Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 387



129 V 387

59. Auszug aus dem Urteil i.S. M. gegen Sammelstiftung BVG der "Zürich"
Lebensversicherungs-Gesellschaft und Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau

    B 30/02 vom 30. Mai 2003

Regeste

    Art. 293 ff. SchKG (in der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen
Fassung): Ordentlicher Nachlassvertrag.

    Zur Bedeutung des Stundungsvertrages für die spätere Geltendmachung
berufsvorsorgerechtlicher Forderungen.

Sachverhalt

    A.- In teilweiser Gutheissung der Klage der Sammelstiftung BVG der
"Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft (vom 5. November 2001)
verpflichtete das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau M., der
Sammelstiftung für 1992/93 geschuldete Arbeitgeberbeiträge in Höhe
von Fr. 56'574.45 nebst Zins zu 5% seit 1. Oktober 1993 zu bezahlen
(Dispositiv-Ziff. 1); laut Dispositiv-Ziff. 2 erteilte es der Klägerin
in der Betreibung Nr. XX des Betreibungsamtes T. vom 12. Dezember 2000
im erwähnten Umfang definitive Rechtsöffnung (Entscheid vom 20. Februar
2002). Vorgängig zur Einreichung einer Klageantwort aufgefordert, hatte
sich M. nicht vernehmen lassen.

    B.- M. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen,
der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Klage der Sammelstiftung
sei vollumfänglich abzuweisen.

    Die Sammelstiftung schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Der Beschwerdeführer hält der Begründetheit der vorinstanzlich
teilweise gutgeheissenen Klage entgegen, die davon erfassten Beiträge aus
beruflicher Vorsorge der Jahre 1992/93 seien Gegenstand eines hängigen
Nachlassverfahrens, an welchem die Beschwerdegegnerin mit eben dieser
Forderung auf ausstehende BVG-Beiträge der Jahre 1992/93 beteiligt sei.

    3.2  Tatsächlich ist zwischen dem Beschwerdeführer (M.,
Bauunternehmung) und seinen Gläubigern "gemäss beiliegendem
Kollokationsplan" am 28. Januar 1994 (Datum der Gläubigerversammlung)
ein Nachlassvertrag abgeschlossen worden. Dieser Vertrag ist ergänzt
worden durch eine Vereinbarung vom 18. Februar 1994 zwischen dem
Beschwerdeführer (als Schuldner) "und allen privilegierten Gläubigern,
worunter die "Zürich Leben, Zürich", bei der Unterschrift firmierend
"Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft, Zürich. Das Bezirksgericht
Frauenfeld mit Entscheid vom 27. Mai 1994 und - auf Rekurs dreier Schuldner
des M. hin - das Obergericht des Kantons Thurgau mit Urteil vom 25. Oktober
1994 haben den Nachlassvertrag bestätigt.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Vorab ist zu erörtern, welche Rechtswirkungen der gerichtlich
bestätigte Nachlassvertrag für die vorinstanzlich beurteilte und hier
im Streit liegende Forderung auf Zahlung von Prämien aus beruflicher
Vorsorge der Jahre 1992/93 hat. Das Bezirksgericht Frauenfeld bewilligte
die Nachlassstundung am 13. August 1993 (für die Dauer von vier Monaten)
und am 18. November 1993 (bis zum 14. Februar 1994). Der Nachlassvertrag
wurde am 28. Januar 1994 abgeschlossen und am 27. Mai 1994 erstinstanzlich
sowie am 25. Oktober 1994 zweitinstanzlich bestätigt, weshalb dafür die
Bestimmungen gemäss Art. 293 ff. SchKG in der bis zum 31. Dezember 1996
gültig gewesenen Fassung heranzuziehen sind (vgl. in diesem Sinne BGE 125
III 154 ff., wonach der Zeitpunkt der Bewilligung der Nachlassstundung
dafür massgeblich ist, ob eine Forderung nach der alten oder der neuen,
ab 1. Januar 1997 geltenden Privilegienordnung [AS 1995 1227, 1275
ff.] zu kollozieren ist).

