Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 I 12



129 I 12

3. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung
i.S. V. und 20 Mitb. gegen Grosser Rat des Kantons Bern (staatsrechtliche
Beschwerde)

    2P.297/2001 vom 7. November 2002

Regeste

    Art. 19, 36 und 62 BV; Art. 29 Abs. 2 KV/BE; soziale Grundrechte;
disziplinarischer Schulausschluss.

    Aus Art. 19 BV ergibt sich der Anspruch auf eine den individuellen
Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende
unentgeltliche Grundschulausbildung an öffentlichen Schulen während der
obligatorischen Schulzeit von mindestens neun Jahren (E. 4).

    Art. 29 Abs. 2 KV/BE dehnt nicht nur den Anspruch auf alle Schulen
innerhalb der obligatorischen Schulpflicht aus, sondern begründet
gleichzeitig einen weitergehenden Anspruch des Kindes auf Schutz, Fürsorge
und Betreuung (E. 5).

    Bei einschränkenden Konkretisierungen von sozialen
Grundrechtsansprüchen ist in sinngemässer Anwendung von Art. 36
BV zu prüfen, ob die Voraussetzungen der gesetzlichen Grundlage,
des überwiegenden öffentlichen oder privaten Interesses sowie der
Verhältnismässigkeit erfüllt sind (E. 6-9).

    Das Gemeinwesen hat in der Regel eine Weiterbetreuung ausgeschlossener
Schüler - bis zum Ende der obligatorischen Schulpflicht - durch geeignete
Personen oder öffentliche Institutionen zu gewährleisten (E. 9.5).

    Das in Art. 28 VSG/BE geregelte Stufenmodell, das als letzte und
schärfste Massnahme (ultima ratio) einen vorübergehenden (teilweisen
oder vollständigen) Ausschluss vom Unterricht während höchstens zwölf
Schulwochen pro Schuljahr vorsieht, lässt sich verfassungskonform auslegen
(E. 10).

Sachverhalt

    A.- Am 5. September 2001 beschloss der Grosse Rat des Kantons Bern
eine Änderung des Volksschulgesetzes vom 19. März 1992 (VSG/BE; BSG
432.210). Geändert wurde dabei unter anderem Art. 28 VSG/BE. Dessen neue
Fassung lautet (Änderungen kursiv):

      Art. 28 1 Die Schule sorgt für einen geordneten Schulbetrieb und ein

    förderliches Lernklima. Die Schülerinnen und Schüler haben die Regeln

    der Schule für

    das Zusammenleben einzuhalten sowie die Anordnungen der Lehrerschaft

    und der Schulbehörde zu befolgen.

      2 Die Lehrerschaft ist ermächtigt, gegenüber fehlbaren Schülerinnen

    und Schülern diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die zur

    Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebes nötig sind.

      3 Die Schule orientiert frühzeitig die Schulkommission und zieht

    Fachstellen bei, nötigenfalls werden Massnahmen wie Versetzung in eine

    andere Klasse, in ein anderes Schulhaus oder an eine Schule einer

    anderen Gemeinde veranlasst.

      4 Die Schulkommission kann bei wiederholten oder schweren Verstössen

    der Schülerin oder dem Schüler einen schriftlichen Verweis erteilen
oder

    einen Ausschluss gemäss Absatz 5 schriftlich androhen.

      5 Schülerinnen und Schüler, welche durch ihr Verhalten den

    ordentlichen Schulbetrieb erheblich beeinträchtigen, können von der

    Schulkommission während höchstens zwölf Schulwochen pro Schuljahr

    teilweise oder vollständig vom Unterricht ausgeschlossen werden.

      6 Bei einem Ausschluss sorgen die Eltern nötigenfalls unter

      Beizug von

    Fachstellen und mit Hilfe der Schulbehörde für eine angemessene

    Beschäftigung. Die Schule plant rechtzeitig die Wiedereingliederung.

      7 Die betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie ihre Eltern sind vor

    einer Verfügung gemäss den Absätzen 3 bis 5 anzuhören. Die

    Schulkommission kann allfälligen Beschwerden die aufschiebende Wirkung

    entziehen.

      8 Die Würde der Schülerinnen und Schüler und die Rechte der Eltern

    sind zu wahren. (Bisheriger Absatz 4)

    Der Beschluss des Grossen Rates wurde am 3. Oktober 2001 im Amtsblatt
des Kantons Bern veröffentlicht.

    B.- Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 10.  November 2001 beantragen
V. sowie zwanzig Eltern in ihrem Namen und in demjenigen ihrer Kinder dem
Bundesgericht, die vom Grossen Rat des Kantons Bern beschlossene Änderung
von Art. 28 des Volksschulgesetzes aufzuheben.

    Die Erziehungsdirektion des Kantons Bern beantragt in Vertretung des
Grossen Rates sowie des Regierungsrates des Kantons Bern, die Beschwerde
abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei.

    In einer eigenen Vernehmlassung zur Beschwerde und deren
Ergänzung macht sich der Regierungsrat des Kantons Bern die von der
Erziehungsdirektion in ihrer Stellungnahme vertretene Auffassung zu eigen
und beantragt, die staatsrechtliche Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.

    3.1  Die Beschwerdeführer rügen zur Hauptsache eine Verletzung
des grundrechtlichen Anspruches ihrer Kinder auf ausreichenden und
unentgeltlichen Grundschulunterricht im Sinne von Art. 19 BV und Art. 29
Abs. 2 KV/BE.

    3.2  Das Bundesgericht überprüft die Verfassungsmässigkeit eines
allgemeinverbindlichen Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle
zwar mit freier Kognition, auferlegt sich aber mit Rücksicht auf die
verfassungsmässige Kompetenzordnung im föderalistischen Bundesstaat
allgemein eine gewisse Zurückhaltung (BGE 125 I 71 E. 1c S. 76). Nach der
Praxis ist dabei massgebend, ob der betreffenden Norm nach anerkannten
Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den
angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt. Gleich
verhält es sich, wenn mit der Beschwerde Garantien der Europäischen
Menschenrechtskonvention angerufen werden. Das Bundesgericht hebt
demnach eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeder verfassungs-
und konventionskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie
einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist. Für die Beurteilung
dieser Frage sind die Tragweite des Grundrechtseingriffs sowie die
Möglichkeit von Bedeutung, bei einer späteren konkreten Normenkontrolle
einen hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutz zu erhalten. Weiter
ist zu beachten, unter welchen Umständen die betreffende Bestimmung zur
Anwendung gelangen wird. Der Verfassungsrichter hat daher die Möglichkeit
einer verfassungskonformen Auslegung nicht nur abstrakt zu untersuchen,
sondern auch die Wahrscheinlichkeit verfassungstreuer Anwendung
miteinzubeziehen. Dabei dürfen auch die Erklärungen der kantonalen Behörden
über die beabsichtigte künftige Anwendung der Vorschrift berücksichtigt
werden (BGE 118 Ia 427 E. 3b mit Hinweisen; 125 II 440 E. 1d). Erscheint
eine generell-abstrakte Regelung bezogen auf normale Verhältnisse, wie sie
vom Gesetzgeber zugrunde gelegt werden durften, als verfassungsrechtlich
haltbar, so vermag die ungewisse Möglichkeit, dass sie sich in besonders
gelagerten Einzelfällen verfassungswidrig auswirken könnte, ein Eingreifen
des Verfassungsrichters im Stadium der abstrakten Normenkontrolle im
allgemeinen noch nicht zu rechtfertigen (BGE 125 II 440 E. 1d).

    3.3  Ein Gesetz ist in erster Linie aus sich selbst heraus, d.h. nach
Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zu Grunde liegenden Wertungen
auszulegen. Eine historisch orientierte Auslegung ist für sich allein
nicht entscheidend. Andererseits vermag aber nur sie die Regelungsabsicht
des Gesetzgebers, die sich insbesondere aus den Materialien ergibt,
aufzuzeigen, welche wiederum zusammen mit den zu ihrer Verfolgung
getroffenen Wertentscheidungen verbindliche Richtschnur des Richters bleibt
(BGE 128 II 66 E. 4a; 125 V 355 E. 1b).

Erwägung 4

    4.

