Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 V 105



129 V 105

16. Urteil i.S. O. gegen Arbeitslosenkasse des Kantons Zug und
Verwaltungsgericht des Kantons Zug C 115/02 vom 4. Oktober 2002

Regeste

    Art. 23 Abs. 1 AVIG: Versicherter Verdienst.

    Nebst der Überzeitentschädigung ist auch die Überstundenentschädigung
vom versicherten Verdienst ausgenommen (Präzisierung von BGE 116 V 281).

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.  Als versicherter Verdienst, der für die Höhe des Taggeldes
massgebend ist (Art. 22 Abs. 1 AVIG), gilt der im Sinne der
AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes
aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde;
eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen,
soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen
darstellen (Art. 23 Abs. 1 AVIG).

Erwägung 2

    2.  In BGE 116 V 281 hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in
Auslegung von Art. 23 Abs. 1 AVIG erkannt, dass Überzeitentschädigung
- verstanden als Entgelt für die Arbeit, welche die gesetzlich
festgelegte Höchstarbeitszeit nach Arbeitsgesetz überschreitet und bei
Nichtausgleichung durch Freizeit mit einem Zuschlag von mindestens 25%
wettzumachen ist (Art. 13 ArG; BGE 126 III 341 Erw. 6, 116 V 281 Erw. 2;
STREIFF/VON KAENEL, Arbeitsvertrag: Leitfaden zum Arbeitsrecht, 5.
Aufl., Zürich 1992, N 4 zu Art. 321c OR) - nicht Bestandteil des
versicherten Verdienstes bildet. Nachdem in Art. 33 Abs. 1 AlVV, der
bis 31. Dezember 1983 gültig gewesenen Übergangsordnung, wie bereits
im früheren, bis Ende 1977 geltenden Recht (Art. 4bis Abs. 1 AlVV),
Entschädigungen für Überzeitarbeit vom versicherten Verdienst ausgenommen
waren und der Bundesrat in der Botschaft zum geltenden AVIG (BBl 1980
III 577) wiederum festhielt, dass Entschädigungen für Überzeitarbeit
nicht zum versicherten Verdienst zählten, war klar, dass der Ausschluss
von Überzeitentschädigung vom versicherten Verdienst ins neue Recht
übernommen werden sollte. Neu war, dass diese Regelung nicht mehr bloss auf
Verordnungs-, sondern auf Gesetzesstufe vorgesehen war, wenn auch nur noch
indirekt, mit der Wendung "normalerweise erzielter Lohn". Zum nämlichen
Resultat führte auch die Auslegung nach Sinn und Zweck von Art. 23
Abs. 1 AVIG: Das AVIG will den versicherten Personen einen angemessenen
Ersatz für Erwerbsausfälle, u.a. wegen Arbeitslosigkeit, garantieren
(Art. 34novies aBV; Art. 1 AVIG). Wie das Gericht weiter dargelegt hat,
widerspräche eine Entschädigung für angefallene Überzeitarbeit dem auch
in anderen Bereichen des Gesetzes zum Ausdruck kommenden Grundgedanken
der Arbeitslosenversicherung: Diese soll nur für eine normale übliche
Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten, dagegen keine
Entschädigung für Erwerbseinbussen ausrichten, die aus dem Ausfall einer
Überbeschäftigung stammen (BGE 115 V 328 Erw. 3a mit Hinweisen).

Erwägung 3

    3.

    3.1  Anders als in BGE 116 V 281 ist im vorliegenden Fall nicht der
Einbezug der Überzeitentschädigung streitig, sondern die Frage, ob die
Entschädigung für die von der Beschwerdeführerin geleisteten Überstunden
Bestandteil des versicherten Verdienstes bildet. Als Überstundenarbeit gilt
Arbeit, die über die im Einzelarbeits-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag
vereinbarte, im Betrieb geltende oder in der Branche übliche Stundenzahl
hinaus geleistet wird (BGE 116 II 70 Erw. 4a; nicht publizierte Erw. 2a
des Urteils BGE 123 III 469; STREIFF/VON KAENEL, aaO, N 4 zu Art. 321c
OR; MANFRED REHBINDER, Kommentar zum schweizerischen Privatrecht [Berner
Kommentar], Das Obligationenrecht, Der Arbeitsvertrag: Art. 319-355 OR;
Bern 1992, N 1 zu Art. 321c OR).

