Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 II 169



130 II 169

16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung
i.S. X. gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

    5A.20/2003 vom 22. Januar 2004

Regeste

    Nichtigerklärung einer erleichterten Einbürgerung.  Einvernahme der
Ex-Ehefrau als Auskunftsperson (Art. 12 lit. c VwVG) oder als Zeugin
(Art. 14 VwVG, Art. 49 BZP); im vorliegenden Fall kein Teilnahmerecht
des früheren Ehemannes.

    Die Zeugeneinvernahme ist im Verwaltungsverfahren insbesondere im
Hinblick auf die strenge Strafsanktion wegen falschen Zeugnisses ein
subsidiäres Beweismittel (E. 2.3.3).

    Während im Zivilprozess die Zeugeneinvernahme (Art. 42 ff. BZP) die
Regel und der Einzug von Auskünften die Ausnahme bildet, verhält es sich
im Verwaltungsprozess umgekehrt, kommt doch die Zeugeneinvernahme nur zum
Zug, wenn der Sachverhalt auf andere Weise, beispielsweise durch Auskünfte
von Drittpersonen, nicht hinreichend abgeklärt werden kann (E. 2.3.4).

    In sinngemässer Anwendung der Grundsätze von Art. 18 VwVG sind auch
Einvernahmen von Auskunftspersonen grundsätzlich in Anwesenheit der
Parteien durchzuführen. Die Vorinstanz hat ihr Ermessen vorliegend nicht
missbraucht und das rechtliche Gehör nicht verletzt, wenn sie zur Wahrung
privater Interessen der Ex-Ehefrau den Ausschluss des Beschwerdeführers
von der Teilnahme an der Anhörung gebilligt hat (E. 2.3.5).

Sachverhalt

    X. (geb. 1969) reiste am 13.  September 1988 in die Schweiz ein und
stellte hier ein Asylgesuch. Während des Beschwerdeverfahrens vor der
schweizerischen Asylrekurskommission heiratete er am 25. August 1994
in Zürich die Schweizer Bürgerin Y. In der Folge erteilte ihm der Kanton
Zürich eine ordentliche Aufenthaltsbewilligung. Am 2. Oktober 1997 erhielt
X. durch erleichterte Einbürgerung nach Art. 27 des Bundesgesetzes vom
29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts
(BüG; SR 141.0) das Schweizer Bürgerrecht.

    Die Schweizer Ehefrau gelangte am 9. Dezember 1997 telefonisch
an das Bundesamt für Ausländerfragen (BFA) und teilte diesem mit, ihr
Ehemann habe sie seit langem betrogen und sie gezwungen, die Erklärung
bezüglich der ehelichen Gemeinschaft zu unterzeichnen. Sie werde einen
Anwalt aufsuchen und die Scheidung einreichen lassen. Am 31. Juli 1998
zog X. in die Niederlande.

    B.- Am 12. März 2001 forderte das BFA (heute: IMES, Bundesamt für
Zuwanderung, Integration und Auswanderung) X. auf, zu der am 26. Februar
1998 erfolgten Scheidung von der Schweizer Ehefrau Stellung zu nehmen. Er
bestritt in seiner Eingabe vom 2. Juli 2001 die Behauptungen der
Ex-Ehefrau.

    Daraufhin beauftragte das BFA am 23. Januar 2002 das kantonale Amt für
Gemeinden und berufliche Vorsorge, die Ex-Ehefrau gemäss Fragenkatalog zu
den näheren Umständen der ehelichen Gemeinschaft, der Unterzeichnung der
Erklärung über die eheliche Gemeinschaft sowie der Scheidung zu befragen.
Die Einvernahme durch die Stadtpolizei Zürich erfolgte am 4. März
2002. Dem Rechtsvertreter von X. wurde eine Kopie des Befragungsprotokolls
zugestellt. Mit Verfügung vom 19. September 2002 erklärte das BFA die
erleichterte Einbürgerung von X. vom 2. Oktober 1997 für nichtig.

    Gegen diese Verfügung reichte X. am 23. Oktober 2002 Beschwerde beim
Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) ein, welche am
18. Juli 2003 abgewiesen wurde.

