Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 97



130 III 97

14. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. A. Trust Ltd. gegen
Einwohnergemeinde Z. sowie Obergericht des Kantons Schaffhausen
(staatsrechtliche Beschwerde)

    5P.302/2003 vom 23. Dezember 2003

Regeste

    Art. 593 ff. ZGB; amtliche Liquidation einer Erbschaft.

    Ein amtlicher Erbschaftsliquidator ist in eigenem Namen zur
Prozessführung befugt (E. 2).

    Die amtliche Liquidation ist ein privatrechtliches Institut. Mangels
hoheitlicher Gewalt ist ein Erbschaftsliquidator nicht zum Erlass von
Verfügungen berechtigt (E. 3).

Sachverhalt

    A.- Am 23. Mai 1995 verstarb B., heimatberechtigt in der
Einwohnergemeinde Z. Auf Gesuch der gesetzlichen Erbinnen ordnete die
Erbschaftsbehörde Z. die amtliche Liquidation des Nachlasses im Sinne
von Art. 593 ff. ZGB an und ernannte C. sowie D. gemeinsam zu amtlichen
Liquidatoren. Die beiden Erbschaftsliquidatoren erliessen daraufhin
am 30. November 1998 eine Verfügung, wonach die A. Trust Ltd., unter
Androhung von Straffolge, zur Vorlage von Unterlagen und Erteilung von
Auskünften verpflichtet wurde. Gegen diese Verfügung erhob die A. Trust
Ltd. Beschwerde an die Erbschaftsbehörde Z., welche diese mit Entscheid
vom 11. Februar 2000 abwies.

    B.- Dagegen gelangte die A. Trust Ltd.  an das Finanzdepartement
des Kantons Schaffhausen. Mit Verfügung vom 21. Februar 2001 hiess das
Volkswirtschaftsdepartement - an welches die Zuständigkeit inzwischen
übergegangen war - die Beschwerde gut. Es erwog im Wesentlichen, die
Erbschaftsliquidatoren würden lediglich ein privates Amt ausüben, so
dass sie nicht ermächtigt seien, öffentlich-rechtliche Verfügungen zu
erlassen; Streitigkeiten in Bezug auf die Auskunftspflicht würden damit
den ordentlichen Gerichten zur Beurteilung vorbehalten.

    Hiergegen erhoben die amtlichen Liquidatoren Beschwerde an das
Obergericht des Kantons Schaffhausen. Dieses hiess die Beschwerde mit
Entscheid vom 13. Juni 2003 gut und hob die vorinstanzliche Verfügung
vom 21. Februar 2001 auf. Dabei hielt es unter anderem fest, Partei im
Beschwerdeverfahren seien nicht die amtlichen Liquidatoren, sondern die
Einwohnergemeinde Z.

    C.- Die A. Trust Ltd. gelangt mit staatsrechtlicher Beschwerde an das
Bundesgericht. Sie beantragt die Aufhebung des Entscheids des Obergerichts
vom 13. Juni 2003.

    Mit Verfügung vom 9. September 2003 gewährte der Präsident der
II. Zivilabteilung der Beschwerde die aufschiebende Wirkung.

    Die Beschwerdegegnerin beantragt in ihrer Vernehmlassung, auf die
Beschwerde nicht einzutreten, eventualiter sie abzuweisen. Das Obergericht
schliesst in seinen Gegenbemerkungen auf Abweisung der Beschwerde.

    Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Das Obergericht hat zunächst eine "Berichtigung" der
Parteibezeichnung im Rubrum seines Entscheides vorgenommen. Es ist - mit
einer vornehmlich auf kantonales Verwaltungsverfahrensrecht gestützten
Begründung - zum Schluss gelangt, Partei im Beschwerdeverfahren
sei die Einwohnergemeinde und nicht die amtlichen Liquidatoren. Die
prozessualen Handlungen der Erbschaftsliquidatoren seien im Interesse der
Einwohnergemeinde vorgenommen worden und daher dieser zuzurechnen. Die
Beschwerdeführerin rügt diesen vom Obergericht verfügten "Parteiwechsel"
als willkürlich.

