Gefahr besteht, dass
sie die bundesrechtliche Vereinheitlichung der Berufspflichten aus den
Augen verlieren.

    3.1.2  Zu beachten ist ferner, dass es die erklärte Absicht des
Gesetzgebers war, mittels der Vereinheitlichung eine klarere Unterscheidung
zwischen allgemeinverbindlichen staatlichen Berufsregeln und privaten
Standesregeln zu erreichen (vgl. BBl 1999 S. 6040). Handlungsbedarf
bestand diesbezüglich unter anderem, weil in den kantonalen Anwaltsgesetzen
teilweise eine Regelung der Berufspflichten fehlte und stattdessen einfach
auf die Standesregeln des Anwaltsverbands verwiesen wurde (vgl.

LUCIEN VALLONI/MARCEL STEINEGGER, Bundesgesetz über die Freizügigkeit
der Anwältinnen und Anwälte, Zürich/Basel/Genf 2002, S. 43). Dies ist
zum einen mit Blick auf das Legalitätsprinzip und zum anderen auch darum
problematisch, weil auf diese Weise allgemein verbindlich gewordene
Standesregeln über das hinausgehen können, was zur Sicherung einer
korrekten Berufsausübung im öffentlichen Interesse geboten ist (vgl. WALTER
FELLMANN/OLIVER SIDLER, Standesregeln des Luzerner Anwaltsverbandes vom
5. Mai 1995, Bern 1996, S. 1; BENOÎT CHAPPUIS, Signification et fonction
des règles déontologiques, in: Fellmann/Huguenin Jacobs/Poledna/Schwarz
[Hrsg.], Schweizerisches Anwaltsrecht, Festschrift 100 Jahre SAV, S. 140).

    3.1.3  Nach dem Gesagten sind die Berufsregeln des neuen
eidgenössischen Anwaltsgesetzes - aus verschiedenen Gründen - primär
selbständig und ohne Beizug von privatrechtlichen Verbandsrichtlinien
auszulegen. Fragen kann sich allenfalls, ob in Zukunft bis zu einem
gewissen Masse die vom Schweizerischen Anwaltsverband am 1. Oktober
2002 beschlossenen Richtlinien - sollten sie sich in der ganzen Schweiz
allgemein durchsetzen - für die bundesrechtlichen Berufs- und Standesregeln
als Auslegungshilfe heranzuziehen wären (vgl. HANS NATER, Neue Richtlinien
des Schweizerischen Anwaltsverbandes für die Berufs- und Standesregeln,
in: SJZ 99/2003 S. 152 f.).

    3.2  Zu beurteilen ist vorliegend, ob das Vorgehen des
Beschwerdeführers die Generalklausel der Berufsregeln verletzt: Gemäss
Art. 12 lit. a BGFA haben Rechtsanwälte "ihren Beruf sorgfältig und
gewissenhaft auszuüben". Das Bundesamt für Justiz hält die Anwendung
dieser Generalklausel auf das Verhältnis zur Gegenpartei bzw. zwischen
Anwaltskollegen für unangebracht. Der Bundesrat hatte jedoch bei der
Formulierung seines Gesetzesentwurfs nicht nur die Beziehung zum eigenen
Klienten im Auge, sondern klarerweise die gesamte Berufstätigkeit des
Rechtsanwalts (BBl 1999 S. 6054). Seine entsprechende Sicht der Dinge gab
im Parlament keinen Anlass zu Diskussionen (vgl. AB 1999 N 1556 ff., S 1170
ff.). Mithin ist davon auszugehen, dass die Verpflichtung zu Sorgfalt und
Gewissenhaftigkeit nach dem Willen des Gesetzgebers sämtliche beruflichen
Handlungen des Rechtsanwalts beschlägt und sich sowohl auf die Beziehungen
zu den Behörden - welche in der bundesrätlichen Botschaft ausdrückliche
Erwähnung fanden - als auch auf jene zur Gegenpartei erstreckt (in diesem
Sinne auch Urteil 2A.191/2003 vom 22. Januar 2004, E. 5). Den berechtigten
Bedenken des Bundesamtes, die offene Formulierung von Art. 12 lit. a
BGFA dürfe nicht dazu führen, rein interne Sitten und Gebräuche des
Anwaltsstandes zu allgemein verbindlichen Berufspflichten zu erheben, ist
bei der Auslegung im Einzelfall Rechnung zu tragen (vgl. oben E. 3.1);
sie rechtfertigen jedoch nicht, zum Vornherein eine Einschränkung des
Anwendungsbereichs von Art. 12 lit. a BGFA vorzunehmen.