    C.- Mit Eingabe vom 15. September 2003 führt
X. Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, den Entscheid des EJPD
vom 18. Juli 2003 aufzuheben; eventualiter sei das Verfahren an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

    D.- Das EJPD schliesst in seiner Vernehmlassung vom 19. Januar 2004
auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

    Das Bundesgericht weist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ab, soweit
es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.3  Der Beschwerdeführer macht ferner geltend, mit Bezug auf
die Befragung der Ex-Ehefrau vom 4. März 2002 sei sein Anspruch auf
rechtliches Gehör ein weiteres Mal verweigert worden. Diese hätte
in seiner Anwesenheit und zwar als Zeugin einvernommen und auf ihr
Zeugnisverweigerungsrecht hingewiesen werden müssen. Die in seiner
Abwesenheit erfolgte mündliche Auskunft der Ex-Ehefrau zu Protokoll sei
unzulässig gewesen.

    2.3.1  Dazu ist einleitend Folgendes festzuhalten: Das Bundesgericht
geht davon aus, dass eine eheliche Gemeinschaft im Sinne von Art. 27
BüG nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern das Vorliegen
einer tatsächlichen Lebensgemeinschaft voraussetzt. Eine solche
Gemeinschaft kann nur bejaht werden, wenn der gemeinsame Wille zu
einer stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist (BGE 128 II 97 E. 3a
S. 99 mit Hinweis). Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine
erleichterte Einbürgerung gegeben sind, kommen die Verwaltungsbehörden
also nicht umhin, die Ehe des oder der Eingebürgerten zu durchleuchten
und den gemeinsamen tatsächlich gelebten Ehewillen im massgeblichen
Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und der Einbürgerung abzuklären. Da
der Scheidungsrichter seit dem Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts
am 1. Januar 2000 seine Fragen an die Parteien in der Hauptsache darauf
ausrichtet, den Scheidungswillen (Art. 111 ff. ZGB) zu ergründen und die
Grundlagen für die Scheidungsfolgen (Art. 119 ff. ZGB) zu ermitteln,
sind genauere Abklärungen zum Scheitern der Ehe nicht mehr notwendig. Aus
diesem Grund und weil ein anderer Zeitpunkt massgebend ist, bieten die
Scheidungsprotokolle - wie auch bei der vorliegenden, noch nach altem Recht
geschiedenen Ehe - den Verwaltungsbehörden oftmals keine ausreichende
Beurteilungshilfe. Sie sind deshalb gezwungen, den Sachverhalt durch
Befragung der Betroffenen eigenständig zu klären.

    2.3.2  Die Vorinstanz führt aus, gemäss Art.  12 lit. a-e VwVG kämen
als Beweismittel für die Behörde nebst Urkunden, Auskünften der Parteien
und Augenschein insbesondere Auskünfte oder Zeugnis von Drittpersonen sowie
Gutachten von Sachverständigen in Betracht. Was die Form der einzelnen
Beweisvorkehren anbelange, sei für die hier interessierenden Auskünfte
von Drittpersonen festzuhalten (Art. 12 lit. c VwVG), dass diese gemäss
dem ergänzend anwendbaren Art. 49 BZP schriftlich zu erfolgen hätten und
unter Umständen der Bekräftigung durch gerichtliches Zeugnis bedürften
(vgl. BGE 117 V 282 E. 4b S. 284). Letzteres liege jedoch im freien
Ermessen des Richters bzw. der Verwaltung (vgl. Art. 49 zweiter Satz
BZP). Die Ex-Ehefrau sei als Privatperson vorgeladen worden, um über
ihre subjektiven Wahrnehmungen im Zusammenhang mit der seinerzeitigen
Eheschliessung, dem Eheverlauf, der Unterzeichnung der Erklärung betreffend
eheliche Gemeinschaft usw. Auskunft zu geben. Insbesondere im Verfahren
um Nichtigerklärung der erleichterten Einbürgerung müsse es der Vorinstanz
möglich sein, die Ex-Ehefrau in einem ungezwungenen Rahmen zu Wort kommen
zu lassen, was die Anwesenheit des Ex-Ehemannes in den meisten Fällen
aus nahe liegenden Gründen von vornherein ausschliesse.