    4.1  Art. 19 BV gewährleistet im Kapitel Grundrechte einen Anspruch
auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht. Dieses soziale
Grundrecht verleiht einen individuellen subjektiven Anspruch auf eine
staatliche Leistung, nämlich auf eine grundlegende Ausbildung. Es dient
insbesondere der Verwirklichung der Chancengleichheit, indem in der Schweiz
alle Menschen ein Mindestmass an Bildung erhalten, das nicht nur für ihre
Entfaltung, sondern auch für die Wahrnehmung der Grundrechte unabdingbar
ist (RENÉ RHINOW, Die Bundesverfassung 2000, Basel 2000, S. 341; ULRICH
MEYER-BLASER/THOMAS GÄCHTER, Der Sozialstaatsgedanke, in: Verfassungsrecht
der Schweiz, Hrsg. Daniel Thürer/Jean-François Aubert/Jörg Paul Müller,
Zürich 2001, § 34 N. 32).

    Nach Art. 62 BV sorgen die für das Schulwesen zuständigen Kantone
für den ausreichenden, allen Kindern offen stehenden, und an öffentlichen
Schulen unentgeltlichen obligatorischen Grundschulunterricht.

    4.2  Die Anforderungen, die Art. 19 BV an den obligatorischen
Grundschulunterricht stellt ("ausreichend"), belässt den Kantonen bei der
Regelung des Grundschulwesens einen erheblichen Gestaltungsspielraum. Die
Ausbildung muss aber auf jeden Fall für den Einzelnen angemessen und
geeignet sein (BGE 117 Ia 27 E. 6a) und genügen, um die Schüler auf
ein selbstverantwortliches Leben im modernen Alltag vorzubereiten; dies
bedingt auch eine Mindestdauer der Schulpflicht, wobei sich die Kantone
auf eine Mindestschuldauer von neun Jahren geeinigt haben (Art. 2 lit. b
des Konkordates über die Schulkoordination vom 29. Oktober 1970, vom
Bundesrat genehmigt am 14. Dezember 1970, dem der Kanton Bern am 3. Mai
1989 beigetreten ist [SR 411.9]). Der Unterricht muss grundsätzlich am
Wohnort der Schüler erteilt werden; die räumliche Distanz zwischen Wohn-
und Schulort darf den Zweck der ausreichenden Grundschulausbildung nicht
gefährden. Behinderte Kinder haben ebenfalls Anspruch auf eine kostenlose,
ihren Fähigkeiten angepasste Schulung (ULRICH

MEYER-BLASER/THOMAS GÄCHTER, aaO, § 34 N. 32 ff.). Damit ergibt
sich bereits aus Art. 19 BV ein Anspruch auf eine den individuellen
Fähigkeiten des Kindes und seiner Persönlichkeitsentwicklung entsprechende,
unentgeltliche Grundschulausbildung (vgl. BGE 117 Ia 27 E. 5b, 6). Der
Anspruch wird verletzt, wenn die Ausbildung des Kindes in einem Masse
eingeschränkt wird, dass die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist,
bzw. wenn es Lehrinhalte nicht vermittelt erhält, die in der hiesigen
Wertordnung als unverzichtbar gelten (BGE 119 Ia 178 E. 8a S. 194 f.).

    4.3  Im Kapitel Sozialziele der Bundesverfassung ist verankert, dass
sich Bund und Kantone - in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und
privater Initiative - dafür einsetzen, dass Kinder und Jugendliche sowie
Personen im erwerbsfähigen Alter sich nach ihren Fähigkeiten bilden,
aus- und weiterbilden können (Art. 41 Abs. 1 lit. f BV). Dabei stellt
Art. 41 Abs. 4 BV klar, dass aus den Sozialzielen - im Gegensatz zu
Grundrechten, sozialen Grundrechten und Sozialrechten (RENÉ RHINOW, aaO,
S. 345 und 338) - keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche Leistungen
abgeleitet werden können.

    4.4  Diese durch die neue Bundesverfassung getroffene
Unterscheidung zwischen direkt anspruchsbegründenden Grundrechten
beziehungsweise Sozialrechten im engeren Sinn und Sozialzielen mit
lediglich programmatischem Charakter geht zurück auf das Beispiel neuerer
Kantonsverfassungen (so insbesondere auch Art. 29 und 30 KV/BE, Art. 24 und
25 KV/AR, Art. 13 und 14 KV/TI; vgl. ULRICH MEYER-BLASER/THOMAS GÄCHTER,
aaO, § 34 N. 21).

Erwägung 5

    5.

    5.1  Die Berner Kantonsverfassung gewährleistet im Kapitel Sozialrechte
den Anspruch jedes Kindes auf Schutz, Fürsorge und Betreuung sowie
auf eine seinen Fähigkeiten entsprechende, unentgeltliche Schulbildung
(Art. 29 Abs. 2 KV/BE).

    5.2  Diese Bestimmung dürfte schon nach ihrem Wortlaut über den durch
Art. 19 BV gewährleisteten unentgeltlichen Grundschulunterricht während der
obligatorischen Schulzeit hinausgehen, indem sie im Unterschied zu Art. 19
BV (PETER SALADIN/MARTIN AUBERT, Sozialverfassung, in: Walter Kälin/Urs
Bolz, Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, S. 97 f.;
HERBERT PLOTKE, Bildung und Schule in den kantonalen Verfassungen,
in: Strukturen des schweizerischen Bildungswesens, Beiheft zur ZSR,
Basel 1994, S. 65; PIUS GEBERT, Das Recht auf Bildung nach Art. 13 des
UNO-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Diss.
St. Gallen 1996, S. 374; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz,
Bern 1999, S. 651 f.; vgl. BGE 103 Ia 94 E. 2a) alle Schulen innerhalb
der obligatorischen Schulpflicht einschliesst (PLOTKE, aaO, S. 42
N. 109). Nicht vom verfassungsrechtlichen Anspruch von Art. 29 Abs. 2
KV/BE erfasst werden hingegen die an die obligatorische Schulzeit
anschliessenden Bildungsstufen (URS BOLZ, in: Walter Kälin/Urs Bolz,
Handbuch des bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, N. 12 zu Art. 29
KV/BE, S. 318).

    5.3  Art. 29 Abs. 2 KV/BE geht ausserdem insoweit über Art. 19 BV
hinaus, als die Bestimmung gleichzeitig weitergehende Ansprüche des Kindes
- auf Schutz, Fürsorge und Betreuung - begründet, die teilweise durch
Art. 11 BV gewährleistet, teilweise (lediglich) in den Sozialzielen
von Art. 41 BV enthalten sind. Das Recht des Kindes auf Schutz,
Fürsorge und Betreuung ergibt sich jedoch (nebst aus Art. 24 UNO-Pakt
II) auf Bundesebene weitgehend aus den entsprechenden Bestimmungen
des Zivilgesetzbuches über die elterliche Sorge, insbesondere den
Kindesschutz (Art. 307 ff. ZGB; PETER SALADIN/MARTIN AUBERT, aaO,
S. 97). Auch der bernische Verfassungsgeber ging davon aus, dass diese
Verfassungsbestimmung nicht in das durch das Zivilgesetzbuch geprägte
Eltern-Kind-Verhältnis eingreift. Er erachtete den Anspruch des Kindes
gegenüber dem Staat im Bereich Betreuung und Fürsorge nur als subsidiär
zu den zivilrechtlichen Verpflichtungen der Eltern (Art. 301 ZGB). Damit
behördliche Ersatzmassnahmen gar nicht erst notwendig werden, soll
der Kanton daher die Familien vorerst in der Erfüllung ihrer Aufgaben
unterstützen (Art. 30 Abs. 1 lit. d KV/BE; URS BOLZ, aaO, S. 318).

    5.4  Als Ansprüche sind Sozialrechte justiziabel; das heisst, sie
können als subjektive Rechte im Streitfall gerichtlich durchgesetzt
werden. Es handelt sich damit um verfassungsmässige Rechte im Sinne
von Art. 189 Abs. 1 lit. a BV beziehungsweise Art. 84 Abs. 1 lit. a OG
(JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte, in: Walter Kälin/Urs Bolz, Handbuch des
bernischen Verfassungsrechts, Bern 1995, S. 46).

    5.5  Inwieweit die von den Beschwerdeführern in diesem Zusammenhang
angeführten Art. 13 Abs. 2 lit. a UNO-Pakt I (SR 0.103.1) sowie Art. 28
Abs. 1 lit. a des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (SR 0.107)
weitergehende Ansprüche gewähren sollen, ist weder ersichtlich noch in
einer den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden
Weise dargelegt.

Erwägung 6

    6.

