Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 645



130 III 645

83. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung i.S. A. SA gegen B. GmbH
(Berufung)

    4C.32/2004 vom 10. Juni 2004

Regeste

    Art. 8 und 9 DesG, Art. 24 MMG; Schutzbereich des Designs bzw. Modells.

    Kriterien für die Beurteilung der Frage, ob eine Uhr das entsprechende
hinterlegte Modell bzw. Design verletzt (E. 3).

Sachverhalt

    An der Weltmesse für Uhren und Schmuck in Basel vom 29. April
bis 6. Mai 1999 bot die B. GmbH (die Beklagte) in einer Vitrine
am Stand der D. AG drei Armbanduhren an. Die A. SA (die Klägerin)
gelangte an das sog. Panel, ein von der Messe Basel für die Dauer der
Ausstellung eingesetztes Schiedsgericht, und machte geltend, mit diesen
Uhren würden ihre Rechte an den am 3. Januar 1995 bzw. 22. März 1996
bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) hinterlegten
internationalen Modellen DM/034 818 und DM/035 899 verletzt. Das Panel
stellte eine teilweise Verletzung der klägerischen Modelle fest und
empfahl, die Beklagte einen Revers unterzeichnen zu lassen sowie das
Feilhalten und Verkaufen der betreffenden Modelle zu verbieten. Am
3. Mai 1999 unterzeichnete E. als Vertreter der Beklagten die verlangte
Reverserklärung, mit der die Verpflichtung eingegangen wurde, während
der Dauer der Messe die bestrittenen Modelle weder feilzuhalten noch
zu verkaufen.

    Mit Klage vom 7. September 2000 gelangte die Klägerin ans Zivilgericht
Basel-Stadt und stellte folgende Rechtsbegehren:

    "1. Es sei festzustellen, dass die Beklagte durch das Feilhalten,

         Verkaufen und Bewerben dreier Armband-Uhrenmodelle gemäss

         Beilage 1 (ein quadratisches, ein rechteckiges und ein rundes

         Armband-Uhrenmodell, Ref. Nr. 5970 ACC und 5969 ACC, die

         Armbanduhren-Kollektion "C."  imitierend) an der Weltmesse für

         Uhren und Schmuck vom 29. April bis 6. Mai 1999 in Basel die

         Rechte der Klägerin aus den internationalen Modellen (WIPO)

         DM/034 818 (Hinterlegungsdatum: 3.  Januar 1995/quadratisches

         Armbanduhrenmodell) und (WIPO) DM/035 899 (Hinterlegungsdatum:

         22. März 1996 / rechteckiges und rundes Armbanduhrenmodell)

         verletzt und gegenüber der Klägerin unlauteren Wettbewerb

         begangen hat.

      2. Es sei der Beklagten unter Androhung der Ungehorsamsstrafe

      nach Art.

         292 StGB für den Fall der Zuwiderhandlung zu untersagen, die

         von ihr anlässlich der Weltmesse für Uhren und Schmuck vom

         29. April bis 6.  Mai 1999 feilgehaltenen drei Uhrenmodelle,

         wie unter Rechtsbegehren 1 hiervor beschrieben, herzustellen,

         feilzuhalten, zu verkaufen, in Verkehr zu bringen, in ihr

         Promotionsmaterial aufzuführen bzw. zu den erwähnten Handlungen

         anzustiften, bei ihnen mitzuwirken, ihre Begehung zu begünstigen

         oder zu erleichtern.

      3. Die Beklagte sei zur Zahlung von Fr. 40'000.- nebst 5 % Zins ab

         Klageinreichung an die Klägerin zu verurteilen, wobei

         Mehrforderungen ausdrücklich vorbehalten bleiben.

      4. Es sei die Beklagte unter Androhung der Ungehorsamsstrafe

      gemäss Art.

         292 StGB für den Fall der Zuwiderhandlung zu verurteilen,

        a) die Anzahl der von ihr hergestellten Uhren gemäss Rechtsbegehren

        1

           hiervor;

        b) die Herkunft der nicht von ihr selbst hergestellten Uhren gemäss

           Rechtsbegehren 1 hiervor;

        c) die Anzahl der von ihr verkauften Uhren gemäss Rechtsbegehren 1

           hiervor (unter Nennung der Käufer und der Preise);

        d) die Anzahl der Uhren gemäss Rechtsbegehren 1 hiervor, die

        sich noch

           im Lager befinden;

        e) die gesamte Anzahl der Uhren gemäss Rechtsbegehren 1 hiervor,

        die

           sich in ihrem Besitz befanden;

        f) die gesamte Korrespondenz, alle Bestell-, Liefer- und

           Konsignationsscheine etc. betreffend Uhrenmodelle gemäss

           Rechtsbegehren 1 hiervor;

         anzugeben/vorzulegen.

