Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 113



129 V 113

18. Urteil i.S. T. gegen Ausgleichskasse Gastrosuisse und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern H 255/02 vom 23. Januar 2003

Regeste

    Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG; Art. 61, Art. 82 Abs. 2 ATSG:
Parteientschädigung im kantonalen Verfahren; anwendbares Recht.

    Streitigkeiten über den Anspruch auf Parteientschädigung im
kantonalen Verfahren beurteilen sich bei vor dem 1. Januar 2003 ergangenen
vorinstanzlichen Entscheiden nach Art. 85 AHVG.

    Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG; Art. 61 lit. f und g ATSG; Art. 518 ZGB:
Parteientschädigung an Willensvollstrecker.

    Anspruch des Willensvollstreckers auf Parteientschädigung im kantonalen
Verfahren in einem den Nachlass betreffenden Prozess bejaht.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.  Streitig und zu prüfen ist der Anspruch des Beschwerdeführers
auf Parteientschädigung für das kantonale Beschwerdeverfahren.

    Da es im vorliegenden Prozess nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder
Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt
offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher
Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung
mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

Erwägung 2

    2.

    2.1  Nach Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG (in der bis 31.  Dezember 2002
gültig gewesenen Fassung) ist das Recht, sich verbeiständen zu lassen,
gewährleistet (Satz 1). Ferner hat der obsiegende Beschwerdeführer
Anspruch auf Ersatz der Kosten der Prozessführung und Vertretung
nach gerichtlicher Festsetzung (Satz 3). Mit dem vom Bundesrat auf den
1. Januar 2003 in Kraft gesetzten Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil
des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ist diese Bestimmung aufgehoben
worden. Das Verfahren vor den kantonalen Versicherungsgerichten wird
im ATSG in Art. 61 geregelt. Nach dessen lit. f muss das Recht, sich
verbeiständen zu lassen, gewährleistet sein (Satz 1). Gemäss lit. g
hat die obsiegende Beschwerde führende Person Anspruch auf Ersatz der
Parteikosten. Diese werden vom Versicherungsgericht festgesetzt und ohne
Rücksicht auf den Streitwert nach der Bedeutung der Streitsache und nach
der Schwierigkeit des Prozesses bemessen.

    2.2  Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften
grundsätzlich mit dem Tag des Inkrafttretens sofort und in vollem
Umfange anwendbar, es sei denn, das neue Recht kenne anderslautende
Übergangsbestimmungen. Dieser intertemporalrechtliche Grundsatz kommt
aber dort nicht zur Anwendung, wo hinsichtlich des verfahrensrechtlichen
Systems zwischen altem und neuem Recht keine Kontinuität besteht und
mit dem neuen Recht eine grundlegend neue Verfahrensordnung geschaffen
worden ist (BGE 112 V 360 Erw. 4a; RKUV 1998 Nr. KV 37 S. 316 Erw. 3b;
SVR 1995 MV Nr. 4 S. 12 Erw. 2b).

    Von den im ATSG enthaltenen Übergangsbestimmungen ist allein Art. 82
Abs. 2 ATSG verfahrensrechtlicher Natur. Dieser sieht vor, dass die
Kantone ihre Bestimmungen über die Rechtspflege diesem Gesetz innerhalb
von fünf Jahren nach seinem Inkrafttreten anzupassen haben; bis dahin
gelten die bisherigen kantonalen Vorschriften. Ob und unter welchen
Voraussetzungen in einem kantonalen Beschwerdeverfahren im AHV-Bereich
ein Entschädigungsanspruch infolge Obsiegens besteht, richtet sich
nach Bundesrecht und hängt einerseits von der Art des Prozessausganges
(Gutheissung, Rückweisung, Abschreibung usw.) und anderseits von der
Person des Ansprechers ab (BGE 110 V 57 Erw. 3a, 133 Erw. 4b, 362
Erw. 1b; vgl. auch BGE 114 V 86 Erw. 4a, RKUV 1993 Nr. U 172 S. 143,
ZAK 1989 S. 253 Erw. 4a). Aus der erwähnten Übergangsbestimmung lässt
sich für die streitige Frage daher nichts ableiten. Da der vorinstanzliche
Entscheid vor dem 1. Januar 2003 erlassen wurde, ist nachstehend gestützt
auf Art. 85 AHVG zu prüfen, ob dem Beschwerdeführer für das kantonale
Verfahren ein Anspruch auf Parteientschädigung zusteht.

Erwägung 3

    3.

