Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 524



130 III 524

67. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
i.S. Billag AG, Schweizerische Inkassostelle für Radio- und
Fernsehempfangsgebühren gegen Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern (Beschwerde)

    7B.76/2004 vom 29. Juni 2004

Regeste

    Art. 81 Abs. 1 und 2 SchKG; Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG; Fortsetzung
der Betreibung aufgrund eines ausserkantonalen Anerkennungsentscheids.

    Die Schweizerische Inkassostelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren
erlässt für das ganze Gebiet der Schweiz in Anwendung des VwVG
erstinstanzlich Verfügungen, welche beim Bundesamt für Kommunikation
(BAKOM) und letztinstanzlich beim Bundesgericht angefochten werden
können. Sie ist vollumfänglich in das Verwaltungsverfahren des Bundes
eingebettet und damit eine Bundesbehörde im Sinne von Art. 1 Abs. 2
lit. e VwVG und auch von Art. 81 Abs. 1 SchKG. Dem Schuldner bleiben
deshalb die Einwendungen des Art. 81 Abs. 2 SchKG versagt (E. 1.2.3).

Sachverhalt

    A.

    A.a Am 13. Oktober 2003 verfügte die Schweizerische Inkassostelle
für Radio- und Fernsehempfangsgebühren (Billag AG) gemäss Art. 55 des
Bundesgesetzes vom 21. Juni 1991 über Radio und Fernsehen (RTVG; SR 784.40)
in Verbindung mit Art. 48 der Radio- und Fernsehverordnung vom 6. Oktober
1997 (RTVV; SR 784.401), dass Z. für ausstehende Empfangsgebühren einen
Betrag von Fr. 60.- schulde, und dass der Rechtsvorschlag in der gegen
ihn laufenden Betreibung Nr. xxx des Betreibungs- und Konkursamtes
Berner Oberland, Dienststelle Thun, aufgehoben werde. Gestützt auf
die rechtskräftige Verfügung verlangte die Billag AG am 6. Januar 2004
bei der Dienststelle Thun die Fortsetzung der Betreibung. In der Folge
setzte die Dienststelle Thun dem Schuldner am 21. Januar 2004 gestützt
auf Art. 79 Abs. 2 SchKG eine Frist von 10 Tagen, um Einwendungen im
Sinne von Art. 81 Abs. 2 SchKG zu erheben. Davon machte der Schuldner
fristgerecht Gebrauch, worauf die Dienststelle Thun am 3. März 2004 das
Fortsetzungsbegehren abwies.

    A.b Dagegen reichte die Billag AG am 12.  März 2004 bei der
Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und Konkurssachen für den Kanton Bern
Beschwerde ein. Zur Begründung machte sie im Wesentlichen geltend, sie
handle als Behörde des Bundes. Somit liege auch kein "in einem anderen
Kanton ergangener Entscheid" im Sinne von Art. 79 Abs. 2 SchKG vor,
weshalb dem Betriebenen Einwände gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG versagt
bleiben müssten. Mit Urteil vom 13. April 2004 wies die Aufsichtsbehörde
das Rechtsmittel ab.

    B.- Die Billag AG hat mit Eingabe vom 28.  April 2004 die Sache an die
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen. Sie
beantragt, der Entscheid der Aufsichtsbehörde in Betreibungs- und
Konkurssachen für den Kanton Bern vom 13. April 2004 sei aufzuheben und
diese bzw. das Betreibungsamt Berner Oberland, Dienststelle Thun, seien
anzuweisen, die Betreibung Nr. x fortzusetzen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.

    1.1  Die Vorinstanz hat erwogen, als Bundesbehörden im Sinne
des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts gälten namentlich:
der Schweizerische Bundesrat, das Schweizerische Bundesgericht,
das Eidgenössische Versicherungsgericht, die Departemente und die
Bundeskanzlei, die Verwaltungseinheiten des Bundes, die Bundesbehörden,
deren unmittelbare Aufsichtsbehörde der Bundesrat sei, und die Instanzen
autonomer Anstalten und Betriebe sowie die Eidgenössischen Rekurs- und
Schiedskommissionen (STAEHELIN, in: Kommentar zum Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, SchKG I, Basel 1998, N. 104 zu Art. 80
SchKG). Keine Bundesbehörden seien demgegenüber private Organisationen,
selbst wenn sie gestützt auf Bundesrecht entschieden und das Bundesrecht
die entsprechende Verfügung als vollstreckbar erkläre (STAEHELIN, aaO,
N. 105 zu Art. 80 und N. 24 zu Art. 81 SchKG). Werde eine derartige
Verfügung von einer ausserkantonalen Instanz erlassen, so blieben die
Einwendungen des Betriebenen gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG erhalten.