    4.2   Wenn ein Schuldner nach Massgabe der Art. 293 ff.  SchKG (in
der bis 31. Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung, AS 1950 I 57, 63-71)
den Entwurf eines Nachlassvertrages einreicht (Art. 293 Abs. 1 Satz 1
SchKG), fasst die Gläubigerversammlung unter Leitung des eingesetzten
Sachwalters darüber Beschluss (Art. 302 Abs. 1 und Abs. 3 SchKG). Nach Art.
305 Abs. 1 SchKG gilt der Nachlassvertrag als angenommen, wenn die Mehrheit
der Gläubiger ihm zugestimmt hat und die von den annehmenden Gläubigern
vertretene Forderungssumme mindestens zwei Drittel des Gesamtbetrages
der in Betracht fallenden Forderungen ausmacht. Die Bestätigung des
Nachlassvertrages wird u.a. an die Voraussetzung geknüpft, dass die
Vollziehung des Nachlassvertrages und die vollständige Befriedigung der
angemeldeten privilegierten Gläubiger hinlänglich sichergestellt sind, es
sei denn, dass sie ausdrücklich hierauf verzichten (Art. 306 Abs. 2 Ziff. 2
SchKG). Die gerichtliche Bestätigung des Nachlassvertrages wird, sobald
der Entscheid rechtskräftig ist, öffentlich bekannt gemacht (Art. 308
Abs. 1 SchKG). Laut Art. 311 SchKG ist der bestätigte Nachlassvertrag
für sämtliche Gläubiger rechtsverbindlich; ausgenommen sind nur die
Pfandgläubiger für den durch das Pfand gedeckten Forderungsbetrag. Der
gerichtliche Nachlassvertrag ist für die Nachlassgläubiger verbindlich,
ungeachtet dessen, ob der einzelne zugestimmt oder am Verfahren
überhaupt teilgenommen hat; auch säumige Gläubiger oder solche,
die ihre Forderung überhaupt nicht anmelden, sind ihm unterworfen
(KURT AMONN, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 5.
Aufl., Bern 1993, S. 452 Rz 4 zu § 55). Hingegen erstreckt sich die
Allgemeinverbindlichkeit des Nachlassvertrages nicht auf Gläubiger,
welche dem Nachlassvertrag nicht unterliegen und infolgedessen auch
nicht als Nachlassgläubiger gelten können. Das trifft, nebst den
Pfandgläubigern für den durch das Pfand gedeckten Forderungsbetrag, zu
auf die Gläubiger konkursrechtlich privilegierter Forderungen, sofern
sie ihre Forderungen angemeldet und nicht auf das ihnen eingeräumte
Sicherstellungsrecht verzichtet haben; nicht angemeldete privilegierte
Forderungen unterliegen dagegen stets dem Nachlassvertrag (AMONN, aaO,
S. 452 Rz 7 zu § 55 in fine). Da die vollumfängliche Befriedigung der
privilegierten Gläubiger gesetzliche Voraussetzung der gerichtlichen
Bestätigung (Genehmigung) des Nachlassvertrages bildet (Art. 306
Abs. 2 Ziff. 2 SchKG), können die (privilegierten) Gläubiger für ihre
privilegierten Forderungen trotz des bestätigten Nachlassvertrages
die Betreibung weiterführen, soweit sie nicht aus der Sicherstellung
gedeckt werden können (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., Zürich 1997-2001, Bd. 3, S. 105 N
10, S. 107 N 21, S. 109 N 36 und N 38 zu Art. 306; HANS ULRICH HARDMEIER,
in: STAEHELIN/BAUER/STAEHELIN [Hrsg.], Kommentar zum Bundesgesetz über
Schuldbetreibung und Konkurs, Basel 1998, N 21 zu Art. 306 und N 5 zu Art.
311 SchKG; DANIEL HUNKELER, Das Nachlassverfahren nach revidiertem SchKG,
Diss. Freiburg 1996, S. 15 Rz 56 und S. 17 Rz 64). Dabei gilt es zwischen
der Privilegierung und der Sicherstellung zu unterscheiden: Verzicht auf
Sicherstellung bedeutet als solcher nicht auch Verzicht auf das Privileg
(JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO, S. 110 N 44 zu Art. 306).

Erwägung 5

    5.

