Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 652



130 III 652

84. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer i.S. X.
(Beschwerde)

    7B.87/2004 vom 26. August 2004

Regeste

    Fortsetzungsbegehren (Art. 88 SchKG); Verarrestierung und Pfändung
eines Erbanteils des Schuldners (Art. 1, 6 und 12 der Verordnung über
die Pfändung und Verwertung von Anteilen an Gemeinschaftsvermögen;
Art. 609 ZGB).

    Die Pfändung gestützt auf ein zu früh einlangendes Fortsetzungsbegehren
ist nicht nichtig (E. 2.1).

    Der Erbanteil des Schuldners kann gepfändet werden, auch wenn
der Schuldner und die Miterben behaupten, die seit der Verarrestierung
durchgeführte Erbteilung habe für den Schuldner keinen Aktivwert ergeben.
Die Betreibungsbehörden können nicht darüber entscheiden, ob dem Schuldner
etwas aus der Erbteilung zustehe (E. 2.2 und 2.3).

Sachverhalt

    A.- Der Einzelrichter des Kantonsgerichts von Appenzell A.Rh. als
Arrestrichter befahl am 2. September 2003 dem Betreibungsamt Appenzeller
Vorderland, für den Gläubiger X. "sämtliche Erbansprüche von Y. [Schuldner]
gegenüber der Erbengemeinschaft Z. sel., verstorben am 14. Juli 2003
in A." zu verarrestieren (Arrestbefehl Nr. ...). Am 22. September 2003
vollzog das Betreibungsamt den Arrest wie befohlen (Arresturkunde vom
25. September 2003). Gegen den Zahlungsbefehl in der von X. eingeleiteten
(Arrestprosequierungs-)Betreibung Nr. ... erhob Y. (Teil-)Rechtsvorschlag
nur in Bezug auf die Zinsen der in Betreibung gesetzten Forderung von Fr.
50'000.-. Am 5. November 2003 stellte X. das Fortsetzungsbegehren. In
der Folge vollzog das Betreibungsamt am 16. Dezember 2003 die Pfändung,
indem es den Lohn von Y. pfändete, indessen keine pfändbare Lohnquote
feststellen konnte und einen provisorischen Verlustschein erliess
(Pfändungsurkunde vom 20. Januar 2004).

    B.- Gegen die Pfändungsurkunde vom 20. Januar 2004 erhob X. Beschwerde
und verlangte die Pfändung der Erbansprüche von Y. Mit Entscheid
vom 23. März 2004 hiess das Obergericht von Appenzell A.Rh. als
Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs die Beschwerde
teilweise gut; sie hob die angefochtene Pfändungsurkunde auf und wies das
Betreibungsamt an, eine neue Pfändungsurkunde "im Sinne der Erwägungen"
auszufertigen (Dispositiv-Ziffer 1).

    C.- X. hat den Beschluss der kantonalen Aufsichtsbehörde mit
Beschwerdeschrift vom 10. Mai 2004 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt,
der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und das Betreibungsamt sei
anzuweisen, die Erbansprüche von Y. zu pfänden.

    Die Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung auf
Gegenbemerkungen (Art. 80 OG) verzichtet. Der Betreibungsschuldner Y.
beantragt die Abweisung der Beschwerde. Zugleich stellt er das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege. Das Betreibungsamt hat auf eine Stellungnahme
verzichtet.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Die Aufsichtsbehörde hat festgehalten, es könne offen gelassen
werden, ob der Arrest überhaupt rechtzeitig mit Einleitung der Betreibung
gemäss Art. 279 Abs. 1 SchKG prosequiert worden sei, d.h. ob überhaupt
ein Arrestbeschlag bestehe. Das Begehren um Fortsetzung der Betreibung
nach Art. 279 Abs. 3 SchKG sei wohl verfrüht gestellt worden; dies habe
indessen keine Nichtigkeit der Pfändung zur Folge. Allerdings sei "der
Arrest ins Leere gefallen" und kein Pfändungssubstrat vorhanden. Dabei
hat die Aufsichtsbehörde auf den Erbteilungsvertrag vom 18. November 2003
verwiesen, welcher der Beschwerdegegner mit seinen Miterben abgeschlossen
hat. Daraus geht hervor, dass dem Beschwerdegegner ein Erbteil von
Fr. 13'976.- zugewiesen wird und die Miterbin W. für diese Forderung
Verrechnung mit einer Forderung aus einem Darlehen erklärt, so dass der
Beschwerdegegner aus der Erbteilung nichts erhält.

