Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 II 25



130 II 25

4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. X. gegen
Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    6A.52/2003 vom 11. November 2003

Regeste

    Art. 16 Abs. 2 und 3, Art. 17 Abs. 1bis, 2 und 3 SVG; Art. 30 Abs. 2
und Art. 33 Abs. 1 VZV; Wiedererteilung des zu Warnzwecken entzogenen
Führerausweises.

    Die Wiedererteilung des zu Warnzwecken entzogenen Führerausweises nach
Ablauf der Massnahme darf nicht an Bedingungen oder Auflagen geknüpft
werden. Zulässig ist dies hingegen bei der vorzeitigen Rückgabe des
Ausweises (Bestätigung der Rechtsprechung; E. 3).

Sachverhalt

    A.- X. fuhr am 24. Oktober 1999 in Schaffhausen mit seinem
Personenwagen in stark alkoholisiertem Zustand von seinem Wohnort zu
einem Nachtclub. Das Kantonsgericht Schaffhausen verurteilte ihn deshalb
am 22. November 2001 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand sowie wegen
verschiedener weiterer Delikte zu acht Monaten Gefängnis unter Gewährung
des bedingten Strafvollzugs. Dieser Entscheid ist rechtskräftig.

    Nach seinem Umzug in den Kanton Schwyz ordnete das dortige Verkehrsamt
eine medizinische Begutachtung der Fahreignung von X. an. Das Institut
für Rechtsmedizin der Universität Zürich stellte am 19. August 2002 fest,
dass dieser zwar alkohol- und drogengefährdet sei, die Fahreignung derzeit
aber medizinisch und verkehrspsychologisch befürwortet werden könne.

    Gestützt auf diese Sachverhalte verfügte das Verkehrsamt des Kantons
Schwyz am 13. Januar 2003 gegenüber X. einen Führerausweisentzug von drei
Monaten. Als Nebenbestimmung ordnete es eine ärztlich kontrollierte
Alkohol- und Drogenabstinenz, die Kontrolle und Behandlung des
Herz-Kreislaufsystems sowie das Einreichen eines Verlaufsberichts nach drei
Monaten an. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz hiess am 28. Mai 2003
die gegen diesen Entscheid ergriffene Beschwerde im Sinne der Erwägungen
gut und setzte die Dauer des Führerausweisentzugs auf zwei Monate herab.

    B.- X. erhebt gegen den zuletzt genannten Entscheid
Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt dessen Aufhebung, soweit darin
die vom Verkehrsamt verfügten Auflagen bestätigt werden. Eventuell sei die
Angelegenheit an das Verwaltungsgericht zu neuem Entscheid zurückzuweisen.

    Das Verwaltungsgericht und das Bundesamt für Strassen beantragen die
Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.  Der Führerausweisentzug, den das Verkehrsamt am 13. Januar 2003
gegenüber dem Beschwerdeführer angeordnet hat, enthält die folgenden
vier Auflagen:

    -  ärztlich kontrollierte Alkoholabstinenz gemäss Vorgehen im

        Merkblatt;

    -  ärztlich kontrollierte Drogenabstinenz gemäss Vorgehen im

        Merkblatt;

    -  Kontrolle und Behandlung des Herz-Kreislaufsystems gemäss Vorschrift

        des Hausarztes;

    -  Einreichen eines Verlaufsberichts nach drei Monaten, gerechnet ab

        Beginn der kontrollierten Alkoholtotalabstinenz und

        Drogenabstinenz.

    Aus der Begründung der Entzugsverfügung geht hervor, dass die
genannten Auflagen den Empfehlungen des verkehrsmedizinischen Gutachtens
entsprechen. Weiter hält das Verkehrsamt fest, dass eine Aushändigung
des Führerausweises nach Ablauf der dreimonatigen Entzugsdauer nur
erfolge, wenn die Auflagen erfüllt seien. Zum Nachweis sei ein Zeugnis
einzusenden. Der Entzugsverfügung ist schliesslich zu entnehmen, dass
ein vorsorglicher Sicherungsentzug verfügt werden müsste, sollte das
gewünschte Zeugnis nicht eingereicht werden oder ungünstig lauten.