    6.1  Die Beschwerdeführer rügen, die für die Beschränkung von
Grundrechten allgemein geltenden Voraussetzungen von Art. 36 BV seien im
vorliegenden Fall nicht erfüllt.

    6.2  Art. 36 BV, welcher die kumulativ erforderlichen Voraussetzungen
für die Einschränkung von Grundrechten aufzählt, ist im Wesentlichen auf
Freiheitsrechte zugeschnitten, das heisst auf diejenigen Grundrechte,
die sich auf die Ausübung gewisser menschlicher Fähigkeiten beziehen,
deren Schutzbereich und Inhalt sich aus ihnen selber ergeben; nicht
konzipiert ist die Eingriffsregelung insbesondere für gewisse Grundrechte
sozialen Charakters. Bei diesen Grundrechten, die Ansprüche auf positive
Leistungen des Staates begründen, wie etwa dem Recht auf Existenzsicherung,
stellt der Staat keine Schranken auf, sondern nennt die Voraussetzungen,
unter denen ein anerkanntes Recht ausgeübt werden kann (Botschaft des
Bundesrates über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl
1997 I 194 f.). Die Tragweite von Sozialrechten ist im Wesentlichen auf
Grund von Kriterien zu bestimmen, die aus der Substanz des jeweiligen
Grundrechts besonders zu entwickeln sind (JÖRG PAUL MÜLLER, aaO, S. 47).

    6.3  Bei den Sozialrechten kommen deshalb nach der neueren Lehre die
Bestimmungen über die Einschränkung von Grundrechten nicht zur Anwendung
(ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, Droit constitutionnel
suisse, Bern 2000, Bd. II, Rz. 25 ff., insbes. 31; vgl. auch Urteil
1P.277/2000 vom 26. Oktober 2000, E. 3b; vgl. auch ULRICH HÄFELIN/WALTER
HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 5. Aufl., Zürich 2001, N. 302,
303; JÖRG PAUL MÜLLER, Allgemeine Bemerkungen zu den Grundrechten,
in: Verfassungsrecht der Schweiz, Hrsg. Daniel Thürer/Jean-François
Aubert/Jörg Paul Müller, Zürich 2001, § 39 N. 52). Rechtliche
Einschränkungen sozialer Grundrechte als Mindeststandards und damit auch
des Anspruches auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht
sind somit grundsätzlich ausgeschlossen (URS BOLZ, aaO, N. 2 zu Art. 29
KV/BE, S. 314; ULRICH MEYER-BLASER/THOMAS GÄCHTER, aaO, § 34 N. 37;
BEATRICE WEBER-DÜRLER, Grundrechtseingriffe, in: Die neue Bundesverfassung,
Bern 2000, S. 151 f.).

    Dies ergibt sich auch aus der bernischen Verfassungssystematik. Während
Art. 28 KV/BE - als letzter Artikel des Kapitels Grundrechte - die schon
aufgrund von Art. 36 BV geltenden Voraussetzungen für Einschränkungen
von Grundrechten aufzählt, sieht Art. 29 KV/BE - einziger Artikel des
Kapitels Sozialrechte - die Einschränkung von Sozialrechten nicht vor. Das
leuchtet auch insofern ein, als die Sozialrechte der bernischen Verfassung
nur einen Mindeststandard gewährleisten, welcher mit Blick auf den engen
Zusammenhang der Sozialrechte mit dem Prinzip der Menschenwürde rechtlich
nicht eingeschränkt werden darf (SALADIN/AUBERT, aaO, S. 101; URS BOLZ,
N. 2 zu Art. 29 KV/BE). Ihre Grenze, die auch bei der Konkretisierung
durch den Richter zu beachten ist, finden die verfassungsrechtlich
gewährleisteten Minimalansprüche namentlich in der Leistungsfähigkeit des
Staates (ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, aaO, Rz. 30;
URS BOLZ, aaO, S. 314).

    6.4  Der sich aus Art. 19 BV und Art. 29 Abs. 2 KV/BE ergebende
Anspruch auf Grundschulunterricht umfasst somit nur ein angemessenes,
erfahrungsgemäss ausreichendes Bildungsangebot an öffentlichen Schulen. Ein
Mehr an individueller Betreuung, das theoretisch möglich wäre, kann mit
Rücksicht auf das staatliche Leistungsvermögen nicht gefordert werden
(Urteil 2P.246/2000 vom 14. Mai 2001, E. 2). Bei der Beurteilung von
Leistungsansprüchen hat der Richter die funktionellen Grenzen seiner
Zuständigkeit zu beachten. Er hat nicht die Kompetenz, die Prioritäten
bei der Mittelaufteilung zu setzen. Unmittelbar grundrechtsgeboten und vor
dem Richter durchsetzbar kann daher mangels weiter gehender gesetzlicher
Ansprüche nur ein Minimum staatlicher Leistungen sein (BGE 121 I 367
E. 2c). Einschränkende Konkretisierungen durch den Gesetzgeber sind daran
zu messen, ob sie mit dem verfassungsrechtlich garantierten Minimalgehalt
noch zu vereinbaren sind (ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL
HOTTELIER, aaO, Rz. 31). Bei der Bestimmung dieses Gehalts können in
sinngemässer (Teil-)Anwendung von Art. 36 BV die Erfordernisse des
überwiegenden öffentlichen oder privaten Interesses (Abs. 2) sowie der
Verhältnismässigkeit (Abs. 3) herangezogen werden, wobei - analog zu den
Freiheitsrechten - der Kernbereich des Verfassungsanspruches in jedem Fall
gewahrt bleiben muss. Ist in solchem Zusammenhang eine Abwägung zwischen
den in Frage stehenden öffentlichen Interessen und den Individualinteressen
vorzunehmen, kann dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit mitunter die
Funktion eines Untermassverbotes zukommen (vgl. MARKUS SCHEFER, Die
Kerngehalte von Grundrechten, Bern 2001, S. 66 ff., insb. S. 72; JÖRG PAUL
MÜLLER, Allgemeine Bemerkungen zu den Grundrechten, § 39 N. 52; in diesem
Sinne auch BGE 126 II 300 E. 5). Im Lichte dieser Ausführungen sind die
unter dem Titel von Art. 36 BV erhobenen Rügen im Folgenden zu beurteilen.

Erwägung 7

    7.

    7.1  Das geänderte bernische Volksschulgesetz gewährleistet jedem
im Kanton Bern wohnhaften Kind, welches das 6. Altersjahr zurückgelegt
hat, den unentgeltlichen Besuch einer öffentlichen Schule an seinem
Aufenthaltsort während der obligatorischen Schulzeit von neun Jahren
(Art. 1, 7, 13 und 22 VSG/BE). Die Volksschule unterstützt die Familie
in der Erziehung der Kinder (Art. 2 Abs. 1 VSG/BE); sie trägt zur
harmonischen Entwicklung der Fähigkeiten der jungen Menschen bei
(Abs. 2), schützt die seelisch-geistige und körperliche Integrität der
Schüler, sorgt für ein Klima von Achtung und Vertrauen (Abs. 3) und
vermittelt jene Kenntnisse und Fertigkeiten, welche die Grundlage für
die berufliche Ausbildung, für den Besuch weiterführender Schulen und
für das lebenslange Lernen darstellen (Abs. 5). Schülern mit besonderen
Schwierigkeiten, deren schulische Ausbildung durch Störungen und
Behinderungen oder durch Probleme bei der sprachlichen oder kulturellen
Integration erschwert wird, aber auch solchen mit ausserordentlichen
Begabungen soll in der Regel der Besuch der ordentlichen Bildungsgänge
ermöglicht werden; soweit nötig sollen sie durch Spezialunterricht
oder Schulung in besonderen Klassen gefördert werden (Art. 7 Abs. 1
und 2 VSG/BE). Der obligatorische Unterricht umfasst Inhalte aus den
Bereichen Mensch/Gesellschaft/Religion/Ethik, Sprache/Kommunikation,
Natur/Umwelt/Technik/Wirtschaft/Hauswirtschaft/Mathematik/ sowie
Gestalten/Handarbeiten/Werken/Musik/Sport (Art. 10 Abs. 1 VSG/BE).

