Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 130 III 225



130 III 225

28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung i.S. X. Company gegen
Obergericht des Kantons Zürich, als obere kantonale Aufsichtsbehörde in
Schuldbetreibungs- und Konkurssachen (staatsrechtliche Beschwerde)

    5P.353/2003 vom 8. Dezember 2003

Regeste

    Arrestprosequierung; Verwertungsgebühr; Art. 16 SchKG, Art. 30 GebV
SchKG; Art. 5 Abs. 2, Art. 8 und 9 BV.

    Tragweite des Kostendeckungs- und Äquivalenzprinzips (E.  2.3).

    Wird für einen ausgesprochen bescheidenen Verwertungsaufwand, aus
dem jedoch ein sehr hoher Erlös resultiert, eine Gebühr von 2 Promille
erhoben, liegt ein Verstoss gegen das Äquivalenzprinzip vor (E. 2.4).

    Art. 16 SchKG ermächtigt den Bundesrat zur Festsetzung eines
Gebührentarifs, jedoch nicht zur Erhebung einer Abgabe mit (teilweisem)
Steuercharakter (E. 2.5).

Sachverhalt

    A.- In der Betreibung Nr. ...  (Arrestprosequierung) gegen
Y. (Schuldner) stellte das Betreibungsamt Zürich 1 am 20. Januar
2003 der Gläubigerin X. Company nach durchgeführter Verwertung eine
Verlustbescheinigung aus. Dabei erhob es gestützt auf Art. 30 der
Gebührenverordnung vom 23. September 1996 zum SchKG (GebV SchKG; SR 281.35)
eine Gebühr von 2 Promille des Verwertungserlöses (Fr. 102'293'918.10),
ausmachend Fr. 204'587.80, zuzüglich Auslagen.

    B.- Ein von der X. Company am 31. Januar 2003 eingereichtes
Wiedererwägungsgesuch in Bezug auf die Kostenverfügung lehnte das
Betreibungsamt am 12. Februar 2003 ab, und mit Beschluss vom 19. Juni
2003 wies das Bezirksgericht Zürich als untere Aufsichtsbehörde
in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen die gleichzeitig mit dem
Wiedererwägungsgesuch erhobene Beschwerde der X. Company gegen die
Kostenverfügung ab. Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Zivilkammer,
als obere Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen wies
mit Beschluss vom 21. August 2003 die Beschwerde ebenfalls ab.

    C.- Die X. Company gelangte mit Beschwerde vom 1. September 2003
an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts, welche
mit Entscheid vom 12. September 2003 die Beschwerde abwies, soweit sie
darauf eintrat.

    D.- Noch innert der Beschwerdefrist von 30 Tagen erhob die X. Company
zudem am 22. September 2003 staatsrechtliche Beschwerde gegen den ihr am
22. August 2003 zugestellten Beschluss des Obergerichts. Sie beantragt,
die Festsetzung der Gebühr des Betreibungsamtes für die Verwertung in
der Pfändung Nr. ... des Betreibungsamtes Zürich 1 und der Entscheid der
oberen kantonalen Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen
vom 21. August 2003 seien aufzuheben. Das Bundesgericht heisst die
staatsrechtliche Beschwerde gut und hebt den Entscheid des Obergerichts
vom 21. August 2003 auf.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Im Rahmen des Betreibungsverfahrens liess die Beschwerdeführerin
gepfändete Geldbeträge in ausländischer Währung im Gegenwert
von Fr. 102'293'918.80 verwerten. Auf ihre Anregung hin wurden die
gepfändeten Geldbeträge direkt an die Bank der Gläubigerin transferiert.
Die Verwertungshandlung des Betreibungsamtes bestand in einer Anweisung
an die Bank, bei der sich die Geldbeträge befanden, die Gelder zu
überweisen. Das Betreibungsamt Zürich 1 setzte in der Folge die Gebühr
hierfür auf 2 Promille des Verwertungserlöses fest, wobei es sich auf
den Tarif von Art. 30 GebV SchKG für die freihändige Verwertung von
Aktiven stützte:

    Erlös/Franken                    Gebühr/Franken

    bis 500                                10.-

    500 - 1'000                            50.-

    1'000 - 10'000                        100.-

    10'000 - 100'000                      200.-

    über 100'000                       2 Promille

    Nach Massgabe dieser Regelung hat das Betreibungsamt eine Gebühr von
Fr. 204'587.80 (zuzüglich Auslagen) verfügt.