      5. Die Klägerin sei zu ermächtigen, das Urteil auf Kosten der

      Beklagten

         je zweimal in der Grösse je einer Viertelseite in den folgenden

         Publikationen zu veröffentlichen: Basler Zeitung; Neue Zürcher

         Zeitung; Bulletin de la Fédération Horlogère, Le Figaro; Wiener

         Zeitung; eventualiter seien Art und Umfang der Veröffentlichungen

         durch das Gericht festzulegen.

      6. Die ordentlichen und ausserordentlichen Kosten seien der Beklagten

         aufzuerlegen."

    Mit Urteil vom 11. September 2003 wies das Zivilgericht Basel-Stadt
die Rechtsbegehren gemäss Ziff. 2, 3, 4b und 5 ab und trat im Übrigen
auf die Klage nicht ein.

    Mit Berufung vom 19. Januar 2004 beantragt die Klägerin dem
Bundesgericht im Wesentlichen, das angefochtene Urteil sei aufzuheben
(Ziff. 1), der Beklagten seien künftige Verletzungen zu verbieten (Ziff. 2)
und sie sei zur Gewinnherausgabe (Ziff. 3), zur Auskunftserteilung
(Ziff. 4 lit. a-e) und zur Urteilspublikation zu verpflichten (Ziff. 5);
eventualiter sei das angefochtene Urteil zur Neuentscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen (Ziff. 6).

    Die Beklagte beantragt dem Bundesgericht, die Berufung abzuweisen. Das
Zivilgericht Basel-Stadt verzichtete auf eine Vernehmlassung.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab, soweit darauf einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Nach Art. 8 des Bundesgesetzes vom 5. Oktober 2001 über den Schutz
von Design (DesG; SR 232.12) erstreckt sich der Schutz des Designrechts auf
Designs, welche die gleichen wesentlichen Merkmale aufweisen und dadurch
den gleichen Gesamteindruck erwecken wie ein bereits eingetragenes Design.
Gemäss Art. 9 DesG verleiht das Designrecht dem Rechtsinhaber das Recht,
anderen zu verbieten, das Design zu gewerblichen Zwecken zu gebrauchen. Für
die Definition des Schutzbereichs des Designrechts ist der Gesamteindruck
massgebend, der namentlich durch die wesentlichen Merkmale bestimmt wird,
wie sie sich einem am Kauf interessierten Verbraucher präsentieren. Dabei
ist für die Beurteilung massgebend, wie der Kaufinteressent die in Frage
stehenden Gebrauchsgegenstände in kurzfristiger Erinnerung behält (BGE
129 III 545 E. 2 S. 548 ff. mit weiteren Hinweisen).

    Demgegenüber ist der Schutzumfang nach den Bestimmungen des
Bundesgesetzes vom 30. März 1900 betreffend die gewerblichen Muster
und Modelle (MMG; BS 2, 873) etwas enger gefasst. Nach Art. 24 Ziff. 1
MMG ist eine Nachahmung eines hinterlegten Modells widerrechtlich, wenn
eine Verschiedenheit nur bei sorgfältigem Vergleich wahrgenommen werden
kann, wobei eine blosse Farbänderung nicht als Verschiedenheit gilt. Im
Vergleich zum DesG geht das MMG insoweit von einem etwas engeren Begriff
der Nachahmung aus, als das hinterlegte und das widerrechtlich hergestellte
Modell nebeneinander zu halten und gleichzeitig zu betrachten sind (sog.
synoptischer Vergleich), und im Unterschied zum DesG nicht auf das blosse
Erinnerungsbild abzustellen ist. Gleich wie beim Designrecht ist auch im
Anwendungsbereich des Modellrechts der Gesamteindruck massgebend, der
namentlich durch die wesentlichen Merkmale bestimmt wird, wie sie sich
einem am Kauf interessierten Verbraucher präsentieren (BGE 104 II 322 E. 4
S. 329 f. mit weiteren Hinweisen; Urteil 4C.205/1988 vom 22. November 1988
["Tausendfüssler"], E. 3a mit weiteren Hinweisen, publ. in: SMI 1989 S.
105).

