Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 485



129 V 485

74. Urteil i.S. Kantonales Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland
gegen D. und Kantonsgericht Basel-Landschaft

    C 115/03 vom 20. August 2003

Regeste

    Art. 8 Abs. 1 lit. f, Art. 15 Abs. 1, Art. 30a Abs. 1, Art. 85 Abs. 1
lit. b und d, Art. 85b und Art. 113 AVIG: Kompetenzdelegation an Regionale
Arbeitsvermittlungszentren.

    Die Kompetenzdelegation einzelner Aufgaben der kantonalen Amtsstelle
an die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) (Überprüfung
der Vermittlungsfähigkeit gemäss Art. 15 Abs. 1 AVIG oder Entzug des
Leistungsanspruchs nach Art. 30a Abs. 1 AVIG) bedarf eines formellen, den
Publikationsvorschriften des Kantons unterliegenden Erlasses. Eine bloss
auf internen Verwaltungsweisungen vorgenommene Zuständigkeitsübertragung
genügt nicht, was zur Nichtigkeit der Verwaltungsverfügung führt.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 30. Oktober 2002 verneinte das Regionale
Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) den Anspruch der 1953 geborenen D.
auf Arbeitslosenentschädigung ab 2. Oktober 2002.

    B.- Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher D.  sinngemäss die
Aufhebung der Verwaltungsverfügung beantragte, hiess das Kantonsgericht
Basel-Landschaft in dem Sinne gut, dass es die Verfügung des RAV vom
30. Oktober 2002 als nichtig aufhob (Entscheid vom 9. April 2003).

    C.- Das Kantonale Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit Baselland
(KIGA) führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, es
sei in Aufhebung des kantonalen Entscheids festzustellen, dass das RAV
zum Erlass der streitigen Verfügung sachlich und funktionell zuständig
gewesen sei.

    D. beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde; eventuell sei
die Verfügung des RAV aus materiellrechtlichen Gründen aufzuheben. Das
als Mitbeteiligte zur Vernehmlassung eingeladene RAV wie auch das
Staatssekretariat für Wirtschaft verzichten auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.  Versicherte haben u.a. Anspruch auf Arbeitslosenentschädigung, wenn
sie vermittlungsfähig sind (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG). Die arbeitslose
Person ist vermittlungsfähig, wenn sie bereit, in der Lage und berechtigt
ist, eine zumutbare Arbeit anzunehmen (Art. 15 Abs. 1 AVIG). Widersetzt
sich der Versicherte nach Ablauf der gestützt auf Artikel 30 Abs. 1
lit. d verfügten Einstellungsdauer immer noch der Teilnahme an einem
Beratungsgespräch oder an einer arbeitsmarktlichen Massnahme, so
entzieht ihm die kantonale Amtsstelle den Leistungsanspruch (Art. 30a
AVIG). Nach Art. 85 Abs. 1 lit. b und d AVIG klären die kantonalen
Amtsstellen die Anspruchsberechtigung ab, soweit das Gesetz ihnen diese
Aufgabe übertragen hat, und überprüfen die Vermittlungsfähigkeit von
Arbeitslosen. Art. 85b Abs. 1 AVIG bestimmt, dass die Kantone den
RAV Aufgaben der kantonalen Amtsstellen und der Gemeindearbeitsämter
übertragen können. Die den RAV übertragenen Aufgaben und Kompetenzen
melden die Kantone der Ausgleichsstelle (Art. 85b Abs. 3 AVIG). Sie
erlassen die Ausführungsbestimmungen, welche sie dem Bund zur Genehmigung
vorlegen (Art. 113 Abs. 1 Satz 2 AVIG), wobei die Kantone insbesondere
die zuständigen Amtsstellen und Beschwerdeinstanzen bezeichnen (Art. 113
Abs. 2 lit. b AVIG) und die Verfahrensvorschriften erlassen (Art. 113
Abs. 2 lit. e AVIG).

Erwägung 2

    2.  Streitig und zu prüfen ist die Zuständigkeit des RAV zum
Erlass der Verfügung vom 30. Oktober 2002. Dabei ist unklar, ob das
RAV den Leistungsanspruch entzog gestützt auf Art. 30a AVIG (wovon die
Vorinstanz auszugehen scheint) oder ob der Anspruch wegen mangelnder
Vermittlungsbereitschaft nach Art. 15 AVIG (Art. 8 Abs. 1 lit. f AVIG)
verneint wurde. Für die hier zu beurteilende Frage der rechtsgenüglichen
Kompetenzdelegation ist dies jedoch unerheblich (Erw. 2.2 hienach).