    2.1  Das Institut der amtlichen Liquidation nach Art. 593 ff. ZGB,
die Stellung des Erbschaftsliquidators, seine Rechte und Pflichten,
einschliesslich seiner Befugnis zur Prozessführung, werden abschliessend
durch das Bundeszivilrecht geregelt; dem kantonalen Recht vorbehalten
bleibt nur die Behördenorganisation und das Verfahren (MARTIN
KARRER, Basler Kommentar, N. 8 zu Vorbem. Art. 593-597 ZGB). Davon
abweichende kantonale Bestimmungen verletzen die derogatorische Kraft
des Bundesrechts (zum Institut des Willensvollstreckers: BGE 94 II 141
E. 2 S. 144). Soweit sich das Obergericht zur Frage der Parteistellung
der Erbschaftsliquidatoren auf kantonales Recht gestützt hat, sind seine
Erwägungen daher von vornherein unbeachtlich.

    2.2  Der Erbschaftsliquidator hat die Aufgabe, den Nachlass zu
verwalten und zu liquidieren. Nach Art. 596 Abs. 1 ZGB sind zum Zwecke
der Liquidation die laufenden Geschäfte des Erblassers zu beendigen,
seine Verpflichtungen zu erfüllen, seine Forderungen einzuziehen, die
Vermächtnisse nach Möglichkeit auszurichten, die Rechte und Pflichten des
Erblassers, soweit nötig, gerichtlich festzustellen und sein Vermögen
zu versilbern. Die amtliche Liquidation dient somit vornehmlich den
Interessen der Erbschaftsgläubiger und der Erben (TUOR/PICENONI, Berner
Kommentar, N. 2 der Vorbem. zum Art. 593 ff. ZGB; FRIEDRICH DÜRING, Die
amtliche Liquidation der Erbschaft, Diss. Bern 1926, S. 1). Der Auffassung
des Obergerichts, die Liquidatoren würden öffentliche Interessen des
Gemeinwesens wahren, insbesondere jene der Heimatgemeinde des Erblassers,
kann nicht gefolgt werden.

    2.3  Der Erbschaftsliquidator hat den Nachlass aus eigenem Recht und
in eigenem Namen zu vertreten und zu liquidieren (MARTIN KARRER, aaO,
N. 11 zu Vorbem. Art. 593-597 ZGB; THOMAS HUX, Die Anwendbarkeit des
Auftragsrechts auf die Willensvollstreckung, die Erbschaftsverwaltung,
die Erbschaftsliquidation und die Erbenvertretung, Diss. Zürich 1985,
S. 164). Er ist im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben zur Prozessführung
befugt. Prozesse führt er selbstständig, in eigenem Namen und ohne
Zustimmung der Erben oder der Behörde (BGE 54 II 197 E. 1 S. 200;
79 II 113 E. 4 S. 116). Insbesondere handelt er im Prozess nicht
als Stellvertreter der Erbschaftsbehörde bzw. des Gemeinwesens. Daran
ändert im hier strittigen Fall auch die Prozessvollmacht nichts, welche
die Beschwerdegegnerin (Einwohnergemeinde) den amtlichen Liquidatoren
nachträglich (offensichtlich auf Verlangen des Obergerichts) ausgestellt
hat. Unbehelflich ist zudem der Verweis des Obergerichts auf BGE 113
II 113 E. 1 S. 115: Wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführt, ist
die prozessuale Stellung einer Vormundschaftsbehörde in keiner Weise mit
derjenigen eines Erbschaftsliquidators vergleichbar. Die Schlussfolgerung
des Obergerichts, die Erbschaftsliquidatoren seien nicht befugt, in eigenem
Namen Beschwerde zu führen, sondern würden die Erbschaftsbehörde resp. das
Gemeinwesen vertreten, erweist sich als offensichtlich falsch. Der verfügte
Parteiwechsel - von einer reinen Berichtigung des Rubrums kann nicht die
Rede sein - stellt einen krassen Verstoss gegen Bundesrecht dar.

Erwägung 3

    3.  Mit der Frage der Parteistellung verbunden ist die Frage nach
der Befugnis zum Erlass von Verfügungen. Strittig im obergerichtlichen
Verfahren war insbesondere, ob die Erbschaftsliquidatoren ihren
erbrechtlichen Auskunftsanspruch mittels öffentlich-rechtlicher Verfügung
durchsetzen können oder auf zivilrechtliche Behelfe zu verweisen sind. Das
Obergericht ist zum Schluss gelangt, der Liquidator würde "als zum Erlass
von Verfügungen ermächtigter Träger der öffentlichen Gewalt" handeln,
und hat dementsprechend die von den Erbschaftsliquidatoren erlassene
Verfügung geschützt. Die Beschwerdeführerin bestreitet dagegen sinngemäss
deren Verfügungskompetenz.