    2.3.3  Der Beschwerdeführer beanstandet sinngemäss, dass die
Ex-Ehefrau nicht als Zeugin, insbesondere ohne Hinweis auf das
Zeugnisverweigerungsrecht einvernommen worden sei.

    Lässt sich ein Sachverhalt gemäss Art. 14 Abs. 1 VwVG auf andere
Weise nicht hinreichend abklären, so können die in dieser Bestimmung
ausdrücklich aufgeführten Behörden - darunter auch das EJPD - die
Einvernahme von Zeugen anordnen. Die bundesrätliche Botschaft führt dazu
aus, die Zeugeneinvernahme müsse im Verwaltungsverfahren insbesondere
im Hinblick auf die strenge Strafsanktion wegen falschen Zeugnisses als
subsidiäres Beweismittel betrachtet werden (BBl 1965 II 1366/67; so auch
PETER SALADIN, Das Verwaltungsverfahrensrecht des Bundes, S. 124) und
dürfe daher nur ausnahmsweise zur Anwendung kommen. Ein Ausnahmegrund
ist etwa dann gegeben, wenn es unerlässlich ist, von einer Drittperson
Auskünfte einzuholen und diese sich weigert zu erscheinen oder Auskunft
zu geben. Denn jedermann ist zur Ablegung des Zeugnisses verpflichtet
(Art. 15 VwVG). Im vorliegenden Fall war die Ex-Ehefrau bereit, die von
ihr verlangten Auskünfte zu erteilen. Insoweit liess sich der Sachverhalt
ohne Zeugeneinvernahme hinreichend klären. Der Beschwerdeführer legt nicht
dar, was für andere Gründe eine Zeugeneinvernahme geboten hätten. Unter
diesen Umständen durften die Verwaltungsbehörden auf eine Zeugeneinvernahme
verzichten. Damit geht aber die Rüge des unterbliebenen Hinweises auf das
Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 19 VwVG in Verbindung mit Art. 45 Abs. 2
BZP) ins Leere.

    2.3.4  Der Beschwerdeführer verweist auf Art. 49 BZP, wonach (nur)
ausnahmsweise von Privatpersonen schriftlich Auskunft eingezogen werden
darf. Er schliesst daraus, dass mündliche Auskünfte überhaupt nicht und
schriftliche nur ausnahmsweise eingeholt werden dürfen.

    Wohl verweist Art. 19 VwVG unter anderen auf die Art.  43-61 BZP;
doch gelangen diese Bestimmungen nur sinngemäss zur Anwendung. Während
im Zivilprozess die Zeugeneinvernahme (Art. 42 ff. BZP) die Regel
und der Einzug von Auskünften die Ausnahme bildet, verhält es sich im
Verwaltungsprozess umgekehrt, kommt doch die Zeugeneinvernahme nur zum Zug,
wenn der Sachverhalt auf andere Weise, beispielsweise durch Auskünfte von
Drittpersonen, nicht hinreichend abgeklärt werden kann. Dem in Art. 49
BZP aufgestellten Erfordernis der Schriftlichkeit ist im vorliegenden
Fall ohne weiteres Genüge getan, weil die Behörde einen schriftlichen
Fragenkatalog aufgestellt hat und die Auskunftsperson die Antworten
mündlich zu Protokoll gegeben und das Protokoll unterzeichnet hat.