    Der Beschwerdeführer rügt, das Verwaltungsgericht habe die Aufnahme
der erwähnten Auflagen in die Entzugsverfügung geschützt, obwohl
eine solche Nebenbestimmung bei einem Warnungsentzug dem Bundesrecht
widerspreche. Diese Art des Entzugs sei im Gegensatz zum Sicherungsentzug
auflagenfeindlich, und er habe bei Ablauf der Entzugsdauer Anspruch auf
Wiederaushändigung des Führerausweises, ohne die Einhaltung von Auflagen
nachweisen zu müssen.

Erwägung 2

    2.  Das Bundesgericht hat sich in einem Entscheid aus dem Jahre
1989, auf den sich der Beschwerdeführer beruft, zu der aufgeworfenen
Frage geäussert. Danach ist es bundesrechtswidrig, einen Warnungsentzug
mit der Verpflichtung des fehlbaren Lenkers zu verbinden, ärztliche
Bescheinigungen über das Einhalten einer Drogenabstinenz vorzulegen. Denn
eine solche Auflage diene dem Interesse der Verkehrssicherheit und sei
allenfalls im Rahmen eines Sicherungsentzugs anzuordnen. Die beiden Arten
des Führerausweisentzugs hätten jedoch unterschiedliche Funktionen, und
ihre Vollzugsmodalitäten könnten deshalb nicht miteinander kombiniert
werden (BGE 115 Ib 328 E. 3).

    Im Lichte dieser Grundsätze erscheinen die angefochtenen Auflagen
in der Entzugsverfügung nicht zulässig. Das Verkehrsamt hat gestützt auf
Art. 16 Abs. 3 lit. b SVG einen Warnungsentzug ausgesprochen, diesen aber
mit Auflagen verbunden, wie sie für den Sicherungsentzug typisch sind. Das
Verwaltungsgericht übersieht diese Problematik nicht. Es führt in seiner
Vernehmlassung aber aus, die dargestellte Rechtsprechung des Bundesgerichts
werde der Lebensrealität in keiner Weise gerecht und bedürfe im Blick
auf den vorliegenden Fall dringend einer Präzisierung. Den gleichen
Standpunkt nimmt das Bundesamt für Strassen in seiner Vernehmlassung
ein. Angesichts dieser Kritik ist BGE 115 Ib 328 zu überprüfen.

Erwägung 3

    3.

    3.1  Die Gesetzgebung zum Strassenverkehr unterscheidet zwischen
Warnungs- und Sicherungsentzügen (so ausdrücklich z.B. in den Art. 30 und
33 der Verordnung vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen
und Fahrzeugen zum Strassenverkehr [VZV; SR 741.51]). Der Warnungsentzug
bezweckt, den Fahrzeuglenker, der schuldhaft Verkehrsregeln verletzt hat,
zu mehr Sorgfalt und Verantwortung zu erziehen und ihn dadurch von weiteren
Verkehrsdelikten abzuhalten (Art. 16 Abs. 2 und 3 SVG; Art. 30 Abs. 2 VZV;
BGE 129 II 92 E. 2.1). Demgegenüber dient der Sicherungsentzug dazu, den
Verkehr von Fahrzeuglenkern, die aus medizinischen oder charakterlichen
Gründen, wegen Trunksucht oder anderer Süchte oder wegen einer anderen
Unfähigkeit zum Führen eines Motorfahrzeugs nicht geeignet sind,
freizuhalten (Art. 16 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 2 SVG;
Art. 30 Abs. 1 VZV; BGE 129 II 82 E. 2.1).