    Die Aufsichtsbehörde fährt fort, die Billag AG sei eine
Swisscom-Tochtergesellschaft mit Sitz in Freiburg, welche als
Aktiengesellschaft des privaten Rechts konstituiert sei. Sie biete
so genannte Billing-Dienstleistungen (Rechnungsstellung, Inkasso
und Datenbankverwaltung) an, wobei der Bund ihr grösster Auftraggeber
sei. Das Know-how der Billag AG stehe aber auch privaten Unternehmen zur
Verfügung (vgl. den Internetauftritt unter www.swisscom.com). Es handle
sich deshalb bei ihr zweifellos um eine private Organisation und nicht
etwa um eine Einheit der Bundeszentralverwaltung oder - wie früher noch
die PTT - um eine autonome Anstalt. Dass ihr gewisse Sonderkompetenzen
zustünden, namentlich das Recht, in Ausübung von Bundesrecht Verfügungen
zu erlassen und diese vollstreckbar zu erklären (BGE 128 III 39 ff.),
mache sie nach dem Gesagten aber nicht zu einer Bundesbehörde im Sinne von
Art. 81 SchKG. Das Bundesgericht habe im Übrigen diese Frage wiederholt
für Krankenkassen - denen ebenfalls bundesrechtliche Verfügungskompetenz
zustehe - entschieden (letztmals BGE 128 III 246 ff.) und es sei nicht
ersichtlich, weshalb für die privatrechtlich organisierte Billag AG etwas
anderes gelten solle.

    1.2

    1.2.1  Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, der Begriff
"Verwaltungsbehörde des Bundes" (Art. 80 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG) sei
im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und 2 VwVG zu verstehen, wie dies in der
Botschaft über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung
und Konkurs festgehalten werde (BBl 1991 III 66). Gemäss Art. 1 Abs. 2
lit. e VwVG gälten als Behörden "andere Instanzen oder Organisationen
ausserhalb der Bundesverwaltung, soweit sie in Erfüllung ihnen übertragener
öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes verfügen". Dies treffe auch auf
die Beschwerdeführerin zu. Die von der Vorinstanz zitierte Kommentarstelle
von STAEHELIN (aaO, N. 105 zu Art. 80 SchKG) enthalte keinerlei Begründung
und stehe überdies im Widerspruch zur Botschaft von 1991.

    1.2.2  Auch JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN führen als Bundesbehörden
im Sinne von Art. 81 Abs. 1 SchKG die gleichen an wie diejenigen im
angefochtenen Entscheid (Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs,
4. Aufl., Bd. I, S. 354); GILLIÉRON führt die Bundesbehörden nicht einzeln
auf (Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la
faillite, articles 1-88, N. 45 zu Art. 80 SchKG). Es fällt auf, dass die
in den Kommentaren STAEHELIN (aaO) und JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN (aaO)
wiedergegebenen Bundesbehörden sich mit den in Art. 1 Abs. 2 lit. a-d
VwVG genannten Bundesbehörden decken; dazu kommen das Schweizerische
Bundesgericht und das Eidgenössische Versicherungsgericht. Nicht
berücksichtigt werden von diesen Autoren die anderen Instanzen
oder Organisationen ausserhalb der Bundesverwaltung, soweit sie in
Erfüllung ihnen übertragener öffentlichrechtlicher Aufgaben des Bundes
verfügen (Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG). Eine Begründung hierfür wird
nicht angegeben. Die Beschwerdeführerin könnte, wie sie selbst geltend
macht, einzig unter die in Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG genannten Behörden
subsumiert werden. Es ist richtig, wie sie weiter ausführt, dass gemäss
der Botschaft zur Revision des SchKG als Verwaltungsbehörden des Bundes
die im Sinne von Art. 1 Abs. 1 und 2 VwVG genannten Behörden zu verstehen
sind (BBl 1991 III 66). Art. 80 und 81 SchKG gaben diesbezüglich in den
eidgenössischen Räten keinerlei Anlass zur Diskussion (AB 1993 S 645 und
1993 N 19).

