Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 714



130 III 714

96. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. Blau Guggenheim
gegen British Broadcasting Corporation BBC (Berufung)

    4C.111/2002 vom 19. April 2004

Regeste

    Urheberrechtliche Werkqualität einer Fotografie (Art. 2 URG).

    Verneinung des Urheberrechtsschutzes wegen Fehlens des individuellen
Charakters (E. 2).

Sachverhalt

    Am 8. Januar 1997 nahm der als Wachmann arbeitende Christoph Meili im
Schredderraum der heutigen UBS am Sitz der Bank in Zürich verschiedene
Akten an sich, unter anderem zwei Folianten mit den Aufschriften
"Directions-Protokoll No XIII" und "Protokoll des Bankdirectoriums". Dieser
Vorfall wurde in der Folge im Zusammenhang mit der zu jener Zeit aktuellen
Diskussion über die seit dem Zweiten Weltkrieg nachrichtenlosen Bankkonten
in der Presse bekannt gemacht.

    Die Journalistin Gisela Blau Guggenheim traf sich am 13. Januar 1997
mit Christoph Meili und veranlasste ihn, sich zusammen mit den beiden
Folianten fotografieren zu lassen. Die Schwarzweissfotografie zeigt
Christoph Meili von vorne, direkt in die Kamera blickend, wobei er die
beiden Folianten je mit einer Hand so vor den Körper hält, dass deren
Deckel mit den Aufschriften gut sichtbar sind.

    Diese Fotografie verwendete die British Broadcasting Corporation
in ihrem Film "Nazi Gold", ohne vorher die Erlaubnis von Gisela Blau
Guggenheim erhalten zu haben. Der Film wurde in verschiedenen Ländern im
Fernsehen gezeigt, im Juli 1997 auch in der Schweiz.

    Gisela Blau Guggenheim erhob am 3. August 1998 beim Obergericht des
Kantons Zürich Klage gegen die in London ansässige British Broadcasting
Corporation. Die Klägerin stellte in der Klageschrift folgende Anträge:

    "1. Es sei die Beklagte zu verpflichten, darüber Auskunft zu erteilen,

         mit welchen Fernsehanstalten sie betreffend den Film "Nazi Gold",

         der in den ersten zehn Minuten Spielzeit die Photographie

         der Klägerin von Christoph Meili einspielt, Lizenzverträge

         abgeschlossen hat und an wen sie die Rechte verkauft hat.

      2. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin einen noch zu

         bestimmenden Betrag Lizenz- und Verletzergebühren zu bezahlen.

      3. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin CHF 3'000.-

         Genugtuung zu bezahlen."

    In der Replikschrift vom 29. September 2001 änderte die Klägerin ihre
Rechtsbegehren. Sie verlangte nun:

    "1. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Fr. 16'200.-
nebst

         Zins zu 5 % zu bezahlen.

      2. Es sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Genugtuung

      von

         Fr. 3'000.- zu bezahlen nebst Zins zu 5 %."

    Das Obergericht des Kantons Zürich entschied mit Beschluss vom 19.
November 2001, auf das Klagebegehren, die Beklagte sei zu verpflichten,
der Klägerin Fr. 3'000.- Genugtuung zu bezahlen, werde nicht eingetreten,
und mit Urteil vom gleichen Tag (auszugsweise publ. in: sic! 2/2002 S. 96
ff. und Medialex 2002 S. 47 f.), die Klage werde abgewiesen, soweit auf
sie eingetreten werden könne. Der Beschluss wurde vom Obergericht damit
begründet, dass der von der Klägerin behauptete Genugtuungsanspruch nicht
auf dem Urheberrecht basiere, sondern seine Grundlage in den Bestimmungen
von Art. 28 ff. ZGB habe, weshalb das Obergericht sachlich nicht zuständig
sei. Die Forderung der Klägerin wegen Verletzung ihres Urheberrechts wies
das Obergericht mit der Begründung ab, die von der Klägerin von Christoph
Meili aufgenommene Fotografie sei urheberrechtlich nicht geschützt. Die
Entscheide erfolgten gegenüber der Beklagten im Säumnisverfahren, nachdem
dieser die Gerichtsurkunden trotz wiederholter Versuche nicht hatten
zugestellt werden können.

