Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 129 IV 49



129 IV 49

6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes i.S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Zug gegen A. und Mitb. (Nichtigkeitsbeschwerde)

    6S.357/2002 vom 18. Dezember 2002

Regeste

    Verfolgungsverjährung (Art. 70 ff. und Art. 333 StGB), altes und
neues Recht; milderes Recht (Art. 2 und Art. 337 StGB).

    Massgebendes Recht im Falle der Aufhebung eines noch vor dem
Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts am 1. Oktober 2002 ergangenen
letztinstanzlichen kantonalen Urteils im Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde (E. 5.1-5.4).

    Im beurteilten Fall ist das neue Verjährungsrecht nicht milder als
das alte und daher Letzteres anwendbar (E. 5.5).

Sachverhalt

    Die Firma C. AG mit Sitz in Zug liess durch die von ihr hiezu
beauftragte Firma D. AG von Prag aus im November 1994, im Januar
1995, im November 1995 und im März/April 1997 an jeweils mehrere
hunderttausend Adressaten unter anderem in Grossbritannien, Australien,
Finnland, Schweden, Belgien, Italien und in der Türkei in der Aufmachung
Rechnungen ähnliche Offerten betreffend Einträge in internationale Telex-
und Telefaxverzeichnisse zum Preis von umgerechnet rund Fr. 1'300.-
zukommen. A. war als wirtschaftlicher Beherrscher und Geschäftsführer
der C. AG wie auch der D. AG für die Ausgestaltung der Formulare, den
Zeitpunkt und den Ablauf ihres Versandes, die Auswahl der Adressaten, die
Preisgestaltung und die Erstellung der Verzeichnisse verantwortlich. B. war
zur Zeit der Formularversendungen, mit Ausnahme derjenigen von Ende April
1997, einziger Verwaltungsrat der C. AG.

    Am 7. Dezember 2001 verurteilte der Einzelrichter des Kantons Zug
A. und B. wegen mehrfacher Widerhandlung gegen das Bundesgesetz gegen den
unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241) im Sinne von Art. 23 i.V.m. Art. 3
lit. b und Art. 3 lit. h UWG zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe
von 45 Tagen beziehungsweise zu einer Busse von Fr. 500.-. Die bei der
Firma C. AG beschlagnahmten Vermögenswerte wurden gestützt auf Art. 59
Ziff. 1 StGB zuhanden des Staates eingezogen.

    Am 3. Juli 2002 sprach das Strafgericht des Kantons Zug A.  und B. in
Gutheissung von deren Berufung von der Anklage der mehrfachen Widerhandlung
gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb im Sinne von Art. 23
i.V.m. Art. 3 lit. b und Art. 3 lit. h UWG frei. Es ordnete zudem an, dass
die beschlagnahmten Vermögenswerte nach Ablauf der Rechtsmittelfristen
beziehungsweise nach Ausfällung von allfällige Rechtsmittel abweisenden
Bundesgerichtsentscheiden an die Berechtigten herauszugeben seien.

    Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Strafgerichts
sei aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht hebt das angefochtene Urteil in teilweiser
Gutheissung der Beschwerde auf. Es äussert sich auch zu den daraus sich
ergebenden verjährungsrechtlichen Folgen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 5

    5.

    5.1  Die Bestimmungen des Strafgesetzbuches betreffend die
Verfolgungsverjährung (Art. 70 ff. StGB) sind durch Bundesgesetz vom
5. Oktober 2001, in Kraft seit 1. Oktober 2002, geändert worden (AS 2002
S. 2993, AS 2002 S. 3146). Die neuen Bestimmungen gelten gemäss Art. 333
Abs. 5 StGB in der Fassung gemäss Bundesgesetz vom 22. März 2002, in
Kraft seit 1. Oktober 2002 (AS 2002 S. 2986), einstweilen grundsätzlich
auch für Taten, die in anderen Bundesgesetzen mit Strafe bedroht sind
(siehe zum Ganzen MARTIN SCHUBARTH, Das neue Recht der strafrechtlichen
Verjährung, in: ZStrR 120/2002 S. 321 ff.; PETER MÜLLER, in: Basler
Kommentar, Strafgesetzbuch I, 2003, N. 78 ff. vor Art. 70 StGB).