    3.2.1  Die Vorinstanz ging im angefochtenen Entscheid selber davon
aus, dass neben Zürich nur einige andere bzw. ein Teil der Kantone
ein Verbot der Betreibung ohne Vorwarnung kannten, während in anderen
Kantonen kein solches Verbot bestand. Bei diesen Gegebenheiten hat sie
zu Recht ausgeschlossen, dass es sich dabei um eine Regel handelt, die
Teil eines "gesamtschweizerischen Mindeststandards" bildet (vgl. oben
E. 3.1.1) und bereits deshalb von der Generalklausel von Art. 12 lit. a
BGFA mitumfasst wird. Sie hielt aber dafür, dass ein Anwalt, der die
Betreibung einleite ohne vorherige Zahlungsaufforderung oder Bemühungen
um einen Verjährungsverzicht, es an rücksichtsvollem Vorgehen mangeln
lasse und gegen das "Gebot der fairen Behandlung der Gegenpartei"
verstosse. Letzteres bilde Teil der allgemeinen Verpflichtung zu
sorgfältiger und gewissenhafter Berufsausübung im Sinne von Art. 12
lit. a BGFA. Es entspreche den Gepflogenheiten, dass der Betreibung eine
Zahlungsaufforderung vorausgehe, weil "einem Zahlungsbefehl in weiten
Kreisen der Bevölkerung diffamierende Wirkung zukomme".

    3.2.2  Der Verwaltungskommission des Obergerichts ist zuzustimmen, dass
ein unnötig forsches und unangebracht hartes Vorgehen des Rechtsanwalts
regelmässig nicht dem Gebot der sorgfältigen und gewissenhaften
Berufsausübung entspricht und unter Umständen eine Disziplinierung wegen
Verletzung von Art. 12 lit. a BGFA rechtfertigt: Einerseits kann es nicht
im Interesse des Klienten liegen, die Gegenpartei ohne Not zu verärgern
und dadurch die Fronten (zusätzlich) zu verhärten. Andererseits trägt
der Rechtsanwalt unter der Geltung des eidgenössischen Anwaltsgesetzes
unverändert eine Mitverantwortung für das korrekte Funktionieren des
Rechtsstaats (vgl. FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz,
Diss. Bern 1986, S. 32) und hat deshalb exzessive Angriffe auf die
Gegenpartei zu unterlassen. Der Rechtsanwalt ist aufgrund seiner
besonderen Stellung zu einer gewissen Zurückhaltung verpflichtet
und gehalten, einer Eskalation der Streitigkeiten entgegenzuwirken,
und nicht sie zu fördern. Insoweit kann in der Tat von einem "Gebot der
fairen Behandlung der Gegenpartei", wie es die Vorinstanz bezeichnet hat,
ausgegangen werden. Aus dem Gesagten erhellt aber auch, dass zwar ein
den Verhältnissen unangepasstes, übertrieben aggressives Vorgehen des
Rechtsanwalts regelmässig einen Verstoss gegen dessen Berufspflichten
darstellen dürfte, aber der Anwalt umgekehrt durch Art. 12 lit. a BGFA
nicht etwa (unter Androhung von Disziplinarsanktionen) dazu verpflichtet
ist, stets das mildest mögliche Vorgehen zu wählen. Die blosse Einleitung
einer Betreibung - welche von Gesetzes wegen an keinerlei Voraussetzungen
gebunden ist (vgl. Art. 38 und Art. 67 SchKG) und insbesondere vorgängig
weder eine Zahlungsaufforderung noch eine Androhung der Betreibung
verlangt - vermag im Lichte des Gesagten grundsätzlich keine gegen Art. 12
lit. a BGFA verstossende Handlung darzustellen, auch wenn ein Eintrag
im Betreibungsregister für den Betroffenen unangenehm sein mag. Anders
verhält es sich nur dann, wenn die Betreibung geradezu missbräuchlich ist;
dies ist der Fall, wenn mit ihr sachfremde Ziele verfolgt werden, etwa
wenn bloss die Kreditwürdigkeit des (angeblichen) Schuldners geschädigt
werden soll (vgl. BGE 113 III 2 E. 2b S. 4) oder wenn zwecks Schikane
ein völlig übersetzter Betrag in Betreibung gesetzt wird.

