Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 554



130 III 554

72. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. und Y. gegen Z.
(Berufung)

    5C.265/2003 vom 23. Juni 2004

Regeste

    Art. 736 Abs. 1 und Art. 738 ZGB; Ermittlung des Zwecks und Löschung
eines Wegrechts.

    Die Erschliessung durch eine öffentliche Strasse rechtfertigt die
Löschung eines bestehenden privaten Wegrechts dann, wenn die öffentliche
Strasse den mit dem privaten Wegrecht gewährleisteten Zweck vollumfänglich
erfüllt und die bisherige private Wegverbindung nicht vorteilhafter ist
als die neu erstellte öffentliche. Eine Ausnahme besteht für Wegrechte, die
nach dem Willen der Parteien den Charakter eines Notwegs haben (E. 2-4).

Sachverhalt

    X. und Y. sind Gesamteigentümer der Grundstücke Nrn. 515, 2332 und
2366 (früher Teile des Grundstücks alt-Nr. 2112). Zu Gunsten dieser
Liegenschaften ist im Grundbuch ein "Wegrecht" eingetragen, das auf den
Grundstücken Nrn. 486 und 500 (früher Teile des Grundstücks alt-Nr. 3441)
lastet. Eigentümerin der belasteten Grundstücke ist Z.

    Das Wegrecht wurde zwischen I. und J. mit Dienstbarkeitsvertrag
vom 22. Juli 1968 errichtet. Darin wurde dem Grundstück Nr. 2112 zu
Lasten des Grundstücks Nr. 3441 ein "unbeschränktes Wegrecht" eingeräumt,
bestehend "auf der Westseite des belasteten Grundstücks in einer Breite
von 5 Metern wie im Mutationsplan Nr. 4620 eingezeichnet". Der erwähnte
Mutationsplan enthält unter anderem den Vermerk "Wegrecht z.G. No. 2112
über Parz. a (d.h. Nr. 3441) entlang der eingetrag., lt. Bebauungsplan
1:2000 proj. Strasse". Die im Plan eingezeichnete Strasse führt von Süden
nach Norden entlang der Westgrenze des berechtigten Grundstücks Nr. 2112
über das belastete Grundstück Nr. 3441 und mündet in die öffentliche
Strasse ein, den T.-Weg.

    Das Strassenprojekt wurde in der Folge nicht so realisiert wie im
Bebauungsplan vorgesehen. Die im Jahre 1995 gebaute U.-Strasse verläuft von
Süden her kommend dem westlichen Rand der Grundstücke Nrn. 2332, 2366 und
515 sowie bis ungefähr zur Hälfte dem westlichen Rand des Grundstücks Nr.
500 entlang und biegt dann rechtwinklig nach Westen ab, um anschliessend
in einem rechten Winkel in den T.-Weg einzumünden.

    Am 7. Mai 2001 klagte Z. auf Löschung des Wegrechts. Die Klägerin
stellte sich auf den Standpunkt, das seinerzeit errichtete Wegrecht sei mit
dem Bau der U.-Strasse obsolet geworden. Die Beklagten X. und Y. schlossen
auf Abweisung der Klage und machten geltend, für ihre Grundstücke habe
das bestehende Wegrecht, und zwar als Fahr- und Fusswegrecht, eindeutige
Vorteile gegenüber der Erschliessung durch die U.-Strasse. Die Klage wurde
in erster Instanz abgewiesen, in zweiter Instanz hingegen gutgeheissen.