    Mit Berufung vom 5. Januar 2002 beantragte die Klägerin dem
Bundesgericht, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom
19. November 2001 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Fr. 16'200.-
nebst 5 % Zins zu verpflichten.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Das Obergericht hat der von der Klägerin aufgenommenen Fotografie
die urheberrechtliche Werkqualität mit der Begründung abgesprochen,
es fehle ihr hinsichtlich des Einsatzes fototechnischer Mittel jegliche
Besonderheit. Der Bildausschnitt und der Bildwinkel ergäben ein frontales
Porträt in einer Grösse, bei der das Gesicht von Meili und die beiden
von ihm vorgezeigten Folianten den Mittelpunkt bildeten und die Titel der
beiden Folianten in der Originalaufnahme problemlos lesbar seien. Diese
Bildelemente würde jedermann so wählen, der zeigen wolle, dass Meili im
Besitz der fraglichen Dokumente gewesen sei. Alle anderen fototechnischen
Mittel seien banal und entsprächen dem, was eine einfache Kamera
automatisch gewählt hätte. Auch die Art, wie Meili die beiden Folianten
vorzeige, nämlich mit den Titelseiten frontal gegen die Kamera, sei nahe
liegend und entspreche dem, was jedermann anordnen würde. Schliesslich sei
die Beleuchtung eine Blitzlichtbeleuchtung, wie sie bei jeder einfachen
Kamera von einer eingebauten Leuchte geliefert werde. Einmalig sei
die Aufnahme nur wegen ihres Objekts. Dieses dokumentiere einen höchst
ungewöhnlichen Vorfall, der damals weltweit Aufsehen erregt habe.

    Die Klägerin wirft dem Obergericht eine Verletzung von Art. 2 des
Urheberrechtsgesetzes vom 9. Oktober 1992 (URG; SR 231.1) vor, weil es
der Fotografie zu Unrecht die Werkqualität abgesprochen habe. Sie macht
geltend, entgegen der Auffassung des Obergerichts fehle der Fotografie
weder der geistige Charakter noch die ausreichende Individualität.

    2.1  Gemäss Art. 2 URG sind Werke geistige Schöpfungen der Literatur
und Kunst, die individuellen Charakter haben, wobei es auf deren Wert
und Zweck nicht ankommt (Abs. 1). Zu diesen Werken gehören nach dem
Gesetz insbesondere auch fotografische, filmische und andere visuelle
oder audiovisuelle Werke (Abs. 2 lit. g).

    Das Bundesgericht hat sich in BGE 130 III 168, der ebenfalls die
Frage des Urheberrechtsschutzes einer Fotografie betraf, insbesondere zum
Werkmerkmal des individuellen Charakters geäussert. Dort (E. 4.4) wurde
festgehalten, dass die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, soweit
sie auch nach dem Inkrafttreten des revidierten Urheberrechtsgesetzes die
Begriffe der Originalität und der Individualität synonym verwendet hatte
(vgl. BGE 125 III 328 E. 4b S. 331), dahingehend zu präzisieren sei,
dass das Urheberrechtsgesetz den Schutz gemäss der Legaldefinition vom
individuellen Charakter des Werkes abhängig mache. Originalität im Sinne
einer persönlichen Prägung durch den Urheber oder die Urheberin ist nach
dem revidierten Gesetz nicht erforderlich. Vorausgesetzt wird, dass der
individuelle Charakter im Werk selbst zum Ausdruck kommt. Massgebend ist
die Werk-Individualität und nicht die Urheber-Individualität.