    Der Beschwerdeführer hält demgegenüber fest, dass er den Arrest mit
Betreibungsbegehren vom 2. Oktober 2003 rechtzeitig prosequiert habe und
das Betreibungsamt beim Pfändungsvollzug nicht auf den Erbvertrag hätte
abstellen dürfen. Er macht im Wesentlichen geltend, der Beschwerdegegner
habe zu Unrecht über den verarrestierten Liquidationsanspruch an
der Erbschaft verfügt und der Erbteilungsvertrag sei ohne Wirkung,
ebenso die Verrechnungserklärung der Miterbin. Von fehlendem pfändbarem
Arrestsubstrat und einer leeren Pfändung könne nicht gesprochen werden,
da dem Beschwerdegegner aus dem Erbvertrag Fr. 13'976.- zugeteilt würden
und ihm vermutlich noch mehr zustehe.

    2.1  Die Aufsichtsbehörde hat zunächst festgehalten, dass das
Betreibungsamt dem Fortsetzungsbegehren vom 5. November 2003 nicht hätte
Folge leisten dürfen, weil dieses frühestens am 14. November 2003 hätte
gestellt werden können. Sie hat indessen die Nichtigkeit der Pfändung,
auf welche sich der Beschwerdegegner berufen hatte, verneint. Diese
Auffassung ist nicht zu beanstanden. Eine Verletzung von Vorschriften
im Sinne von Art. 22 Abs. 1 SchKG steht nicht in Rede. Anders als im
Fall der Pfändung, die von einem örtlich unzuständigen Betreibungsamt
vorgenommen wird und daher nichtig ist (BGE 105 III 60 E. 1 S. 61; 91
III 47 E. 3 S. 49), können sich Dritte beim zuständigen Betreibungsamt
über das Bestehen einer Pfändung erkundigen. Wenn einem verfrühten
und daher fehlerhaften Fortsetzungsbegehren Folge geleistet wird,
können die Gläubiger Beschwerde führen (JENT-SØRENSEN, in: Kommentar
zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, N. 22 zu Art. 110
SchKG; vgl. ferner Art. 9 Abs. 3 der Verordnung über die im Betreibungs-
und Konkursverfahren zu verwendenden Formulare und Register sowie die
Rechnungsführung [SR 281.31] betreffend Begehren, die höchstens zwei Tage
zu früh einlangen). Der Hinweis des Beschwerdegegners, die Pfändung sei
nichtig, geht daher fehl.

    2.2  Nach den Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz (Art. 63
Abs. 2 i.V.m. Art. 81 OG) hat das Betreibungsamt den Erbanteil des
Beschwerdegegners am 22. September 2003 verarrestiert. Sodann haben der
Beschwerdegegner und seine Miterben mit Vertrag vom 18. November 2003
ihre Erbschaft offenbar geteilt. Zur Zeit des Arrestvollzuges hat also
die Erbengemeinschaft noch bestanden.

    2.2.1  Für die Verarrestierung des Erbanteils ist die Verordnung des
Bundesgerichts vom 17. Januar 1923 über die Pfändung und Verwertung von
Anteilen an Gemeinschaftsvermögen (VVAG; SR 281.41) massgebend (BGE 118 III
62 E. 2c S. 66). Wäre es zulässig, dass die Erben trotz Verarrestierung des
Erbanteils selbständig und auch für die Gläubiger des betriebenen Miterben
verbindlich teilen könnten, wären sie damit ohne weiteres in der Lage,
die Behörde gemäss Art. 609 ZGB auszuschalten und damit den Schutzzweck,
welcher deren Mitwirkung für die Gläubiger haben soll, zu vereiteln
(BISANG, Die Zwangsverwertung von Anteilen an Gesamthandschaften,
Diss. Zürich 1978, S. 135). Dies wollen Art. 6 und Art. 12 VVAG
verhüten. Nach der Rechtsprechung können denn auch weder der Schuldner
persönlich, noch an seiner Stelle das Betreibungsamt mit verbindlicher
Wirkung für die Gläubiger der Teilung zustimmen (BGE 61 III 160 S. 163
betreffend Erbteilung nach Verarrestierung des Erbanteils; BGE 71 III 99
E. 2 S. 103). Wollen die Erben schon vor dem Verwertungsstadium von sich
aus zur Teilung schreiten, so haben sie dies dem Betreibungsamt zu melden,
welches an die zuständige Behörde zu gelangen hat, damit diese mitwirke
(Urteil des Bundesgerichts vom 6. November 1947, E. 1, BlSchK 1948 S. 153).

