Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 124



129 V 124

20. Auszug aus dem Urteil i.S. IV-Stelle des Kantons Zürich gegen D. und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich I 295/02 vom 10. Januar 2003

Regeste

    Art. 36 Abs. 2 IVG; Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit.  a,
Art. 31, Art. 33bis Abs. 1, 1bis und 4 AHVG: Grundlagen für Neuberechnung
der Invalidenrente.

    Bei der Neuberechnung der vor dem 1. Januar 1997 entstandenen
Invalidenrente des Ehegatten einer ins Rentenalter tretenden Person sind
die neuen Berechnungsvorschriften gemäss 10. AHV-Revision bezogen auf
den Zeitpunkt der erstmaligen Rentenfestsetzung anzuwenden. Insbesondere
erstreckt sich der vom "Splitting" erfasste Zeitraum lediglich bis zum 31.
Dezember des Vorjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles Invalidität.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.

    2.1  Gemäss Art. 36 Abs. 2 Satz 1 IVG sind für die Berechnung der
ordentlichen Renten der Invalidenversicherung vorbehältlich Absatz 3 die
Bestimmungen des AHVG sinngemäss anwendbar (Fassung gemäss Bundesgesetz
vom 7. Oktober 1994 [10. AHV-Revision]).

    2.2

    2.2.1  Die Art. 29bis bis 33ter AHVG enthalten gemäss Überschrift
die "Grundlagen der Berechnung der ordentlichen Renten" der Alters-
und Hinterlassenenversicherung. Nach Art. 29bis Abs. 1 AHVG werden
für die Berechnung der ordentlichen Renten u.a. Erwerbseinkommen der
rentenberechtigten Person zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20.
Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles
(Rentenalter oder Tod) berücksichtigt. Bei verheirateten Personen gilt eine
besondere Regelung. Gemäss Art. 29quinquies Abs. 3 AHVG werden Einkommen,
welche die Ehegatten während der Kalenderjahre der gemeinsamen Ehe
erzielt haben, geteilt und je zur Hälfte den beiden Ehegatten angerechnet
("Splitting"). Die Einkommensteilung wird u.a. vorgenommen, wenn beide
Ehegatten rentenberechtigt sind (lit. a). Der Teilung und der gegenseitigen
Anrechnung unterliegen nach Art. 29quinquies Abs. 4 lit. a AHVG jedoch
nur Einkommen aus der Zeit zwischen dem 1. Januar nach Vollendung des 20.
Altersjahres und dem 31. Dezember vor Eintritt des Versicherungsfalles
beim Ehegatten, welcher zuerst rentenberechtigt wird.

    2.2.2  In BGE 127 V 361 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht
entschieden, dass der Splitting-Tatbestand des Art. 29quinquies Abs. 3
lit. a AHVG auch erfüllt ist, wenn ein Ehegatte Anspruch auf eine
Altersrente, der andere auf eine Rente der Invalidenversicherung hat. Dabei
ist in den Fällen, in welchen der Ehegatte der ins Rentenalter tretenden
Person eine Rente der Invalidenversicherung bezieht, das Splitting bis
zum 31. Dezember vor dem Versicherungsfall Alter vorzunehmen.

    2.3

    2.3.1  Ebenfalls zu den in den Art. 29bis ff. AHVG und Art. 50 ff. AHVV
normierten Grundlagen der Berechnung der ordentlichen Renten der Alters-
und Hinterlassenenversicherung zählt Art. 31 AHVG. Danach bleiben bei der
Neufestsetzung einer Altersrente, wenn der Ehegatte rentenberechtigt oder
die Ehe aufgelöst wird, die im Zeitpunkt der erstmaligenRentenberechnung
geltenden Berechnungsvorschriften massgebend. Die aufgrund dieser
Bestimmungen neu festgesetzte Rente ist in der Folge auf den neuesten
Stand zu bringen.

    2.3.2  Zu erwähnen ist sodann Art. 33bis AHVG, welcher verschiedene
Fragen im Zusammenhang mit der "Ablösung einer Invalidenrente"
(Überschrift) durch eine Altersrente regelt. Danach ist für die Berechnung
von Alters- oder Hinterlassenenrenten, die an die Stelle einer Rente gemäss
dem IVG treten, auf die für die Berechnung der Invalidenrente massgebende
Grundlage abzustellen, falls dies für den Berechtigten vorteilhafter ist
(Abs. 1). Bei verheirateten Personen ist die Rentenberechnung gemäss Absatz
1 anzupassen, wenn die Voraussetzungen für die Teilung und die gegenseitige
Anrechnung der Einkommen erfüllt sind (Abs. 1bis). Für die Berechnung der
Altersrente einer Person, deren Ehegatte eine Invalidenrente bezieht oder
bezogen hat, sodann wird das im Zeitpunkt der Entstehung der Invalidenrente
massgebende durchschnittliche Jahreseinkommen (vgl. Art. 29quater und
Art. 30 AHVG) des invaliden Ehegatten während der Dauer des Bezuges der
Invalidenrente wie ein Erwerbseinkommen im Sinne von Art. 29quinquies
AHVG berücksichtigt (Abs. 4 Satz 1).