    3.1  Nach einhelliger Lehre gilt die amtliche Liquidation als
privatrechtliches Institut. Obwohl der Erbschaftsliquidator von der
Behörde ernannt wird und unter ihrer Aufsicht steht (Art. 595 Abs. 1 und
3 ZGB), bekleidet er ein privatrechtliches und nicht ein staatliches Amt
(ESCHER/ESCHER, Zürcher Kommentar, N. 21 zu Art. 595 ZGB; MARTIN KARRER,
aaO, N. 10 zu Vorbem. Art. 593-597 ZGB; PAUL PIOTET, in: Schweizerisches
Privatrecht, Bd. IV/2, 1981, S. 826; JEAN NICOLAS DRUEY, Grundriss des
Erbrechts, 2002, § 14 N. 47; FRIEDRICH DÜRING, aaO, S. 45; THOMAS HUX,
aaO, S. 164; BRUNO DERRER, Die Aufsicht der zuständigen Behörde über den
Willensvollstrecker und den Erbschaftsliquidator, Diss. Zürich 1985,
S. 40; CAROLINE SCHULER-BUCHE, L'exécuteur testamentaire, l'administrateur
officiel et le liquidateur officiel, Diss. Lausanne 2003, S. 49). So ist
er insbesondere zur Übernahme des Amtes nicht verpflichtet und kann dieses
auch wieder niederlegen (TUOR/PICENONI, aaO, N. 4a und 11 zu Art. 595
ZGB; ESCHER/ESCHER, aaO, N. 14 und 19 zu Art. 595 ZGB). Zudem haftet der
Staat - abweichendes kantonales Recht vorbehalten - grundsätzlich nicht
für die Handlungen des Erbschaftsliquidators (BGE 47 II 38 E. 4 S. 42;
TUOR/PICENONI, aaO, N. 12 zu Art. 595 ZGB; PAUL PIOTET, aaO, S. 826).

    3.2  Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die
Erbschaftsliquidatoren mangels hoheitlicher Gewalt nicht befugt sind,
ihren Auskunftsanspruch gegenüber der Beschwerdeführerin mittels einer
Verfügung durchzusetzen. Der Umstand, dass die Erbschaftsliquidatoren
überhaupt nicht Träger hoheitlicher Gewalt sind, stellt mithin einen
Nichtigkeitsgrund dar (MAX IMBODEN, Der nichtige Staatsakt, 1944,
S. 106; RHINOW/KRÄHENMANN, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung,
Ergänzungsband, 1990, Nr. 40 B/V/a; KÖLZ/HÄNER, Verwaltungsverfahren
und Verwaltungsrechtspflege des Bundes, 1998, N. 232, mit Hinweis auf
die Rechtsprechung). Die von ihnen erlassene Verfügung vom 30. November
1998 ist dementsprechend absolut nichtig. Somit erweist sich die von der
Beschwerdeführerin diesbezüglich erhobene Willkürrüge als berechtigt.

    3.3  Es ist unstreitig, dass dem Erbschaftsliquidator im Rahmen
seiner Aufgaben ein Auskunftsanspruch zusteht (MARTIN KARRER, aaO,
N. 18 zu Art. 595 ZGB; PAUL PIOTET, aaO, S. 826; ANDREAS SCHRÖDER,
Informationspflichten im Erbrecht, Diss. Basel 1999, S. 190). Die Frage, ob
und inwieweit ein Dritter gegenüber den Liquidatoren Auskunft zu erteilen
hat, ist jedoch eine Frage des materiellen Bundesrechts. Über solche
entscheidet der Richter und nicht die Aufsichtsbehörde (TUOR/PICENONI,
aaO, N. 11 zu Art. 595 ZGB; MARTIN KARRER, aaO, N. 3 und 22 zu Art. 595
ZGB; JEAN NICOLAS DRUEY, aaO, § 14 N. 50). Die Erbschaftsliquidatoren
haben ihren Anspruch auf Information folglich mit einer entsprechenden
Klage gegen die Beschwerdeführerin vor dem Zivilrichter durchzusetzen
(ANDREAS SCHRÖDER, aaO, S. 259).