    3.2  Zunächst ist zu prüfen, ob das quadratische Armbanduhrenmodell
der Beklagten das klägerische Modell DM/034 818 verletzt.

             Bild nicht abrufbar              Bild nicht abrufbar

             Hinterlegtes Modell              Umstrittenes Modell der

             Klägerin DM/034 818          der Beklagten

    Nach der hinterlegten Abbildung in der Frontansicht handelt es
sich beim klägerischen Modell um eine mehr oder weniger quadratische
Uhr mit breiter Lunette, quadratischem Glasausschnitt und nach innen
gesetzten Bandanstössen. Die beklagtische Uhr ist mit dem hinterlegten
Modell in Bezug auf die quadratische Form und die breite Lunette
vergleichbar. Demgegenüber weist insbesondere die Gestaltung des
Zifferblatts des hinterlegten Modells keine nennenswerten Ähnlichkeiten
mit dem Zifferblatt der beklagtischen Uhr auf. Das klägerische Modell
verfügt nur über vier grosse römische Ziffern, die beinahe bis in
die Mitte des Zifferblattes reichen, sowie acht radial angeordnete
Stundenstriche ohne Ziffern. Insgesamt hinterlassen die grossen
römischen Ziffern und die radial angeordneten Stundenstriche
den prägenden Eindruck bei der Betrachtung des klägerischen
Modells. Anders verhält es sich beim Zifferblatt der beklagtischen
Uhr. Im Unterschied zum klägerischen Modell verfügt diese Uhr über 12
kleine, im Rechteck angeordnete römische Ziffern. Die kleinen römischen
Ziffern, die nur am Rand des Zifferblatts angeordnet sind, führen zu
einem anderen Erscheinungsbild als beim Zifferblatt des klägerischen
Modells. Abgesehen vom Zifferblatt unterscheiden sich die beiden Uhren
auch durch unterschiedliche Kronen. Schliesslich ist das klägerische
Modell mit einem Lederarmband versehen, während bei der beklagtischen Uhr
ein Metallarmband verwendet wird. Nicht überzeugend ist der Hinweis der
Klägerin, blosse Materialunterschiede bezüglich der Armbänder begründeten
keine Verschiedenheit im Sinn des Gesetzes. Zwar geht die Rechtsprechung
und Lehre davon aus, dass der Modellschutz den Formenschutz bezwecke
und dass blosse Materialunterschiede beim Durchschnittsbetrachter in
der Regel nicht auffallen (Urteil 4C.205/1988 vom 22. November 1988
["Tausendfüssler"], publ. in: SMI 1989 S. 105 ff., E. 3b/cc, S. 111;
VON BÜREN/MARBACH, Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, 2. Aufl.,
Bern 2002, S. 96, Rz. 479). Im vorliegenden Fall unterscheiden sich
indessen das Lederarmband des klägerischen Modells und das Metallarmband
der beklagtischen Uhr entgegen der Darstellung der Klägerin nicht nur
hinsichtlich des verwendeten Materials, sondern auch in Bezug auf die
Konstruktion. Im Unterschied zum Lederarmband ist ein Metallarmband
nämlich in aller Regel aus verschiedenen, ineinander greifenden Gliedern
zusammengesetzt. Dieser Umstand darf bei der Beurteilung des Modell-
bzw. Designschutzes in seiner Eigenschaft als Formenschutz berücksichtigt
werden.

    Insgesamt kann somit festgehalten werden, dass sich die
Übereinstimmung im Wesentlichen auf die quadratische Form und
die breiten Lunetten beschränkt, wobei zu bemerken ist, dass die
quadratische Gehäuseform bei Armbanduhren gelegentlich anzutreffen
ist und insofern nicht besonders originell erscheint. Im Vergleich zu
den Gemeinsamkeiten fallen die Unterschiede nach der hier vertretenen
Auffassung mehr ins Gewicht. Insbesondere in Bezug auf das Zifferblatt
hat die Vorinstanz zutreffend auf die erwähnten Unterschiede hingewiesen,
die sofort auffallen. Ebenfalls hinzuweisen ist auf die unterschiedlich
konstruierten Armbänder und die verschiedenen Kronen, die allerdings
als Unterscheidungsmerkmale weniger stark ins Gewicht fallen. Auch wenn
insgesamt ein Grenzfall vorliegen mag, ist aufgrund des Gesamteindrucks,
den die beiden Uhren beim Normalverbraucher hinterlassen, davon auszugehen,
dass sowohl bei einem synoptischen Vergleich (Art. 24 MMG) als auch bei
einer Berücksichtigung des Gesamteindrucks in der kurzfristigen Erinnerung
(Art. 9 DesG) die Verschiedenheiten im Vordergrund stehen, während die
Gemeinsamkeiten eher in den Hintergrund treten.