    7.2  Mit dieser grundsätzlichen Ausgestaltung der Volksschule
erfüllt der Kanton Bern die sich aus Art. 19 BV und Art. 29 Abs. 2 KV/BE
ergebenden Mindestanforderungen an einen den Fähigkeiten des Einzelnen
entsprechenden, unentgeltlichen Grundschulunterricht (so auch die von
den Beschwerdeführern erwähnte Lizentiatsarbeit von URSULA WYSSMANN,
Der Ausschluss von Schülerinnen und Schülern vom Grundschulunterricht:
Verletzt er den verfassungsmässigen Anspruch gemäss Art. 19 BV?,
Universität Bern 2002, S. 54). Die Beschwerdeführer anerkennen dies,
indem sie ihre Beschwerde ausdrücklich auf die - geänderte - Bestimmung
von Art. 28 VSG/BE, soweit dieser den Schulausschluss regelt, beschränken.

Erwägung 8

    8.

    8.1  Abgesehen vom speziellen, hier nicht in Frage stehenden
Sachverhalt der vorzeitigen Entlassung aus der Schulpflicht nach
Vollendung des achten Schuljahres (vgl. Art. 24 VSG/BE) verletzt ein
Ausschluss aus der Schule auf unbestimmte Dauer und ohne Anordnung von
Ersatzmassnahmen während der Dauer der obligatorischen Grundschulpflicht
nicht nur Art. 19 BV (vgl. BGE 117 Ia 27 E. 5b; MARCO BORGHI, aaO,
N. 48 zu Art. 27 aBV; JÜRG DINKELMANN, Die Rechtsstellung des Schülers
im Schülerdisziplinarrecht, Diss. Freiburg 1985, S. 12 und 161; vgl.
auch ANDREAS AUER/GIORGIO MALINVERNI/MICHEL HOTTELIER, aaO, N. 30 f.; PIUS
GEBERT, aaO, S. 388 N. 132; vgl. zum Sozialrecht auf Existenzsicherung
BGE 122 II 193 E. 3c), sondern auch Art. 29 Abs. 2 KV/BE. Denn in diesem
Fall wird der Bildungsanspruch grundsätzlich gefährdet, indem das Kind
in seiner Ausbildung in einem Mass eingeschränkt wird, dass namentlich
die Chancengleichheit nicht mehr gewahrt ist (vgl. BGE 119 Ia 178 E.
8a, b, S. 195).

    8.2  Steht hingegen - wie im vorliegenden Fall - die Zulässigkeit
eines vorübergehenden Ausschlusses von Schülern in Frage, ist nach
dem oben Ausgeführten zunächst zu prüfen, ob eine derartige teilweise
Einschränkung des Leistungsanspruches einzelner Schüler auf genügenden
Grundschulunterricht durch ein öffentliches Interesse oder durch den
Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt erscheint.

    8.3  Gewiss können sich auch Personengruppen, die wie Schüler der
Volksschule zum Gemeinwesen in einer besonders engen Rechtsbeziehung stehen
(sogenanntes Sonderstatus- oder besonderes Rechtsverhältnis), auf die
Grundrechte berufen. Zu beachten ist aber, dass auf Grund des Obligatoriums
des Grundschulunterrichts ein gewichtiges öffentliches Interesse an einem
geordneten Schulbetrieb und der regelmässigen Erfüllung der Schulpflicht
besteht; dieses öffentliche Interesse überwiegt in aller Regel die privaten
Interessen der einzelnen Schüler und rechtfertigt gewisse Einschränkungen,
insbesondere ein schulisches Disziplinarrecht (vgl. Urteil 2P.372/1993 vom
23. Februar 1995, E. 3b; vgl. MARCO BORGHI, aaO, N. 48 zu Art. 27 aBV).

    Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass auch an der
Wiedereingliederung schwieriger Schüler in den weiteren Bildungsgang
ein erhebliches öffentliches Interesse besteht. Auf Grund des
Sonderstatusverhältnisses sind deshalb nicht nur Disziplinarmassnahmen
zulässig, die zum Ziel haben, einen geordneten Schulbetrieb unmittelbar
sicherzustellen; Disziplinarmassnahmen können auch präventiv-erzieherische
Zwecke verfolgen. Sie dürfen indessen nicht dazu dienen, schlechte
Leistungen der Benutzer zu ahnden (PIERRE TSCHANNEN/ULRICH ZIMMERLI/REGINA
KIENER, Allgemeines Verwaltungsrecht, Bern 2000, S. 331 f.).

    8.4  Die Schule erbringt ihre Leistungen nicht im eigenen Interesse,
sondern im Interesse der Schüler. Die dabei verfolgten Ziele bilden in
diesem Sinne Gesichtspunkte des Kindeswohls, weshalb der Schulbesuch
auch gegen den Willen der Eltern durchgesetzt werden kann. Soweit die
Elternrechte betroffen sind, hat sich der Staat allerdings Zurückhaltung
aufzuerlegen. Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben hat eine öffentliche
Schule von einer Gesamtsicht auszugehen. Sowohl in der Vermittlung
des Lehrstoffes als auch bei ihrer Organisation muss sie sich an einen
möglichst breiten gemeinsamen Nenner halten, und sie hat die Kohärenz der
Schulklassen und des Unterrichts zu gewährleisten. Die Berücksichtigung
von Interessen einzelner Schüler findet daher dort ihre Schranken, wo
ein geordneter und effizienter Schulbetrieb nicht mehr aufrechterhalten
werden kann und dadurch der Ausbildungsauftrag der Schule in Frage
gestellt wird. Die Ausübung des Anspruches auf einen den individuellen
Fähigkeiten entsprechenden Grundschulunterricht durch einen Schüler wird
insoweit durch den entsprechenden Anspruch der anderen Schüler begrenzt
(vgl. im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit BGE 119 Ia 178 E. 7d S. 192
f.). Wird der geordnete Schulbetrieb durch einen Schüler derart gestört,
dass dadurch der Bildungsauftrag der Schule gegenüber anderen Schülern der
Klasse oder des betreffenden Schulhauses in Frage gestellt wird, liegt der
vorübergehende Ausschluss des Störers vom Unterricht sowohl im öffentlichen
Interesse als auch im (überwiegenden) privaten Interesse der übrigen
Schüler an einer genügenden unentgeltlichen Schulbildung. Anlässlich der
Beratung der Revisionsvorlage im Grossen Rat des Kantons Bern wurde
der angefochtene Artikel zur Hauptsache mit dem verfassungsmässigen
Anspruch der anderen Schüler auf Grundschulunterricht begründet, der
durch das Verhalten einzelner Schüler beeinträchtigt werden könne. Die
Möglichkeit eines Ausschlusses sei erforderlich, um die Schule und die
übrigen Schüler zu schützen (Tagblatt des Grossen Rates des Kantons Bern
2001, im Folgenden: Tagblatt, S. 263).

    Die Befugnis zur Anordnung von Disziplinarmassnahmen zur
Aufrechterhaltung eines geordneten Schulbetriebes ergibt sich demnach nicht
nur aus der grundsätzlichen Befugnis zum Erlass einer Anstaltsordnung
(vgl. BGE 121 I 22 E. 4a), sondern auch aus der grundrechtlichen
Schutzpflicht vor Gefährdungen, die von Dritten ausgehen (BGE 126 II 300
E. 5). Diese kann dazu führen, dass der Staat tatsächliche Hindernisse
einer wirksamen Grundrechtsausübung aus dem Weg zu räumen und präventive
organisatorische Massnahmen zum Schutze von Grundrechten vor Störungen
durch Dritte vorzusehen hat (vgl. MARKUS SCHEFER, aaO, S. 236 f., 247 f.,
278 f.).

    8.5  Im schulischen Disziplinarrecht muss die gesetzliche Regelung -
abgesehen von der Begründung des Sonderstatusverhältnisses - nicht bis
ins letzte Detail gehen, sondern darf der Natur des Rechtsverhältnisses
entsprechend weit gefasst sein (vgl. BGE 119 Ia 178 E. 6b; 121 I 22
E. 4a). Diesen Anforderungen genügt Art. 28 VSG/BE (vgl. auch E. 10
hiernach). Der Einwand der Beschwerdeführer, die Vorschrift sei nicht
hinreichend bestimmt, ist unbegründet.

Erwägung 9

    9.

    9.1  Bestritten ist im Weiteren die Verhältnismässigkeit des möglichen
Ausschlusses. Das verfassungsmässige Gebot der Verhältnismässigkeit
verlangt, dass eine behördliche Massnahme für das Erreichen eines im
übergeordneten öffentlichen (oder privaten) Interesses liegenden Zieles
geeignet, erforderlich und für den Betroffenen zumutbar ist. Erforderlich
ist eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation (BGE 127 IV 154 E. 4c S. 161
mit Hinweis).