    Gegen das obergerichtliche Urteil haben die Beklagten beim
Bundesgericht Berufung eingelegt. Das Bundesgericht heisst die Berufung
gut und weist die Klage ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                             Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.  Vor Bundesgericht ist streitig, ob die Vorinstanz Art. 736 ZGB
richtig angewendet hat. Nach Art. 736 ZGB kann der Belastete die Löschung
einer Dienstbarkeit verlangen, wenn diese für das berechtigte Grundstück
alles Interesse verloren hat (Abs. 1). Ist ein Interesse des Berechtigten
zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig
geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz
oder teilweise abgelöst werden (Abs. 2). Unter dem Interesse für das
berechtigte Grundstück bzw. dem Interesse des Berechtigten versteht die
Rechtsprechung das Interesse des Eigentümers des berechtigten Grundstücks
an der Ausübung der Dienstbarkeit gemäss deren Inhalt und Umfang. Dabei ist
vom Grundsatz der Identität der Dienstbarkeit auszugehen, der besagt, dass
eine Dienstbarkeit nicht zu einem andern Zweck aufrechterhalten werden darf
als jenem, zu dem sie errichtet worden ist. Zu prüfen ist somit in erster
Linie, ob der Eigentümer des berechtigten Grundstücks noch ein Interesse
daran hat, die Dienstbarkeit zum ursprünglichen Zweck auszuüben, und wie
sich dieses Interesse zu jenem verhält, das anlässlich der Begründung
der Dienstbarkeit bestand (BGE 107 II 331 E. 3 S. 334 f.; 121 III 52
E. 2 S. 54; 114 II 426 E. 2a S. 428, je mit Hinweisen). Dabei bestimmt
sich die Interessenlage des Eigentümers des berechtigten Grundstücks nach
objektiven Kriterien (BGE 121 III 52 E. 3a S. 55 mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.  Das Obergericht ist insgesamt davon ausgegangen, das Interesse
der Beklagten an der Ausübung des Wegrechts decke sich nicht mit dem
ursprünglichen Zweck, zu dem das Wegrecht errichtet worden sei. Das im
Zeitpunkt seiner Errichtung massgebende Interesse am Wegrecht bestehe seit
dem Bau der U.-Strasse nicht mehr. Zu einem anderen Zweck bzw. Interesse
dürfe das Wegrecht aber nicht aufrechterhalten bleiben. Es sei deshalb
im Grundbuch zu löschen.

    3.1  Für die Ermittlung von Inhalt und Umfang einer Dienstbarkeit
gibt Art. 738 ZGB eine Stufenordnung vor. Ausgangspunkt ist der
Grundbucheintrag. Soweit sich Rechte und Pflichten aus dem Eintrag
deutlich ergeben, ist dieser für den Inhalt der Dienstbarkeit massgebend
(Art. 738 Abs. 1 ZGB). Nur wenn sein Wortlaut unklar ist, darf im Rahmen
des Eintrags auf den Erwerbsgrund zurückgegriffen werden (Art. 738
Abs. 2 ZGB), d.h. auf den Begründungsakt, der als Beleg beim Grundbuchamt
aufbewahrt wird (Art. 948 Abs. 2 ZGB) und einen Bestandteil des Grundbuchs
bildet (Art. 942 Abs. 2 ZGB). Ist auch der Erwerbsgrund nicht schlüssig,
kann sich der Inhalt der Dienstbarkeit - im Rahmen des Eintrags - aus der
Art ergeben, wie sie während längerer Zeit unangefochten und in gutem
Glauben ausgeübt worden ist (Art. 738 Abs. 2 ZGB; zuletzt: BGE 128 III
169 E. 3a S. 172 mit Hinweis).

    Ordentlicher "Erwerbsgrund" im Sinne des Gesetzes ist der
Dienstbarkeitsvertrag (vgl. LIVER, Zürcher Kommentar, 1980, N. 86 zu Art.
738 ZGB). Seine Auslegung erfolgt in gleicher Weise wie die sonstiger
Willenserklärungen (vgl. LEEMANN, Berner Kommentar, 1925, N. 6 zu Art. 738
ZGB). Gemäss Art. 18 Abs. 1 OR bestimmt sich der Inhalt des Vertrags
nach dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien. Nur wenn eine
tatsächliche Willensübereinstimmung unbewiesen bleibt, ist der Vertrag
nach dem Vertrauensgrundsatz auszulegen. Die empirische oder subjektive hat
gegenüber der normativen oder objektivierten Vertragsauslegung den Vorrang
(allgemein: BGE 121 III 118 E. 4b/aa S. 123; 129 III 118 E. 2.5 S. 122;
für Grunddienstbarkeiten zuletzt: BGE 128 III 265 E. 3a S. 267).