    2.2  Im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde ist nicht zu prüfen,
ob die Anweisung des Betreibungsamtes an die Bank, die Vermögenswerte an
die Gläubigerin zu transferieren, als Freihandverkauf zu qualifizieren
ist und ob die hierfür erhobene Gebühr zu Recht gestützt auf Art. 30
GebV SchKG erhoben wurde. Ebenso wenig ist zu prüfen, ob Art. 30 GebV
SchKG zutreffend angewendet worden ist. In Frage steht ausschliesslich,
ob die Gebühr von Fr. 204'587.80 der Höhe nach verfassungswidrig ist,
wobei die Beschwerdeführerin vorab geltend macht, Art. 30 GebV SchKG
sei mit dem Äquivalenzprinzip insoweit nicht vereinbar, als bei hohem
Verwertungserlös mangels oberer Begrenzung des Tarifs die Höhe der
Gebühr in keinem vernünftigem Verhältnis mehr zur staatlichen Leistung
steht. Demgegenüber geht das Obergericht im angefochtenen Entscheid
davon aus, dass das Äquivalenzprinzip nicht verletzt sei, wiewohl zwar
die erhobene Gebühr den Kostenaufwand der vom Staat erbrachten Leistung
bei weitem übersteige. Jedoch liege der wirtschaftliche Nutzen für die
Beschwerdeführerin im erzielten Verwertungserlös, zu welchem die erhobene
Gebühr durchaus in einem vernünftigen Verhältnis stehe.

    2.3  Das Äquivalenzprinzip konkretisiert das
Verhältnismässigkeitsprinzip und das Willkürverbot (Art. 5 Abs. 2 sowie
Art. 8 und 9 BV) für den Bereich der Kausalabgaben (BGE 128 I 46 E. 4a
S. 52; 101 Ib 462 E. 3b S. 468; ADRIAN HUNGERBÜHLER, Grundsätze des
Kausalabgaberechts, ZBl 104/2003 S. 522). Es bestimmt, dass eine Gebühr
nicht in einem offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der
Leistung stehen darf und sich in vernünftigen Grenzen halten muss. Der
Wert der Leistung bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Nutzen, den
sie dem Pflichtigen bringt, oder nach dem Kostenaufwand der konkreten
Inanspruchnahme im Verhältnis zum gesamten Aufwand des betreffenden
Verwaltungszweigs (BGE 101 Ib 462 E. 3b S. 468), wobei schematische,
auf Wahrscheinlichkeit und Durchschnittserfahrungen beruhende Massstäbe
angelegt werden dürfen. Es ist nicht notwendig, dass die Gebühren in jedem
Fall genau dem Verwaltungsaufwand entsprechen; sie sollen indessen nach
sachlich vertretbaren Kriterien bemessen sein und nicht Unterscheidungen
treffen, für die keine vernünftigen Gründe ersichtlich sind (BGE 128 I
46 E. 4a S. 52; 126 I 180 E. 3a/bb S. 188, mit Hinweisen; HUNGERBÜHLER,
aaO, S. 522 f.).

    Bei der Festsetzung von Verwaltungsgebühren darf deshalb innerhalb
eines gewissen Rahmens auch der wirtschaftlichen Situation des Pflichtigen
und dessen Interesse am abzugeltenden Akt Rechnung getragen werden
(BGE 126 I 180 E. 3a/bb S. 191; HUNGERBÜHLER, aaO, S. 523), und bei
Gerichtsgebühren darf namentlich der Streitwert eine massgebende
Rolle spielen (BGE 120 la 171 E. 2a S. 174; ALAIN WURZBURGER, De
la constitutionnalité des émoluments judiciaires en matière civile,
Festschrift für Jean-François Poudret, Lausanne 1999, S. 307 f.), wobei dem
Gemeinwesen nicht verwehrt ist, mit den Gebühren für bedeutende Geschäfte
den Ausfall in weniger bedeutsamen Fällen auszugleichen (BGE 120 la 171
E. 2a S. 174 und E. 4c S. 177/178; HUNGERBÜHLER, aaO, S. 526). In Fällen
mit hohem Streitwert und starrem Tarif, der die Berücksichtigung des
Aufwandes nicht erlaubt, kann die Belastung allerdings unverhältnismässig
werden, namentlich dann, wenn die Gebühr in Prozenten oder Promillen
festgelegt wird und eine obere Begrenzung fehlt (WURZBURGER, aaO, S. 308;
vgl. BGE 126 I 180 E. 3c/cc S. 193).

    2.4  Das Obergericht räumt im angefochtenen Entscheid ein, dass die
vorliegend verlangte Gebühr von Fr. 204'587.80 den Kostenaufwand bei
weitem übersteigt. Als Bemessungsgrundlage für die Gebühr komme nach
der Rechtsprechung jedoch nicht nur der Kostenaufwand der konkreten
Inanspruchnahme der Verwaltung im Verhältnis zum gesamten Aufwand des
betreffenden Verwaltungszweigs in Frage, sondern alternativ dazu der
wirtschaftliche Nutzen, den die staatliche Leistung dem Pflichtigen
bringe. Dieser wirtschaftliche Nutzen liege im Verwertungserlös von Fr.
102'293'918.10, mit welchem die Gebühr von Fr. 204'587.80 durchaus in
einem angemessenen Verhältnis stehe.