    2.2.2  Im vorliegenden Fall hat die zuständige Behörde
unbestrittenermassen an der Erbteilung nicht mitgewirkt. Ist aber die
nach dem Arrest ohne Mitwirkung der Behörde vorgenommene Teilung für
die Gläubiger nicht bindend (vgl. TUOR/PICENONI, Berner Kommentar, N. 8
u. 14 zu Art. 609 ZGB), kann sie auch nicht bewirken, dass der Erbteil
aus dem Arrest fällt (BISANG, aaO). Bestreiten der Schuldner oder die
Miterben, dass dem Schuldner aus der nach dem Arrest vollzogenen Erbteilung
etwas zustehe, so bleibt nach der Rechtsprechung als Arrestsubstrat der
nun als bestritten geltende Liquidationsanteil (BGE 61 III 160 S. 162
f.; 87 III 106 E. 1 S. 108 betreffend Erbteilung nach Pfändung des
Erbanteils), m.a.W. der Erbanteil existiert als Arrestsubstrat weiter
und kann gepfändet werden (für das weitere Vorgehen vgl. BGE 61 III
95). Die Betreibungsbehörden sind nicht zuständig für die Beurteilung
materiell-rechtlicher Fragen und dürfen daher nicht über die Höhe eines
Anteils am Gemeinschaftsvermögen oder andere Einwendungen des Schuldners
oder beteiligter Drittpersonen entscheiden (BGE 61 III 160 S. 162; 87
III 106 E. 1 S. 108; 113 III 40 E. 3b S. 42). Der Beschwerdeführer rügt
daher zu Recht, dass sich die Aufsichtsbehörde darüber ausgesprochen hat,
ob dem Beschwerdegegner aus dem Erbteilungsvertrag etwas zustehe. Wenn
die Aufsichtsbehörde vor diesem Hintergrund zum Ergebnis gelangt
ist, es gebe kein Arrestsubstrat, das nach wirksamer Fortsetzung der
Arrestprosequierungsbetreibung mit Pfändung beschlagen werden könne,
und angenommen hat, es könne offen bleiben, ob ein Arrestbeschlag am
Erbanteil überhaupt bestehe, verletzt dies Bundesrecht.

    2.3  Nach dem Dargelegten erweist sich die rechtzeitige Einleitung
der Prosequierungsbetreibung, mithin das Bestehen des Arrestbeschlages
(Art. 280 SchKG; BGE 106 III 92 E. 2 S. 93) als rechtlich erhebliche
Tatsache, welche von der Aufsichtsbehörde zu Unrecht nicht von Amtes
wegen erhoben worden ist (vgl. Art. 20a Abs. 2 Ziff. 2 SchKG). Der
angefochtene Entscheid ist daher in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben,
und die Sache ist an die Vorinstanz zur Erhebung des rechtserheblichen
Sachverhaltes (Feststellung der Rechtzeitigkeit der Einleitung der
Prosequierungsbetreibung) und zu neuer Entscheidung zurückzuweisen
(Art. 64 Abs. 1 i.V.m. Art. 81 OG). Erweist sich die Einleitung
der Arrestprosequierungsbetreibung als rechtzeitig, besteht der
bestrittene Liquidationsanteil des Beschwerdegegners an der Erbschaft
als Arrestsubstrat, welcher mit Pfändung beschlagen werden kann.