    Das neue Verjährungsrecht gelangt, unter Vorbehalt bestimmter
Ausnahmen (siehe Art. 70 Abs. 4 StGB), grundsätzlich nur zur Anwendung,
wenn die Straftat nach seinem Inkrafttreten verübt wurde. Ist die Tat vor
Inkrafttreten des neuen Verjährungsrechts begangen worden, so bestimmt
sich die Verfolgungsverjährung nach dem alten Recht, es sei denn, dass
das neue Recht für den Beschuldigten das mildere ist. Der Grundsatz der
"lex mitior" (Art. 2 Abs. 2 StGB) gilt auch in Bezug auf die Verjährung
(siehe Art. 337 StGB; BGE 114 IV 1 E. 2a; 105 IV 7 E. 1a).

    Da die neuen Bestimmungen betreffend die Verfolgungsverjährung nach
Ausfällung des vorliegend angefochtenen Urteils vom 3. Juli 2002 in
Kraft getreten sind, hatte die Vorinstanz keinen Anlass, die Frage der
Anwendbarkeit des neuen Verjährungsrechts zu prüfen.

    5.2  Wenn das Bundesgericht im Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde das angefochtene Urteil aufhebt und die Sache zur
neuen Entscheidung an die kantonale Instanz zurückweist, so hat diese im
neuen Verfahren zu prüfen, ob das nach Ausfällung ihres ersten Urteils
in Kraft getretene neue Recht für den Beschuldigten das mildere sei,
und gegebenenfalls dieses anzuwenden (siehe BGE 117 IV 369 E. 15c S. 389;
97 IV 233 E. 2c S. 235 f.; SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde
in Strafsachen, 1993, N. 767). In einer solchen Konstellation erfolgt
die "Beurteilung" im Sinne von Art. 2 Abs. 2 StGB durch den zweiten
kantonalen Entscheid (siehe TRECHSEL, Kurzkommentar, 2. Aufl., 1997,
N. 7 zu Art. 2 StGB).

    Entsprechendes gilt, wenn nach Ausfällung des ersten kantonalen
Urteils neue Bestimmungen betreffend die Verfolgungsverjährung in Kraft
treten. Die kantonale Instanz, an welche die Sache unter Aufhebung ihres
ersten Urteils im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
aus irgendwelchen Gründen zurückgewiesen wird, hat im neuen Verfahren zu
prüfen, ob das neue Verjährungsrecht für den Beschuldigten das mildere sei.

    5.3  Das Bundesgericht selbst hat im Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu prüfen, ob das nach Ausfällung des
angefochtenen kantonalen Entscheides in Kraft getretene neue Recht
allenfalls milder sei; denn es kann nur prüfen, ob die kantonale Instanz
das eidgenössische Recht richtig angewendet habe, mithin das Recht, welches
im Zeitpunkt der Ausfällung des angefochtenen Urteils noch gegolten hat
(BGE 117 IV 369 E. 15 S. 386; 101 IV 359 E. 1 S. 361, mit Hinweisen).

    5.4  Eine Ausnahme gilt indessen in einer Konstellation der
vorliegenden Art hinsichtlich der Verfolgungsverjährung. Da die Vorinstanz
die Beschwerdegegner 1 und 2 vom Vorwurf des unlauteren Wettbewerbs
freigesprochen hat, ist die Verfolgungsverjährung nach Ausfällung des
angefochtenen Urteils weitergelaufen. Solange die Verfolgungsverjährung
läuft, ist in jedem Stadium des Verfahrens von Amtes wegen zu prüfen,
ob sie eingetreten ist, mithin auch vom Bundesgericht im Verfahren
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde (BGE 116 IV 80 E. 1;
97 IV 153 E. 2 S. 156). Tritt während der Hängigkeit des Verfahrens
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein freisprechendes
Urteil die Verfolgungsverjährung ein, so wird auf die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten (BGE 116 IV 80 E. 2).

