Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 67



129 V 67

8. Auszug aus dem Urteil i.S. S. gegen IV-Stelle des Kantons Aargau und
Versicherungsgericht des Kantons Aargau I 90/02 vom 30. Dezember 2002

Regeste

    Art. 8 Abs. 1 und 2, Art. 21 Abs. 1 IVG; Art. 2 Abs. 1 und 2 HVI; Ziff.
13.05* HVI Anhang; Rz 1019 und Ziff. 13.05.5* des Kreisschreibens des
Bundesamtes für Sozialversicherung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch
die Invalidenversicherung (KHMI): Eingliederungswirksamkeit.

    Die in Ziff. 13.05.5* KHMI statuierte quantitative
Eingliederungswirksamkeit von mindestens 10% ist im Zusammenhang mit der
allgemeinen Regelung in Rz 1019 KHMI auszulegen und dementsprechend nicht
als absolutes Minimum, sondern als Richtmass zu verstehen, das Abweichungen
im Einzelfall zugänglich ist; in diesem Sinne ist die Konkretisierung
der gesetzlichen Eingliederungswirksamkeit auf Weisungsstufe nicht zu
beanstanden.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.1.1  Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 IVG hat der Versicherte im
Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene
Hilfsmittel, deren er unter anderem für die Ausübung der Tätigkeit
in seinem Aufgabenbereich bedarf. In Art. 21 Abs. 4 IVG wird der
Bundesrat ermächtigt, nähere Vorschriften zu erlassen. Diese Befugnis
zur Rechtssetzung ist in Art. 14 IVV an das Eidgenössische Departement
des Innern (EDI) subdelegiert worden. Das EDI hat in Ziff. 13.05*
HVI Anhang angeordnet, dass der Treppenlift als Hilfsmittel für
die Tätigkeit im Aufgabenbereich notwendig sein muss (Art. 2 Abs. 2
HVI). Des Weitern unterliegt eine Hilfsmittelversorgung den allgemeinen
Anspruchsvoraussetzungen gemäss Art. 8 IVG (Geeignetheit, Erforderlichkeit,
Eingliederungswirksamkeit; SVR 1999 IV Nr. 27 S. 84 Erw. 3c in fine;
vgl. BGE 122 V 214 Erw. 2c). Diese unbestimmten Rechtsbegriffe hat die
Verwaltung durch Weisungen konkretisiert (vgl. BGE 123 V 152 Erw. 2 mit
Hinweis). Dabei ist zu beachten, dass Verwaltungsverordnungen eine -
für das Gericht nicht verbindliche - Auslegungshilfe sind (BGE 127 V
61 Erw. 3a, 126 V 68 Erw. 4b, 427 Erw. 5a, 125 V 379 Erw. 1c, je mit
Hinweisen) und als solche keine genügende Grundlage abgeben, um zusätzliche
einschränkende materiellrechtliche Anspruchserfordernisse aufzustellen,
die im Gesetz nicht enthalten sind (BGE 126 V 427 Erw. 5a mit Hinweis;
SVR 1999 IV Nr. 15 S. 44 Erw. 3b).

    1.1.2  Das Bundesamt für Sozialversicherung hat die
Anspruchsvoraussetzungen für einen Treppenlift gemäss Ziff. 13.05* HVI
Anhang unter anderem dahin gehend konkretisiert, dass durch das Hilfsmittel
mindestens eine Leistungssteigerung um 10% ermöglicht werden muss (Ziff.
13.05.5* des Kreisschreibens über die Abgabe von Hilfsmitteln durch
die Invalidenversicherung [KHMI], gültig ab 1. Februar 2000). Diese
Ziffer verweist im Zusammenhang mit der Eingliederungswirksamkeit
auf Rz 1019 KHMI, wonach kostspielige Hilfsmittel für Tätigkeiten im
Aufgabenbereich nur abgegeben werden können, wenn die Arbeitsfähigkeit
beachtlich gesteigert oder erhalten werden kann (in der Regel mindestens
10% gemäss Haushaltsabklärung).

Erwägung 2

    2.

    2.1  Die Vorinstanz hat die ablehnende Verfügung der IV-Stelle
geschützt, da diese aufgrund des Abklärungsberichts vom 15. Mai 2001
davon habe ausgehen können, dass der Einbau eines Treppenliftes zu
einer Leistungssteigerung von 9% führe, womit die gemäss Ziff. 13.05.5*
KHMI vorausgesetzte minimale Eingliederungswirksamkeit von 10% nicht
erreicht sei. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Ansicht,
dass eine Steigerung von mindestens 11% - eher sogar deutlich mehr -
zu erwarten sei (...)

    2.2  Vorinstanz und Verwaltung haben sich für ihren Entscheid primär
auf das KHMI - eine Verwaltungsweisung - abgestützt. Somit ist zunächst
die Rechtmässigkeit der Voraussetzung einer minimalen Steigerung der
Eingliederungswirksamkeit um 10% gemäss Ziff. 13.05.5* KHMI zu prüfen.

    Die in der - unter anderem speziell für Treppenlifte konzipierten -
Ziff. 13.05.5* KHMI statuierte quantitative Eingliederungswirksamkeit
ist infolge des darin enthaltenen Verweises im Zusammenhang mit der
allgemeinen Regelung in Rz 1019 KHMI auszulegen. Sie ist nicht als
absolutes Minimum zu verstehen, sondern hat vielmehr als Richtmass zur
Beurteilung der Beachtlichkeit zu gelten, das Abweichungen im Einzelfall
zugänglich ist. Die weisungsmässig verlangte Verbesserung um mindestens
10% ist eine für Hebebühnen, Treppenlifte sowie Beseitigung oder
Abänderung von baulichen Hindernissen (Ziff. 13.05* HVI Anhang) als in
der Regel kostspielige Vorkehren zulässige Konkretisierung der in Art. 8
Abs. 1 IVG für alle Massnahmen der Invalidenversicherung vorgesehenen
Eingliederungswirksamkeit, die leistungsspezifisch unterschiedlich ist
(vgl. MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen
Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 84).