    Diese allgemeinen Auslegungsgrundsätze gelten vorbehaltlos unter
den ursprünglichen Vertragsparteien, im Verhältnis zu Dritten dagegen
nur mit einer Einschränkung, die sich aus dem öffentlichen Glauben
des Grundbuchs (Art. 973 ZGB) ergibt, zu dem - wie gesagt - auch der
Dienstbarkeitsvertrag gehört. Bei dessen Auslegung können gegenüber
Dritten, die an der Errichtung der Dienstbarkeit nicht beteiligt waren
und im Vertrauen auf das Grundbuch das dingliche Recht erworben haben,
individuelle persönliche Umstände und Motive nicht berücksichtigt werden,
die für die Willensbildung der ursprünglichen Vertragsparteien bestimmend
waren, aus dem Dienstbarkeitsvertrag selber aber nicht hervorgehen und
für einen unbeteiligten Dritten normalerweise auch nicht erkennbar sind
(BGE 108 II 542 E. 2 S. 545 f. unter Hinweis auf die Ansichten von
LIVER, aaO, N. 94 f. zu Art. 738 ZGB, und PIOTET, Dienstbarkeiten und
Grundlasten, Schweizerisches Privatrecht, Bd. V/1, Basel 1977, § 93/I
S. 584). Im gezeigten Umfang wird der Vorrang der subjektiven vor der
objektivierten Vertragsauslegung eingeschränkt. Diese Rechtslage bringen
Lehre und Rechtsprechung teilweise nur verkürzt zum Ausdruck, wenn es
heisst, der Dienstbarkeitsvertrag sei objektiviert bzw. nach Massgabe des
Vertrauensprinzips auszulegen, wo sich nicht mehr die Begründungsparteien,
sondern Dritte gegenüberstünden (z.B. Urteil 5C.269/2001 vom 6. März 2002,
E. 4b nicht publ. in BGE 128 III 169; Urteil 5C.200/2000 vom 29. März 2001,
E. 2c, publ. in: ZBGR 83/2002 S. 245; vgl. etwa SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP,
Sachenrecht, 2. Aufl., Zürich 2003, N. 1279 S. 276).

    3.2  Der in erster Linie massgebende Grundbucheintrag "Wegrecht" ist
nicht schlüssig für die Frage der Zweckbestimmung der Dienstbarkeit. Das
Obergericht ist davon ausgegangen, im seinerzeitigen Mutationsplan werde
für die Lage des Wegrechts auf eine "Parz. a entlang der eingetrag., lt.
Bebauungsplan 1:2000 proj. Strasse" verwiesen. Mit diesem Hinweis komme
das Motiv für die Begründung des Wegrechts deutlich zum Ausdruck. Es sei
darum gegangen, eine Verbindung von den heute im Eigentum der Beklagten
stehenden Parzellen an das öffentliche Strassennetz sicher zu stellen. Der
abparzellierte südliche Teil hätte erschlossen werden sollen, zunächst mit
einem Wegrecht und anschliessend mit der laut Bebauungsplan projektierten
Strasse. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass damals die
von den Beklagten angeführten Gründe - direkter, ungehinderter und sicherer
Anschluss - eine Rolle gespielt hätten. Mit der Begründung des Wegrechts
hätten die Parteien des seinerzeitigen Dienstbarkeitsvertrags somit
einzig und allein bezweckt, den südlich gelegenen und heute im Eigentum
der Beklagten stehenden Parzellen einen Anschluss an das öffentliche
Strassennetz zu gewähren.

    Gegenüber diesen Erwägungen des Obergerichts erheben die Beklagten
Einwände, als ob es sich dabei um das Ergebnis einer objektivierten
Vertragsauslegung handelt, die das Bundesgericht im Berufungsverfahren
frei überprüfen kann. Gleichzeitig rügen die Beklagten die Verletzung der
in Art. 8 ZGB enthaltenen Beweisvorschriften, wie wenn das Obergericht
den wirklichen Willen der Parteien für das Bundesgericht verbindlich
festgestellt hätte (Art. 63 Abs. 2 OG; BGE 129 III 664 E. 3.1 S. 667). Ob
ein kantonales Urteil im einen oder anderen Sinn zu verstehen ist, wird
aus seiner Begründung oft nicht ohne weiteres klar. Die Abgrenzung von
Tat- und Rechtsfrage kann vorab bei der Vertragsauslegung schwierig sein
(vgl. KLETT, Berufung, in: Seminar Bundesrechtsmittel SVA, Bd. 16, Bern
2002, S. 22; MÜNCH, Berufung und zivilrechtliche Nichtigkeitsbeschwerde,
in: Prozessieren vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, N. 4.42 S. 135
und N. 4.50 S. 138). Was tatsächliche Feststellung ist, kann sich aus dem
Gegensatz zur Rechtsfrage ergeben, lässt sich aber nicht losgelöst von
der Art ihres Zustandekommens bestimmen. Nicht entscheidend ist, ob der
Feststellung des Sachverhalts ein Beweisverfahren vorangegangen ist. Denn
Tatfragen können auch ohne Beweiserhebung auf Grund von Indizien, eigenem
Wissen des Gerichts oder allgemeiner Lebenserfahrung beantwortet werden
(vgl. für Einzelheiten: MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel
in Zivilsachen, Zürich 1992, N. 94-96 S. 128 ff., mit Hinweisen).