    3.1  In ständiger Rechtsprechung hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht im Rahmen von Art. 85 Abs. 2 lit. f AHVG den
Anspruch der Beschwerde führenden Partei auf Entschädigung auch bei
Eintritt von Gegenstandslosigkeit anerkannt, wenn es die Prozessaussichten
rechtfertigen. Massgeblich sind die Prozessaussichten, wie sie sich vor
Eintritt der Gegenstandslosigkeit darboten (BGE 110 V 57 Erw. 3a, 109
V 71 Erw. 1, 106 V 124).

    3.2  Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer bei materieller
Beurteilung der Beschwerde im kantonalen Verfahren mit seinen Begehren
vollumfänglich durchgedrungen wäre, wenn die Ausgleichskasse ihre Verfügung
nicht lite pendente aufgehoben hätte. Trotzdem sah die Vorinstanz von
der Zusprechung einer Parteientschädigung ab mit der Begründung, der
Beschwerdeführer habe in eigener Sache gehandelt. Als Willensvollstrecker
sei er wie der Massaverwalter nicht primär als frei praktizierender
Anwalt oder Notar und gewillkürter Prozessvertreter tätig, sondern aus
eigenem Recht und in seiner Eigenschaft als Beistand der Erbschaft. Ein
Anspruch auf Parteientschädigung bestehe daher nur dann, wenn auch
die nicht vertretene Partei einen solchen geltend machen könnte. Diese
Voraussetzungen seien indessen nicht gegeben.

    Der Beschwerdeführer bestreitet, in eigener Sache gehandelt zu haben.
Als Willensvollstrecker handle er zwar in eigenem Namen, jedoch auf
Rechnung der Erbschaft. Prozesskosten würden bei Nachlassstreitigkeiten
zu Lasten des Nachlasses gehen.

Erwägung 4

    4.

    4.1  Nach der Rechtsprechung hat der in eigener Sache prozessierende
Rechtsanwalt nur in Ausnahmefällen Anspruch auf eine Parteientschädigung
(BGE 110 V 132). Die Voraussetzungen gemäss BGE 110 V 134 Erw. 4d (komplexe
Sache mit hohem Streitwert; hoher Arbeitsaufwand; vernünftiges Verhältnis
zwischen dem betriebenen Aufwand und dem Ergebnis der Interessenwahrung)
müssen kumulativ gegeben sein. Lediglich ausnahmsweise Anspruch auf
Parteientschädigung haben Rechtsvertreter, die ein eigenes Interesse
am Ausgang des Prozesses haben, was beispielsweise anzunehmen ist,
wenn die streitige Zusprechung von Leistungen ihre Unterstützungspflicht
(Art. 328 ZGB) mindert (nicht veröffentlichtes Urteil T. vom 21. Juni 1999,
I 601/98), wenn sie als Inhaber der elterlichen Gewalt (Art. 296 ff. ZGB)
das unmündige Kind vertreten (ZAK 1984 S. 279 Erw. 3) oder im Rahmen der
eherechtlichen Beistandspflicht (Art. 159 Abs. 3 ZGB) für den Ehepartner
handeln (ZAK 1985 S. 472 Erw. 4).