    In diesem Entscheid hat sich das Bundesgericht in Erwägung 4.5
der in der schweizerischen Lehre mehrheitlich vertretenen Meinung
angeschlossen, dass die Möglichkeit, der Fotografie individuellen
Charakter zu verleihen, in deren Gestaltung zu sehen ist, zum Beispiel
durch die Wahl des abgebildeten Objekts, des Bildausschnitts und des
Zeitpunkts des Auslösens, durch den Einsatz eines bestimmten Objektivs,
von Filtern oder eines besonderen Films, durch die Einstellung von
Schärfe und Belichtung sowie durch die Bearbeitung des Negativs. Diese
Aufzählung ist jedoch nicht abschliessend und auch nicht so zu verstehen,
dass vor allem entscheidend ist, welche fototechnischen Mittel zur
Gestaltung der Fotografie eingesetzt worden sind. Massgebend ist
vielmehr das erzielte Ergebnis, das für sich allein der Anforderung
gerecht werden muss, Ausdruck einer Gedankenäusserung mit individuellem
Charakter zu sein. Auf dieser rechtlichen Grundlage aufbauend versteht
sich im Übrigen von selbst, dass auch dokumentarische Pressefotografien
nicht grundsätzlich vom Urheberrechtsschutz ausgenommen werden dürfen,
wie in der Literatur zutreffend hervorgehoben wird (VON BÜREN, in:
Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. II/1, Basel
1995, S. 110 Fn. 233; HUG KETTMEIR, Urheberrecht an der Fotografie nach
schweizerischem Recht, UFITA 136/1998 S. 151 ff., 159 Fn. 27).

    2.2  Die Klägerin hält dem Obergericht entgegen, es stelle zu
Unrecht zu sehr auf die technische Gestaltung ab und lasse andere
Elemente vollkommen unberücksichtigt. Sie habe gestalterisch Meili
mit den Ordnern so in Szene gesetzt, dass er den Zweck der Fotografie
erfülle. Sie habe unbestreitbar die aktuelle Bedeutung von Meili in seiner
Zeit erkannt. Deshalb habe sie ihn auch fotografiert, was ebenfalls eine
geistige Tätigkeit darstelle. Sie habe den Zeitfaktor genutzt, der in
der Fotografie so wichtig sei. Sie habe zur richtigen Zeit das richtige
Bild gemacht.

    Das Obergericht hat demgegenüber zu Recht festgehalten, dass das mit
der Fotografie abgebildete Objekt für sich allein weder das Merkmal der
Individualität noch das Merkmal der geistigen Schöpfung zu erfüllen vermag.
Der Umstand, dass die Klägerin "zur richtigen Zeit am richtigen Ort" war,
um Christoph Meili zusammen mit den Folianten zu fotografieren, führt
nicht automatisch zum Urheberrechtsschutz für ihre Fotografie. Darin mag
eine journalistisch wertvolle Leistung liegen, die jedoch als solche
für die Zuerkennung urheberrechtlichen Schutzes nicht ausreicht. Die
Werkqualität ist hinsichtlich des Merkmals der Individualität unabhängig
von der Entstehungsgeschichte, also auch vom getätigten materiellen
oder geistigen Aufwand zur Herstellung der Fotografie zu beurteilen
(Botschaft des Bundesrates vom 19. Juni 1989 zum Urheberrechtsgesetz
vom 9. Oktober 1992; BBl 1989 III 477 ff., 521; BGE 130 III 168 E. 5.1;
vgl. zu dieser Frage MAX KUMMER, Das urheberrechtlich schützbare Werk,
Bern 1968, S. 209 f., der erfolglos eine urheberrechtliche Sonderreglung
für die Fotografie gefordert hat).

    Die Umstände der Entstehung der Fotografie können indessen Aufschluss
über die Frage geben, ob das Merkmal der geistigen Schöpfung erfüllt
ist. So ist Christoph Meili im vorliegenden Fall nicht zufällig, sondern
mit der erkennbaren Absicht in der dargestellten Pose fotografiert
worden, den Vorfall vom 8. Januar 1997 zu dokumentieren. Die Erzeugung
und Gestaltung der Fotografie beruht zweifellos auf menschlichem Willen
und diese ist auch Ausdruck einer Gedankenäusserung. Das Obergericht
hat dies jedoch nicht verkannt, wie sich aus dem besonderen Teil seiner
Urteilsbegründung ableiten lässt. Die Berufung erweist sich somit als
unbegründet, soweit die Klägerin rügt, das Obergericht habe den Begriff
der geistigen Schöpfung im Sinne von Art. 2 URG falsch verstanden.