    5.5  Der Kassationshof hat demnach im vorliegenden Verfahren zu prüfen,
ob das neue, am 1. Oktober 2002 in Kraft getretene Recht der Verjährung
für die Beschwerdegegner milder als das alte Recht ist.

    5.5.1  Nach dem neuen Recht beträgt die Verjährungsfrist bei Vergehen
im Sinne von Art. 23 UWG 7 1/2 Jahre (siehe Art. 333 Abs. 5 lit. a
i.V.m. Art. 333 Abs. 1 StGB und i.V.m. Art. 70 Abs. 3 aStGB) und tritt die
Verfolgungsverjährung nicht mehr ein, wenn vor Ablauf der Verjährungsfrist
ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist (Art. 70 Abs. 3 bzw. Art.
333 Abs. 5 lit. d StGB). Im vorliegenden Fall ist am 12. Februar 1997 der
Strafbefehl des (damaligen) Polizeirichteramtes und am 7. Dezember 2001
der Entscheid des Einzelrichters ergangen. Ob schon der Strafbefehl oder
erst der Entscheid des Einzelrichters als "erstinstanzliches Urteil"
im Sinne von Art. 70 Abs. 3 bzw. Art. 333 Abs. 5 lit. d StGB zu
qualifizieren ist, kann hier dahingestellt bleiben. Auch im Zeitpunkt
der Ausfällung des Entscheids des Einzelrichters am 7. Dezember 2001,
durch welchen die Beschwerdegegner 1 und 2 verurteilt wurden, lagen alle
eingeklagten Handlungen, auch der Versand der Formulare im November 1994,
weniger als 7 1/2 Jahre zurück und waren somit sämtliche Handlungen,
auch bei Verneinung einer verjährungsrechtlichen Einheit, noch nicht
verjährt. Nach der Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils konnte die
Verfolgungsverjährung nicht mehr eintreten. Bei Anwendung des neuen Rechts
sind mithin sämtliche Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden
Taten, selbst bei Verneinung einer verjährungsrechtlichen Einheit, nicht
verjährt und kann die Verfolgungsverjährung in der Zukunft nicht eintreten.

    Das neue Verjährungsrecht ist damit offensichtlich nicht milder als
das alte.

    5.5.2  Die Verjährung richtet sich somit im vorliegenden Fall nach dem
alten Recht. Danach beträgt die Verjährungsfrist bei den inkriminierten
Widerhandlungen im Sinne von Art. 23 UWG relativ 5 und absolut 7 1/2 Jahre
(Art. 333 Abs. 1 StGB i.V.m. Art. 70 Abs. 3 aStGB und Art. 72 Ziff. 2
aStGB). Die Verfolgungsverjährung lief nach Ausfällung des angefochtenen
Urteils weiter, da die Beschwerdegegner 1 und 2 freigesprochen wurden. Der
Versand der Formulare im November 1994 und der Versand der Formulare im
Januar 1995 liegen bereits mehr als 7 1/2 Jahre zurück und sind daher, für
sich allein betrachtet, absolut verjährt. Einzig der Versand der Formulare
im November 1995 liegt im gegenwärtigen Zeitpunkt (Dezember 2002) noch
weniger als 7 1/2 Jahre zurück und ist zurzeit noch nicht verjährt. Ob
zwischen dem Versand der Formulare im November 1995 einerseits und dem
Versand der Formulare im Januar 1995 und im November 1994 andererseits
eine verjährungsrechtliche Einheit bestehe, wird die Vorinstanz zu
entscheiden haben.