    4.2  Das Gesetz regelt die prozessuale Rechtsstellung des
Willensvollstreckers nur indirekt durch die Verweisung auf den amtlichen
Erbschaftsverwalter. Nach Art. 596 Abs. 1 ZGB hat dieser unter anderem
die Aufgabe, die Rechte und Pflichten des Erblassers, soweit nötig,
gerichtlich festzustellen. Die Prozesslegitimation des Willensvollstreckers
für Aktiv- und Passivprozesse ergibt sich auch aus seiner Aufgabe und
selbstständigen Stellung und wird unabhängig von den verschiedenen Theorien
über seine Rechtsstellung allgemein anerkannt (MARTIN KARRER, Kommentar
zum Schweizerischen Privatrecht [Basler Kommentar], Schweizerisches
Zivilgesetzbuch II: Art. 457-977 ZGB, 1-61 SchlTZGB, Basel 1998, N 68 zu
Art. 518; ESCHER, Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch [Zürcher
Kommentar], Das Erbrecht, Art. 457-536 ZGB, 3. Aufl., Zürich 1959, N 31 zu
Art. 518). Nach der Rechtsprechung ist der Willensvollstrecker in Prozessen
um Aktiven und Passiven der Erbschaft Partei, soweit ihm gemäss Art. 518
ZGB die Verwaltung der betreffenden Erbschaftswerte zusteht. Abgesehen
von den Fällen, wo der Willensvollstrecker in eigener Sache als Partei
auftritt (BGE 90 II 381 Erw. 2), geht es im Streit um Erbschaftswerte nicht
um seine eigene materielle Berechtigung. Aufgrund seiner gesetzlichen
Stellung (Art. 518 in Verbindung mit Art. 596 Abs. 1 ZGB) hat er in
eigenem Namen die Nachlassrechte zu wahren. Er führt den Prozess an
Stelle des materiell Berechtigten oder Verpflichteten in eigenem Namen
und als Partei, wobei er auf seine gesetzliche Ermächtigung hinzuweisen
hat. Es handelt sich dabei um eine Prozessstandschaft oder Befugnis
der Prozessführung als Partei, welche dem Willensvollstrecker kraft
Bundesprivatrechts zusteht (BGE 94 II 142 Erw. 1; KÖLZ/BOSSHART/RÖHL,
Kommentar zum Verwaltungsrechtspflegegesetz des Kantons Zürich, 2. Aufl.,
Zürich 1999, N 10 zu § 21; HANS ULRICH WALDER-RICHLI, Zivilprozessrecht,
4. Aufl., Zürich 1996, S. 137 N 4; FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur
zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 1997, N 68 ff. zu §§
27/28 und N 8 zu § 49). Umgekehrt sind die Erben nicht zur Prozessführung
berechtigt, soweit dieses Recht dem Willensvollstrecker zusteht (KARRER,
aaO, N 69 zu Art. 518 ZGB). Da der Willensvollstrecker die ihm zustehenden
Befugnisse nicht in eigener Sache, um seiner selbst willen, auszuüben,
sondern in fremder Sache zu handeln und den Erbgang ordnungsgemäss (nach
den Anordnungen des Erblassers und den daneben, ergänzend oder jenen
Anordnungen vorgehend, anwendbaren gesetzlichen Regeln) durchzuführen hat,
ist er der Aufsicht der zuständigen Behörde zu unterstellen (BGE 90 II
383 Erw. 3). Der vom Willensvollstrecker für den Nachlass geführte Prozess
wirkt formell nur für oder gegen ihn persönlich. Weil er den Prozess aber
für fremde Rechnung geführt hat, gehen Nutzen und Schaden zu Gunsten oder
zu Lasten des Nachlasses (KARRER, aaO, N 78 zu Art. 518 ZGB).

    4.3  Der Willensvollstrecker hat für seine Tätigkeit gemäss Art. 517
Abs. 3 ZGB Anspruch auf angemessene Entschädigung. Führt er als Anwalt
einen Prozess für den Nachlass, so hat er neben der angemessenen
Willensvollstrecker-Vergütung Anspruch auf eine separate Entschädigung
(KARRER, aaO, N 31 zu Art. 517 ZGB). Die Prozesskosten gehen bei
Nachlassstreitigkeiten, d.h. in Aktiv- und Passivprozessen, die der
Willensvollstrecker zu Gunsten oder zu Lasten des Nachlasses führt,
zu Lasten des Nachlasses. Dazu gehören alle erbrechtlichen Prozesse,
die von ihm geführt werden können oder müssen, einschliesslich
Ungültigkeitsklagen betreffend Bestand, Inhalt oder Umfang seiner
Einsetzung oder Aufgabe. Obwohl es um seine persönliche Stellung geht,
prozessiert er nicht in eigenem Interesse, sondern zur Vollstreckung des
erblasserischen Willens. Im Gegensatz dazu gehen bei Streitigkeiten um die
wirtschaftlichen und finanziellen Interessen des Willensvollstreckers die
Prozesskosten zu seinen Lasten, soweit sie ihm auferlegt werden (KARRER,
aaO, N 73 zu Art. 518 ZGB).

    4.4  Der Beschwerdeführer hat den vorinstanzlichen Prozess
unbestrittenermassen als Willensvollstrecker des Nachlasses von F. geführt.
Er trat aufgrund seiner Funktion selbstständig und in eigenem Namen auf,
handelte aber auf Rechnung der Erbschaft.

    Da es beim Prozess vor dem kantonalen Verwaltungsgericht um
Sozialversicherungsbeiträge und damit um Aktiven und Passiven des
Nachlasses ging (vgl. Art. 43 AHVV), kann nicht gesagt werden, der
Beschwerdeführer habe in eigenem Interesse und somit in eigener Sache im
Sinne der Rechtsprechung zum Parteientschädigungsanspruch den Prozess
geführt. Entgegen der von der Vorinstanz vertretenen Auffassung hat er
daher Anspruch auf Parteientschädigung für das kantonale Verfahren. Es
wird Sache des kantonalen Gerichts sein, die Höhe der Parteientschädigung
an den Beschwerdeführer festzulegen.

Erwägung 5

    5.  Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Ausgleichskasse
kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario) und sie hat dem Beschwerdeführer
eine Parteientschädigung für das letztinstanzliche Verfahren auszurichten
(Art. 159 Abs. 1 und Abs. 2 OG).