    5.1  Die am 5. November 2001 eingeklagte, vorinstanzlich im Umfang
von Fr. 56'574.45 nebst Akzessorien teilweise zugesprochene Forderung
ist Bestandteil der nach Art. 219 SchKG (in der hier anwendbaren, bis 31.
Dezember 1996 gültig gewesenen Fassung) in der 2. Klasse privilegierten
Forderung für Beiträge, welche der Beschwerdeführer aus der in seinem
Betrieb vollzogenen beruflichen Vorsorge auf Grund des Anschlussvertrages
schuldig geblieben ist und die in das Nachlassverfahren eingegeben worden
sind. Hierüber besteht nach den Akten unter den Verfahrensbeteiligten
zu Recht Einigkeit. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass die
hier strittige Forderung Gegenstand der von der Beschwerdegegnerin am
4. November 1993 eingereichten Klage gegen den Beschwerdeführer bildete,
die laut Abschreibungsbeschluss des Versicherungsgerichts des Kantons
Thurgau vom 20. Dezember 1993 zufolge Rückzugs als erledigt abgeschrieben
worden ist.

    5.2  Zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin als Gläubigerin der im
genannten Nachlassvertragsverfahren angemeldeten Forderung zu qualifizieren
ist. In der bei den Akten liegenden Korrespondenz betreffend den
Nachlassvertrag sowie insbesondere in der diesen ergänzenden Vereinbarung
vom 18. Februar 1994 wird stets die "Zürich" Leben, Zürich, oder "Zürich"
Lebensversicherungs-Gesellschaft als Partei genannt. Auf Grund der
BVG-rechtlichen Verselbstständigungspflicht sind die registrierte, zum
BVG-Vollzug zugelassene Vorsorgeeinrichtung (Art. 48 Abs. 2 BVG) und der
die Leistungen der Berufsvorsorgeeinrichtung versichernde Lebensversicherer
als Versicherungseinrichtung gemäss Art. 68 BVG zu unterscheiden. Es fragt
sich deshalb, ob die hier am Recht stehende Beschwerdegegnerin, welche
eine Vorsorgeeinrichtung gemäss Art. 48 Abs. 2 BVG ist, als Gläubigern zu
betrachten ist, die am Nachlassvertragsverfahren nicht teilgenommen hat.
Würde dies bejaht, müsste sie sich nach dem Gesagten (vgl. Erw. 4.2 hievor)
dessen Rechtswirkungen entgegenhalten lassen, da es unstrittig um eine
Forderung geht, welche vor Abschluss und gerichtlicher Bestätigung des
Nachlassvertrages entstanden ist.

    Der Kollektiv-Lebensversicherungsvertrag vom 19. Juni 1984 wurde
vom Beschwerdeführer und den Rechtsvorgängerinnen der Sammelstiftung
BVG der "Zürich" Lebensversicherungsgesellschaft und der "Zürich"
Lebensversicherungsgesellschaft - der Gemeinschaftsstiftung BVG der
VITA-Lebensversicherungs-AG sowie der VITA Lebensversicherungs-AG -
unterschrieben. Gemäss Ziff. 4 (betreffend Prämienzahlung) der Vereinbarung
zwischen der Gemeinschaftsstiftung BVG der VITA Lebensversicherungs-AG und
dem Arbeitgeber über den Anschluss verpflichtete sich der Beschwerdeführer
"gegenüber der Gemeinschaftsstiftung, die Prämien sowie weitere nach
Gesetz notwendige Zahlungen an die VITA zu leisten. Kommt der Arbeitgeber
den finanziellen Verpflichtungen nicht nach, so treten die Verzugsfolgen
ein, so wie sie in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen enthalten
sind". Ob auf Grund dieser Vertragsbestimmungen hinsichtlich der
materiellen Berechtigung auf die geschuldeten Prämien eine alternative
Gläubigerstellung, ein Vertrag (zwischen Vorsorgeeinrichtung und
Arbeitgeber) zu Gunsten eines Dritten (der Lebensversicherungsgesellschaft)
oder eine ähnliche zivilrechtliche Regelung vereinbart wurde, braucht
hier nicht abschliessend geprüft zu werden. Entscheidend ist, ob die
"Zürich" Lebensversicherungsgesellschaft am Verfahren, welches in den
Nachlassvertrag vom 28. Januar 1994 mündete, bloss in eigenem Namen
und/oder als Vertreterin der Vorsorgeeinrichtung teilgenommen hat.