    Unter diesem Gesichtspunkt ist zunächst zu untersuchen, ob der
Eingriff bzw. die Leistungsbeschränkung geeignet ist, um den angestrebten
Zweck zu erreichen. Sodann muss der Eingriff möglichst schonend erfolgen
und in jedem Fall innerhalb des für den Betroffenen Zumutbaren bleiben
(vgl. statt vieler MARKUS SCHEFER, aaO, S. 67 f.).

    9.2  Den Beschwerdeführern ist darin zuzustimmen, dass der
vorübergehende Schulausschluss als disziplinarische Massnahme
aus pädagogischer und jugendpsychologischer Sicht in Fachkreisen
umstritten ist (vgl. HEINZ NEUKÄTER/HEINRICH RICKING, Sozial-kognitive
Verhaltensanalyse bei Schulabsentismus, Entwicklungen - Standort
- Perspektiven, Sonderpädagogischer Kongress vds Hannover 1998
[www.vds-bundesverband.de/Material/kongress98/neukaeter.htm], S. 7). Auch
wenn Fachleute aus dieser spezifischen Sicht Bedenken anmelden, kann davon
ausgegangen werden, dass der vorübergehende Schulausschluss grundsätzlich
zulässig und geeignet ist, um eine gestörte Schulordnung wiederherzustellen
(JÜRG DINKELMANN, aaO, S. 142) und um das angestrebte Ziel, der Schule
die Erfüllung ihrer Aufgabe gegenüber den anderen Schülern wieder zu
ermöglichen, zu erreichen (BGE 87 I 337 E. 4b S. 341; JÜRG DINKELMANN,
aaO, S. 114, der die Wegweisung zur Abwehr momentaner oder dauernder
schwerer Ordnungsverstösse gar als unverzichtbar bezeichnet).

    Selbst die Beschwerdeführer räumen im Übrigen ein, ein kurzfristiger
Ausschluss vom Unterricht für einige Stunden oder Tage könne durchaus
geeignet sein, Störungen des Schulunterrichts zu beseitigen und Raum
und Zeit für Reflexion und die Planung allfällig notwendiger weiterer
Massnahmen zu gewinnen (ebenso URSULA WYSSMANN, aaO, S. 68).

    Ob ein Ausschluss auch erforderlich ist, kann nur im Einzelfall
beurteilt werden; die Frage stellt sich im Verfahren der abstrakten
Normenkontrolle bloss insoweit, als Situationen denkbar sein müssen,
in denen das Kriterium der Erforderlichkeit grundsätzlich als erfüllt zu
gelten hat. Solche (Extrem-)Situationen sind vorstellbar.

    9.3  Die Möglichkeit eines vorübergehenden Schulausschlusses
sehen denn auch 19 Kantone in der einen oder anderen Form vor (§ 38a
des Schulgesetzes/AG, Art. 62 Abs. 2 des Schulgesetzes/AI, Art. 26
Abs. 2 lit. c der Verordnung zum Gesetz über Schule und Bildung/AR, §
151 Abs. 2 des Schulgesetzes/BL und § 58 Abs. 1 lit. c der Schulordnung
für die Volksschulen und IV-Sonderschulen/BL, § 61 des Schulgesetzes/BS,
Art. 42 Abs. 3 des Gesetzes über den Kindergarten, die Primarschule und
die Orientierungsschule/FR und Art. 67 des Reglementes zum Schulgesetz/FR,
Art. 48 du Règlement de l'enseignement primaire/GE und Art. 33 du Règlement
de l'enseignement secondaire/GE, Art. 45 des Gesetzes über Schule
und Bildung/GL, Art. 14 des Gesetzes für die Volksschulen des Kantons
Graubünden, Art. 83 Abs. 1 lit. c und d de la Loi sur l'école enfantine,
l'école primaire et l'école secondaire/JU und Art. 173 de l'ordonnance
portant exécution de la loi scolaire/JU, § 15 Abs. 1 lit. f der Verordnung
zum Gesetz über die Volksschulbildung/LU, § 20 der Vollziehungsverordnung
zum Gesetz über das Bildungswesen/NW, Art. 55 des Nachtragsgesetzes zum
Volksschulgesetz/SG, Art. 57 della Legge della scuola/TI und Art. 11 del
Regolamento di applicazione della Legge sulla scuola dell'infanzia e sulla
scuola elementare/TI, § 21 Abs. 2 des Gesetzes über die Volksschule und den
Kindergarten/TG, Art. 51Abs. 3 des Gesetzes über Schule und Bildung/UR,
Art. 118 lit. c de la Loi scolaire/VD, § 85a des Gesetzes über die
Volksschule und die Vorschulstufe/ZH, § 24 Abs. 3 des Schulgesetzes/ZG).

    9.4  Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit ist nach
Möglichkeit zunächst die jeweils weniger einschneidende Massnahme zu
treffen (vgl. BGE 122 II 193 E. 3b/bb S. 200). Der vorübergehende
Ausschluss aus disziplinarischen Gründen ist daher erst zulässig,
wenn weniger weit gehende Massnahmen, verbunden mit der Androhung des
Ausschlusses, nicht den gewünschten Erfolg gezeigt haben, es sei denn,
der Disziplinarverstoss sei so schwer, dass der fehlbare Schüler untragbar
für die Schule geworden ist und diese, sofern der Schüler nicht entfernt
wird, ihre Aufgabe nicht mehr richtig erfüllen kann (BGE 87 I 337 E. 4b
S. 341). Der Ausschluss kommt somit nur als letzte und schärfste Massnahme
(ultima ratio) in Frage. Auch seine Dauer muss der Situation angemessen
sein.

    9.5  Ein vorübergehender Ausschluss von der Schule muss sodann der
Erziehungs- und Unterstützungsaufgabe untergeordnet werden, die dem
Gemeinwesen gegenüber dem Kind ebenfalls obliegt (MARCO BORGHI, aaO,
Art. 27 aBV N. 48; JÜRG DINKELMANN, aaO, S. 161). Dies ergibt sich für
den Kanton Bern schon aus Art. 29 Abs. 2 KV/BE, welcher ausdrücklich einen
Anspruch des Kindes auf Schutz, Fürsorge und Betreuung statuiert. Auch aus
Art. 2 VSG/BE ist in Verbindung mit Art. 1 VSG/BE für das schulpflichtige
Kind ein Anspruch auf eine seiner Entwicklung angemessene Fürsorge und
Betreuung während der obligatorischen Schulzeit abzuleiten. Diesen
Anspruch gilt es bei einem Ausschluss vom Unterricht zusätzlich zu
berücksichtigen. In der Regel hat dies durch die Gewährleistung einer
Weiterbetreuung des ausgeschlossenen Schülers durch geeignete Personen
oder Institutionen zu geschehen.

    Art. 29 Abs. 2 KV/BE schliesst somit für die (grund-)schulpflichtigen
Kinder einen verfassungsmässigen Anspruch mit ein, während der Zeit,
in welcher sie die Schule zu besuchen haben, angemessen betreut zu
werden. In diesem Sinne bestimmt Art. 18 Abs. 1 VSG/BE, dass Kinder,
die nicht in Regelklassen oder besonderen Klassen geschult werden können,
in Sonderschulen oder Heimen geschult werden müssen oder auf andere Weise
Pflege, Erziehung, Förderung und angemessene Ausbildung erhalten.

    9.6  Ein verfassungsmässiges Recht der Eltern darauf, dass sich ihre
Kinder während der Schulpflicht zu gewissen, vom Stundenplan vorgesehenen
Stunden in der Schule befinden, kann daraus freilich - entgegen der
Ansicht der Beschwerdeführer - nicht hergeleitet werden. Ein solcher
Anspruch - als Gegenstück zur Verpflichtung zum Schulbesuch - kann nur
im Rahmen der Schulgesetzgebung bestehen, zu der auch die Regelung über
den vorübergehenden Ausschluss gehört. Im Weiteren ist nicht erkennbar,
inwiefern Art. 28 Abs. 6 VSG/BE zu einer mittelbaren Diskriminierung
von Frauen führen und damit Art. 8 Abs. 3 BV und Art. 10 Abs. 2 KV/BE
verletzen sollte. Auch allein erziehende Frauen können die den Eltern
zustehende Unterstützung in der Betreuung und Fürsorge in Anspruch nehmen,
wobei auf ihre Berufstätigkeit angemessen Rücksicht zu nehmen ist.