    Es ist vorliegend nicht bestritten, dass der Beschwerdeführerin eine
öffentlichrechtliche Aufgabe des Bundes übertragen worden ist. Sie hat sich
bereits in der BGE 128 III 39 E. 3b S. 42 zu Grunde liegenden Beschwerde
darauf berufen, sie sei eine Verwaltungsbehörde im Sinne von Art. 1 Abs. 2
lit. e VwVG; dies war jedoch nicht zu entscheiden. Das Bundesgericht
hat jedoch befunden, der Bundesrat habe die im RTVG enthaltene
Gesetzesdelegation nicht überschritten, wenn er der schweizerischen
Inkassostelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren die Befugnis zum
Erlass von Verfügungen zur Erhebung von Empfangsgebühren übertragen habe
(E. 3 und 4).

    1.2.3  Gemäss Art. 79 SchKG setzt das Betreibungsamt im Falle
eines rechtskräftigen Anerkennungsentscheides, der den Rechtsvorschlag
ausdrücklich beseitigt (Abs. 1) und der in einem anderen Kanton ergangen
ist, dem Schuldner nach Eingang des Fortsetzungsbegehens eine Frist von
10 Tagen an, innert der er gegen den Entscheid die Einreden nach Art. 81
Abs. 2 SchKG erheben kann (Abs. 2). Eine Krankenkasse - als juristische
Person des privaten oder öffentlichen Rechts vom Eidg. Departement des
Innern als Versicherer zugelassen (Art. 12 f. KVG [SR 832.10]) - ist keine
Bundesbehörde, auch wenn sie gestützt auf Bundesrecht entscheidet und das
Bundesrecht die entsprechende Verfügung als vollstreckbar erklärt (BGE
128 III 246 E. 2 S. 247/248). Die Rechtsprechung ging dabei - ohne dies
näher zu begründen - davon aus, dass Krankenkassen und deren Verfügungen
gleich wie die Rechtsmittelentscheide der kantonalen Verwaltungs- und
Versicherungsgerichte den Kantonen zugehörten und erst das Urteil des
eidgenössischen Versicherungsgerichts von einer Behörde des Bundes stamme
(so ausdrücklich BGE 119 V 329 E. 5b S. 334). Die Rechtsprechung hat also
bei der Anwendung von Art. 81 SchKG die Unterscheidung getroffen, ob der
Rechtsmittelweg im Kanton oder im Bund beginnt. Art. 81 SchKG unterscheidet
denn auch zwischen den Entscheiden des Bundes und des eigenen Kantons
(Abs. 1), der anderen Kantone (Abs. 2) und fremden Staaten (Abs. 3)
und sieht je unterschiedliche Verteidigungsmöglichkeiten vor. Da der
Rechtsweg von Einsprachen gegen Verfügungen der Krankenkassen im Kanton
beginnt und über die kantonalen Verwaltungsgerichte an das eidgenössische
Versicherungsgericht führt (Art. 57 und 62 ATSG [SR 830.1]), stehen den
Schuldnern die Einwendungen gemäss Art. 81 Abs. 2 SchKG nur dann zu, wenn
eine Krankenkasse ausserhalb des Kantons der Betreibung mit der Verfügung
über die Zahlungspflicht des Versicherten auch den Rechtsvorschlag
beseitigt (BGE 128 III 246 E. 2 S. 248).

    Die Schweizerische Inkassostelle für Radio- und Fernsehempfangsgebühren
ist zuständig, eine erstinstanzliche Verfügung zu erlassen (Art. 48
Abs. 2 lit. c RTVV). Bei der Ausübung dieser Funktion verfügt die
Beschwerdeführerin - ähnlich einer Abteilung der Bundesverwaltung - in
Anwendung des VwVG erstinstanzlich für das ganze Gebiet der Schweiz.
Diese Verfügung kann beim BAKOM angefochten werden (Art. 50 Abs. 3
RTVV). Letztinstanzlich ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim
Bundesgericht zulässig (BGE 128 III 39 E. 4b S. 44). Die Beschwerdeführerin
ist somit vollumfänglich in das Verwaltungsverfahren des Bundes eingebettet
und damit eine Bundesbehörde im Sinne von Art. 1 Abs. 2 lit. e VwVG. Das
hat zur Folge, dass dem Schuldner die Einwendungen gemäss Art. 81 Abs. 2
SchKG versagt bleiben.

    1.2.4  Die Beschwerde ist somit nach dem Ausgeführten gutzuheissen
und der Entscheid der Aufsichtsbehörde aufzuheben. Das Betreibungsamt
ist anzuweisen, die Betreibung Nr. x fortzusetzen.