Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 27



129 V 27

4. Auszug aus dem Urteil i.S. Bundesamt für Sozialversicherung
gegen Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden, betreffend F., und
Verwaltungsgericht von Appenzell Ausserrhoden

    B 53/02 vom 18. Dezember 2002

Regeste

    Art. 73 BVG: Aufforderung zur Verbesserung einer Rechtsschrift.

    Von Bundesrechts wegen besteht keine Pflicht des kantonalen
Berufsvorsorgegerichts, die versicherte Person zur Verbesserung einer
formell ungenügenden Klage aufzufordern.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Das Bundesrecht enthält für das kantonale Verfahren in
Berufsvorsorgesachen eine einzige Bestimmung, Art. 73 BVG, welche
sowohl im Obligatoriums- (Art. 6 BVG) als auch im weitergehenden
Berufsvorsorgebereich (Art. 49 Abs. 2 BVG) beachtlich ist. Nach
dessen Abs. 1 bezeichnet jeder Kanton ein Gericht, das als letzte
kantonale Instanz über Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen,
Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet (Satz 1). Die Kantone
sehen ein einfaches, rasches und in der Regel kostenloses Verfahren vor;
der Richter stellt den Sachverhalt von Amtes wegen fest (Abs. 2). Der
restliche Normgehalt des Art. 73 BVG betrifft die örtliche Zuständigkeit
(Abs. 3) und unterwirft die kantonalen Entscheide dem Rechtsmittel der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Eidgenössische Versicherungsgericht
(Abs. 4).

    2.1.1  Soweit die Versicherte mit ihrer Eingabe vom 17. März 2002
an das kantonale Gericht die ihr von der Pensionskasse mit Schreiben
vom 26. Februar 2002 angedrohte Rückerstattung der vom 1. September
2000 bis 31. Januar 2002 bezogenen Pensionskassenrenten beanstandet
hat, ist das Nichteintreten des kantonalen Gerichts ohne weiteres
bundesrechtskonform. Das Nichteintreten trägt dem Rechtsumstand
Rechnung, dass die Vorsorgeeinrichtungen im Rahmen von Art. 73 BVG
praxisgemäss (BGE 115 V 224 und seitherige ständige Rechtsprechung)
keine Verfügungskompetenz besitzen - welche als Anfechtungsobjekt
eines Rechtsmittels in Betracht fiele - und dass für die - allfällige
- rechtliche Durchsetzung des Rückerstattungsanspruches einzig die
Pensionskasse von Appenzell Ausserrhoden aktivlegitimiert (SZS 1998
S. 447) ist. Eine negative Feststellungsklage seitens der Versicherten,
des Inhalts, dass sie der Pensionskasse nichts schulde, scheidet mangels
der hiefür erforderlichen Voraussetzungen (in BGE 128 III 142 nicht
publizierte Erw. 2 [4C. 324/2001]) aus. Demzufolge ist die richterliche
Prüfung der Begründetheit dieses Rückerstattungsanspruches einem Urteil
vorbehalten, welches auf eine entsprechende Klage der Pensionskasse hin
zu ergehen hätte, eine Klage, welche die Pensionskasse hier nach Lage
der Akten jedoch bisher nicht erhoben hat.

    2.1.2  Allein unter dem Gesichtswinkel des Art. 73 BVG betrachtet ist
sodann bundesrechtlich ebenfalls unbedenklich, dass das kantonale Gericht
auch insoweit auf die Eingabe vom 17. März 2002 nicht eingetreten ist,
als darin die weitere Auszahlung der Pensionskassenrente (über den
31. Januar 2002 hinaus) beantragt, jedoch seitens der Versicherten
nicht hinreichend sachbezogen begründet worden war. Denn Art. 73 BVG
verpflichtet das kantonale Berufsvorsorgegericht nicht, der klagenden
berufsvorsorgeversicherten Person Gelegenheit zur Verbesserung der Klage
einzuräumen, verbunden mit der Androhung, dass im Unterlassungsfall auf
das Rechtsmittel nicht eingetreten werde.