Erwägung 10

    10.

    10.1  Es bleibt zu prüfen, ob der vorübergehende Ausschluss
gemäss Art. 28 VSG/BE sich im Sinne der oben dargelegten Grundsätze
verfassungskonform auslegen lässt.

    10.2  Zur umstrittenen Änderung führte der Regierungsrat des
Kantons Bern in seinem schriftlichen Vortrag an den Grossen Rat (im
Folgenden: Vortrag) einleitend aus, die Praxis habe gezeigt, dass
die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen in Ausnahmefällen nicht mehr
ausreichten. Die Möglichkeit des vorübergehenden Schulausschlusses dränge
sich daher auf. Dieses Disziplinarmittel, das nur eingesetzt werde, wenn
andere Massnahmen unter Beizug von Fachstellen nachweisbar erfolglos
geblieben seien, verbinde gesetzlich das Recht auf Bildung mit der im
Schulobligatorium begründeten Pflicht der Schülerinnen und Schüler, sich in
Selbst-, Sach- und Sozialkompetenz zu bilden. Jeder Schüler habe ein Recht
auf Bildung. Der Schulbetrieb und das Lernklima seien so zu gestalten,
dass dieses Recht für alle Schüler einer Klasse sichergestellt und
gewährleistet werden könne. Mit der Gesetzesnovelle werde das Bewusstsein
geschärft, dass das Recht auf schulische Bildung ein Privileg sei, das zwar
grundsätzlich selbstverständlich sei, aber durch den Bildungswillen der
Schüler auch gerechtfertigt sein müsse; der Anspruch auf dieses Privileg
könne ausnahmsweise, begleitet durch andere Massnahmen, vorübergehend
aufgehoben werden. Die schulische Bildung in der Stammklasse werde nach
Möglichkeit durch eine sinnvolle ausserschulische Tätigkeit ersetzt. Der
Bildungsbegriff werde damit gleichzeitig erweitert angewendet. Bildung
sei nicht nur mit schulischer Bildung gleichzusetzen. Während des
vorübergehenden Ausschlusses gehe die Verantwortung für die Aufsicht und
die Führung des Kindes an die Eltern zurück.

    Zu Art. 28 VSG/BE wird im Speziellen angeführt, der Schulausschluss
stelle eine ausserordentliche Massnahme dar. Er könne in Abwägung aller
Interessen unter gegebenen Umständen die beste und sinnvollste Lösung
darstellen und solle dann eingesetzt werden, wenn andere schulische oder
disziplinarische Massnahmen erfolglos geblieben seien. Die 12 Schulwochen
seien kein Richtmass für die Dauer des Schulausschlusses, sondern setzten
die zulässige Höchstdauer des Ausschlusses fest. In der Regel müssten
kürzere Ausschlüsse genügen.

    10.3

    10.3.1  Unter dem Randtitel "Disziplin, Massnahmen" bestimmt der
nicht geänderte Art. 28 Abs. 2 VSG/BE, die Lehrerschaft sei ermächtigt,
gegenüber fehlbaren Schülern diejenigen Massnahmen zu ergreifen, die zur
Aufrechterhaltung des geordneten Schulbetriebes nötig sind.

    Schon durch das Voranstellen dieser Bestimmung wird klar zum Ausdruck
gebracht, dass bei disziplinarischen Problemen mit einzelnen Schülern
zunächst die Lehrerschaft zuständig ist, die für den Schulbetrieb
unverzichtbare Ordnung zu gewährleisten.

    10.3.2  Gemäss Art. 28 Abs. 3 VSG/BE orientiert die Schule im Weiteren
frühzeitig die Schulkommission und zieht Fachstellen bei, nötigenfalls
werden Massnahmen wie Versetzung in eine andere Klasse, in ein anderes
Schulhaus oder an eine Schule einer anderen Gemeinde veranlasst.

    Die Bestimmung soll entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit
verhindern, dass nicht härtere Massnahmen als nötig getroffen werden. Unter
Fachstellen werden ausser Fachinstanzen wie Erziehungsberatungsstellen,
schulärztlicher Dienst und Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst auch
das Jugendamt, die Jugendberatungsstellen, Sozialdienste, Beratungsdienste
für Fremdsprachige usw. verstanden (Vortrag S. 5 f.).

    10.3.3  Art. 28 Abs. 4 VSG/BE sieht sodann vor, dass die
Schulkommission bei wiederholten und schweren Verstössen einen
schriftlichen Verweis erteilen oder einen Ausschluss schriftlich androhen
kann.

    Im Vortrag des Regierungsrates (S. 5) wird dazu ausgeführt, die in
dieser Bestimmung genannten Disziplinarmassnahmen könnten eine Vorstufe
zu einem späteren Ausschluss sein. Es gebe jedoch Notsituationen, die
ein rasches Handeln erforderten; in diesen Fällen müsse es möglich sein,
einen Ausschluss auch ohne vorgängigen Verweis oder vorherige Androhung
anzuordnen.

    10.3.4  Gemäss Art. 28 Abs. 5 VSG/BE können schliesslich Schüler,
welche durch ihr Verhalten den Schulbetrieb erheblich beeinträchtigen,
von der Schulkommission während höchstens zwölf Schulwochen pro Schuljahr
teilweise oder vollständig vom Unterricht ausgeschlossen werden.

    Der Regierungsrat führte dazu aus, ein ordentlicher Unterricht sei
dann nicht mehr gewährleistet, wenn wegen fortgesetzter Störungen von
einzelnen Schülern der Unterricht wiederholt unterbrochen werden müsse
und damit die nötige Ruhe und Konzentration fehle, um das Unterrichtsziel
zu erreichen. Auch provokative Passivität, Widerstand und beharrliche
Leistungsverweigerung könnten zu einem unzumutbaren Störfaktor im
Unterricht werden. Schüler könnten aber nicht nur den Unterricht im
engeren Sinn, sondern durch ihr Verhalten (z.B. durch Gewalt, Provokation,
Disziplinlosigkeit) auch den übrigen Schulbetrieb (z.B. in der Pause,
in Schulverlegungen, auf Schulreisen) erheblich belasten (Vortrag S. 5).

    10.4  Die aufgezeigte gesetzliche Regelung der Disziplinarmassnahmen
beruht bereits auf Grund der systematischen Abfolge der einzelnen
Absätze ausreichend klar auf einem eigentlichen Stufenmodell, indem
zunächst die milderen Massnahmen (in der Kompetenz der Lehrerschaft,
Art. 28 Abs. 2 und 3 VSG/BE) und erst danach die schwerwiegenderen
Massnahmen (in der Kompetenz der Schulkommission, Abs. 4 und 5)
aufgezählt werden. Sie entspricht damit den sich aus dem Grundsatz
der Verhältnismässigkeit ergebenden Anforderungen an eine gesetzliche
Regelung und ist aus dieser Sicht nicht zu beanstanden. Die vorgesehenen
abgestuften Möglichkeiten disziplinarischer Interventionen dürfen auch
im konkreten Anwendungsfall ohnehin nur unter Beachtung des Grundsatzes
der Verhältnismässigkeit angewendet werden. Dass Art. 28 VSG/BE nicht
zwingend die Einhaltung einer Stufenfolge vorschreibt in dem Sinne,
dass eine eingreifendere Massnahme erst dann ergriffen werden darf, wenn
zuvor eine weniger eingreifende verfügt worden ist, die aber nicht die
gewünschte Wirkung gezeigt hat, führt nicht dazu, dass sich die Regelung
von vornherein als unverhältnismässig erweist. Denn in schweren Fällen
kann es durchaus geboten und auch verhältnismässig sein, die eine oder
andere Stufe möglicher Massnahmen zu überspringen. Die Möglichkeit,
einen vorübergehenden Ausschluss auch ohne vorherige Androhung verfügen
zu können, ist daher nicht zu beanstanden (vgl. auch BGE 87 I 337 E. 4b
S. 341). Hierbei fällt insbesondere ins Gewicht, dass Absatz 5 nicht
nur einen vollständigen, sondern auch einen teilweisen Ausschluss vom
Schulunterricht während einer bestimmten Periode vorsieht. Auch die
einschneidenste Massnahme des Ausschlusses ist daher noch einmal in
unterschiedlich intensiver Form und zudem in unterschiedlicher Dauer
vorgesehen, was die Möglichkeiten verhältnisangepasster Reaktion zusätzlich
erweitert.