    3.2  Ausgehend vom Grundsatz, dass die Arbeitslosenversicherung nur
für eine normale übliche Arbeitnehmertätigkeit Versicherungsschutz bieten
und daher keine Entschädigung für Erwerbseinbussen ausrichten solle, die
aus dem Ausfall einer Überbeschäftigung stammen (BGE 116 V 283 Erw. 2d),
hat das Eidgenössische Versicherungsgericht über den Bereich der Überzeit
im vorstehend (Erw. 2) umschriebenen Sinn hinaus die Berücksichtigung
von Überstundenentschädigungen bei der Berechnung des versicherten
Verdienstes in mehreren Urteilen generell abgelehnt (unveröffentlichtes
Urteil K. vom 22. Juni 1998, C 85/98; Urteile H. vom 3. Mai 2001,
C 220/00, und R. vom 21. August 2001, C 1/01). Daran ist namentlich
auch mit Blick auf Art. 114 Abs. 2 lit. a BV und Art. 1 Abs. 1 AVIG,
wonach die Arbeitslosenversicherung angemessenen Erwerbsersatz gewährt,
festzuhalten. Sowohl mit Überzeit wie auch mit Überstundenarbeit wird
nicht "normalerweise" erzielter Lohn erworben, beschränkt sich doch der
Einsatz des Arbeitnehmers regelmässig auf die vertraglich vereinbarte,
betriebs- oder branchenübliche Arbeitszeit. Die Tatsache, dass je
nach wirtschaftlicher und betrieblicher Situation darüber hinaus in
nicht unerheblichem Ausmass Überstundenarbeit geleistet wird, wozu der
Arbeitnehmer im Übrigen laut Art. 321c Abs. 1 OR soweit verpflichtet
ist, als er sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben
zugemutet werden kann, ist wohl arbeitsrechtlich von Belang, in
arbeitslosenversicherungsrechtlicher Hinsicht aber nicht entscheidend.

    Mit dem vorliegend massgebenden Rechtsbegriff "normalerweise"
im Sinne von Art. 23 Abs. 1 AVIG bleiben nebst Überzeit- und
Überstundenentschädigung auch Einkünfte, die mit über ein normales
Arbeitnehmerpensum hinausgehenden Beschäftigungen erzielt werden, für den
versicherten Verdienst unbeachtlich, was bedeutet, dass bei Verlust eines
von zwei gleichwertigen Hauptverdiensten lediglich die Differenz zu dem
mit einer normalen üblichen Arbeitszeit erzielbaren Lohn den versicherten
Verdienst bildet (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, Rz 303).

    Die gleiche Auffassung liegt schliesslich auch dem Kreisschreiben
des seco über die Arbeitslosenentschädigung (KS-ALE) von Januar 2000
zu Grunde, indem laut dessen Rz C2 Überstunden, welche die betriebliche
Normalarbeitszeit übersteigen, nicht zum versicherten Verdienst gehören.

    3.3  Nach dem Gesagten ist BGE 116 V 281 dahin zu präzisieren,
dass nicht nur Überzeitentschädigung, sondern auch Entgelt für über die
arbeitsvertragliche oder im Betrieb geltende Normalarbeitszeit hinaus
geleistete Arbeit keinen Bestandteil des versicherten Verdienstes
gemäss Art. 23 Abs. 1 AVIG bildet.

Erwägung 4

    4.  Bei der Festsetzung des versicherten Verdienstes stellte die
Vorinstanz zu Recht auf die Lohnverhältnisse bei der Firma Y. im Oktober
2000 ab. Sie ging von der vertraglich vereinbarten Normalarbeitszeit von
40 Stunden in der Woche und dem Stundenlohn von Fr. 34.15 aus, was einen
versicherten Verdienst von Fr. 5'929.- ergibt. Die Entschädigung für
geleistete Überstunden fällt ausser Betracht. Der angefochtene Entscheid
ist damit rechtens.

Erwägung 5

    5.  Soweit die Versicherte beantragt, es seien ihr die
auf Überzeit- und Überstundenentschädigungen entfallenden
Arbeitslosenversicherungsbeiträge zurückzuerstatten, ist auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht einzutreten, da es insofern mangels
Verwaltungsverfügung an einem Anfechtungsgegenstand und damit an einer
Sachurteilsvoraussetzung fehlt (BGE 119 Ib 36 Erw. 1b, 118 V 313 Erw. 3b,
je mit Hinweisen).