    2.3.5  Die Verwertung von Auskünften im Sinne von Art. 12
lit. c VwVG setzt selbstverständlich die Gewährung des Anspruchs auf
rechtliches Gehör voraus. Dieser ist vorliegend insoweit erfüllt, als
dem Beschwerdeführer das Protokoll zur Stellungnahme unterbreitet worden
ist. Bei der Zeugeneinvernahme konkretisiert sich der Gehörsanspruch
zudem im grundsätzlichen Recht der Parteien zur Teilnahme an der
Einvernahme (Art. 18 VwVG). Art. 12 VwVG sieht demgegenüber solches
für die dort erwähnten Beweismittel - darunter die Auskünfte Dritter
- an sich nicht vor. Das EJPD macht sich im angefochtenen Entscheid
allerdings mit Recht die vom EVG im Zusammenhang mit der Einvernahme
von Sachverständigen entwickelte Praxis zu eigen. Danach sind - in
sinngemässer Anwendung der Grundsätze von Art. 18 VwVG und der zur
Teilnahme am Augenschein ergangenen Rechtsprechung (BGE 116 Ia 94 E. 3b
S. 100) - Einvernahmen von Auskunftspersonen grundsätzlich in Anwesenheit
der Parteien durchzuführen (BGE 119 V 208 E. 5c S. 217; 117 V 282 E. 4c
S. 285; VPB 66/2002 Nr. 30 S. 305; GERMANN, Zum Beweis im Verwaltungs-
und Verwaltungsstreitverfahren, in: 20 Jahre Verwaltungsgericht des
Kantons St. Gallen, S. 53; ALBERTINI, Der verfassungsmässige Anspruch
auf rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren des modernen Staates,
Diss. Bern 2000, S. 354/355). Der Behörde steht bei der Beurteilung der
Frage, ob hinreichende Gründe bestehen, um die Parteien ausnahmsweise von
der Anhörung der Auskunftsperson auszuschliessen, ein Ermessensspielraum
zu. Sie kann sich zwar an den in Art. 18 Abs. 2 VwVG bei Zeugeneinvernahmen
vorgesehenen Verweigerungsgründen (Wahrung wesentlicher öffentlicher oder
privater Interessen) orientieren, verfügt aber über ein weitergehendes
Ermessen als die gesetzliche Ordnung bei Zeugeneinvernahmen zulässt. Der
blosse Hinweis im vorinstanzlichen Entscheid, es sei nützlich, die
Ex-Ehefrau in einem ungezwungenen Rahmen zu Wort kommen zu lassen,
vermag bei einem Verfahren um Entzug des Schweizer Bürgerrechts als
Begründung aber nicht zu genügen. Gemäss dem Bericht der Stadtpolizei
Zürich vom 22. Februar 2002 bzw. 4. März 2002 steht allerdings fest, dass
am 16. Januar 1998 die Stadtpolizei wegen eines Ehestreits am damaligen
Wohnort des Ehepaares hat ausrücken müssen. Anfänglich habe die Ex-Ehefrau
wegen Körperverletzung und Drohung geklagt, aber später die Anzeige wieder
zurückgezogen. Kurze Zeit später soll die Ex-Ehefrau vom Beschwerdeführer
massiv geschlagen und bedroht worden sein, wobei diesbezüglich keine
Polizeiakten bestehen. Der Beschwerdeführer habe genau gewusst, was er
wollte, und seine Forderungen seien mit massivsten Drohungen durchgesetzt
worden. So habe er eine Faustfeuerwaffe an die Schläfe der Ex-Ehefrau
gesetzt, damit sie Formulare unterzeichne, oder er habe ihr gedroht,
sie zu erschiessen, falls sie vor dem Friedensrichter nicht in seinem
Sinn aussage. Auch im Zusammenhang mit dem Rückzug des Strafantrags habe
er ihr gesagt, sie komme andernfalls nicht lebend aus der Wohnung. Diese
und ähnliche Aussagen der Ex-Ehefrau veranlassten die Stadtpolizei Zürich,
bei der Zustellung des Protokolls den neuen Namen der Ex-Ehefrau und ihre
Wohnadresse abzudecken. Auch wenn diese Aussagen der Ex-Ehefrau naturgemäss
nicht belegt sind, bestanden hinreichende Gründe, um den Beschwerdeführer
von der Einvernahme auszuschliessen, um einerseits eine ordnungsgemässe
Anhörung zu gewährleisten und andererseits die Ex-Ehefrau vor oder nach
der Anhörung nicht in Gefahr zu bringen.

    Die Vorinstanz hat nach dem Gesagten ihr Ermessen nicht missbraucht,
wenn sie statt einer formellen Zeugeneinvernahme eine formlose Einholung
einer Auskunft von der Ex-Ehefrau angeordnet und dabei den Ausschluss des
Beschwerdeführers von der Teilnahme an der Anhörung zugelassen hat. Mit der
Einsicht in das Einvernahmeprotokoll und der Möglichkeit dazu Stellung zu
nehmen, ist das rechtliche Gehör gegenüber dem Beschwerdeführer gewahrt
worden.