Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 320



129 V 320

47. Auszug aus dem Urteil i.S. O. gegen X. AG und Versicherungsgericht
des Kantons Aargau

    B 69/01 vom 14. Mai 2003

Regeste

    Art. 73 Abs. 1, Art. 66 Abs. 3 BVG: Passivlegitimation des ehemaligen
Arbeitgebers.

    Der ehemalige Arbeitgeber ist passivlegitimiert, soweit der Versicherte
eine Verletzung der Abrechnungspflicht gemäss Art. 66 Abs. 3 BVG geltend
macht, ungeachtet dessen, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine
Versicherungs- oder eine Austrittsleistung nach sich zieht (Präzisierung
der Rechtsprechung).

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Mit Urteil W. vom 30. Mai 1989 (B 5/87), in welchem das nach
der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellte Begehren um Nachzahlung
von Beiträgen an die Vorsorgeeinrichtung durch die Arbeitgeberin zu
beurteilen war, entschied das Eidgenössische Versicherungsgericht,
der mit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstehende Anspruch
auf Freizügigkeitsleistung wende sich stets gegen eine Vorsorge-,
allenfalls gegen die Auffangeinrichtung, nie jedoch gegen den ehemaligen
Arbeitgeber, auch wenn dieser die abgezogenen Beiträge für die berufliche
Vorsorge nie an eine Vorsorgeeinrichtung überwiesen habe (SZS 1990
S. 203 Erw. 3). Diese Rechtsprechung präzisierte das Eidgenössische
Versicherungsgericht mit Urteil K. vom 14. Dezember 1998 (B 21/98) dahin
gehend, dass dies nicht nur bei Fälligkeit einer Austrittsleistung
gelte, sondern auch bei Eintreten des Versicherungsfalles in Form
von Altersleistungen (SZS 2000 S. 161 Erw. 4c). In seinem Urteil
P. vom 6. Dezember 1999 (B 4/99), in welchem das nach frühzeitigem
Übertritt in den Ruhestand gestellte Begehren um Nachzahlung von
Pensionskassenbeiträgen durch die Arbeitgeberin zu beurteilen war,
änderte das Eidgenössische Versicherungsgericht seine Rechtsprechung
und erkannte, dass das Begehren um Nachzahlung von Beiträgen,
d.h. Meldung eines höher zu versichernden Verdienstes und Bezahlung
entsprechend höherer Beiträge, eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber
und Arbeitnehmer im Sinne von Art. 73 Abs. 1 BVG sei (SZS 2002 S. 499;
Regest mit Anmerkung bei MEYER-BLASER, 1995-1999: Die Rechtsprechung von
Eidgenössischem Versicherungsgericht und Bundesgericht zum BVG, in: SZS
2000 S. 316). Nachdem im letztgenannten Urteil die Passivlegitimation des
Arbeitgebers auch nach Auflösung des Arbeitsverhältnisses anerkannt wurde
und es für die Abrechnungspflicht des Arbeitgebers unerheblich ist, ob sie
nach Eintritt des Versicherungs- oder Freizügigkeitsfalles geltend gemacht
wird, ist im Sinne einer einheitlichen Rechtsprechung zu präzisieren, dass
der ehemalige Arbeitgeber passivlegitimiert ist, sofern der Arbeitnehmer
Ansprüche gestützt auf Art. 66 Abs. 3 BVG geltend macht (vgl. hiezu auch
MEYER-BLASER, Die Rechtswege nach dem Bundesgesetz über die berufliche
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge [BVG], in: ZSR 1987 I
S. 614), ungeachtet dessen, ob die Auflösung des Arbeitsverhältnisses
eine Versicherungsleistung (Alters-, Hinterlassenen-, Invalidenleistung)
oder - in der Terminologie von Art. 2 FZG - eine Austrittsleistung nach
sich zieht; wird jedoch konkret die Höhe der Leistung beanstandet,
ist die Vorsorge-, allenfalls die Auffangeinrichtung, nicht aber der
Arbeitgeber passivlegitimiert.

    3.2  Im Verfahren der ursprünglichen Verwaltungsrechtspflege gemäss
Art. 73 Abs. 1 BVG bildet Sachurteilsvoraussetzung, dass die klagende
Partei an dem von ihr gestellten Rechtsbegehren ein schutzwürdiges
Interesse rechtlicher oder tatsächlicher Natur (Rechtsschutzinteresse)
hat (BGE 128 V 48 Erw. 3a mit Hinweisen). Man kann sich fragen, ob eine
vorsorgeversicherte Person in jedem Fall ein schutzwürdiges Interesse an
der auf die Erfüllung der Auskunfts- und Beitragszahlungspflicht durch
die Arbeitgeberin gerichteten Klage hat, ist doch ihr hauptsächliches
Interesse auf die richtige Bemessung einer bereits fälligen oder
zukünftigen Leistung durch die Vorsorgeeinrichtung gerichtet. Nur im
Hinblick darauf dürfte sich die Frage der richtigen Beitragszahlung durch
die Arbeitgeberin stellen. Würde aus diesem Grund ein Rechtsschutzinteresse
an einem prozessualen Vorgehen gegen die Arbeitgeberin grundsätzlich
verneint, müssten indessen Ausnahmen zugelassen werden für Fälle, in
denen die Bemessung der Vorsorgeleistung gemäss Reglement doch nicht
unabhängig vom Verhalten der Arbeitgeberin vorgenommen werden kann, in
denen die zukünftige Ermittlung der Leistungsbemessungsfaktoren durch
Zeitablauf erheblich erschwert würde oder in denen der Arbeitnehmer
die Lohnabzüge für - gegenüber dem Reglement - zu hoch hält (sich
der Streit mithin wirklich auf die Beitragshöhe konzentriert). Um
nicht im Beitragsprozess derartige Abgrenzungen, die letztlich für das
Rechtsverhältnis zwischen anderen Personen - der vorsorgeversicherten
Person und der Vorsorgeeinrichtung - bedeutsam sind, treffen zu müssen,
ist von einer derart differenzierenden Prüfung des Rechtsschutzinteresses
abzusehen und in Weiterführung der mit SZS 2002 S. 499 eingeleiteten
Rechtsprechung auf Klagen von Vorsorgeversicherten gegen Arbeitgeber
betreffend Auskunfts- und Beitragspflicht einzutreten.