    Das Obergericht hat - abgesehen von einem Augenschein - weder
ein Beweisverfahren durchgeführt (z.B. Einvernahme der ursprünglichen
Vertragsparteien oder des Nachführungsgeometers) noch Indizien genannt,
auf die es seine Annahme stützt. Es hat das "Motiv" für die Begründung
des Wegrechts einzig aus dem Mutationsplan erschlossen, der von den
ursprünglichen Vertragsparteien unterzeichnet worden ist und integrierenden
Bestandteil des Dienstbarkeitsvertrags gebildet hat. Unter diesen Umständen
muss davon ausgegangen werden, das Obergericht habe nicht mehr positiv
feststellen können, welche Motive für die Errichtung der Dienstbarkeit
tatsächlich massgebend waren. Gestützt auf die Grundbuchbelege wird
im obergerichtlichen Urteil vielmehr unterstellt, die Parteien hätten
mit dem Wegrecht denjenigen Zweck verfolgt, der sich auf Grund der
damaligen Verhältnisse aus den Bedürfnissen des herrschenden Grundstücks
vernünftigerweise ergab (BGE 107 II 331 E. 3b S. 335 f.). Die Ermittlung,
welchen Sinn und Zweck die Dienstbarkeit zum Zeitpunkt der Errichtung
hatte, betrifft die objektivierte Vertragsauslegung auf Grund der
Bedürfnisse des herrschenden Grundstücks (BGE 115 II 434 E. 2b S. 436;
Urteil 5C.217/1991 vom 26. Mai 1992, E. 2, publ. in: SJ 1992 S. 600/601
und ZBGR 77/1996 S. 51/52 mit Hinweisen). Sie kann im Berufungsverfahren
frei überprüft werden.

    3.3  In der Lehre, auf die sich das obergerichtliche Urteil stützt,
wird dafürgehalten, ein Wegrecht sei zwecklos geworden und für den
Eigentümer des herrschenden Grundstücks dann nicht mehr von Interesse,
wenn der damit erfüllte Zweck inzwischen durch eine öffentliche Strasse
gewährleistet werde (SCHMID/HÜRLIMANN-KAUP, aaO, N. 1309 S. 283; STEINAUER,
Les droits réels, Bd. II, 3. Aufl., Bern 2002, N. 2267 S. 384; vgl. auch
LIVER, aaO, N. 18 und 61 zu Art. 736 ZGB).

    Diese Aussage trifft vorbehaltlos zu, wenn die öffentliche
Strasse entsprechend dem privaten Wegrecht gebaut wird, wie es im
Dienstbarkeitsvertrag umschrieben und in den dazugehörigen Plänen
eingezeichnet ist. Dann kann ohne weiteres gesagt werden, die öffentliche
Strasse erfülle den Zweck, den bisher das Wegrecht gewährleistet
habe. Weist die öffentliche Strasse dagegen einen anderen Inhalt oder
Umfang auf als das Wegrecht, nimmt sie - wie hier - insbesondere einen
anderen Verlauf als das Wegrecht oder wird sie in einer andern Breite
erstellt, dann ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob die öffentliche
Strasse den mit dem Wegrecht gewährleisteten Zweck vollumfänglich erfüllt
oder - anders gesagt - ob die bisherige private Wegverbindung nicht
vorteilhafter ist als die neu erstellte öffentliche (vgl. etwa LEEMANN,
aaO, N. 7 zu Art. 736 ZGB). Denn entscheidend ist, ob die Dienstbarkeit
im konkreten Fall für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren
hat bzw. ob der berechtigte Eigentümer weiterhin ein vernünftiges Interesse
an der Ausübung der Dienstbarkeit hat (BGE 89 II 370 E. 3 und 4 S. 383 f.).