    3.2  Entsprechend seiner Funktion wird beim Sicherungsentzug der
Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen. Die Wiedererteilung kommt erst
in Frage, wenn der Eignungsmangel behoben ist (vgl. Art. 17 Abs. 1bis SVG;
Art. 33 Abs. 1 VZV). Zum Nachweis der Heilung wird bei Suchtkrankheiten
in der Regel eine mindestens einjährige kontrollierte Abstinenz verlangt
(BGE 129 II 82 E. 2.2). Bestehen nach Ablauf der mindestens einjährigen
Probezeit noch Bedenken, kann die Wiedererteilung des Führerausweises an
Auflagen wie beispielsweise die Einhaltung einer befristeten und ärztlich
kontrollierten Abstinenz geknüpft werden (BGE 125 II 289 E. 2b). Die
Auflage, während einer bestimmten Zeit ganz abstinent zu leben, steht
in diesen Fällen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Überwindung einer
Suchtkrankheit, welche die Fahreignung des Betroffenen beeinträchtigt. Der
damit verbundene empfindliche Eingriff in den Persönlichkeitsbereich
erscheint im Interesse der Verkehrssicherheit gerechtfertigt.

    Der Warnungsentzug kommt demgegenüber nur in Betracht, wenn
die Fahreignung des fehlbaren Lenkers noch zu bejahen ist. Diese
Entzugsart wird im Gegensatz zum Sicherungsentzug für eine bestimmte
Dauer ausgesprochen, die so zu bemessen ist, dass die angestrebte
erzieherische Wirkung beim Verkehrsdelinquenten eintritt. Nach Ablauf
der Entzugsdauer ist der Ausweis dem Fahrzeuglenker ohne weiteres
wieder auszuhändigen. Die Gesetzgebung macht die Wiedererteilung nach
dem Verstreichen der fraglichen Zeitspanne von keinerlei Bedingungen
abhängig. Eine Ausnahme gilt einzig im Fall der vorzeitigen Wiedererteilung
des Ausweises, wie er bei länger dauernden Entzügen in Betracht kommt. Eine
solche vorzeitige Wiedererteilung kann an die Beachtung von Auflagen
geknüpft werden bzw. unter Auflagen erfolgen, welche die Besserung des
Fehlbaren sicherstellen sollen (vgl. Art. 17 Abs. 3 SVG). So ist es
möglich, bei Lenkern, gegenüber denen wegen Fahrens in angetrunkenem
Zustand im Rückfall ein längerer Warnungsentzug verfügt wird, für die
vorzeitige Wiedererteilung des Ausweises die Bestätigung einer ärztlich
kontrollierten Alkoholabstinenz zu verlangen (ANDRÉ BUSSY/BAPTISTE
RUSCONI, Code suisse de la circulation, 3. Aufl., 1996, S. 223 f.; RENÉ
SCHAFFHAUSER, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts,
Bd. III, 1995, N. 2471 ff.). Die Möglichkeit, die Wiedererteilung des
zu Warnzwecken entzogenen Führerausweises an Bedingungen und Auflagen
zu knüpfen, sieht das künftige Recht nach der Teilrevision des SVG vom
14. Dezember 2001 (vgl. AS 2002 S. 2767 ff.) ebenfalls nur bei einer
vorzeitigen Wiedererteilung des Führerausweises - d.h. vor Ablauf der
ganzen Entzugsdauer oder allfälliger Sperrfristen - vor (vgl. Art. 17
Abs. 2 und 3 SVG revidierte Fassung, AS 2002 S. 2773).

    3.3  Aus der dargestellten gesetzlichen Ordnung ergibt sich,
dass die Strassenverkehrsbehörden unter Vorbehalt der vorzeitigen
Wiedererteilung einen Warnungsentzug nicht mit Auflagen versehen können
(vgl. auch SCHAFFHAUSER, aaO, N. 2470; zum revidierten Recht ders.,
Die neuen Administrativmassnahmen des Strassenverkehrsgesetzes, in:
René Schaffhauser [Hrsg.], Jahrbuch zum Strassenverkehrsrecht 2003,
St. Gallen 2003, S. 213 ff.). Bei Zweifeln an der Fahreignung haben
sie die Umstände so weit zu ermitteln, bis sie in der Lage sind, darüber
einen zuverlässigen Entscheid zu treffen. Um den Verkehr in dieser Zeit
zu schützen, sieht Art. 35 Abs. 3 VZV vor, dass der Führerausweis bis zur
Abklärung von Ausschlussgründen sofort vorsorglich entzogen werden kann.
Ein Warnungsentzug darf nur verfügt werden, wenn feststeht, dass die
Fahreignung grundsätzlich zu bejahen (BGE 128 II 335 E. 4c und d) und
somit kein Sicherungsentzug auszusprechen ist. Es ist deshalb unzulässig,
Unsicherheiten über die Fahreignung dadurch aufzufangen, dass ein
Warnungsentzug verfügt, dieser aber mit Auflagen versehen wird. Die
Fahreignung ist entweder zu bejahen oder zu verneinen. Eine dritte
Variante hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen. An der oben angeführten
Rechtsprechung ist festzuhalten.