Erwägung 3

    3.  Vorliegend sind die Grundlagen der (Neu-)Berechnung der ganzen
Invalidenrente ab 1. Oktober 1999 (Beginn der Altersrente der Ehefrau)
streitig. Es stellt sich die Frage, ob vom "Splitting" lediglich der
Zeitraum von 1970 (Einreise der Ehefrau in die Schweiz) bis 1986 (Jahr
vor Eintritt des Versicherungsfalles Invalidität) erfasst wird, wie
IV-Stelle und Bundesamt dafür halten, oder gemäss kantonalem Gericht auch
die gemeinsamen Einkommen der Jahre 1987 bis 1998 (Jahr vor Eintritt des
Versicherungsfalles Alter der Ehefrau) zu teilen und hälftig anzurechnen
sind.

    Verwaltung und Aufsichtsbehörde begründen ihren Standpunkt
im Wesentlichen unter Hinweis auf Art. 31 AHVG und Art. 36 Abs. 2
IVG. Demgegenüber beruft sich die Vorinstanz auf BGE 127 V 361 und
Art. 33bis Abs. 4 AHVG, woraus sich in Fällen wie dem vorliegenden zwingend
ergebe, dass das Splitting bis zum 31. Dezember vor dem Versicherungsfall
Alter des Ehegatten der eine Invalidenrente beziehenden Person vorzunehmen
sei.

Erwägung 4

    4.

    4.1

    4.1.1  Art. 36 Abs. 2 Satz 1 IVG, dessen Bedeutung und Tragweite
als Verweisungsnorm es vorab zu ermitteln gilt, ist im Rahmen der
10. AHV-Revision geändert worden. Die bis 31. Dezember 1996 geltende
Fassung lautet wie folgt: "Für die Berechnung der ordentlichen
Invalidenrenten sind vorbehältlich Absatz 3 die Artikel 29 Abs. 2,
29bis, 30, 30bis, 31, 32, 33 Absatz 3, 34, 35 und 38 AHVG sinngemäss
anwendbar." Diese Regelung bezweckte die Wahrung der Einheit zwischen
AHV und IV auf dem Gebiete der Rentenberechnung. Für die ordentlichen
Renten der Invalidenversicherung sollten die gleichen Voraussetzungen
und Bemessungskriterien gelten wie für die gleichartigen Renten der
AHV, dies namentlich zur Gewährleistung eines reibungslosen Übergangs
von der Invaliden- zur Altersrente (BGE 124 V 162 f. Erw. 4a mit
Hinweis auf die Botschaft des Bundesrates vom 24. Oktober 1958 zum
Entwurf eines Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung und eines
Bundesgesetzes betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über die
Alters- und Hinterlassenenversicherung [BBl 1958 II 1137 ff.]). Mit
Blick auf den klaren Normzweck besteht resp. bestand im Bereich der
Invalidenversicherung aufgrund der Verweisungsnorm des alt Art. 36 Abs. 2
IVG - unter Vorbehalt gesetzlich vorgesehener Ausnahmen wie Art. 36 Abs. 3
IVG - kein Raum für eigenständige Rentenberechnungsregeln (BGE 124 V 164
Erw. 4b). Diese Rechtsprechung ist gemäss nicht veröffentlichtem Urteil
B. vom 14. Juni 2002 (I 78/00) gleichermassen auf die im Zusammenhang
mit der 10. AHV-Revision auf den 1. Januar 1997 in Kraft gesetzten
Bestimmungen anwendbar.