    2.3  Die Klägerin wendet sich mit der Berufung speziell gegen die
Begründung, mit welcher das Obergericht den individuellen Charakter
verneint hat (vgl. deren wörtliche Wiedergabe oben E. 2). Sie geht
indessen im zugehörigen Teil der Berufungsschrift gar nicht auf diese
Begründung ein, sondern bringt zur Hauptsache die gleichen Einwände vor,
die bereits in der vorangehenden Erwägung verworfen worden sind. So weist
sie darauf hin, dass sie einen Fototermin mit Meili arrangieren konnte,
wobei es langer Gespräche bedurft habe, bis dieser Vertrauen gefasst
habe und bereit gewesen sei, auch noch die Folianten zu beschaffen;
und dass sie Meili sich so habe hinstellen lassen, dass die Schrift auf
den Deckeln der Folianten gut zu lesen war und das Ganze als Beweisstück
dienen konnte. Die Klägerin wiederholt sodann, dass ihre Leistung darin
bestand, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, das heisst die
historische Bedeutung des Vorfalls vom 8. Januar 1997 zu erkennen und
mit der Fotografie zu dokumentieren.

    Wenn sie in diesem Zusammenhang vorbringt, in der neueren
schweizerischen Lehre werde zu Recht der individuelle Charakter
bereits dann bejaht, wenn ein einmaliges Motiv fotografiert worden
sei, trifft dies - jedenfalls für die Mehrheit der Autorinnen und
Autoren - nicht zu. So weist der von ihr zitierte ALOIS TROLLER gerade
darauf hin, dass die statistische Einmaligkeit der Bildgestaltung
und nicht jene des Vorhandenseins eines Ereignisses oder einer Sache
(z.B. Momentaufnahme eines gesellschaftlichen Ereignisses) entscheidend
sei (Immaterialgüterrecht, Bd. I, 3. Aufl., Basel 1983, S. 387). Andere
Autoren, auf die sich die Klägerin ebenfalls beruft, erwähnen die
Möglichkeit, der Fotografie insbesondere durch die Wahl oder Auswahl des
abgebildeten Objekts individuellen Charakter zu verleihen (BARRELET/EGLOFF,
Das neue Urheberrecht, 2. Aufl., Bern 2000, N. 19 zu Art. 2 URG;
ACKERMANN/BURI, Der Fotografenvertrag als Konsumentengeschäft, in: recht
4/1998 S. 144 ff., 153; DESSEMONTET, Le droit d'auteur, Rz. 122 S. 78; HUG
KETTMEIR, aaO, S. 161 f.; die von der Klägerin zitierten Gerichtsurteile
[BGE 54 II 52 ff., 76 II 97; SJ 1964 S. 171 ff.] sind hinsichtlich der hier
interessierenden Rechtsfrage nicht einschlägig). Diese Meinung, der sich
das Bundesgericht in BGE 130 III 168 angeschlossen hat, bedeutet jedoch
nicht, dass der fotografischen Abbildung eines weltweit einmaligen Objekts
- zum Beispiel jener des letzten Exemplars einer aussterbenden Vogelart -
eo ipso urheberrechtlicher Schutz zukommen muss (so aber de lege ferenda
ELMAR HEIM, Die statistische Einmaligkeit im Urheberrecht de lege lata und
de lege ferenda, Diss. Freiburg 1971, S. 92 f.). Der Schutz hängt vielmehr
davon ab, dass die Wahl des Objekts als Gestaltungselement dazu verwendet
wird, der Fotografie individuellen Charakter zu verleihen, unabhängig
davon, ob das abgebildete Objekt als historisch einmalig angesehen
werden kann. Insoweit ist das angefochtene Urteil auch hinsichtlich
der Begründung nicht zu beanstanden. Es kann hier darauf verwiesen
werden. Die Klägerin hat den an sich bestehenden Gestaltungsspielraum
beim Fotografieren von Christoph Meili weder in fototechnischer noch in
konzeptioneller Hinsicht ausgenutzt, sondern die Fotografie so gestaltet,
dass sie sich vom allgemein Üblichen nicht abhebt. Es fehlt ihr deshalb
der individuelle Charakter im Sinne von Art. 2 URG.