    Es ist einzuräumen, dass die vorgesehene Höchstdauer von zwölf
Wochen einschneidend erscheint und mit sehr ungünstigen Wirkungen für den
betroffenen Schüler verbunden sein kann. In zwölf Wochen wird dieser einen
erheblichen Teil des im betreffenden Schuljahr zu erarbeitenden Stoffes
nicht vermittelt erhalten und damit einen grossen Ausbildungsrückstand auf
die übrigen Schüler der Klasse aufweisen. Ein Ausschluss von zwölf Wochen
liegt daher im oberen Bereich des Vertretbaren. In der Beratung durch den
Grossen Rat des Kantons Bern wurde denn auch betont, es handle sich beim
vorübergehenden Ausschluss um eine absolute Notmassnahme, die nur selten
und nach sehr sorgfältiger Abwägung, in der Regel aber gar nicht vorkommen
sollte. Es sei die letzte aller möglichen Massnahmen (ultima ratio),
die erst zum Tragen komme, wenn ein geordneter Unterricht verunmöglicht
worden sei und vorher keine andere Sanktionsmassnahme gefruchtet habe. In
diesem Zusammenhang wurde auch die Wichtigkeit des Wortes "höchstens"
herausgestrichen (Tagblatt S. 260 ff. und 722, Voten Bütler, Morgenthaler,
Hurni-Wilhelm, Santschi, Mosimann, Hess-Güdel, Kommissionspräsident
Lack und Erziehungsdirektor Annoni). Dass der Ausschluss nur bei (noch
andauernden) Störungen des ordentlichen Schulbetriebes angeordnet werden
darf, ergibt sich schon aus dem Wortlaut ("beeinträchtigen"). Der Einwand
der Beschwerdeführer, es sei aus Art. 28 VSG/BE nicht ersichtlich,
dass die Massnahme des Ausschlusses nur zur Beseitigung einer Störung
dienen dürfe, ist offensichtlich unbegründet. Wird der Ausschluss
aber im Sinne der erwähnten Voten mit der darin zum Ausdruck kommenden
grossen Zurückhaltung angewandt, so ist Gewähr dafür geboten, dass keine
unverhältnismässige Ungleichbehandlung eines einzelnen Schülers in Bezug
auf dessen Chancengleichheit erfolgt. Es darf davon ausgegangen werden,
dass die rechtsanwendenden Behörden sich nach den aufgezeigten Grundsätzen
richten; entgegenstehende Anhaltspunkte sind weder ersichtlich noch
vorgetragen worden.

    Die Bestimmung von Art. 28 Abs. 5 VSG/BE lässt sich demnach im Sinne
von Art. 19 BV und Art. 29 Abs. 2 KV/BE verfassungskonform auslegen,
und es besteht auch auf Grund der Materialien ausreichend Gewähr dafür,
dass die Massnahme entsprechend zurückhaltend angewendet wird.

    10.5  Art. 28 Abs. 6 VSG/BE bestimmt weiter, dass bei einem Ausschluss
die Eltern nötigenfalls unter Beizug von Fachstellen und mit Hilfe der
Schulbehörde für eine angemessene Beschäftigung sorgen. Die Schule plane
rechtzeitig die Wiedereingliederung.

    10.5.1  Dazu erläuterte der Regierungsrat in seinem Vortrag,
eine anderweitige Schulung bzw. Beschäftigung (z.B. in einem Betrieb)
sei vorzusehen, aber nicht zwingende Bedingung, da sonst der Zweck von
dringend notwendigen Disziplinarmassnahmen in Frage gestellt wäre. Die
Betreuung der von der Schule Ausgeschlossenen liege ausserhalb der
Zuständigkeit der Schule. Während des Ausschlusses stehe der Schüler
unter der Verantwortung der Eltern. Falls die Eltern diese Verantwortung
nicht wahrnehmen könnten, müsse nötigenfalls gemäss Art. 29 VSG/BE
der Vormundschaftsbehörde Meldung erstattet werden (betreffend Mängel
in Erziehung und Pflege). Die Wiedereingliederung werde hingegen von
der Schule rechtzeitig und sorgfältig geplant. Es sei unter Umständen
sinnvoller und besser, den Schüler nicht mehr in dieselbe Klasse oder in
dieselbe Schule aufzunehmen. Die Federführung des Ablaufes obliege der
Schulleitung derjenigen Schule, welche das Disziplinarverfahren durchführe
(Vortrag S. 5).

    Auch in der Beratung im Grossen Rat wurde betont, die
Hauptverantwortung für die Betreuung während des Ausschlusses liege
bei den Eltern, nötigenfalls mit Unterstützung der Schulbehörde und
selbstverständlich in Zusammenarbeit mit den Fachstellen (Tagblatt S. 264,
Votum von Kommissionspräsident Lack). In den meisten Fällen müssten wohl
die Schulbehörden und Fachstellen mithelfen, aber man dürfe die Eltern
nicht einfach übergehen (Tagblatt S. 723, Votum Küng-Marmet für die
Fassung der Kommission).

    10.5.2  Es liegt auf der Hand, dass die Begleitung eines
ausgeschlossenen Schülers von grosser Bedeutung ist. Dessen Betreuung
dürfte die Eltern oft überfordern. Die anzustrebende Wiedereingliederung,
die ein geändertes Verhalten des "Störers" voraussetzt, erfordert eine
auf dieses Ziel ausgerichtete intensive erzieherische Betreuung des
Ausgeschlossenen, die ihm die Eltern allein wohl nur in Ausnahmefällen
geben können. Betroffene Schüler leben oft in Familien, die selber mit
Problemen kämpfen und daher meist auch in die Begleitung einbezogen werden
sollten. In aller Regel kann daher schon bei Beginn des Ausschlusses kaum
auf den Beizug von Fachstellen verzichtet werden (vgl. dazu auch Tagblatt
S. 262 und 264). Der Beizug von Fachstellen wurde insbesondere deshalb
nicht zwingend vorgesehen, weil es auch Eltern gebe, die einsähen, dass
Handlungsbedarf bestehe, und die bereit und willens seien, in eigener
Verantwortung für eine gute Betreuung zu sorgen; diese Möglichkeit sei
offenzulassen. Wenn aber die Bereitschaft oder die Fähigkeit der Eltern
nicht vorhanden sei, ziehe man die Fachstellen und die Schulbehörde
heran. Damit sei die Verantwortung von der Lehrerschaft genommen, dem
ausgeschlossenen Schüler auch noch ausserhalb der Schule Beschäftigung
zu bieten; die Lehrerschaft habe sich in dieser Situation der Klasse
zu widmen, die bis dahin unter erschwerten Umständen arbeiten musste
(Tagblatt S. 267, verschiedene Voten).

    Die Regelung, dass in erster Linie die für die Erziehung der
Kinder zuständigen Eltern für angemessene Beschäftigung sorgen,
stützt sich nicht nur auf Art. 302 ZGB, sondern auch auf Art. 2 Abs. 1
VSG/BE, wonach die Volksschule die Familie in der Erziehung der Kinder
(lediglich) unterstützt. Art. 28 Abs. 6 VSG/BE nimmt nur Rücksicht auf
die bundesrechtlich festgelegten Rechte und Pflichten der Eltern. Die
Norm steht auch nach ihrem Wortlaut einer Auslegung im Sinne der
erwähnten Voten, die Raum lässt für eine Art. 29 Abs. 2 KV/BE genügende
Betreuung und Beschäftigung, nicht entgegen. Insbesondere der in jedem
Fall mögliche Beizug von Fachstellen und Schulbehörde, die bei einem
entsprechenden Begehren verpflichtet sind, angemessene Unterstützung und
Hilfe zu leisten (Tagblatt S. 268, Votum von Erziehungsdirektor Annoni),
gewährleistet ausreichend den entsprechenden Anspruch des Kindes. Art. 28
Abs. 6 VSG/BE kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass während des
Ausschlusses ausschliesslich die Eltern für die Betreuung ihres Kindes zu
sorgen hätten, wie die Beschwerdeführer meinen. Diese Bestimmung kann ohne
weiteres so angewendet werden, dass der grundrechtliche Leistungsanspruch
des Grundschülers angemessen gewahrt ist, und eine solche Handhabung kann
auf Grund des Ausgeführten auch erwartet werden.