    3.3  Weiter wird geltend gemacht, die im Klagebegehren genannte runde
Uhr verletze das klägerische Modell DM/035 899 mit rundem Gehäuse.

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             Hinterlegtes Modell              Umstrittenes Modell der

             Klägerin DM/035 899          der Beklagten

    Nach der hinterlegten Abbildung in der Frontansicht handelt es sich
beim klägerischen Modell um eine runde Uhr mit breiter Lunette. Das
Besondere an diesem Modell ist, dass die Lunette und das Zifferblatt
an den Bandansätzen abgeflacht sind. Wie das klägerische Modell weist
auch die Armbanduhr der Beklagten die gleiche runde Gehäuseform und
eine breite Lunette auf. Übereinstimmend ist insbesondere auch die
Eigenheit, dass die Lunette und das Zifferblatt an den Bandansätzen
abgeflacht sind. Im Übrigen unterscheiden sich aber die beiden Uhren
in verschiedener Hinsicht. Auch bei diesen Uhren weisen insbesondere
die Zifferblätter offenkundige Unterscheidungsmerkmale auf. Während das
klägerische Modell über ein Zifferblatt mit arabischen Ziffern und eine
Datumsanzeige bei der 6 verfügt, ist das Zifferblatt der beklagtischen
Uhr, die über keine Datumsanzeige verfügt, mit römischen Ziffern
versehen. Hinzu kommen Unterschiede bei den Armbändern, die wie bereits
erwähnt bei der Beurteilung des Gesamteindrucks berücksichtigt werden
können (vgl. E. 3.2). Während das klägerische Modell über ein Armband
verfügt, das bei den Bandanstössen breiter wird, ist die beklagtische
Uhr mit einem metallenen Armband von gleichmässiger Breite versehen.

    Insgesamt hat die Vorinstanz zutreffend festgehalten, dass die
besondere Form von Lunette und Zifferblatt, die bei den Bandansätzen
abgeflacht sind, dem klägerischen Modell eine gewisse Originalität
verleiht. Insofern stimmt die beklagtische Uhr mit dem hinterlegten Modell
überein. Abgesehen von diesen Gemeinsamkeiten sind aber auch bedeutende
Unterschiede festzustellen. Insbesondere in Bezug auf die Zifferblätter
hat die Vorinstanz zutreffend die erwähnten Unterschiede namhaft gemacht,
die sofort auffallen. Ebenfalls hinzuweisen ist auf die unterschiedlich
gestalteten Armbänder und die verschiedenen Kronen, die allerdings als
Unterscheidungsmerkmale weniger stark ins Gewicht fallen. Aufgrund des
Gesamteindrucks, den die beiden Uhren beim Normalverbraucher hinterlassen,
stehen daher sowohl bei einem synoptischen Vergleich (Art. 24 MMG) als
auch einer Berücksichtigung des Gesamteindrucks in der kurzfristigen
Erinnerung (Art. 9 DesG) die Verschiedenheiten im Vordergrund, während
die Gemeinsamkeiten in den Hintergrund treten.

    3.4  Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass die
Vorinstanz zutreffend erkannt hat, dass das quadratische und das
runde Armbanduhrenmodell der Beklagten die klägerischen Modelle
DM/034 818 (quadratisches Armbanduhrenmodell) und DM/035 899 (rundes
Armbanduhrenmodell) weder unter dem Gesichtspunkt der MMG noch unter
demjenigen des DesG verletzen. Bezüglich dem klägerischen Modell DM/035
899 (rechteckiges Armbanduhrenmodell) wird wie eingangs erwähnt keine
Verletzung mehr durch das entsprechende beklagtische Modell geltend
gemacht.