Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 42



130 III 42

6. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
i.S. Z. gegen Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des
Kantons Basel-Stadt (Beschwerde)

    7B.214/2003 vom 3. Dezember 2003

Regeste

    Art. 8a SchKG; Einsichtsrecht einstiger Parteien des
Zwangsvollstreckungsverfahrens.

    Das Recht des Gemeinschuldners auf Einsicht in die vernichtbaren,
aber nicht vernichteten Akten des erledigten Konkurses wird durch die
Frist zur amtlichen Aufbewahrung nicht beschränkt (Praxisänderung; E. 3.2).

Sachverhalt

    Am 29. September 1988 wurde der Konkurs über Z. eröffnet. Am
22. August 1990 wurde das vom Konkursamt Basel-Stadt durchgeführte
Verfahren geschlossen. Im März 2003 gelangte Z. an das Konkursamt mit dem
Begehren um Akteneinsicht. Am 7. März 2003 beanstandete sie mit Beschwerde,
dass sie vom Konkursamt für die Akteneinsicht auf später vertröstet worden
sei. Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt
wies die Beschwerde mit Urteil vom 27. Juli 2003 ab.

    Z. hat das Urteil der Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift
vom 12. September 2003 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass das
Akteneinsichtsrecht in das Verfahren über ihren eigenen Konkurs weiterhin
bestehe.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.2  Das Recht Dritter, in die Protokolle und Register der
Betreibungs- und Konkursämter einzusehen und sich Auszüge daraus
geben zu lassen, erlischt fünf Jahre nach Abschluss des Verfahrens
(Art. 8a Abs. 4 SchKG). Von dieser Regel sind die einstigen Parteien
des Zwangsvollstreckungsverfahrens ausgenommen. Hier wird nach der
Rechtsprechung das - ein ausgewiesenes Interesse voraussetzende -
Einsichtsrecht durch die Dauer der amtlichen Pflicht zur Aufbewahrung
der Akten begrenzt (BGE 110 III 49 E. 4 S. 51). Hat das Betreibungs-
oder Konkursamt auch nach Ablauf dieser Fristen die Akten noch nicht
vernichtet, so ist es ihm nicht verwehrt, auch dann noch Einsichtnahme zu
gewähren, allerdings ohne dass der Gesuchsteller einen Anspruch geltend
machen kann (BGE 99 III 41 E. 3 S. 45). Mit ihrer Beschwerde wendet sich
die Beschwerdeführerin gegen diese von der Aufsichtsbehörde angewendete
Regel, wonach kein Anspruch auf Einsicht in die vernichtbaren, aber nicht
vernichteten Akten des eigenen Konkurses bestehe.