    10.5.3  Da Art. 29 Abs. 2 KV/BE auch nach Auffassung der
Beschwerdeführer weitergehende Ansprüche gewährleistet als Art. 11 Abs. 1
BV, braucht hier nicht geprüft zu werden, inwiefern allenfalls diese
Bestimmung verletzt sein könnte. Die Beschwerdeführer substanziieren die
Beschwerde in dieser Hinsicht ohnehin nicht genügend.

    Die Lehre lehnt es im Übrigen ab, für den Bereich der Grundschule aus
Art. 11 BV (Schutz der Kinder und Jugendlichen) weitergehende Ansprüche
als die sich bereits aus anderen, spezifischeren Grundrechten ergebenden
herzuleiten (vgl. ULRICH MEYER-BLASER/THOMAS GÄCHTER, aaO, § 34 N. 40 ff.;
BEATRICE WEBER-DÜRLER, aaO, S. 134). Auch das Bundesgericht hat es bisher
abgelehnt, aus Art. 11 BV einen justiziablen Leistungsanspruch abzuleiten.
Ausserdem greift der befristete Ausschluss vom Grundschulunterricht nicht
in den elementaren Schutzbereich des Schülers auf Unversehrtheit und auf
Förderung seiner Entwicklung ein, selbst wenn er psychisch belastend sein
mag (vgl. Urteil 2P.324/2001 vom 28. März 2002, E. 4.2).

    10.5.4  Inwieweit sich in diesem Zusammenhang aus Art. 18 Abs. 2 und 3
UNO-Pakt I (SR 0.103.1; die Beschwerdeführer meinen wohl die UNO-Konvention
über die Rechte des Kindes, SR 0.107) weitergehende Ansprüche ergeben
sollen, legen die Beschwerdeführer nicht dar. Artikel 18 der UNO-Konvention
über die Rechte des Kindes enthält ohnehin nur Handlungsaufträge an die
Vertragsstaaten und keine direkt klagbaren Ansprüche.

    10.5.5  Weshalb die Regelung von Art. 28 VSG/BE durch den möglichen
Ausschluss ohne vorherige schriftliche Androhung einen Anspruch der Eltern
auf Treu und Glauben (Art. 9 BV und Art. 11 Abs. 2 KV/BE) verletzen soll,
wird nicht in einer Art. 90 Abs. 1 lit. b OG genügenden Weise dargelegt,
weshalb auf diese Rüge ebenfalls nicht einzutreten ist.

    Dass eine Bestimmung in einem besonders gelagerten Einzelfall zu einer
verfassungswidrigen Leistungsverweigerung führen könnte, hat im Übrigen
nicht zur Folge, dass sie sich einer verfassungskonformen Auslegung
entzieht und aufzuheben ist.

    10.6  Art. 28 Abs. 7 VSG/BE sieht schliesslich vor, dass die
Betroffenen Schüler sowie ihre Eltern vor einer Verfügung gemäss den
Absätzen 3 bis 5 anzuhören sind. Die Schulkommission kann allfälligen
Beschwerden die aufschiebende Wirkung entziehen.

    10.6.1  Die Beschwerdeführer rügen in diesem Zusammenhang,
ein genügender Rechtsschutz fehle, da gegen den Ausschluss nur die
Verwaltungsbeschwerde, nicht aber die Verwaltungsgerichtsbeschwerde möglich
sei. Diese werde durch Art. 78 lit. d des Verwaltungsrechtspflegegesetzes
(VRPG/BE) ausgeschlossen. Der voraussichtliche Ablauf des
Beschwerdeverfahrens lasse erwarten, dass kaum ein Beschwerdeentscheid
vor Ablauf des Ausschlusses ergehen könne. Damit sei jedenfalls kein
wirksamer, d.h. rechtzeitiger Rechtsschutz im Sinne von Art. 29 BV und
Art. 6 EMRK gewährleistet.

    10.6.2  Der Regierungsrat führt dazu aus, Verfügungen über den
temporären Schulausschluss könnten gemäss Art. 72 VSG/BE und nach den
Bestimmungen des Verwaltungsrechtspflegegesetzes angefochten werden,
was den Anforderungen an den verfassungsrechtlichen Rechtsschutz genüge.

    10.6.3  Gemäss Art. 72 VSG/BE (XIII.  Rechtspflege,
Verwaltungsbeschwerde) kann gegen Verfügungen der Schulkommission
beim Schulinspektorat Beschwerde geführt werden (Abs. 1). Dessen
Beschwerdeentscheide können an den Regierungsrat weitergezogen werden,
soweit nicht die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Verwaltungsgericht
möglich ist (Abs. 3). Gemäss Art. 78 lit. c bzw. lit. d VRPG/BE ist die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde unzulässig gegen Verfügungen und Entscheide
im Disziplinarwesen bzw. im Bildungswesen. Der damit einzig zur Verfügung
stehenden Verwaltungsbeschwerde kommt grundsätzlich aufschiebende Wirkung
zu (Art. 68 Abs. 1 VRPG/BE).

    10.6.4  Disziplinarregelungen, welche Benutzern von öffentlichen
Institutionen bestimmte Verhaltensregeln auferlegen, gelten nicht als
strafrechtlich im Sinne von Art. 6 EMRK. Diese Konventionsnorm ist
auf Disziplinarmassnahmen grundsätzlich nicht anwendbar (BGE 125 I 104
E. 3b ff.; Urteil 1P.102/2000 vom 11. August 2000, E. 1c; BGE 128 I 346
E. 2). Der Schulausschluss aus disziplinarischen Gründen - und nur dieser
wird in Art. 28 VSG/BE geregelt - erfordert daher nicht auf Grund der EMRK
eine gerichtliche Überprüfung (RUTH HERZOG, Art. 6 EMRK und kantonale
Verwaltungsrechtspflege, Diss. Bern 1995, S. 267 f.). Streitigkeiten
über die Nichtzulassung oder den Ausschluss aus einer öffentlichen
Bildungsanstalt stellen auch keine unter Art. 6 Ziff. 1 EMRK fallende
Zivilsache dar (BGE 128 I 288 E. 2.7).

    10.6.5  Die Beschwerdeführer übersehen im Weiteren, dass Art. 29 BV
verschiedene Verfahrensansprüche gewährleistet, die indessen sowohl für
Verfahren vor Gerichten als auch für solche vor Verwaltungsinstanzen
gelten. Zu den Rechtsmitteln, welchen Rechtsschutzfunktion zukommt,
gehören denn auch sowohl die Verwaltungsbeschwerde als auch die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde (BGE 123 I 25 E. 2b/aa). Damit ist auch
klargestellt, dass ein genügender Rechtsschutz besteht für den Fall,
dass der Ausschluss doch einmal verfassungswidrig angewendet werden sollte.

    10.6.6  In Bezug auf die aufschiebende Wirkung ist bereits erwähnt
worden, dass diese der Beschwerde von Gesetzes wegen grundsätzlich zukommt
(Art. 68 Abs. 1 VRPG/BE i.V.m. Art. 72 Abs. 5 VSG/BE). Ein Entzug kann
nur aus wichtigen Gründen und gestützt auf eine Interessenabwägung
angeordnet werden (Art. 68 Abs. 2, 4 und 5 VRPG/BE; THOMAS MERKLI/ARTHUR
AESCHLIMANN/RUTH HERZOG, Kommentar zum Gesetz vom 23. Mai 1989 über
die Verwaltungsrechtspflege des Kantons Bern, Bern 1997, N. 16 und
29 ff. zu Art. 68 VRPG/BE, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung).
Die interessierende Regelung kann demnach ohne weiteres verfassungskonform
angewendet werden.

    Im Übrigen dürfte es schon angesichts des Charakters der Massnahme
als ultima ratio in den meisten Fällen angezeigt sein, der Beschwerde
die aufschiebende Wirkung zu entziehen.

    10.6.7  Die Beschwerdeführer berufen sich ferner auf den in der
Volksabstimmung vom 12. März 2000 angenommenen Bundesbeschluss über
die Reform der Justiz, wonach zur Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten
der Zugang zum Richter - gesetzliche Ausnahmen vorbehalten - generell
gewährleistet sein soll (sog. allgemeine Rechtsweggarantie, Art. 29a
BV); diese Bestimmung war im Zeitpunkt des angefochtenen Beschlusses noch
nicht in Kraft und ist es auch heute nicht (vgl. BGE 126 II 377 E. 8d/bb
S. 396). Sie vermag zur Zeit keine Rechtswirkungen zu entfalten.