    Die davon abweichende, gegenteilige Auffassung des Obergerichts
könnte nur geteilt werden, wenn ein Wegrecht gleichsam den Charakter
eines Notwegrechts hat, d.h. einem Grundeigentümer eingeräumt wird, der
keinen genügenden Weg von seinem Grundstück auf eine öffentliche Strasse
hat (vgl. Art. 694 ZGB). Wäre dies anzunehmen, verlöre das vertraglich
vereinbarte Wegrecht seine Existenzberechtigung, sobald die Notlage für
das herrschende Grundstück durch den Anschluss an das öffentliche Wegnetz
behoben ist (LIVER, aaO, N. 75 zu Art. 736 ZGB). Eine derartige Wegenot
hat das Obergericht indessen nicht ausdrücklich festgestellt und fände
zudem keine Grundlage in den örtlichen Gegebenheiten. Wie sich aus dem
Mutationsplan ohne weiteres ersehen lässt und ergänzend festgestellt werden
kann (Art. 64 Abs. 2 OG), hat das berechtigte Grundstück alt-Nr. 2112
nicht nur über das Wegrecht nach Norden eine Verbindung zum öffentlichen
Verkehrsnetz, sondern grenzt im Süden an die Strassenparzelle alt-Nr. 2484,
die ebenfalls zur öffentlichen Strasse führt, dem heutigen V.-Weg. Das
Wegrecht ist im Mutationsplan denn auch als Teil der im Bebauungsplan
projektierten Strasse eingezeichnet, die der gesamten Westgrenze des
belasteten und des berechtigten Grundstücks entlang führt und anschliessend
sowohl im Norden (über ein kurzes Stück des T.-Wegs) als auch im Süden
(über ein kurzes Stück der Strassenparzelle alt-Nr. 2484 bzw. den V.-Weg)
mit der R.-Strasse, der Hauptachse im fraglichen Quartier, verbunden
ist. Eine Wegenot zu beseitigen, fällt damit als "Motiv" für die Begründung
des Wegrechts ausser Betracht.

    Gleichzeitig ist damit die obergerichtliche Auffassung widerlegt, das
Wegrecht sei im Jahre 1968 nur deshalb auf der Westseite der betroffenen
Grundstücke errichtet worden, weil das am einfachsten zu bewerkstelligen
gewesen sei, indem keine weiteren Eigentümer hätten mit einbezogen werden
müssen. Die Grundbuchbelege verdeutlichen vielmehr, dass das Trassee
des Wegrechts seinerzeit an die Westgrenze des belasteten Grundstücks
gelegt wurde, weil dort die projektierte Strasse als direkte Verbindung
zur R.-Strasse vorgesehen war. Nicht bloss irgendeine Verbindung zur
öffentlichen Strasse sollte das Wegrecht gewährleisten, sondern diejenige
gemäss Bebauungsplan.

    Entscheidend für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ist aus
den dargelegten Gründen nicht der Umstand allein, dass die beklagtischen
Grundstücke an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen sind, sondern ob
die Beklagten deswegen ein vernünftiges Interesse am Wegrecht, so wie es
konkret vereinbart worden ist, verloren haben. Dabei können alle Interessen
in die Waagschale geworfen werden, die bereits im Zeitpunkt der Errichtung
eine Rolle spielen konnten, ohne dass für jeden Vorteil oder Nachteil
einzeln nachgewiesen werden müsste, dass er damals bereits tragend war.
Insofern ist entgegen der Auffassung des Obergerichts nicht massgebend,
ob es für die geltend gemachten Interessen Anhaltspunkte gibt, dass
sie bereits im Zeitpunkt der Dienstbarkeitserrichtung für die damaligen
Berechtigten subjektiv eine Rolle gespielt haben, sondern entscheidend ist,
dass sie bei objektiver Betrachtung damals vernünftigerweise von Bedeutung
sein konnten (E. 3.1 und 3.2 soeben; vgl. LIVER, aaO, N. 57 zu Art. 736
ZGB; PIOTET, aaO, § 92/II S. 578). Das ist im Folgenden zu beurteilen.