    4.1.2  Die Änderung des Art. 36 Abs. 2 Satz 1 IVG wird in der Botschaft
des Bundesrates vom 5. März 1990 über die zehnte Revision der Alters-
und Hinterlassenenversicherung (BBl 1990 II 1 ff.) nicht näher erläutert
(BBl 1990 II 111 und 171). Während der parlamentarischen Beratung schlug
die vorberatende Kommission des Nationalrates eine andere Fassung vor,
welche wie früher die einzelnen Artikel, ergänzt u.a. durch die in der
bundesrätlichen Vorlage nicht enthaltenen Art. 29ter bis Art. 29sexies
AHVG, aufzählte (Amtl.Bull. 1993 N 293). Dieser Antrag setzte sich indessen
nicht durch. Denn mit der Verweisung auf die "Bestimmungen des AHVG"
könne, so der ständerätliche Kommissionssprecher, "vermieden werden,
dass Artikel 36 bei Änderungen der betreffenden aufgezählten Artikel
geändert werden muss" (Amtl.Bull. 1994 S 554 und 608 sowie 1994 N 1356).

    4.2  Das Vorstehende spricht zwar dafür, dass von den hier
interessierenden Normen Art. 31 AHVG, nicht hingegen Art. 33bis Abs. 4
AHVG unter die "Bestimmungen des AHVG" im Sinne von Art. 36 Abs. 2
IVG fallen. Diese Folgerung ist allerdings nicht zwingend, da beide
Vorschriften im Zuge der 10. AHV-Revision geändert resp. neu ins Gesetz
aufgenommen wurden, und zwar erst im Rahmen der parlamentarischen Beratung
der bundesrätlichen Vorlage (vgl. BBl 1990 II 158 f. sowie Amtl.Bull. 1993
N 215 und 258, 1994 S 551 f. und 598, 1994 N 1356 f.). Wie es sich damit
verhält, kann indessen aus den nachstehenden Gründen offen bleiben.

    4.2.1  Wenn und soweit, ist Art. 33bis Abs. 4 AHVG gestützt
auf 36 Abs. 2 IVG lediglich anwendbar, wo es um die Berechnung der
Invalidenrente einer Person geht, deren Ehegatte eine Altersrente,
die an Stelle einer Rente der Invalidenversicherung getreten ist, oder
ebenfalls eine Invalidenrente bezieht. Keiner dieser Tatbestände ist
vorliegend indessen gegeben. Gleiches gilt für Art. 29quinquies Abs. 3
und 4, je lit. a, AHVG. Damit ist der Argumentation der Vorinstanz an sich
bereits der Boden entzogen. Insbesondere kann aus der Tatsache, dass das
Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 127 V 361 Art. 33bis Abs. 4 Satz
1 AHVG bei der Auslegung des Begriffs "rentenberechtigt" im Sinne dieser
Bestimmungen verwendet hat, nicht gefolgert werden, bei der Berechnung der
Invalidenrente des Ehegatten der ins Rentenalter tretenden Person gälten
neu die Vorschriften im Zeitpunkt der Berechnung der Altersrente. Das in
BGE 127 V 365 f. Erw. 4b und 5 Gesagte gilt lediglich für die Berechnung
der Altersrente des Ehegatten der eine Invalidenrente beziehenden Person.

    4.2.2  Gegen diese Sichtweise spricht im Übrigen gerade auch die
Entstehungsgeschichte von Art. 33bis Abs. 4 (und Abs. 1bis) AHVG. Die
bundesrätliche Revisionsvorlage sah keine Änderung von Art. 33bis AHVG
vor (vgl. BBl 1990 II 158 f.). Auf Antrag seiner Kommission beschloss
der Nationalrat an seiner Sitzung vom 10. März 1993, in Art. 33bis AHVG
neu einen Abs. 4 folgenden Inhalts einzufügen: "Sofern die Berechnung
nach Art. 31 kein besseres Ergebnis ergibt, werden bei der Berechnung
der Altersrente einer Person, deren Ehegatte eine Invalidenrente
oder eine Altersrente, welche eine Invalidenrente ablöst, bezieht,
lediglich die Einkommen sowie Erziehungs- und Betreuungsgutschriften
der beiden Ehegatten bis 31. Dezember vor der Entstehung des Anspruchs
auf die Invalidenrente berücksichtigt." (Amtl.Bull. 1993 N 258). Zur
Begründung führte der Kommissionssprecher u.a. aus, Art. 33bis AHVG
gewähre Personen, deren Altersrente eine Invalidenrente ablöse,
den Besitzstand der Berechnungsgrundlagen der Invalidenrente. Daran
solle auch das Splitting-System nichts ändern. Würde nun die Rente des
Ehegatten einer behinderten Person ausschliesslich nach den allgemeinen
Grundsätzen berechnet, könnten sich nicht beabsichtigte Verschlechterungen
einstellen, da auch er die invaliditätsbedingte Erwerbseinbusse seines
Ehegatten mitzutragen hätte. Solche Verschlechterungen sollen vermieden
werden, indem bei beiden Ehegatten die Einkommen und Gutschriften nach
der Invalidierung ausgeklammert werden können, wenn dies eine höhere
Rente ermögliche. Die Renten der beiden Ehegatten würden in diesem Fall
ausschliesslich aufgrund der Einkommen und Gutschriften festgesetzt,
welche vor dem Eintritt der Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit beim
einen oder bei beiden Ehegatten erzielt worden seien (Amtl.Bull. 1993 N
215). Ebenfalls auf Antrag seiner Kommission fügte der Ständerat an seiner
Sitzung vom 9. Juni 1994 in Art. 33bis AHVG einen neuen Abs. 1bis ein und
fasste gleichzeitig den vom Nationalrat angenommenen Abs. 4 anders. Beide
Bestimmungen sind inhaltlich unverändert Gesetz geworden (vgl. Erw. 2.3.2
sowie Amtl.Bull. 1994 S 598, 1994 N 1357).