    2.1  Der Beschwerdeführer stellt sich auf den Standpunkt, § 3
Abs. 3 des Gesetzes des Kantons Basel-Landschaft vom 25. März 1999
(angenommen in der Volksabstimmung vom 26. September 1999) über die
Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung (AVLG) stelle eine
genügende Rechtsgrundlage für die Kompetenzdelegation einzelner Aufgaben an
die RAV dar. Gemäss dieser Norm bestimmt das KIGA Standorte, geografische
Zuständigkeitsbereiche sowie Aufgaben und Kompetenzen der RAV. Nach
Ansicht des Beschwerdeführers hat damit der kantonale Gesetzgeber das KIGA
ermächtigt und beauftragt, Aufgaben und Kompetenzen der RAV eigenständig
zu definieren und unter Beachtung der massgeblichen bundesrechtlichen
Vorschriften zu ordnen.

    2.2  Die grundsätzliche Zulässigkeit der Delegation der Befugnis
zur Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit (Art. 15 AVIG) oder zum
Entzug des Leistungsanspruchs (Art. 30a AVIG) an die RAV steht ausser
Frage (Art. 85b Abs. 1 Satz 2 AVIG; BGE 125 V 362). Eine derartige
Kompetenzdelegation einzelner Aufgaben des KIGA an die RAV bedarf indessen
eines formellen, den Publikationsvorschriften des Kantons unterliegenden
Erlasses. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers genügt eine bloss
auf internen Verwaltungsweisungen vorgenommene Zuständigkeitsübertragung
nicht (Urteil M. vom 23. Mai 2002; C 236/00), auch wenn dies, gemäss
KIGA, dem Willen des kantonalen Gesetzgebers entspricht. Der Kanton
Basel-Landschaft hat weder im AVLG noch in der Dienstordnung des
Kantonalen Amtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit vom 11. Dezember 1990
eine entsprechende Delegation vorgenommen (zur Überprüfung kantonalen
Verfahrensrechts durch das Eidgenössische Versicherungsgericht: BGE
126 V 149 Erw. 2b). § 3 Abs. 3 AVLG erteilt der kantonalen Amtsstelle
lediglich die Kompetenz, die Aufgaben der RAV festzulegen, wobei sich
eine entsprechende Kompetenzdelegation im Übrigen bereits aus Art. 85b
Abs. 1 AVIG ergibt. Die kantonalrechtliche Bestimmung besagt aber gerade
nicht, in welchen Bereichen der Arbeitslosenversicherung die RAV sachlich
zuständig sein sollen. Dies ergibt sich einzig aus den verwaltungsinternen
Weisungen des KIGA vom 30. Juni 2000, welche hingegen keinen formellen,
den Publikationsvorschriften des Kantons entsprechenden Erlass darstellen,
sodass für die Versicherten - als Verfügungsadressaten - die sachliche
Zuständigkeit nicht ersichtlich ist.

    2.3  Mit Blick auf diese Rechtslage ist mit dem kantonalen Gericht
festzustellen, dass dem RAV aufgrund fehlender rechtsgenüglicher
Kompetenzübertragung (sowohl für den Entzug des Leistungsanspruchs
nach Art. 30a AVIG wie für die Überprüfung der Vermittlungsfähigkeit
nach Art. 15 AVIG) vorliegend keine Verfügungskompetenz zukam, womit eine
sachlich unzuständige Behörde die streitige Verfügung erliess. Praxisgemäss
bildet die sachliche Unzuständigkeit einen Nichtigkeitsgrund, es sei
denn, der verfügenden Behörde komme - was hier nicht der Fall ist -
auf dem betreffenden Gebiet allgemeine Entscheidungsgewalt zu (BGE
127 II 47 Erw. 3g, 119 V 314 Erw. 3b, 114 V 327 Erw. 4b; vgl. auch
IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I,
6. Aufl., Basel 1986, S. 242 Nr. 40 B V a1, sowie RHINOW/KRÄHENMANN,
Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Ergänzungsband, Basel 1990,
Nr. 40 S. 120). Die Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes ist jederzeit und
von sämtlichen rechtsanwendenden Behörden von Amtes wegen zu beachten (BGE
127 II 48 Erw. 3g mit Hinweisen; Urteil M. vom 23. Mai 2002; C 236/00),
weshalb der vorinstanzliche Entscheid rechtens ist.