Erwägung 4

    4.  In Anbetracht seiner Rechtsauffassung ist das Obergericht nur
mehr kurz auf die von den Beklagten geltend gemachten Interessen an der
Beibehaltung des Wegrechts eingegangen. Seine Feststellungen über die
örtlichen Verhältnisse genügen aber zur Beurteilung der Rechtsfrage, ob
die beiden Verbindungen von den heute im Eigentum der Beklagten stehenden
Parzellen an das öffentliche Strassennetz gleichwertig sind oder ob das
private Wegrecht gegenüber der öffentlichen U.-Strasse für die Beklagten
vorteilhafter ist.

    Im obergerichtlichen Urteil wird nicht in Frage gestellt, dass auf
dem T.-Weg zwischen der Einmündung der U.-Strasse und der Einmündung des
Wegrechts kein Trottoir besteht, was gegenüber dem bestehenden Fusswegrecht
einen Nachteil bedeutet. Ebenso wenig steht in Frage, dass das Wegrecht
über die belasteten Grundstücke eben verläuft, während die U.-Strasse in
Richtung T.-Weg ein Gefälle aufweist und Letzterer gegen die Einmündung
des Wegrechts wiederum ansteigt. Die topographischen Verhältnisse sind
insoweit nicht gleichwertig und lassen das private Wegrecht gegenüber der
U.-Strasse, vor allem im Winter bei prekärer Fahrbahn, als die bessere
Verbindung zum T.-Weg erscheinen. Schliesslich wird im obergerichtlichen
Urteil auch nicht in Frage gestellt, dass die Beklagten über das Wegrecht
eine kürzere Fusswegverbindung zum Ortsbus haben. Auch dieses Interesse
dürfen die Beklagten in die Waagschale werfen, zumal das Obergericht zwar
bezweifelt, aber nicht ausgeschlossen hat, dass der Ortsbus bereits im
Zeitpunkt der Dienstbarkeitserrichtung bestanden hat.

    Das Obergericht hat auch nicht verneint, dass der T.-Weg als
Einbahnstrasse ausgestaltet ist, so dass zum Erreichen der beklagtischen
Grundstücke von Norden her kommend ein Umweg von mehreren hundert Metern
gefahren werden muss. Das Obergericht hat zwar darauf hingewiesen, dass
dieser Umweg heute auch bei Benutzung des Wegrechts gefahren werden müsse,
weil das Einbahnzeichen (verbotene Fahrtrichtung) unmittelbar nördlich
der Einmündung des Wegrechts angebracht sei. Dieser Hinweis vermag das
geltend gemachte Interesse gleichwohl nicht zu entkräften. Denn es ist
offen, wie der Verkehrsfluss gestaltet werden wird, falls die Klägerin bei
der vorgesehenen Überbauung ihres Terrains zu deren Erschliessung auf dem
Trassee des Wegrechts eine Privatstrasse erstellt. Aus verkehrstechnischer
Sicht müsste wohl davon ausgegangen werden, dass das heutige Signal
"Einbahnstrasse" um einige Meter auf die südliche Seite der Einmündung
gestellt würde, so dass der T.-Weg bis zur Privatstrasse beidseitig
befahren werden könnte. Dies hätte - wie seinerzeit im Bebauungsplan
vorgesehen - die direkte Verbindung mit der R.-Strasse als Hauptachse im
Gegenverkehr zur Folge.

    Schliesslich ist auch der Hinweis des Obergerichts unbehelflich, das
Trassee des Wegrechts sei heute mit Rasen überwachsen und würde sich als
Fahrweg gar nicht eignen. Das Interesse am Fahrweg dürfte erst verneint
werden, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen
Lebenserfahrung nicht mehr damit zu rechnen wäre, dass die Dienstbarkeit in
absehbarer Zeit wieder ausgeübt wird (vgl. BGE 89 II 370 E. 3 S. 383;
81 II 189 E. 2 S. 194). Die Möglichkeit der Weiternutzung besteht
unbestrittenermassen durchaus, wenn die Beklagten im vorliegenden Verfahren
obsiegen. Diese haben die Absicht, das Wegrecht weiterhin auszuüben. Wenn
nötig wäre es ihnen unbenommen, ihr Wegrecht gerichtlich durchzusetzen.
Zudem sieht die Klägerin bei der Überbauung ihres Grundstücks offenbar
eine Privatstrasse auf dem Trassee des Wegrechts vor, die auch von den
Beklagten benutzt werden könnte.

    Zusammenfassend besteht heute noch ein vernünftiges Interesse am
Bestand sowohl des Fuss- als auch des Fahrwegrechts.