    Der Nationalrat ging somit, als er am 10. März 1993 einen neuen Art.
33bis Abs. 4 AHVG beschloss, ausdrücklich davon aus, dass auch für die
Berechnung der vor dem 1. Januar 1997 entstandenen Invalidenrente des
Ehegatten der ins Rentenalter tretenden Person die im Zeitpunkt ihrer
erstmaligen Berechnung geltenden, nach den neuen Bestimmungen gemäss
10. AHV-Revision anwendbaren Vorschriften massgebend sind. Anderseits
bildete einziger Grund dafür, dass diese Neuerung schliesslich nicht ins
Gesetz aufgenommen wurde, die nicht auszuschliessende Möglichkeit einer
Rentenverschlechterung beim nicht invaliden Ehegatten, und nicht etwa
die Tatsache, dass damit "eine gleichzeitige Invalidität beider Ehegatten
fingiert" wird (Amtl.Bull. 1994 S 552, N 1357).

    4.2.3  Im Weitern ist zu beachten, dass es hier um den Tatbestand der
"Neuberechnung einer Rente nach einem Splittingfall" (Amtl.Bull. 1994
S 551 [Art. 31 AHVG]) geht. Dabei soll es sich nach den klaren Voten
der Kommissionssprecher von National- und Ständerat nicht um einen neuen
Versicherungsfall handeln (Amtl.Bull. aaO und 1994 N 1356) mit der Folge,
dass die in diesem späteren Zeitpunkt geltenden Berechnungsgrundlagen
und nicht diejenigen bei der (erstmaligen) Festsetzung der Invalidenrente
massgebend sind (vgl. auch BGE 126 V 157). Dies stützt die Rechtsauffassung
von IV-Stelle und Bundesamt. Abgesehen davon muss eine Neuberechnung
der Invalidenrente auf den Grundlagen im Zeitpunkt der Entstehung des
Anspruchs auf eine Altersrente des andern Ehegatten nicht notwendigerweise
zu einer Verbesserung führen. Denn die Zusplittung der nach der
Invalidisierung erzielten Einkommen des nicht invaliden Ehegatten
bedingte konsequenterweise den Einbezug zusätzlicher Beitragsjahre in
die Neuberechnung der Invalidenrente. Das bedeutete einen grösseren
Teiler gemäss Art. 30 Abs. 2 AHVG. Da anderseits der invalide Ehegatte
in diesem Zeitraum lediglich ein reduziertes oder allenfalls überhaupt
kein Einkommen erzielte, ist nicht auszuschliessen, dass das massgebliche
durchschnittliche Jahreseinkommen sinkt.

    4.3  Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass bei der Neuberechnung
der vor dem 1. Januar 1997 entstandenen Invalidenrente des Ehegatten
einer ins Rentenalter tretenden Person die im Zeitpunkt der erstmaligen
Berechnung geltenden, nach den neuen Bestimmungen gemäss 10. AHV-Revision
anwendbaren Vorschriften massgebend sind. Insbesondere erstreckt sich
der vom "Splitting" erfasste Zeitraum lediglich bis zum 31. Dezember des
Vorjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles Invalidität.

    4.4  Vorliegend ist somit die Nichtberücksichtigung der gesplitteten
Einkommen im Zeitraum 1987 bis 1998 von Bundesrechts wegen nicht zu
beanstanden. Im Übrigen ist die Berechnung der Invalidenrente ab 1.
Oktober 1999 nicht angefochten und es besteht aufgrund der Akten kein
Anlass zu einer näheren Prüfung (BGE 125 V 415 Erw. 1b am Ende sowie
417 oben).