    3.2.1  Die erwähnte Rechtsprechung ist insoweit zu überdenken,
als damit ein Anspruch auf Akteneinsicht einstiger Parteien des
Zwangsvollstreckungsverfahrens nach Ablauf der amtlichen Aufbewahrungsfrist
verneint wird. In der Literatur wird die entsprechende Verbindung von
Aufbewahrungsfrist und Einsichtsrecht nicht begründet, wohl aber bestätigt
(JAMES T. PETER, Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, N. 31 zu Art. 8a SchKG; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire
de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 59
zu Art. 8a SchKG). Art. 8a Abs. 1 SchKG verankert indessen das Recht,
bei vorhandenem Auskunftsinteresse die Protokolle und Register der
Betreibungs- und Konkursämter einzusehen und sich Auszüge daraus geben zu
lassen. Das Gesetz spricht einzig vom Erlöschen des Einsichtsrechts Dritter
(fünf Jahre nach Abschluss des Verfahrens); eine zeitliche Begrenzung
des Einsichtsrechts des Schuldners lässt sich dem Wortlaut von Art. 8a
Abs. 4 SchKG nicht entnehmen. Im Rahmen der SchKG-Revision beschränkte
sich der Bundesrat auf einen Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung,
indem er in der Botschaft ausführte, das Einsichtsrecht für die
einstigen Parteien des Zwangsvollstreckungsverfahrens werde zeitlich
durch die amtlichen Aufbewahrungsfristen begrenzt (BBl 1991 III 33). Das
Parlament konzentrierte sich auf die Regelung des Einsichtsrechts Dritter,
währenddem dasjenige des Schuldners nicht weiter Anlass zur Beratung
gab. Demnach hindern weder Wortlaut noch Entstehungsgeschichte daran,
Art. 8a SchKG betreffend das Einsichtsrecht des Schuldners im Einklang
mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung auszulegen (vgl. BGE 128
V 20 E. 3a S. 24). Nach der Rechtsprechung zu Art. 29 Abs. 2 BV kann
eine umfassende Wahrung der Rechte gebieten, dass ein Betroffener Akten
eines abgeschlossenen Verfahrens einsehe, wobei dieser Anspruch davon
abhängig ist, dass der Rechtsuchende ein besonderes schutzwürdiges
Interesse glaubhaft machen kann; zudem findet das Akteneinsichtsrecht
seine Grenzen an überwiegenden öffentlichen Interessen des Staates oder an
berechtigten Interessen Dritter (BGE 129 I 249 E. 3 S. 253). Betrachtet
man Art. 8a Abs. 1 und 4 SchKG unter diesem Gesichtswinkel, erscheint
es nicht gerechtfertigt, der Beschwerdeführerin als Gemeinschuldnerin
das Recht auf Einsicht in die Akten des erledigten eigenen Konkurses
mit dem blossen Argument des Ablaufs der amtlichen Aufbewahrungsfrist
bzw. der Vernichtbarkeit der Akten zu verweigern. Vielmehr ist zu prüfen,
ob die Beschwerdeführerin ein schutzwürdiges Interesse an der Einsicht in
die wohl vernichtbaren, aber vorhandenen Akten hat und (gegebenenfalls)
andere Interessen einer Einsicht entgegenstehen.

    3.2.2  Die Aufsichtsbehörde hat erwogen, dass allfällige
Schadenersatzansprüche nach Art. 6 SchKG verjährt seien und mit Beschluss
vom 24. März 2003 der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt festgestellt
worden sei, die von der Beschwerdeführerin gegen das Konkursamt zur
Anzeige gebrachten und behaupteten Straftaten seien spätestens am 22.
August 2000 verjährt, weshalb das Strafverfahren eingestellt worden sei;
ein Interesse der Beschwerdeführerin an der Einsicht in die Konkursakten
sei nicht ersichtlich. Die Rechtsprechung hat indessen in der Absicht, ein
Verfahren zur Erlangung eines Ausgleichs - z.B. im Sinne von Schadenersatz
- anzustrengen, ein schutzwürdiges Interesse für die Akteneinsicht erblickt
(BGE 129 I 249 E. 5.2 S. 259; vgl. BGE 58 III 118 S. 120). Entgegen der
vorinstanzlichen Ansicht ist es grundsätzlich nicht Sache der Behörden,
anstelle des Betroffenen über den allenfalls einzuschlagenden Weg und
die Erfolgschancen zu befinden und die Akteneinsicht davon abhängig zu
machen. Die Aufsichtsbehörde hat demnach der Beschwerdeführerin, die
offenbar einen Prozess gegen das Konkursamt bzw. den Kanton anstrengt, zu
Unrecht ein schutzwürdiges Interesse an der Akteneinsicht abgesprochen. Im
Weiteren werden im angefochtenen Urteil keine öffentlichen Interessen des
Staates oder Interessen Dritter genannt, welche einer Einsichtnahme der
Beschwerdeführerin in die Akten ihres Konkurses entgegenstehen würden. Vor
diesem Hintergrund erweist sich die Beschwerde als begründet, was zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, und es bleibt festzustellen,
dass die Beschwerdeführerin das Recht hat, beim Konkursamt Einsicht in
die vernichtbaren Akten des erledigten Konkurses zu nehmen, solange diese
noch vorhanden sind.