    3.3  Der Beschwerdeführer strebte mit der Betreibung vom 25. März
2002 eine Verjährungsunterbrechung an, weil er vermutet, dass ab 1992
Beträge aus dem Vermögen von M. an W. geflossen sind, die zum von
seinem Mandanten herausverlangten Erbe gehören. Sein Ziel hätte er
auch mit einer Verjährungsverzichtserklärung von W. erreichen können,
wobei ein entsprechendes Vorgehen für Letzteren weniger einschneidend
gewesen wäre. Ein Verjährungsverzicht des Schuldners ist jedoch, wie der
Beschwerdeführer zu Recht betont, für den Gläubiger weniger vorteilhaft
als die Betreibung, nicht zuletzt darum, weil stets das Risiko besteht,
dass er mit Willensmängeln behaftet ist. Nach dem Gesagten ist jedenfalls
im Umstand allein, dass er den Betroffenen vor Anhebung der Betreibung
nicht um eine solche Erklärung ersucht hat, keine Verletzung von Art. 12
lit. a BGFA zu sehen. Im Übrigen ist nicht anzunehmen, dass W. vorliegend
auf die Verjährungseinrede verzichtet hätte: Das Verhältnis zwischen den
Parteien der Erbschaftsstreitigkeit und ihren Anwälten ist gespannt. Diese
Spannungen führten unter anderem zu einer Sühneverhandlung vor dem
Friedensrichteramt Stäfa wegen angeblicher Persönlichkeitsverletzungen
durch den Beschwerdeführer. W. hat denn auch auf das Angebot des
Beschwerdeführers, die Betreibung zurückzuziehen (vgl. Art. 8a Abs. 3
lit. c SchKG), wenn er einem "umfassenden Verjährungsverzicht" zustimme,
nicht reagiert. Er begründet dies allerdings mit dem Umstand, dass die
"diffamierende Wirkung" bereits eingetreten sei, wobei er indes übersieht,
dass die Betreibung mit ihrem Rückzug vor Dritten verborgen bliebe.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Verstösst das Verhalten des Beschwerdeführers nicht gegen den
neuen Art. 12 lit. a BGFA, so braucht es nicht mehr nach dem (alten)
kantonalen Recht beurteilt zu werden, zumal dieses nicht das mildere sein
kann. Mithin erweist sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als begründet
und die Disziplinierung des Beschwerdeführers als bundesrechtswidrig; der
Entscheid der Verwaltungskommission des Obergerichts des Kantons Zürich vom
18. August 2003 ist aufzuheben. Es ist Sache der Verwaltungskommission,
den - vor Bundesgericht nicht angefochtenen - Disziplinarentscheid der
Aufsichtskommission formell aufzuheben und über die Kosten der kantonalen
Verfahren neu zu befinden.