    Das Äquivalenzprinzip verlangt, dass die Gebühr nicht in einem
offensichtlichen Missverhältnis zum objektiven Wert der Leistung
steht und sich in vernünftigen Grenzen hält. Für den objektiven Wert
der Leistung kann auf den Nutzen für den Pflichtigen oder auf den
Kostenaufwand abgestellt werden (vgl. E. 2.3 hiervor), wovon das
Obergericht zutreffend ausgeht. Beide Kriterien sind indessen nur
Hilfsmittel zur Bestimmung des Werts der staatlichen Leistung. Der
erzielte Verwertungserlös, den das Obergericht dem Nutzen gleichsetzt,
gibt aber jedenfalls nicht den Wert der staatlichen Leistung wieder,
sondern hängt in erster Linie von der verwerteten Sache ab, während
die staatliche Leistung, für welche die Gebühr erhoben wird, in der
Verwertungshandlung liegt, d.h. in der Durchführung der Versteigerung
oder des Freihandverkaufs. Der Verwertungserlös ist dennoch ein sachliches
Kriterium für die Bemessung der Gebühr, das erlaubt, dem Interesse des
Pflichtigen Rechnung zu tragen und einen Ausgleich zwischen mehr und
weniger bedeutsamen Geschäften herbeizuführen. Bei hohem Verwertungserlös
aber allein hierauf abzustellen und eine Gebühr von 2 Promille ohne jede
Plafonierung zu erheben, kann zu einem offensichtlichen Missverhältnis
zum objektiven Wert der staatlichen Leistung führen, wenn der Aufwand für
die Verwertungshandlung ausgesprochen bescheiden und der Verwertungserlös
zudem sehr hoch ist. Eine Gebühr von Fr. 204'587.80 hat im vorliegenden
Fall, in dem sich die Verwertungshandlung auf eine Anweisung an eine Bank
erschöpfte, offensichtlich nichts mehr mit der erbrachten staatlichen
Leistung gemein und verstösst deshalb gegen das Äquivalenzprinzip.

    2.5  Es fällt im Übrigen auf, dass in der früheren Gebührenverordnung
zum SchKG vom 7. Juli 1971 noch eine obere Grenze für die Gebühr
festgelegt war, welche zuletzt Fr. 4'000.- betrug (AS 1994 S. 206). Erst
mit der heute massgebenden GebV SchKG vom 23. September 1996 ist die obere
Begrenzung weggelassen worden. Beim gesetzgeberischen Entscheid, eine obere
Begrenzung der Gebühr wegzulassen, mag der Gedanke mitgespielt haben, dass
bei Zwangsverkäufen die öffentliche Beurkundung des Grundstückverkaufs
entfällt und damit die entsprechende Abgabe. Zu berücksichtigen ist
indessen, dass Art. 30 GebV SchKG nicht nur bei aufwändigen Verwertungen
von Grundstücken zur Anwendung gelangt, sondern auch bei Verwertungen,
die nur geringen Aufwand verursachen. Sodann kann beim Amtsnotariat der
Notariatstarif zulässigerweise den Charakter einer Gemengsteuer annehmen
(Urteil des Bundesgerichts 2P.25/1989 vom 8. August 1989, publ. in: ZBGR
72/1991 S. 310 ff.), womit eine Bindung an das Kostendeckungs- und das
Äquivalenzprinzip entfällt. Die Zulässigkeit einer Gemengsteuer beruht
hier darauf, dass das Bundeszivilrecht die Steuerhoheit der Kantone
nicht beschränkt (BGE 126 I 180 E. 2b/dd S. 186 f.), und es somit auf
kantonalrechtlicher Grundlage zulässig ist, eine Abgabe zu erheben,
die neben dem Entgelt für die Amtshandlung auch eine Steuerkomponente
enthält. Die GebV SchKG beruht demgegenüber auf der bundesrechtlichen
Grundlage von Art. 16 SchKG, der den Bundesrat zur Festsetzung eines
Gebührentarifs ermächtigt, jedoch nicht zur Erhebung einer Abgabe mit
(teilweisem) Steuercharakter.

    Das bedeutet nicht, dass Art. 30 GebV SchKG in der heutigen Fassung
mit der nach oben offenen Promillegebühr per se verfassungswidrig
wäre. Jedoch haben die Betreibungsämter im Einzelfall namentlich bei hohem
Zuschlagpreis, Kaufpreis oder Erlös dem Äquivalenzprinzip Rechnung zu
tragen und die rechnerisch nach Promille ermittelte Gebühr nötigenfalls
herabzusetzen (BGE 119 III 133 E. 3b S. 135).