    2.2  Damit bleibt zu prüfen, ob sich eine entsprechende Verpflichtung
des kantonalen Berufsvorsorgegerichts sonst aus dem Bundesrecht,
insbesondere dem Bundesverfassungsrecht, ergibt. Dies ist unter allen
in Frage kommenden Rechtstiteln zu verneinen: Eine analogieweise
Anwendung von Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG (Nachfristansetzung im
Beschwerdeverfahren) fällt mangels gesetzlicher Grundlage, einer
Verweisungsnorm oder hinreichend gleichgelagerter Verhältnisse,
welche den Analogieschluss ohne gesetzliche Grundlage gebieten würden
(dazu BGE 125 III 128 ff. Erw. 1d und e, 122 III 414 f. Erw. 2b),
ausser Betracht. Die Pflicht, der klagenden Person Gelegenheit zur
Verbesserung ihres Rechtsmittels einzuräumen, kann auch nicht als in der
Garantie eines einfachen Verfahrens enthaltene Anforderung betrachtet
werden. Das ist schon daraus ersichtlich, dass das Bundesrecht zwischen
der Einfachheitsanforderung (vgl. z.B. Art. 85 Abs. 2 lit. a AHVG)
und der Pflicht zur Nachfristansetzung/Verbesserungsaufforderung
(vgl. z.B. Art. 85 Abs. 2 lit. b AHVG) unterscheidet. Es bedürfte
der letzteren Bestimmungen nicht, wenn deren Inhalt schon von der
Einfachheitsgarantie erfasst wäre. Der bundesverfassungsrechtliche (Art. 29
Abs. 1 BV) und konventionsrechtliche (Art. 6 Abs. 1 EMRK) Schutz der
Justizgewährleistung sodann ist von vornherein nicht betroffen, weil es
der rechtsuchenden Person im Anschluss an einen - zufolge Nichterfüllung
der formellen Klagevoraussetzungen - ergangenen Nichteintretensentscheid
freisteht, von neuem Klage zu erheben. Dieses Recht zur Klageeinreichung
ist durch nichts anderes begrenzt als durch die materiellrechtlichen
Verjährungsfristen (Art. 41 BVG).

    2.3  Hingegen ergibt sich eine Pflicht, dem Versicherten
Gelegenheit zur Verbesserung der unzureichenden Klage zu geben,
aus dem kantonalen Recht. So schreibt etwa § 173 Abs. 2 ZPO/AG vor,
dass der Instruktionsrichter im Rahmen der Klageprüfung den Kläger
auf Mängel aufmerksam macht und ihm für die Verbesserung oder den
Rückzug der Klage eine kurze Frist einräumt (§ 173 Abs. 1 in Verbindung
mit § 167 ZPO/AG). Im appenzell-ausserrhodischen Zivilprozessrecht,
welches auf das Klageverfahren in Berufsvorsorgestreitigkeiten vor
Verwaltungsgericht ergänzend anwendbar ist, verhält es sich nicht anders
(Art. 13 lit. f in Verbindung mit Art. 14 Abs. 3 des Gesetzes über die
Verwaltungsgerichtsbarkeit [Bereinigte (systematische) Gesetzessammlung
des Kantons Appenzell Ausserrhoden, bGS, 143.6] und Art. 134 Abs. 2 und
3 Zivilprozessordnung [bGS 231.1]). Indessen entspringt diese von Amtes
wegen vorzunehmende Prüfung der formellen Klagevoraussetzungen (vgl.
BÜHLER/EDELMANN/KILLER, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung:
Zivilrechtspflegegesetz [Zivilprozessordnung, ZPO] vom 18. Dezember 1984,
Aarau 1998, N 3 zu § 173) dem kantonalen Recht. Dessen Missachtung stellt
keine Bundesrechtsverletzung (Art. 104 lit. a OG) dar. Der vorinstanzliche
Nichteintretensentscheid hält daher vor der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
des BSV auch unter diesem rechtlichen Gesichtswinkel stand, ganz
abgesehen davon, dass das BSV nicht mit der Massgeblichkeit des
kantonalen Verfahrensrechts argumentiert. Bei dieser Rechtslage ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde des BSV unbegründet.