Erwägung 4

    4.  In der vorliegenden Angelegenheit hat das Verkehrsamt Schwyz
zwar die Notwendigkeit erkannt, die Fahreignung des Beschwerdeführers
näher abzuklären. Das eingeholte rechtsmedizinische Gutachten vom
19. August 2002 gelangte allerdings nicht zu einem völlig eindeutigen
Schluss. So bejahte es zwar die Fahreignung aus medizinischer und
verkehrspsychologischer Sicht im Grundsatz, doch stellte es zugleich auf
Grund der Vorgeschichte und erhöhter Laborwerte im März 2002 eine Alkohol-
und Drogengefährdung sowie Probleme im Herz-Kreislaufsystem fest. Das
Institut für Rechtsmedizin empfahl daher, den Beschwerdeführer zu ärztlich
kontrollierter Alkohol- und Drogentotalabstinenz sowie zur Kontrolle
und Behandlung des Herz-Kreislaufsystems und zur Einreichung eines
Verlaufsberichts nach drei Monaten anzuhalten, damit es zur Fahreignung
auf Grund dieser zusätzlichen Erkenntnisse erneut Stellung nehmen könne.

    Bei dieser Sachlage hätte das Verkehrsamt die Ermittlungen entsprechend
dem rechtsmedizinischen Gutachten ergänzen und erst nach Vorliegen der
neuen Ergebnisse und der ergänzenden Stellungnahme des Instituts für
Rechtsmedizin über die Notwendigkeit eines Sicherungsentzugs entscheiden
dürfen. Stattdessen hat es einen Warnungsentzug verfügt, die noch
erforderlichen Abklärungen dem Beschwerdeführer als Auflage überbunden und
die Wiedererteilung des Ausweises nach Ablauf der Entzugsdauer von einem
günstigen Ergebnis des zusätzlichen ärztlichen Verlaufsberichts abhängig
gemacht. Das Verkehrsamt hat mit diesem Vorgehen entgegen der gesetzlichen
Regelung einen Warnungsentzug mit Elementen des Sicherungsentzugsverfahrens
kombiniert und damit gegen Bundesrecht verstossen.

    Bei korrektem Vorgehen der Administrativbehörden erweist sich die vom
Verwaltungsgericht geäusserte Befürchtung, gegenüber suchtgefährdeten
Fahrzeuglenkern könnten nicht die im Interesse der Verkehrssicherheit
gebotenen Massnahmen getroffen werden, als unbegründet. Die
bundesgerichtliche Praxis verlangt ja gerade, dass die Fahreignung mit
der nötigen Sorgfalt abgeklärt wird, damit im Blick auf die Sicherheit
im Strassenverkehr ein zuverlässiger Entscheid ergehen kann. Ist jedoch
auf Grund der Ermittlungen die Fahreignung zu bejahen, besteht kein Raum
mehr für Anordnungen im Interesse der Verkehrssicherheit. Als Sanktion
für die begangenen Verstösse gegen das Strassenverkehrsgesetz kommt
diesfalls einzig der Warnungsentzug in Frage. Im umgekehrten Fall ist ein
Sicherungsentzug anzuordnen. Lässt sich der Mangel mit geeigneten Auflagen
beheben, kann anstelle eines Entzugs der Führerausweis mit entsprechenden
Nebenbestimmungen versehen werden (Art. 10 Abs. 3 SVG; Art. 26 Abs. 2-4
VZV; vgl. auch BGE 104 Ib 179 E. 3a).