    Die eben dargelegte besondere vertragliche Konstellation sowie der
Umstand, dass die "Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft in ihren
Schreiben vom 1. März und 8. April 1994 hinsichtlich Sicherstellung
der strittigen Forderung im Betreff jeweils ausdrücklich von der
"Sammelstiftung BVG" spricht, deuten darauf hin, dass die "Zürich"
Lebensversicherung als Inkassonehmerin befugt war, den Anspruch der
Sammelstiftung auf Leistung der Beiträge anzumelden und dies tatsächlich
auch tat. Dafür spricht im Weiteren, dass die Beschwerdegegnerin
ihrerseits bereits Partei des am 20. Dezember 1993, mithin vor
Abschluss des Nachlassvertrages, zufolge Rückzugs erledigten Prozesses am
Versicherungsgericht des Kantons Thurgau war. Wie es sich damit verhält,
braucht indes - ebenso wie die Frage einer allfälligen Forderungszession
durch den Versicherer auf die klagende Sammelstiftung - nicht abschliessend
beurteilt zu werden.

    5.3  Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass die Beschwerdegegnerin
zur klageweisen Geltendmachung des strittigen Anspruchs aktivlegitimiert
ist und die im Streite liegende Forderung als im Nachlassverfahren
angemeldet und mithin als privilegiert qualifiziert wird, dringt die
Beschwerdegegnerin zur Zeit mit ihrem Anspruch nicht durch: Zwar hat die
"Zürich" Lebensversicherungs-Gesellschaft in der ergänzenden Vereinbarung
vom 18. Februar 1994 nicht auf die Privilegierung verzichtet (vgl. Ziff. 5
der Vereinbarung). Sie hat indessen auf die Sicherstellung verzichtet,
indem sie von ihrer ursprünglichen, auf der Vereinbarung vom 18.
Februar 1994 vermerkten Bedingung gemäss Schreiben vom 1. März 1994
("erklären wir uns einverstanden, unter der Bedingung, dass unsere
Forderung von Fr. 64'767.- innert neun Monaten, vom Zustandekommen des
Nachlassvertrages an gerechnet, vollumfänglich beglichen wird, zuzüglich
6% Zins ...") abgerückt ist (Schreiben vom 8. April 1994). Damit müssen
sich die "Zürich" Lebensversicherungsgesellschaft wie die Klägerin Ziff. 6
des Nachlassvertrages vom 28. Januar 1994 entgegenhalten lassen, wonach
die Gläubiger vereinbarten,

      "ihre Forderungen bis zum letztinstanzlichen Urteil, mindestens aber

    neun Monate ab Ende der gerichtlichen Nachlassstundung zu stunden. Sie

    verzichten bis zum letztinstanzlichen Urteil auf Fortsetzung ihrer

    Betreibungen".

    Im Zusammenhang mit dem gesamten Vertragstext gelesen,
insbesondere der Präambel, welche auf die ausstehende Forderung
des Nachlassschuldners M. über Fr. 780'000.- dem wirtschaftlichen
Motiv zum Abschluss des Nachlassvertrages - Bezug nimmt, ist mit
"letztinstanzlichem Urteil" offensichtlich nicht das Verfahren der
SchKG-rechtlichen Nachlassbestätigung durch das erst- und - wie hier
- das zweitinstanzliche Nachlassgericht zu verstehen. Vielmehr wird
damit Bezug genommen auf die Prozesse, welche notwendig wurden, um die
Hauptforderung des Nachlassschuldners durchzusetzen. Diese Verfahren
sind, ausweislich der Akten, nach wie vor nicht abgeschlossen; ein
in dieser Sache ergangenes letztinstanzliches Urteil liegt nicht vor,
weshalb die Beschwerdegegnerin - wollte man ihre Aktivlegitimation kraft
Stellvertretung oder Zession bejahen - sich den vertraglich vereinbarten
Inhalt der Nachlassregelung entgegenhalten lassen muss. Dieser besteht,
entsprechend dem Wesen eines so genannten Stundungsvertrages darin, dass
der Bestand der Forderung wohl unberührt bleibt, indes deren Fälligkeit
neu bestimmt wird (vgl. HARDMEIER, aaO, S. 132 f. N 12 zu Art. 310). Die
Klage der Beschwerdegegnerin ist damit zumindest zur Zeit als unbegründet
abzuweisen.